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Veröffentlicht am 17.11.2021

Guter Lesestoff aus dem Nordic-Noir-Genre

FROST
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Zu Beginn muss ich sagen, dass ich mich aktuell mal wieder in einer Lesesflaute befinde und deswegen etwas Angst hatte, die Fortsetzung der Hulda-Trilogie (die keine ist – in meinen Augen, aber dazu gleich ...

Zu Beginn muss ich sagen, dass ich mich aktuell mal wieder in einer Lesesflaute befinde und deswegen etwas Angst hatte, die Fortsetzung der Hulda-Trilogie (die keine ist – in meinen Augen, aber dazu gleich mehr) jetzt zu lesen, da ich ihr vielleicht nicht gerecht werden würde. Aber! Wie immer hat es Jónasson geschafft, mich mitzureißen. Von der ersten Seite an, war ich im Leserausch und habe das Buch an zwei Abenden verschlungen. Sein Schreibstil und die kurzen Kapitel sind einfach wie gemacht für mich.

Warum gibt es also einen vierten Teil bei einer Trilogie? Klingt nicht logisch, oder? Von daher sehe ich diesen Teil auch eher als Spin-off bzw. als eigene Reihe. Diese wird außerdem auch unter dem Zusatz "Hulda-Helgi-Serie" aufgeführt, was viel mehr Sinn ergibt. Zudem können hier auch neue Leser bedenkenlos zugreifen, ohne die Hulda-Trilogie gelesen zu haben.

Der Nachteil an diesem Band ist ganz klar der, dass Hulda kaum darin vorkommt, auch wenn sie mit aufgeführt wird. Die paar winzigen Kapitel zeigen natürlich wieder eine andere Seite von ihr, aber ich war dennoch traurig, dass sie nicht mehr Spielfläche erhalten hat. In diesem Teil begleiten wir nämlich Helgi, der eine Studienarbeit über die Todesfälle im Tuberkulose-Sanatorium schreibt und hierzu Kontakt zu den Betroffenen von damals aufnimmt. Wir bewegen uns deswegen auch in drei verschiedenen Zeitebenen: Anfang der 1950er-Jahre, 1983 und 2012. Keine Sorge, man verliert hier nie den Überblick, eher im Gegenteil.

Der Fall an sich war jetzt nicht spektakulär, weswegen ich Jónasson auch eher in die Krimi-Ecke als in die Thriller-Ecke stecke, denn auch wenn in diesem Teil sogar kurz etwas Grusel aufkam, fehlt für einen Thriller der nötige Nervenkitzel, was den einen oder anderen Leser dann vielleicht sogar langweilen mag. Dennoch tappte ich bis zum Ende im Dunklen, was ich sehr gern habe.

Was mich persönlich etwas genervt hat, war das Verhältnis von Helgi zu seiner Frau. Aber diese Passagen waren letztendlich wichtig, wie man im Verlauf merken wird. Das Ende und der Zusatz im Titel lassen auf weitere Teile hoffen und ich bin auf jeden Fall mit am Start, denn Helgi hat mit Sicherheit noch mehr zu berichten.

Persönliches Fazit: Wie immer bin ich dank des Schreibstils von Jónasson gut unterhalten worden und hoffe, dass der Helgi-Hulga-Ansatz deutlich vertieft wird. Dieses Buch ist perfekt für gemütliche Herbstabende und ein Muss für alle Fans der düsteren isländischen Spannungsliteratur.

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Veröffentlicht am 16.11.2021

Lässt uns in eine fabelhafte Welt abtauchen

Die Chroniken der Meerjungfrau - Der Fluch der Wellen
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Schon als Kind liebte ich es im Märchenbuch zu blättern oder sämtliche Verfilmungen zu schauen. Das hat sich zugegebenermaßen bis heute nicht geändert. Und nun ratet mal, welches zu meinen absoluten Lieblingsmärchen ...

Schon als Kind liebte ich es im Märchenbuch zu blättern oder sämtliche Verfilmungen zu schauen. Das hat sich zugegebenermaßen bis heute nicht geändert. Und nun ratet mal, welches zu meinen absoluten Lieblingsmärchen gehörte: richtig, Arielle!

