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Veröffentlicht am 15.09.2016

Denn wir können nur hassen, was wir lieben

Der letzte Pilger
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In seinem ersten Fall ermittelt der Kommissar Tommy Bergmann gleich in mehreren Mordfällen, die allerdings einen Zusammenhang haben. Ein Leichenfund in der Nordmarka, mit drei ehemals Vermissten und die ...

In seinem ersten Fall ermittelt der Kommissar Tommy Bergmann gleich in mehreren Mordfällen, die allerdings einen Zusammenhang haben. Ein Leichenfund in der Nordmarka, mit drei ehemals Vermissten und die brutale Ermordung der politischen Größe Carl Oscar Krogh scheinen einen gemeinsamen Schnittpunkt zu haben. Bergmann verbeißt sich regelrecht in den Fall und ermittelt in alle Richtungen und manchmal auch gegen die Zeit, denn viele Zeugen von damals sind mittlerweile verstorben und nehmen ihre Geheimnisse mit ins Grab. Als er im Zuge seiner Recherchearbeit auf den Namen der ehemaligen Widerstandskämpferin Agnes Gerner stößt, offenbart sich ihm ein gruseliges Szenario, in dessen Zentrum nicht nur die damals junge, mutige Frau steht, sondern auch Krogh, dessen Lebenslauf plötzlich durch dunkle Geheimnisse überschattet wird. Und die verjährten Mordfälle häufen sich, denn die mächtigen Auftraggeber verfolgten ein ehrgeiziges Ziel …

Dieser spannende Debütroman, der sich ganz klassisch in die typische Erzählweise skandinavischer Kriminalromane einreiht, konnte mich fesseln und begeistern. Besonders interessant ist der hier gewählte Schreibstil, der sich auf zwei Erzählebenen konzentriert. Zum einen den Handlungsstrang in der Vergangenheit, der den Leser in die Ereignisse des Jahres 1942 eintauchen lässt, zum anderen die aktuellen Entwicklungen in der Gegenwart, samt polizeilicher Ermittlungen im Mordfall Krogh. In sehr kurzen Leseabschnitten wechselt immer wieder die Zeitebene, so dass man unweigerlich weiterlesen muss, um den Fortgang der Geschichte aufzunehmen.

Der Autor vermag es dabei sowohl eine düstere Stimmung zu erzeugen als auch ein intensives Geflecht persönlicher Verkettungen, welches nicht auf Anhieb zu durchschauen ist. Man muss also etwas rätseln und sehr konzentriert lesen, um die vielen historischen Berührungspunkte wahrzunehmen und die Zusammenhänge zwischen den genannten Personen herzustellen. Diese erzählerische Tiefe hat mir persönlich sehr gut gefallen, weil dadurch die historische Komponente immer wieder in den Vordergrund rückte und damit auch sehr wichtige Themen der nationalsozialistischen Kriegsbelange wie die Organisation der Widerstandskämpfer oder auch die Durchführung von geplanten Liquidierungen. Allerdings immer mittels einer sehr neutralen, distanzierten Schreibweise – absolut wertungsfrei.

Fazit: Ich vergebe 4,5 Lesesterne (aufgerundet 5) für einen komplexen, szenisch dichten Kriminalroman mit einer brisanten historischen Geschichte, verpackt in einem spannenden Mordfall mit zahlreichen Beteiligten. Eine klare Leseempfehlung für Liebhaber skandinavischer Literatur, die gerne intensive Romane lesen, bei denen nicht zwangsläufig die Sympathie für die Protagonisten im Mittelpunkt stehen muss, sondern die kriminalistische Handlung. Ich freue mich bereits auf den Nachfolgeroman.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Zufälle, Bekanntschaften und andere Katastrophen

Das Leben ist ein listiger Kater
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Mit 67 Jahren fühlt sich Jean-Pierre eigentlich noch nicht übermäßig alt, doch nach einem Unfall, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte, liegt er zur Untätigkeit verbannt in einem städtischen Krankenhaus. ...

