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Nilchen

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.02.2022

Mist der uns das Leben schenkt

Ende in Sicht
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Wenn einer zum Sterben das Haus verlässt, dann geht es meist nicht gut aus. Hier sieht die Lage anders aus, denn hier treffen zwei Frauen mit demselben Ziel ungewollt aufeinander. Die 15jährige Juli hat ...

Wenn einer zum Sterben das Haus verlässt, dann geht es meist nicht gut aus. Hier sieht die Lage anders aus, denn hier treffen zwei Frauen mit demselben Ziel ungewollt aufeinander. Die 15jährige Juli hat vor von einer Grünbrücke auf die Autobahn zu springen, um sich das Leben zu nehmen. Ihr Glück im Unglück ist Hella, die sie rettend auf den Grünstreifen manövriert. Zwar arg lädiert, aber lebend. Ironischerweise ist auch sie auf dem Weg zum Sterben, denn die 69 Jahre alte Popikone mit hohlem Leben will ihrem Ganzen in einer Sterbeklinik in der Schweiz ein Ende setze. Tja, und da sind sie ungewollt vereint in einem klapprigen Passat, sind schroff im Ton und besorgt in der Brust, obwohl der Gegensatz nicht größer sein könnte.
Ronja von Rönne legt mit „Ende in Sicht“ ihren zweiten Roman vor. Sie ist von Hause aus Journalistin der ‚Zeit‘ und Moderatorin ein Philosophie Magazin auf ARTE namens Streetphilosophy und betreibt einen Podcast. Vor allem wird momentan gerne in den Medien ihre Depression in Bezug auf das Buch durchleuchtet, ich halte davon wenig und freue mich, wenn die Autorin sagt, dass das Buch nicht WEGEN der Depression entstand, sondern TROTZ. Dabei belassen wir es.
Ich finde sie schreibt gut, der Klartext-Ton findet sich gerne rotzig und frech wieder. Der ruppige Ton genau das richtige was die beiden Frauen verkörpern, keine Freundlichkeit, aber eine tieferliegende Zuneigung zueinander. Hier werden Chinaböller gezündet, aber Knallfrosch-Sound ertönt, wie im echten Leben nehmen hier Formulierungen einen großen Anlauf, aber es geschieht dann eher wenig. Kennen wir das nicht alle?
Wenn Hella ironischerweise ihren One-Hit-Wonder „Ende in Sicht“ in Dauerschleife besingt und Juli mit der Lüge ihres Lebens hadert im den die Schnecke auf dem Cover eine große Rolle spielt, dann ist da ein Funken Hoffnung für das gegensätzliche Paar. Natürlich: Das Roadtrip-Sujet ist nicht neu und innovativ, aber Ronja von Rönne hat es auf ihre ganz eigene Art zum Ereignis der Sonderklasse gemacht.

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Veröffentlicht am 25.01.2022

Mütter und Töchter

Wilde Jahre
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Die Beziehungen von Müttern zu Töchtern sind so alt wie Menschen selbst und es sind immer wiederkehrende Motive: Es gibt Reibungen, es gibt Konflikte und es birgt ein inniges Verhältnis zumeist durch viel ...