Tatsächlich fühlte ich mich ganz zu Beginn doch sehr an die Disney-Verfilmung beziehungsweise an das Märchen von Hans Christian Andersen erinnert und war im ersten Moment etwas unschlüssig, wie ich das finden würde. Dieser Zweifel zerstreute sich aber noch im Verlauf des ersten Kapitels, denn Christina Henry greift zwar den allseits bekannten Teil der Meerjungfrauenerzählungen auf, kreiert darum aber eine ganz eigene Story, die nicht schöner hätte sein können.

Henry erzählt die Geschichte eines Wasserwesens, das seiner Zeit um Welten voraus ist. Als moderne, starke und emanzipierte Frau stößt sie in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts auf viele Widerstände. Allen Anfeindungen und Neidern zum Trotz steht Amelia aber für ihren Glauben, ihre Liebe und ihr Anderssein ein. Aber wird sie schlussendlich wirklich frei sein?

Henry zeichnet ganz wunderbare Figuren, die allesamt durch ihre realistischen, individuellen Züge überzeugen. Mit ihrer Art zu erzählen, entführt Henry ihre Leser in eine phantastische Welt, die stets einen Bezug zur Realität behält. Und so fabelhaft die Story an sich auch zu sein scheint, stößt sie uns doch gleichzeitig immer wieder auf Missstände und Probleme, die sich bis in unsere heutige Zeit ziehen und die wir viel zu oft als gegeben hinnehmen.

Persönliches Fazit: Auch wenn ich wirklich nicht behaupten kann, dass es sich bei „Die Chroniken der Meerjungfrau“ um eine düstere Story handelt, was ich ehrlich gesagt wegen der anderen Chroniken-Bücher erwartetet hatte, so empfehle ich sie trotzdem jedem, der Märchen und phantastische Erzählungen mag! Einfach, weil es eine tolle Story für Erwachsene ist, die uns in fabelhafte Welten abtauchen lässt und dabei nie den Bezug zur Realität verliert.

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Veröffentlicht am 15.11.2021

Eine Geschichte über Freundschaft

Sie beobachtet dich
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Heather und Edie. Einst waren sie unzertrennliche Freundinnen, haben Tag und Nacht zusammen verbracht, sich ihre dunkelsten Geheimnisse erzählt und einfach ihr Leben genossen. Doch ein Ereignis hat die ...

Heather und Edie. Einst waren sie unzertrennliche Freundinnen, haben Tag und Nacht zusammen verbracht, sich ihre dunkelsten Geheimnisse erzählt und einfach ihr Leben genossen. Doch ein Ereignis hat die beiden von einem Tag auf den anderen entzweit. So lebt Edie nun in London und erwartet ihr erstes Kind. Als Heather plötzlich vor ihrer Tür steht, bricht für Edie eine Welt zusammen. Sie dachte, sie würde Heather nie wieder begegnen. Nicht nach all dem, was damals passiert ist…

„Plötzlich ist mir, als würde die Welt kippen, ich muss mich am Türrahmen festhalten, um nicht hinzufallen. Denn auf der Schwelle steht sie und sieht mich an. Nach all diesen Jahren ist sie da: Heather. Ich habe mir diesen Moment so viele Hundert Male und so viele Jahre lang vorgestellt, habe von ihm geträumt und ihn gefürchtet, sodass er sich jetzt, in der Wirklichkeit, einerseits völlig surreal und zugleich sehr enttäuschend anfühlt.“ (Zitat)

Die Story wird in zwei Handlungssträngen erzählt. Dabei begleiten wir Heather bei den Geschehnissen von damals und Edie in der Gegenwart. Beide Perspektiven wirken sehr lebendig und machen neugierig auf den Fortgang. Die Atmosphäre ist gerade in der Gegenwart sehr angespannt und strotzt nur so vor Spannung. Der Schreibstil ist locker, flüssig und zieht den Leser problemlos durch die Handlung.