Mit 67 Jahren fühlt sich Jean-Pierre eigentlich noch nicht übermäßig alt, doch nach einem Unfall, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte, liegt er zur Untätigkeit verbannt in einem städtischen Krankenhaus. Da er eigentlich ein absoluter Einzelgänger ist und weder Familie noch viele Freunde hat, fällt es ihm unendlich schwer, sich den Gepflogenheiten im Krankenzimmer anzupassen. Denn nicht nur die Tatsache, dass ständig die Tür offen steht und der Zimmernachbar eine schrecklich laute Verwandtschaft hat, sondern vor allem die vielen täglichen Besuche anderer in seinem Refugium nerven ihn wahnsinnig. Als dann noch eine Jugendliche mit immenser Körperfülle bei ihm auftaucht, um sich jeden Tag seinen Laptop auszuborgen, platzt ihm bald der Kragen. Doch nach mehreren Wochen in der Klinik findet schließlich auch Jean-Pierre gefallen an den vielen kleinen Zufallsbekanntschaften des Lebens.

Dieser kleine Roman hat mein Herz im Sturm erobert, weil er die Alltäglichkeit des Lebens unmittelbar einfängt und sie in einen großen Zusammenhang mit ernsthaften, nachdenklichen Themen setzt. Natürlich ist das Altern beschwerlich und zur Einsamkeit verbannt, erscheint es noch viel unerträglicher, doch auf den gut 200 Seiten dieses Buches überwiegt definitiv der Humor.

Beim Lesen erinnert mich sowohl der Hauptprotagonist als auch der Handlungsverlauf sehr stark an den Roman "Ein Mann namens Ove", den ich damals auch schon grandios fand. Irgendwie gefällt es mir, davon zu erfahren, wie ein alter Miesepeter seine selbstgewählte pessimistische Lebenseinstellung zu Gunsten anderer, meist jüngerer Menschen aufgibt und endlich auch das Gute und Schöne wahrnimmt.
Dennoch bedient "Das Leben ist ein listiger Kater" keine Klischees, es fällt auch kein Urteil über diverse Lebensformen und stellt vor allem die Menschlichkeit und Nächstenliebe in den Mittelpunkt des Geschehens.

Fazit: Ich vergebe volle Punktzahl für diesen herzlichen Roman, der die Facetten des Lebens und verschiedene Schicksalsschläge gekonnt vereint, so dass letztlich eine lebensbejahende Kernaussage bleibt, die auch beim Leser die Hoffnung aufkeimen lässt, dass viele Dinge und Entscheidungen einen tieferen Sinn haben, als zunächst vermutet. Dieses Buch ist eine tolle Geschenkidee für Menschen, die sich selbst mit den zunehmenden Alterbeschwerden auseinandersetzen müssen und etwas Aufheiterung gebrauchen können. Toll gemacht!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Als du ALLES für mich warst

Winterhonig
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In einer schweren Zeit, in der sich jeder selbst der Nächste war und ein unerbittlicher Kampf um das Überleben geführt wurde, beginnt die Liebe zwischen Karl und der kleinen Schwester seines Freundes zu ...

In einer schweren Zeit, in der sich jeder selbst der Nächste war und ein unerbittlicher Kampf um das Überleben geführt wurde, beginnt die Liebe zwischen Karl und der kleinen Schwester seines Freundes zu erblühen. Mathilda ist mittlerweile kein Kind mehr, sondern eine hübsche junge Frau, doch eine Verbindung scheint undenkbar, denn der Krieg steht vor der Tür und Karl muss als begnadeter Reiter in die Kavallerie der Deutschen, während Mathilda als einfaches Bauernmädchen ihre tägliche Pflicht verrichtet.
So bleibt ihnen lange nur die Sehnsucht, der Wunsch einander wiederzusehen, die Träume von einer besseren Zukunft und die schönen Erinnerungen an eine friedliche Kindheit. Dieses Wissen umeinander, gepaart mit der absoluten Sicherheit, die große Liebe gefunden zu haben, trägt sie durch die Zeit, durch bittere Kriegsjahre und hält sie lebendig. Denn sie kämpfen nicht für einen Sieg an der Front, sondern für einen Sieg in der Liebe.
Dieser Roman hat mein Herz von der ersten Seite an erobert, weil er vielschichtig ist und wichtige historische Ereignisse in einen persönlichen Kontext bringt. Dadurch ergibt sich für den Leser nicht nur ein Bild von den Grausamkeiten und Kampfereignissen im Zweiten Weltkrieg, sondern in erster Linie eine ganz persönliche Lebensgeschichte. Eingebettet in autobiographische Kindheitserinnerungen einer einfachen Bauernfamilie, erfüllt mit den ständig wechselnden Vorkommnissen einer Großfamilie, entwirft die Autorin eine berührende Liebesgeschichte. Die Kombination der verschiedenen Aspekte wirkt authentisch, realitätsnah und emotional, ohne jemals kitschig oder aufgesetzt zu wirken.
Besonders fasziniert hat mich die Vielfalt der Personen, ihre intensive Charakterisierung und die Stärke der Nebendarsteller. Hier geht es längst nicht nur um Liebe, sondern auch um Freundschaft, Mut, Engagement, Zugeständnisse aber auch um Geschwisterrivalität und schwere Lebensschicksale. Jede beschriebene Szene lief bildlich vor meinem inneren Auge ab, so dass ich mir die Buchvorlage hier ganz ausgezeichnet als Verfilmung vorstellen könnte.
Fazit: Dieser Roman ist für mich ein Lesehighlight im Jahr 2016. Er ist gut recherchiert und bringt die Geschichte eines Lebens und einer Liebe hervorragend zur Geltung. Ich empfehle ihn allen Lesern, die realistische Erzählungen mit lebensechten Charakteren und menschlichen Verhaltensweisen mögen. Die sich für Geschichte interessieren und die den Reiz einer besonderen, einzigartigen Beziehung nachvollziehen möchten. Sehr positiv ist hier anzumerken, dass dieses Buch sowohl für junge als auch für ältere Leser ansprechend ist, die einen werden sich in den Empfindungen wiederfinden, die anderen in den Ereignissen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Verpasste Abzweigungen auf dem Lebensweg