Die Beziehungen von Müttern zu Töchtern sind so alt wie Menschen selbst und es sind immer wiederkehrende Motive: Es gibt Reibungen, es gibt Konflikte und es birgt ein inniges Verhältnis zumeist durch viel Liebe angereichert- wir alle kennen es.
Nun hat nach 4jähriger Mammutarbeit Astrid Ruppert ihre Trilogie abgeschlossen, die genau diese Beziehung unter die Lupe nimmt. Immer wieder in wechselnden Zeiten, in verschiedenen Konstellationen, aber die grundlegende Analyse gilt: Mutter und Tochter. Ist dabei natürlich auch noch rasant unterhaltsam!
Es beginnt mit Band 1 der „Leuchtende Tage“ heißt und in der wilhelminischen Zeit beginnt. Kaiserzeiten mit klaren Regeln für bürgerliche Töchter und einer ganz klaren Erwartungshaltung von Mutter an Tochter. Und hier begegnen wir Lisette Winter in Wiesbaden. Sie will frei sein und alles andere als eine gute Partie finden und das brave Mädchen sein. Also nimmt sie 1906 Reiß aus und bringt sehr viel Mut auf sich mit der Liebe ihres Lebens, Schneider Emil, in das Abenteuer Selbstständigkeit zu stürzen und neuste Mode zu entwerfen. Und der 1. Weltkrieg naht! Auch hier wird schon der Bogen zu ihrer Urenkelin Maya gespannt und wie die Tücken des Lebens ihr 100 Jahre später auflauern. Sie lebt in Frankfurt und ist eher weniger erfolgreich als Übersetzerin. Ihre Mutter Paula hingegen hat auch ein angespanntes Verhältnis zur eigenen Mutter Charlotte. Alle Frauen sind durch die verknüpften Jahrhunderte nun bekannt.
Dann folgt Band 2 mit „Wilde Jahre“ in dem Tochter wie Mutter Paula im Rampenlicht steht in den wilden 70er Jahren. Auch wieder das Sujet des Brechens mit alten Werten und Konversionen, den Paula wird in einem hessischen Dorf groß, wo man ihren Traum Sängerin zu werden nicht hören mag in der Nachkriegszeit. Ihre Mutter Charlotte, die mit ihrem Mann einen Bauernhof nach dem Krieg bewirtschaften, sind die Träume der Tochter Luftnummern. Paula zieht es nach London, raus aus dem Kaff und wir erleben mit wie Maya geboren wird und auch ohne Vater ist es modern ein Kind großzuziehen. Maya begegnen wir auch als Erwachsene und sie ist immer mehr die Klammer der Winterfrauen, die mehr wissen will und hinterfragt.
Das Finale ist Band 3 „Ein Ort, der sich zu Hause nennt“. Der Abschluss der Trilogie der das Geheimnis um Charlotte aufdeckt. Wir begeben uns vor allem in die 30er und 40er Jahre des letzten Jahrhunderts und fokussieren uns auf Charlotte. Sie folgt beruflich ihrer alleinerziehenden Mutter Lisette und wird Schneiderin und hat eine schicksalshafte Begegnung zu Nazizeiten. Sie beweist Mut und nach all den vielen Jahren bricht sie das Schweigen in der Gegenwart gegenüber Tochter Paula und Enkelin Maya.
In der Trilogie leben und leiden wir mit den Müttern und Töchter der Familie Winder durch das letzte Jahrhundert. Nun habe ich alle 3 Bände gelesen, fühle mich bereichert, denn es war nicht nur ein Ritt durch die Zeit sondern auch durch multiple Perspektivwechsel, die es so spannend machten. Es sind rundum gelungene charakterstarke Frauen, die hier im Zentrum der Geschichte(n) stehen.

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Veröffentlicht am 12.01.2022

Einsam oder alleine?

Allein
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„Von außen wirken Menschen fast immer stärker, als sie sich innerlich fühlen.“ (S. 38)
Ein Buch, dass mich nachdenklich gemacht hat und zugleich sehr bereichert. ‚Allein‘ von Daniel Schreiber ist wie ein ...

