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heinoko

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.11.2021

Wenn man sich dem Schicksal willenlos ausliefert - bedrückend-grandios geschrieben

Das Dorf und der Tod
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Dieses Buch ist vieles. Was es jedoch ganz gewiss nicht ist, egal was der Verlag auf dem Cover drucken ließ – es ist kein Kriminalroman! Der Roman ist ein historischer Roman, er ist eine entsetzliche ...



Dieses Buch ist vieles. Was es jedoch ganz gewiss nicht ist, egal was der Verlag auf dem Cover drucken ließ – es ist kein Kriminalroman! Der Roman ist ein historischer Roman, er ist eine entsetzliche Lebens-Tragödie und er ist auch ein Heimatroman im besten Sinne des Wortes, ein tragischer Heimatroman, dunkel, trostlos, lieblos. Und dieser Roman ist bedrückend-grandios geschrieben.

Es geht um die Menschen in einem kleinen Dorf in Oberbayern, beginnend im Jahr 1921. Diese Menschen begleiten wir über die Jahre hinweg, wie sie sich von der Zukunft viel erhoffen und wie sie sich entmutigt zurückziehen auf das, was getan werden muss, jeden Tag im ewigen Gleichmaß. Wie sie lieben oder auch nicht. Wie sie, geprägt von Tradition und dörflichen Zwängen, einander und sich selbst verlieren. Wie Hitler kommt und geht. Und wie es mit Menschen wird, die keine Liebe erfahren und wo oft nichts anderes mehr bleibt, als „sich Unbeschwertheit ins Hirn zu trinken“ oder unüberwindbare Gebirge von Hass aufzutürmen.

Das Buch wehrte sich, von mir gelesen zu werden. Diese entsetzlich kleine Schrift ist eine Zumutung für die Augen. Die langen Absätze ohne Zeilenunterbrechung, die raren Dialoge machen das Lesen ebenfalls schwer. Doch nach zähem und mühsamem Beginn gewannen die geschriebenen Worte eine Kontur, eine geradezu lyrische Kontur, in die einzutauchen einen seltsamen Sog auslöste, dem ich mich nicht mehr entziehen konnte. Das harte dörfliche Leben in seiner Begrenztheit zwischen Pflicht und Tradition beschädigt die Seelen der Menschen, macht sie willenlos und ergeben. Daran kann weder das harte Regiment der Kirche noch politische Verführung etwas ändern. Christiane Tramitz zeichnet ganz fein, wie nebenbei, stille Momentaufnahmen von brachialer Gewalt, die im Gedächtnis bleiben. Das Buch kommt mir vor wie Bilder der Maler der Münchner Schule, auf denen wir vordergründig die Idylle des dörflichen Verbunds und die Schönheit der Natur sehen, während dahinter unsichtbar, aber umso gewaltiger, Kälte und verzweifelter Hass wachsen.

Ein beeindruckend starker Roman!

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Veröffentlicht am 21.11.2021

Das Innenleben eines Getriebenen

Im Versteck
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Dies war das erste Buch, das ich von Sabine Thiesler gelesen habe. Und es hat mich so sehr gepackt, dass ich mitunter eine Pause beim Lesen einlegen musste. Denn dieser Thriller ist absolut harter Tobak! ...



Dies war das erste Buch, das ich von Sabine Thiesler gelesen habe. Und es hat mich so sehr gepackt, dass ich mitunter eine Pause beim Lesen einlegen musste. Denn dieser Thriller ist absolut harter Tobak! Noch nie habe ich ein Buch gelesen, das den Leser so sehr zwingt, völlig einzutauchen in die verstörende Vorstellungs- und Gedankenwelt eines Serienmörders, in das schier unentrinnbare Ausgeliefertsein eines Pädophilen an die Macht des eigenen Triebes und der damit verbundenen unendlichen Verzweiflung des Täters an sich selbst.

Der anerkannte Fotograf Paul Böger kündigt seinen Job in Hamburg und kauft ein völlig heruntergekommenes Haus in den toskanischen Bergen, weitab jeglicher Zivilisation. Hier erhofft sich der attraktive, aber bindungsunfähige Mann Ruhe und Frieden, Ruhe vor den Menschen, aber auch vor sich selbst. Doch dann verschwindet ein kleines Mädchen aus der Nähe …