This is not a love song
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Vincent fährt auf Drängen seiner Ehefrau nach jahrelanger Abkehr endlich wieder einmal in sein Elternhaus, um dort nicht nur ein paar Stunden vorbei zu schauen, sondern auch um alte Freunde, seinen Bruder, ...

Vincent fährt auf Drängen seiner Ehefrau nach jahrelanger Abkehr endlich wieder einmal in sein Elternhaus, um dort nicht nur ein paar Stunden vorbei zu schauen, sondern auch um alte Freunde, seinen Bruder, die Ex-Freundin und andere Bekannte zu treffen.
Doch wie erwartet wird der Besuch zur inneren Zerreißprobe, denn alle Beteiligten haben ein vollkommen anderes Leben gelebt, als Vincent. Sie sind auch nicht mehr die guten Freunde von früher mit denen man sich locker unterhalten konnte, sondern schleppen ihre eigenen Probleme und Sehnsüchte mit sich herum und möchten diese nicht unbedingt mit dem "Freund aus Jugendtagen" teilen. Vincent selbst fiebert dem Ende der Woche entgegen, bis ihm seine Schwägerin ein Geheimnis offenbart, welches sonst niemand angesprochen hätte. Und er muss sich entscheiden, ob er die traurigen Details hören möchte oder doch lieber flieht in eine Zukunft mit dunklen Flecken...
Nach dem Bestseller 6 Uhr 41 von Jean-Philippe Blondel, der mir ausgesprochen gut gefallen hat, war ich sehr gespannt auf seinen neuen Roman, der sich ebenso wie der genannte Vorgänger mit den wichtigen Fragen des Lebens auseinandersetzt und zwischen den Zeilen nicht nur Melancholie vermittelt, sondern auch viele philosophische Denkansätze aufgreift. In "This is not a lovesong" kämpft ein junger Mann gegen seine unschöne Vergangenheit an, indem er sich bewusst an die Orte und zu den Menschen seiner Kindheit und Jugend begibt. Nicht um dort etwas zu finden, was er vermisst hat, sondern lediglich aus Interesse heraus. Denn gerade sein eigener Lebensweg verlief ganz anders als erwartet und hat ihn grundlegend verändert.

Für mich ist dieser Roman ein weiteres Lesehighlight im Jahr 2016, weil er auf wunderschöne Art und Weise erzählt, weil er Verbindungen knüpft und Menschen authentisch wirken lässt, weil er ein sehr bewegendes Thema aufgreift, welches von Identitätsfindung, Erinnerungen, verpassten Chancen, unterlassenen Handlungen und Fehlentscheidungen berichtet. Aber andererseits auch von der Kraft der Liebe, der Möglichkeiten eines Neuanfangs und der ungeahnten Entwicklungen im Laufe der Zeit. Dem Autor ist mit diesem Buch ein sehr einprägsamer Roman gelungen, der lange nachwirkt und ihm einen Platz in der Liste meiner Lieblingsautoren einbringt.

