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Veröffentlicht am 29.12.2021

Ein Erbe der besonderen Art

Die Enkelin
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Ja, es ist ein ganz besonderes Erbe, mit dem sich Kaspar nach dem plötzlichen Tod seiner Frau konfrontiert sieht: sie, der er Mitte der 1960er Jahre zur Flucht aus der DDR verhalf, hatte eine ...

Ja, es ist ein ganz besonderes Erbe, mit dem sich Kaspar nach dem plötzlichen Tod seiner Frau konfrontiert sieht: sie, der er Mitte der 1960er Jahre zur Flucht aus der DDR verhalf, hatte eine Tochter. Die allerdings in die Untiefen rechter Gesinnung abgetaucht ist und, als Kaspar sie nach langer Suche findet, auch kein Interesse hat, daraus wieder aufzutauchen.

Doch sie hat selbst ein Kind, eine knapp fünfzehn Jahre alte Tochter namens Sigrun, die in ihrem bisherigen Leben nur völkische Gesinnung und rechtes Gedankengut mitbekommen hat und - wie könnte es anders sein - davon vollkommen überzeugt ist.

Dennoch schafft es Kaspar, ihre Eltern - der Vater ist um Längen schlimmer, also völkischer und "rechter" als die Mutter, davon zu überzeugen, Sigrun in den Ferien zu ihm zu lassen. Und zwar mit schnödem Mammon, der auch in völkischen Kreisen seinen Reiz hat.

Sowohl für Kaspar als auch für Sigrun bedeuten diese Besuche das Kennenlernen einer vollkommen neuen Welt, in der es zunächst kaum Gemeinsamkeiten gibt. Doch - überraschend für Kaspar - erfolgt eine Annäherung über klassische Musik.

Zerbrechlich allerdings, wie bald klar wird. Ein Roman, der zwei vollkommen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen Deutschlands einander gegenüber stellt: einen immer noch eher links orientierten Intellektuellen der 1960er Jahre und einem lange nach der Wiedervereinigung geborenen Mädchen, das nur die Kreise der Neurechten kennt und sich darin bisher wohlgefühlt hat.

Mir hat gefallen, dass Bernhard Schlink in diesem Roman krumme Wege geht. Es gibt überraschende Gegenüberstellungen, Aburteilungen erfolgen auf beiden Seiten, wobei aber immer klar bleibt, auf welcher davon der Autor selbst steht. Auch wenn ich ab und an über ein - kleines - Klischee stolperte, habe ich den Roman mit großem Gewinn gelesen - denn ich bekomme niemals genug von verschiedenen Sichtweisen auf Deutschland und dies ist eine durchaus besondere! Gewissermaßen in der Tradition des "Vorlesers", aber beide Romane sind Kinder ihrer jeweiligen Entstehungszeit und damit völlig unterschiedlich!

Veröffentlicht am 11.12.2021

Ein kleiner Weg gemessen in Kilometern, doch ein Riesenschritt für Helene

Die Dorfschullehrerin
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Anfang 1961: Sie tritt eine Lehrerstelle in einem kleinen hessischen Dorf an - Helene aus der "Zone". Doch was niemand weiß: sie ist nur wenige Kilometer entfernt im Nachbardorf aufgewachsen.

Allerdings ...

Anfang 1961: Sie tritt eine Lehrerstelle in einem kleinen hessischen Dorf an - Helene aus der "Zone". Doch was niemand weiß: sie ist nur wenige Kilometer entfernt im Nachbardorf aufgewachsen.

Allerdings ist das nun schon seit etlichen Jahren Teil der DDR. Genaueres möchte Helene aber nicht rausrücken, das ist ihr ureigenes Geheimnis.

Doch an freien Tagen zieht es sie auf lange Wanderungen hin zur Grenze. Was ist es, das Helene wieder und wieder dorthin zieht - pflegt sie am Ende noch irgendwelche Verbindungen dorthin?

Auf der einen Seite ist sie fremd, auf der anderen Seite hat sie schneller, als sie es selbst erwartet hat, Zugang zu den Dorfbewohnern im allgemeinen, ihren Schülern im Besonderen und ganz speziell zum Herzen des Dorfarztes Tobias gefunden.

Dennoch ist sie nicht glücklich.und dafür gibt es gute Gründe. Die sie jedoch mit niemandem teilt, weswegen der ein oder andere bald den ein oder anderen Verdacht hegt...

Wie stets in ihren historischen Romanen vermag Eva Völler auf großartige Art und Weise die damalige Zeit durch Worte aufleben zu lassen. Es geht so dermaßen atmosphärisch zu, dass ich stets Bilder vor Augen, manchmal sogar Gerüche in der Nase oder Stimmen im Ohr hatte.