Die Autorin erzählt geradlinig, ohne verwirrende Zeit- oder Personenperspektivwechsel. Lediglich kurze Rückblicke aus der Kindheit von Paul Böger, aus der Zeit also, als seine Seele zerstört wurde, offenbaren Einblicke in die möglichen Gründe einer unumkehrbaren Fehlentwicklung. Ansonsten bleibt die Erzählweise linear und folgerichtig. Sabine Thiesler beschreibt gekonnt farbig und lebendig italienisches Leben. Die Dialoge wirken so, als würde man mitten dazwischen stehen, wenn rings um einen herum mit Händen und Füßen palavert wird. Die eingestreuten italienischen Sprachbrocken lassen die Gespräche besonders authentisch wirken. Genauso intensiv tief wie in die italienische Lebensart taucht Sabine Thiesler ein in die Seele des Täters. Ich bin fasziniert von der immensen Kraft des Schreibstils, der von der Autorin ausgeht in diesen Szenen. Der Thriller rückt den Täter dem Leser in einer fast körperlich spürbaren Weise unerträglich nahe. So eindringlich und entsetzlich, dass mir beim Lesen oftmals die Luft wegblieb. Hier liegt die grauenvolle Stärke des Thrillers. Auch wenn das Spannungsniveau nicht immer gleichbleibend hoch ist, auch wenn das Ende etwas glatt geraten ist – für mich war dieser Thriller ein atemberaubendes Leseerlebnis, erschütternd und entsetzlich.

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Veröffentlicht am 19.11.2021

"Jeder trägt eine düstere Seite in sich"

Verloschen: Thriller
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Ja, sie hat es wieder getan! Catherine Shepherd hat mich mit ihrem neuesten Thriller wieder abgehalten von anstehender Hausarbeit und anderen Pflichten. Sie ließ nicht zu, dass ich mich um genügend Schlaf ...



Ja, sie hat es wieder getan! Catherine Shepherd hat mich mit ihrem neuesten Thriller wieder abgehalten von anstehender Hausarbeit und anderen Pflichten. Sie ließ nicht zu, dass ich mich um genügend Schlaf und um gesundes Essen kümmerte. Kaum hatte ich „Verloschen“ in Händen, ging ich für den normalen Alltag verloren, konnte nichts anderes mehr als lesen und lesen. Und ja, wieder ist es ihr gelungen, mich in die Irre zu führen. Bei jedem neuen Buch dieser Ausnahme-Autorin nehme ich mir vor, ihr dieses Mal nicht auf den Leim zu gehen und der Lösung nahe zu kommen, indem ich noch genauer lese, mir Notizen mache, Diagramme zeichne zu möglichen Beziehungen unter den Protagonisten. Doch egal wie ich mich anstrenge: Wieder serviert mir die Autorin einen Täter, mit dem ich nie, nie gerechnet hätte. Dabei ist die Handlung schlüssig, die Auflösung logisch. Und Catherine Shepherd lächelt…

„Verloschen“ ist der sechste Band aus der Reihe um die Rechtsmedizinerin Julia Schwarz. Sie findet zusammen mit Kriminalkommissar Florian Kesser in einem Containerlager eine junge Frau, der die Ohren abgeschnitten worden waren. Der Täter hatte ihr halb verweste „neue“ Ohren angenäht. Warum? Und wem gehörten die angenähten Ohren? Bald stoßen Julia und Florian auf einen neuen Toten. Diesmal fehlen der Leiche die Hände. In einer blauen Box werden die abgeschnittenen Ohren des ersten Opfers entdeckt. Steckt ein Serienkiller hinter diesen grausigen Taten? Doch auch wenn Julia ihm näher zu kommen glaubt – der Täter ist ihr immer einen Schritt voraus…

Spannend, verwirrend, perfekt konstruiert, mit einem sympathischen Ermittler-Duo und einem abstoßend-grausigen, völlig überraschenden Serientäter: Dieser neue Thriller von Catherine Shepherd hat wieder ALLES, was man sich von einem Pageturner wünschen kann. Absolute Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 18.11.2021

Fesselnd komponiertes zwischenmenschliches Spiel des Unheimlichen

Die Bosheit
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Diesmal setze ich meine unbedingte Leseempfehlung an den Anfang. Bei dem neuen Roman von Mattias Edwardsson handelt es sich um einen leisen Thriller, der seine böse Wirkung ganz unterschwellig in ein ...



Diesmal setze ich meine unbedingte Leseempfehlung an den Anfang. Bei dem neuen Roman von Mattias Edwardsson handelt es sich um einen leisen Thriller, der seine böse Wirkung ganz unterschwellig in ein harmlos erscheinendes Vorstadtleben einstreut. Toll komponiert und fesselnd zu lesen!

Mikael ist mit seiner Familie in eine Vorstadtidylle gezogen, wo es ruhig ist und reizende Nachbarn das Leben angenehm machen. Doch welchen Grund hatte Mikael für diesen Neuanfang? Und welche Geheimnisse finden sich hinter den verschlossenen Haustüren? Als Mikaels geliebte Frau von einem Auto angefahren wird und mit dem Tod ringt, ist Mikael überzeugt, dass es sich um einen bewussten Angriff auf seine Frau handelte. Welche Geheimnisse finden sich hinter den verschlossenen Haustüren der Nachbarn? Misstrauen und Argwohn machen sich breit.