Die beiden Hauptcharaktere wurden von der Autorin präzise und sehr real gezeichnet. Ich konnte mich problemlos in die Gedanken und Gefühle der jeweils anderen hineinversetzen. Sie kamen authentisch rüber und ihre Handlungen waren stets greifbar für mich. Hier hat Camilla Way sehr viel Wert aufs Detail gelegt, denn dem Leser bleibt keine andere Wahl, als beide Frauen ins Herz zu schließen. Noch bevor dem Leser überhaupt bewusst wird, welches Ereignis die Freundschaft zerstört hat.

Das Ende kam für mich äußerst überraschend und hat mich im wahrsten Sinne des Wortes umgehauen. Niemals hätte ich mit diesem Ausgang gerechnet und war deshalb unglaublich fasziniert. Die Story hat sich damit völlig gedreht, was ich unglaublich mag! Das Buch konnte ich jedenfalls mit großer Begeisterung beenden.

Persönliches Fazit: Eine Geschichte über Freundschaft, die erst auf dem zweiten Blick nicht so ist, wie sie scheint. Zwei tolle Protagonistinnen entführen den Leser auf eine spannende Reise und sorgen damit für Nervenkitzel.

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Veröffentlicht am 19.10.2021

Zeitgemäße Coming-out-Geschichte

Zeig mir das Meer
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Du bist kein Freak, nur weil du dich nicht für Mädchen interessierst. Kein Monster, nur weil du dich in den Jungen aus deiner Klasse verliebt hast. Der Junge, der sein Coming-out schon hatte, welches dir ...

Du bist kein Freak, nur weil du dich nicht für Mädchen interessierst. Kein Monster, nur weil du dich in den Jungen aus deiner Klasse verliebt hast. Der Junge, der sein Coming-out schon hatte, welches dir selbst noch bevorsteht.

Jake lebt mitten in einer Kleinstadt irgendwo in New Mexico, umgeben von Sand und Kakteen. Dabei zieht es ihn ans Meer. Schon immer verspürte er den Drang, in die Welt unterhalb der Wasseroberfläche einzutauchen. Doch ein Aquarium in seinem Zimmer ist der einzige Bezug zum maritimen Lebensraum. Seine Mutter versucht mit allen Mitteln, ihn vom Wasser fernzuhalten, und Jake will endlich verstehen, warum. Ich konnte seine innere Zerrissenheit, seine Verzweiflung, seine Wut gut nachvollziehen. Habe verstanden, warum er sich so verloren fühlt, umgeben von all diesen Menschen, denen er sich nicht anvertrauen kann. Nicht mal seiner besten Freundin erzählt er seine Sorgen. Weil er Angst hat. Sich anders fühlt. Und es einfach nicht besser weiß. Einzig Kenny, der Junge aus seiner Klasse, scheint ihn mit anderen Augen zu sehen.

Ich habe das zarte Annähern der beiden, ihre ersten Blickkontakte, die ersten richtigen Worte miteinander gerne mitverfolgt. Manchmal fühlte ich mich an meine eigene Kindheit zurückerinnert, an den Jungen, für den ich so geschwärmt hatte. Bei dessen Blicken ich Rot wurde. Der mir in der Pause kleine Zettelchen zusteckte: Willst du mit mir gehen? Ja / Nein / Vielleicht

Dass es für Kenny und Jake nicht leicht werden würde, war mir leider klar. Sie werden angefeindet, beleidigt, diskriminiert. Müssen zusammenhalten und stark sein, um sich in ihrer Welt zu behaupten. Schön fand ich, dass Kenny es schafft, Jake ein wenig mitzuziehen, ihm Mut zuzusprechen und Trost zu spenden. Auch wenn er vielleicht zu viel auf einmal erwartet. Da merkt man deutlich, dass jeder von ihnen noch einiges zu lernen hat und an sich arbeiten muss. Klug gewählte Passagen, die den jugendlichen Lesern sicher weiterhelfen könnten. Wobei auch ich als Erwachsene einiges reflektieren konnte.