Das Einzige, was mich ein ganz winziges bisschen störte, war der Umstand, das der Schluss relativ schnell abgefrühstuckt wurde. Ich hätte doch so gern noch mehr Details erfahren.

Dafür darf ich mich aber auf die Zukunft freuen, denn es wird einen zweiten Teil geben. Ich empfehle allen Interessierten, schon jetzt mit Teil 1 loszulegen, um dann bei Teil 2 gleich starklar zu sein!

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Veröffentlicht am 24.11.2021

Lucy erzählt

Oh, William!
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Lucy Barton, Strout-Fans bereits aus zwei Vorgängerbänden bekannt, beschäftigt sich hier mit ihrem ersten Mann William. Er ist ein der Vater ihrer beiden Töchter - ein verständlicher Grund, warum der Kontakt ...

Lucy Barton, Strout-Fans bereits aus zwei Vorgängerbänden bekannt, beschäftigt sich hier mit ihrem ersten Mann William. Er ist ein der Vater ihrer beiden Töchter - ein verständlicher Grund, warum der Kontakt bestehen blieb. Und das, obwohl er Lucy sehr enttäuscht hat - es zeigte sich nämlich, dass er während ihrer etwa zwanzig Jahre währenden Ehe eine ganze Reihe von Affären gehabt hatte.

Dennoch entstand mit den Jahren eine gute Freundschaft zwischen ihnen - vielleicht gerade, weil beide wieder geheiratet hatten: William zum zweiten und zum dritten Mal, wogegen Lucy in dem Cellisten David ihre große Liebe fand. Leider hatte ihre glückliche Ehe nicht allzulang Bestand, da David erkrankte und binnen eines Jahres verstarb.

Lucy ist es, an die sich William wendet, als ihm etwas unerwartet Furchtbares passiert und sie ist es auch, die er nach einer weiteren verstörenden Nachricht darum bittet, mit ihm in seine Vergangenheit zu reisen, eine Vergangenheit, die in Maine ihren Anfang nahm. Und Lucy fühlt sich nicht nur einmal bemüßigt, "Oh, William" zu sagen bzw. zu denken. Wie einst....

Elizabeth Strout gelingt es einmal mehr, ihrer Protagonistin eine Stimme, einen eigenen Charakter zu verleihen. Hier residiert Lucy Barton, ein ganz anderer Mensch, als es Olive Kitteridge aus "Mit Blick aufs Meer" und "Die langen Abende" ist. Sie ist deutlich beständiger, nicht so widersprüchlich und deutlich duldsamer und kann mich vielleicht gerade deswegen nicht ganz so packen, wie es Olive tat. Was möglicherweise unfair ist ihr gegenüber, denn auch sie macht sich so ihre Gedanken über das Leben im Allgemeinen und ihr Umfeld im Besonderen und sie sind genauso lesenswert wie die von Olive.

Ich glaube, es liegt daran, dass Strouts Charaktere Leben: sie bleiben nicht auf den Seiten des Buches, sondern steigen daraus hervor, begleiten den Leser während der Lektüre und da ist es eben so wie im wahren Leben: ich lasse mich lieber von Olive und den ihrigen unterhalten als von Lucy.

Das ist aber kein Grund, "Oh, William" nicht zu lesen - ich mochte beide Bücher und genieße den stets leicht sarkastischen, manchmal gar zynischen Stil der Autorin, die es einfach drauf hat: nämlich mir unterhaltsame, lehrreiche, witzige und sehr berührende Lesestunden zu bereiten!

Veröffentlicht am 24.11.2021

Eine Frau mit starkem Willen

Sehnsucht nach Shanghai
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Das ist Emily Hahn, eine amerikanische Journalistin und Autorin. Und eigentlich ist sie mit ihren Wertvorstellungen und Zielen ihrer Zeit schon lange voraus! Einerseits - denn auf der anderen Seite hat ...

Das ist Emily Hahn, eine amerikanische Journalistin und Autorin. Und eigentlich ist sie mit ihren Wertvorstellungen und Zielen ihrer Zeit schon lange voraus! Einerseits - denn auf der anderen Seite hat sie keine Probleme damit, durch Männer - verschiedene Männer - angebotene Vorteile uneingeschränkt zu nutzen. Im Klartext: Emily ist eine Frau, die sich ihren Teil vom Kuchen des Lebens nimmt.

So entscheidet sie sich 1935 dazu, in Shanghai zu bleiben, als ihre ältere Schwester die Stadt wie geplant nach einigen Wochen in Richtung Heimat verlässt. Dort gibt es für sie als schaffenden Menschen so viele Anregungen und nicht zuletzt den unglaublich attraktiven Verleger Zau Sinmay!