Eine ungewöhnliche Thriller-Entdeckung war für mich „Die Bosheit“. Die Geschichte kommt gewissermaßen mit Samtpfötchen daher, ganz harmlos und freundlich. Die Seiten lesen sich unterhaltsam, man lernt hilfsbereite, nette Nachbarn kennen. Aber je weiter man liest, desto mehr nehmen subtile Gefühle der Bedrohung Raum ein. Und Seite um Seite wachsen Angst und Schauder, ohne dass man genau sagen könnte, wo die eigentliche Quelle des Grauens liegt. Die wechselnden Perspektiven der Erzählweise beziehen mehrere Nachbarn mit ein. Das macht die Geschichte auf bewundernswerte Weise vielschichtig und psychologisch besonders eindringlich.
Ein Thriller für Leser, die Freude haben an dem psychologisch-feinsinnigen zwischenmenschlichen Spiel des Alltagsgrauens.

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Veröffentlicht am 10.11.2021

Der Vergangenheit "ins ungewaschene Gesicht" geschaut

Der Traumpalast
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Eigentlich scheue ich umfangreiche Bücher. Sie sind anstrengend zu halten und oftmals auch anstrengend zu lesen. Doch die 800 Seiten, in denen Peter Prange die Zeit zwischen 1917 und 1925 opulent vor ...



Eigentlich scheue ich umfangreiche Bücher. Sie sind anstrengend zu halten und oftmals auch anstrengend zu lesen. Doch die 800 Seiten, in denen Peter Prange die Zeit zwischen 1917 und 1925 opulent vor uns ausbreitet, ließen sich so leicht und so schnell und so unterhaltsam lesen, dass ich geradezu überrascht war, wie schnell ich das Ende des Buches erreichte.
Im Zentrum des Geschehens stehen zwei zentrale Figuren: Tino, der Bankier und Leichtfuß, und Rahel, die als Journalistin in einer Männerdomäne Fuß fassen will. Die Erlebnisse der beiden Personen, ihre recht unsteten Lebensbahnen, ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch. Schwerpunkt jedoch sind die Anfänge des Kinos, zunächst als Propagandamittel, dann zunehmend als preisgünstiges Unterhaltungsmedium für die Menschen. Die Finanzierung großer Filmprojekte, überhaupt das Politikum Kunst versus Profit spielt eine zentrale Rolle in dieser von Wirtschaftskrise, Inflation und gefährlicher politischer Entwicklungen gezeichneten Zeit.
Genau diese brillant recherchierten und farbig-lebendigen, teils geradezu magisch wirkenden Darstellungen einer Epoche des Wandels, des Umbruchs, sind die absolute Stärke des Autors. Weit weg von der Tingeltangel-Welt der Zwanziger, die so oft in Romanen bemüht wird, lässt uns Peter Prange hautnah erleben, wie der bislang eher unterschwellige Antisemitismus immer lauter wird und die rechte Gesinnung der NSDAP schließlich die Oberhand gewinnt, wie die von Armut und Hunger gezeichneten Menschen einen Heilsbringer ersehnen, wie dadurch erklärbar Hitler an die Macht kommt. Da ich zu der ü70-Generation gehöre, waren mir noch viele Namen aus den Kinoanfängen bekannt, und ich las gerne darüber, wie berühmte Regisseure wie zum Beispiel Fritz Lang ihre Filmvisionen umsetzten, und welchen Kampf diese Visionäre mit den Produzenten und Geldgebern auszufechten hatten. Enttäuscht jedoch war ich von der Ausgestaltung der Personen Tino und Rahel. Hier war für mich keine stimmige psychologische Entwicklung zu erkennen, sondern ein recht wirres Mäandern zwischen nicht nachvollziehbaren Handlungen, die zu immer neuen Konflikten führten. Kurz gesagt, diese Hauptpersonen, insbesondere Rahel, nervten mich nur noch! Auch hätte ich auf die allzu reichlichen Szenenwechsel und Cliffhanger verzichten können. Das überaus kluge Nachwort des Autors jedoch hätte ich ebenso wie das Personenverzeichnis lieber am Anfang des Buches gesehen, denn hiermit macht Peter Prange klar, dass er die Zeitläufe nicht aus der „Besserwisser-Perspektive von uns Nachgeborenen“ geschrieben hat, sondern „aus dem Dunkel des gelebten Augenblicks“. Der Autor schaut der Vergangenheit quasi „ins ungewaschene Gesicht“. Genau das macht die hervorstechende Qualität des Buches aus!

Fazit: Absolut lesenswert!

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