„Von außen wirken Menschen fast immer stärker, als sie sich innerlich fühlen.“ (S. 38)
Ein Buch, dass mich nachdenklich gemacht hat und zugleich sehr bereichert. ‚Allein‘ von Daniel Schreiber ist wie ein gedanklicher Spaziergang mit dem Autor durch seine Erfahrungen gepaart mit der schier unbegrenzten Vielfalt seines erlesenen Schatzes. Wirklich wunderbar, wie Daniel Schreiber die Texte die er las in den eigenen privaten Kontext stellt und uns daran teilhaben lässt.
„Manchmal versteckt man sich so gut, dass man selbst nicht mehr weiß, wer man ist.“ (S. 97/98)
Auf jeder Seite, ach was, in jedem Absatz liest man eine zitierfähige Perle! Ich habe manchen Absatz doppelt und dreifach gelesen. Und nun, ist der schmale Band zu Ende und ich könnte glatt von vorne beginnen und immer neue Aspekte finden die ich bei der ersten Lektüre nicht wahrgenommen habe. So dicht ist der Text.
„Niemand von uns kann der Einsamkeit entkommen. Sie ist eine unabwendbare, eine existenzielle Erfahrung. Vielleicht auch eine notwendige.“ (S. 112)
‚Allein‘ ist eher ein philosophisches Essay, aber poetisch und nie trocken oder gar sachlich in der Sprache, auch wenn man hier noch viel lernen kann. Die vielen Referenzen machen auch Lust sich noch weiter in den angerissenen oder zitierten Werken zu verlieren und auf gedankliche Reisen zu gehen. Ich habe neue Begriffe kennengelernt wie die liminale Zeit oder den uneindeutigen Verlust. Begriffe die mir bisher unbekannt waren, aber so sinnhaft sind. Sehr spannend!
„Das vorsätzliche Vergessen, auf dem das Leben der meisten von uns beruht, scheitert.” (S. 29)
Für mich wäre Daniel Schreiber ein perfekter Kandidat für die Poetikvorlesung an Goethe Universität in Frankfurt/Main, die jedes Jahr hochkarätig gehalten wird!
„Freundinnen und Freunde helfen uns dabei, die innere narzisstische Schallmauer zu durchbrechen und die ganze Realität des Lebens wahrzunehmen. Ohne sie wäre es unmöglich, sich weiterzuentwickeln, unmöglich, wirklich Mensch zu sein.“ (S. 56)

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Veröffentlicht am 21.12.2021

Entführung erweitert den Blickwinkel

Henry
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Wer den ersten Satz des Klappentextes liest, mag vielleicht denken: Nee, dass ist zu grausam, ein Kind ausversehene entführt, weil das Auto der Eltern gestohlen wird. Too much! Aber bitte nicht gleich ...

Wer den ersten Satz des Klappentextes liest, mag vielleicht denken: Nee, dass ist zu grausam, ein Kind ausversehene entführt, weil das Auto der Eltern gestohlen wird. Too much! Aber bitte nicht gleich die Flinte ins Korn werfen. Denn ja, es geht um eine Entführung wider Willen, aber es kommt dann ganz anders als dieser Satz vermuten lässt und ist ein SEHR lesenswerter Roman!
Henry, eigentlich Henriette, ist ein 12jähriges Mädchen, dass auf der Rückbank pennt als ihre Mutter Marion Einkäufe ins Haus schafft und das parkend in zweiter Reihe in Berlin Wilmersdorf. Nun, Sven ein Automechaniker ohne Job meint hier eine schnelle Nummer abziehen zu können und klaut das dicke Auto und erhofft sich viel Geld damit zu machen. Tja und dann ist die Tochter dummerweise noch hinten drin.
So ist der Auftakt einer Geschichte, die Florian Gottschick, im ersten Leben Drehbuchautor, nun zu Papier gebracht hat als sein Erstlingswerk. Also der erste Roman, denn Drehbücher kann er schreiben und ist damit schon sehr erfolgreich. Nun also auch gelungen in Romanform!
Es ist unheimlich gut gelungen, diese skurrile Geschichte -die übrigens so ähnlich einer Freundin von ihm passierte – zu schildern. Klar, wie sollte es anders sein, es liest sich wie Kino im Kopf bloß mit sehr viel mehr Tiefe. Denn die Charaktere sind gut ausgestaltet und sind sehr plastisch.
Beeindruckt hat mich die gelungene Porträtierung der Protagonistin Henry in ihrer ungestümen pubertierenden Art, die hier unverhofft Abstand gewinnt zu den unausgesprochenen Erwartungen ihrer Eltern. Und hier liegt auch die Stärke des Romans, ein zarter liebevoller Blick auf die unebenen Momente im Leben und auch eine coming-of-age Geschichte der jungen Dame. Tja, und das großartig kombiniert mit einem Abenteuer der Entführung durch einen dem die Zündschnur leider durchgebrannt ist.
Fazit: Hört sich alles andere als innovativ an, ist es aber! Große Empfehlung dieses sehr gelungen Romans zweier Antihelden, die gegensätzlicher nicht sein könnten, aber ins Gespräch kommen. Bitte unbedingt lesen bevor der Film entsteht, denn die Filmrechte sind bereits verkauft!