Emily bleibt also - und zwar jahrelang - und schreibt, auch wieder ihrer Zeit voraus, Reportagen zu China für den "New Yorker": eine Art Auslandskorrespondentin der besonderen Art. Und wird zur langjährigen Geliebten des verheirateten Sinmay, später sogar zu seiner Zweitfrau - und zwar mit Billigung der ersten Frau. Insgesamt bleibt sie über fünf Jahre und als sie Shanghai verlässt, ist nichts mehr so, wie es war - weder in Bezug auf die Stadt noch auf Emily selbst.

Denn Emily wirft sich mit aller Macht in ihr asiatisches Leben - sie zaudert auch nicht, als es schwer wird, als alle ihre Vorteile zu schwinden drohen und als der Krieg und vor allem Kräfte aus China sich Shanghais bemächtigt und die in den 1930ern strahlende, blühende Stadt versinkt.

Eine Frau wie ein Orkan und auf ihre Weise sicher ähnlich bemerkenswert wie Lee Miller oder auch Martha Gellhorn, ihre Kolleginnen als Auslands- und Kriegsjournalistinnen. Vorliegender Roman zielt meines Erachtens etwas zu stark darauf ab, ihre weibliche Seite hervorzuheben und zwar in jeder Lebenslage! Dennoch habe ich diesen Roman sehr gerne gelesen und freue mich darauf, mich weiterhin mit der Person Emily Hahn sowie mit ihrem Umfeld zu beschäftigen!

Veröffentlicht am 19.11.2021

Auch Lektor*innen können gefährlich leben

In ewiger Freundschaft (Ein Bodenstein-Kirchhoff-Krimi 10)
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Was man im Winterscheid-Verlag überraschend zu spüren bekommt: gleich zwei Vertreter dieser Berufsgruppe kommen gewaltsam zu Tode - mit nur wenigen Tagen Abstand voneinander. Die Erste war vor kurzer Zeit ...

Was man im Winterscheid-Verlag überraschend zu spüren bekommt: gleich zwei Vertreter dieser Berufsgruppe kommen gewaltsam zu Tode - mit nur wenigen Tagen Abstand voneinander. Die Erste war vor kurzer Zeit erst ihren Job losgeworden - dem neuen Verlagsleiter gefiel ihre Illoyalität gegenüber dem Haus Winterscheid nicht. Und der Zweite war - so schien es - fest integriert in das personelle Gefüge des Verlages. Doch wenn man genauer hinsieht, was Pia Sander und Oliver Bodenstein natürlich tun, dann wackelte es doch gewaltig und es gab so einige Köpfe im Verlag, die ihm nicht grün waren.

Wobei die beiden - vor allem Pia - sogar persönlich in den Verlag involviert sind: ihr Exmann, der Pathologe Dr. Henning Kirchhoff, mittlerweile wieder ein guter Freund, ist neuerdings Krimiautor und wird als solcher vom Winterscheidt-Verlag betreut.

In dem offensichtlich ein Hauen und Stechen herrscht: mehr und mehr zeigt sich, dass eigentlich jeder einige Geheimnisse vor manch anderen zu verbergen sucht - manche werden damit erpresst, anderen wird auf andere Art und Weise zugesetzt.

Die beiden Mordopfer waren zu ihrer Schulzeit in den 1980ern Teil einer sehr eng verbandelten Clique, in der sich auch Götz Winterscheid, der im Sommer 1983 zu Tode kam, befand. Nach seiner Beerdigung erhielten überraschenderweise alle Mitglieder der Clique eine Festanstellung im Verlag seiner Eltern. Allerdings haben nicht alle so lange an dieser festgehalten wie die beiden Opfer.

Anscheinend konnte nur jemand aus diesen Reihen der Täter sein - denn das Wissen, das den Taten zugrunde liegt, kreist um einige wenige Tage im August 1983.

Ein Belletristik-Verlag und alles, was um ihn herum kreist, ist in der Tat ein fesselndes und packendes Setting für Leseratten. Doch leider war mir so, als wolle Autorin Nele Neuhaus sowohl hier als auch in der wie stets sehr lebhaft gestalteten Rahmenhandlung viel zu hoch hinaus - viel zu verschachtelt und weit hergeholt erschien mir diese.

Aber das macht nix: eine Nele Neuhaus macht - wenn überhaupt - nur Kleinigkeiten falsch und so habe ich auch diesmal mit großer Spannung und meistensteils auch mit Begeisterung gelesen!