Fazit: Ich vergebe 5 Sterne für dieses ehrliche, manchmal traurige Buch, welches ausgesprochen facettenreich vom Leben selbst erzählt und von der Rolle des Einzelnen in einem sozialen Gefüge. Ich kann es absolut weiterempfehlen, vor allem für diejenigen Leser, die gerne reflektieren, über das Geschriebene Wort nachdenken und ihre eigenen Schlüsse ziehen möchten. Vieles, was hier benannt wird, kann man nicht nur nachempfinden, sondern hat es tatsächlich so oder ganz ähnlich erlebt. Einfach nur toll!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Die späte Dramatik einer Lebenslüge

Als die Liebe endlich war
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„In einer Welt, in der die eine Hälfte uns verfolgt und die andere uns nicht haben will, ist ein Ort, der uns nur als Fremde sieht, wohl wirklich das Paradies.“
Der junge Carl Schwarz besteigt zusammen ...

„In einer Welt, in der die eine Hälfte uns verfolgt und die andere uns nicht haben will, ist ein Ort, der uns nur als Fremde sieht, wohl wirklich das Paradies.“
Der junge Carl Schwarz besteigt zusammen mit Mutter, Vater und Schwester die Conte Biancamano, ein Schiff, welches die jüdische Familie nach Shanghai bringen soll. Doch im letzten Moment überlegt es sich sein Vater Erwin anders und verlässt das Schiff, denn er kann sich nicht vorstellen, dass die Judenverfolgung in Deutschland einen weiteren Höhepunkt erlangen wird. In der Fremde angekommen müssen sich die Emigranten nicht nur eine Bleibe suchen, sondern auch den täglichen Kampf ums Überleben führen, denn auch in Shanghai steht die Zeit nicht still und der ferne Krieg rückt in bedrohliche Nähe. Jahre später lebt Carl zusammen mit seiner Frau Emmi in Amerika und bemüht sich die Schrecken seiner Vergangenheit zu vergessen, doch durch längst vergessene Dokumente, stößt er auf eine unheilvolle Verbindung zwischen der Liebe seines Lebens und den Gräueltaten der Nationalsozialisten. Doch welche Schuld gilt es zu vergeben und welche Lüge tatsächlich zu verzeihen?
Dieser Roman ist mein zweiter aus der Feder der Autorin, den ich nach dem Kriminalroman „Kalteis“ gelesen habe. Auf sehr unterhaltsame, erzählerische Weise gewinnt hier die Thematik Judenverfolgung während des 2. Weltkrieges und die damit verbundene Möglichkeit der Emigration eine große Bedeutung. Anders als in vielen Romanen, die sich mit dieser dunklen Epoche deutscher Geschichte auseinandersetzen, geht es hier weit weniger um die Ereignisse in Deutschland, als vielmehr um das Leben einer Emigrantenfamilie, der es durch Glück gelungen ist, ihrer unwilligen Heimat den Rücken zu kehren und dafür in der Fremde ein neues Leben aufzubauen. Doch damit verbunden bleibt auch ein Gefühl der inneren Zerrissenheit, der Wunsch eines Tages wieder zurückzukehren und ein loses Heimatgefühl, welches es den Betroffenen nicht erlaubt sich wirklich heimisch und sicher zu fühlen. Wie ein dunkler Schatten verfolgt sie die Bedrohung und lässt viele erst nach dem Kriegsende zur Ruhe kommen.
Die Erzählung besticht durch ein ausgewogenes Verhältnis historischer Rahmenbedingungen und einer persönlichen Lebensgeschichte, die unweigerlich miteinander verwoben sind. Eine leichte Sprache und wechselnde Schauplätze machen den besonderen Reiz aus und die verschiedenen Zeitebenen bringen Spannung und Leben in das geschriebene Wort. Und letztlich wirkt das Geheimnis um Emmi wie ein Magnet, der den Leser an die Geschichte fesselt, denn nur zu gern möchte man über die gut 300 Seiten des Buches wissen, was denn nun wirklich geschah – damals im Leben einer jungen Frau, die nicht die zu sein scheint, die sie zeitlebens vorgab …
Fazit: Ich vergebe 4,5 Sterne (aufgerundet 5) für einen unterhaltsamen, historisch angelehnten Roman, der sich intensiv mit der Frage nach einer Heimat und deren Bedeutung für die eigene Identität beschäftigt. Und gleichermaßen mit der Frage nach der Endlichkeit der Liebe, wenn man feststellt, dass eine Lebenslüge den geliebten Menschen in ein ganz anderes Licht rückt. Das Buch bekommt von mir eine Leseempfehlung und macht mich neugierig auf weitere Romane der Autorin.