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Veröffentlicht am 10.12.2021

Demut wächst bei niedrigen Temperaturen im Biwak!

Gipfelnächte – Mein Weg durch die Alpen und wie mich Regen Demut lehrte
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Ich bin ja was das Wandern anbelangt ein Weichei, ja, ich bin die, die ihr nur bei gutem Wetter laufen seht und ja, ich bin diejenige, der ein paar Stunden reichen. Daher umso spannender für mich diesen ...

Ich bin ja was das Wandern anbelangt ein Weichei, ja, ich bin die, die ihr nur bei gutem Wetter laufen seht und ja, ich bin diejenige, der ein paar Stunden reichen. Daher umso spannender für mich diesen Bericht von Max Heberer zu lesen. Er war Berater, ist Psychologe und wollte irgendwann lieber auf Bäume schauen als auf Bildschirme starren und fasste sich ein Herz und macht einen sehr losen Plan. Dieses Buch ‚Gipfelnächte‘ ist hinterher als sehr persönlicher Erfahrungsbericht entstanden, wie er sich von Bad Reichenhall zum Mount Blanc aufmacht. Nun muss man wissen, dass Max Heberer mehr von der Idee angetan war als ein Profi der Wanderkunst zu sein, sprich er ging recht unbedarft an die Sache heran. Hier ging einer los und sammelte Erfahrungen über sich und sich selbst in der Natur.
Er beschreibt alle emotionalen Facetten die diese Zeit mit sich brachten. Wie Natur der beste Freund und zugleich auch zum Feind werden kann. Ja, Demut hatte er erlebt. Er startete kurioserweise im Januar, also nicht bei besonders wanderfreundlichen Temperaturen und nahm sich vor nur im Biwak (Zeltschlafsack) zu übernachten. Hier gibt es eindrucksvolle Passagen wo er die kalten Nächte beschreibt. Glücklicherweise hat er diese große Tour nicht ganz alleine bewältigt, meistens war seine Freundin dabei, Tamara und auch seine Mutter war kurz mit von der Partie. Auch hier gab es Reibungen mit Klärungsbedarf.
Ich finde das Buch auch sehr schön gestaltet, ist es doch mit viele Bildern angereichert. Dadurch konnte ich mir ein gutes Bild von der Wandertour machen. Auch sind die besten Zitate von ihm aus dem Text gegriffen und als Auflockerung zwischen den Texten optisch hervorgehoben. Das macht es besonders am Ende der Lektüre so nett noch mal durch das Buch zu blättern.
Einziger Wermutstropfen ist, dass er schon dazu neigt die Normalos dieser Welt, die bequemes Wandern bevorzugen auf ausgetretenen Pfaden etwas hochnäsig betrachtet und sich für den richtigeren Entdecker und Wanderer hält. Ist er auch, aber muss man nicht vor sich hertragen. Andererseits, es ist ein ehrlicher Text vor allem wenn es um seine Beziehung zu sich selbst und seinen Liebsten geht und dann gehört das auch dazu.
Fazit: Naturnahe, achtsam, reflektiert!

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