Die Dritte im Bunde ist übrigens Maria, die beste Freundin von Jake. Auch sie hat mit Problemen zu kämpfen, die nach wie vor in unserer Gesellschaft auftreten. Sie muss ihren Platz finden, wie jeder von uns, nicht wahr?

Und dann ist da noch die Sache mit Jakes Herkunft. Warum zieht ihn das Meer so magisch an? Was verschweigt ihm seine Mutter?

Die Superhelden-Elemente fühlten sich anfangs etwas befremdlich an, wirkten recht deplatziert. Doch mit Voranschreiten der Story kam quasi Licht ins Dunkel und ich habe begriffen, warum diese oder jene Einblendung bzw. Erwähnung gewählt wurde. Für mich hätte das Buch gänzlich ohne diese Elemente erscheinen können, denn die Story bot auch so alles, was sich das Leserherz wünscht.

Persönliches Fazit: Eine zeitgemäße und verspielte Coming-out-Geschichte mit wunderschönen Illustrationen, die zum Nachdenken anregt und hoffentlich dem Einen oder Anderen etwas Mut macht.

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Veröffentlicht am 17.10.2021

Spannend, originell und zeitgemäß

Die Zeit der Wilden
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Martine Laverdure arbeitet seit zehn Jahren in einem Supermarkt. Sie war nicht einen Tag krankgeschrieben, immer pünktlich und freundlich. Ihr Leben wirkte farblos und trist, Martine wie eine gesichtslose ...

Martine Laverdure arbeitet seit zehn Jahren in einem Supermarkt. Sie war nicht einen Tag krankgeschrieben, immer pünktlich und freundlich. Ihr Leben wirkte farblos und trist, Martine wie eine gesichtslose Person inmitten eines kapitalistischen, privatisierten Dschungels. Das ändert sich, als sie ein kleines Techtelmechtel mit einem ihrer Kollegen beginnt. Jacques Chirac Oussoumo schafft es, ihr wieder ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern und die trostlosen Tage zu erhellen. Doch genau das ist ihren Arbeitgebern ein Dorn im Auge.

Zitat Seite 8: "Die Geschäftsordnung verbietet Angestellten, Beziehungen außerhalb des beruflichen Rahmens zu unterhalten."

Man will Martine und Jacques fristlos kündigen, doch während des Gesprächs überschlagen sich die Dinge und Martine wird tödlich verletzt.

Dass ich es hier nicht mit einem reinen Thriller zu tun bekomme, sondern einem recht sozial- und gesellschaftskritischen Werk, war mir nach Lesen der Beschreibung klar. Doch was sich hinter dem simplen Cover verbirgt, hatte ich nicht erwartet. Dieses Buch strotzt nur so vor lautstarken Protesten, Denkanstößen und Charakteren, die man nur abseits des Mainstreams findet. Und gerade weil sie Außenseiter sind, vor allem Andersaussehende, fühle ich mich ihnen verbunden. Sicher, ich gehe nicht mit allen Meinungen konform, heiße auch nicht jede Handlung gut, dennoch verstehe ich die Intention dahinter.

Im Fall von Martine sind es ihre vier Söhne, auf die der Fokus u.a. gelenkt wird, die aufgrund genetischer Manipulation Eigenschaften von Wölfen besitzen. Sie sind wild, ungezähmt - und sie wollen Rache nehmen für den Tod ihrer Mutter. Es ist die Zeit der Wilden. Pech für den Sicherheitsagenten Jean, dass er derjenige ist, auf dessen Konto der tödliche Unfall geht. Wer möchte schon ins Visier von rebellischen, gewalttätigen Wölfen geraten?

Die Graphic Novel ist überraschend textlastig, was teilweise für Langatmigkeit sorgt. Das können die monochrom kolorierten Zeichnungen allerdings wieder gutmachen. Detailliert, pointiert - ein großartiges Artwork! Müsst ihr euch unbedingt selbst ansehen!

Persönliches Fazit: Spannend, originell und absolut zeitgemäß. Ich empfehle das Buch gern weiter an all jene, die sich gern mit wichtigen Themen auseinandersetzen und zudem ein Faible für Zeichnungen haben.

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