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Veröffentlicht am 01.09.2020

Ein atmosphärisches und skurriles Kinderabenteuer!

Malamander - Die Geheimnisse von Eerie-on-Sea
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Es gibt diese Geschichten, die dich von Klein auf begeistern, in ihren Bann ziehen und in eine magische Welt entführen. Du möchtest dich mit den Figuren befreunden und mit ihnen lachen, Geheimnisse flüstern, ...

Es gibt diese Geschichten, die dich von Klein auf begeistern, in ihren Bann ziehen und in eine magische Welt entführen. Du möchtest dich mit den Figuren befreunden und mit ihnen lachen, Geheimnisse flüstern, Abenteuer erleben. An diese magischen Bücher denkst du noch viele Jahre später zurück, weil sie dich in diesem Moment geprägt und eine Kerbe in deinem Leben hinterlassen haben. Genau hier merke ich die Kraft, die mit Literatur einhergeht: Wenn ich mich Jahre später noch daran erinnere, wie sehr mich die Geschichte damals packte.


Ich wünschte, ich hätte schon damals "Malamander" lesen können. Und ich wünsche im selben Atemzug, dass dieser Roman noch ganz vielen jungen Leserinnen spannende Stunden bereiten wird. Denn das, was uns Thomas Taylor mit diesem Buch bietet, ist in meinen Augen all das, was ich mir von einem spannenden Kinderabenteuer erhoffe.


Die Stadt mit dem seltsamen Namen, Eerie-on-Sea, hat eine einzigartige Atmosphäre, die mich ab der ersten Seite überzeugen konnte: Der eisige Wind, die schneidend kalte Luft, die schäumenden Wellen. Der Autor beweist in vielen kleinen witzigen Ideen seinen Fantasiereichtum und lädt zum Ausharren in dieser skurrilen Umgebung ein. Ich erwischte mich mehrfach während der Lektüre dabei, dass sich bei der ein oder anderen urkomischen Erfindung ein Lächeln auf meinen Lippen bahnte.


Violet und Herbert sind zwei knuffige und sofort liebenswerte Charaktere, die sich mit ihrer kindlichen Naivität sofort in die nächste temporeiche Situation stürzen. Die Suche nach sich selbst und der eigenen Identität ist hierbei ein geeignetes Korsett für die Handlung und gibt beiden Figuren eine glaubwürdige emotionale Basis. Aber ich amüsierte mich auch herrlich über die schrillen Nebenfiguren und ihren grotesken Eigenheiten.


Der Malamander eignet sich gut als bedrohliches, nie ganz greifbares Mysterium, das die Neugier der Leser
innen durchweg auf sich zieht. Etwas langsamere und eher hektische Szenen halten hier einen guten Ausgleich, um eine kurzweilige und mitreißende Geschichte zu konstruieren, deren Erzähltempo niemals abbricht. Vor allem in Anbetracht der recht kurzen Buchlänge (von nicht einmal 300 Seiten) kann ich das Buch sowohl jüngeren als auch älteren Leser*innen dringend ans Herz legen. Einige Fragen bleiben am Ende des Romans offen und machen bereits jetzt große Lust auf die Fortsetzung, die im Englischen bereits erschienen ist... ich kann es kaum noch erwarten, sie endlich in Händen zu halten!


«Malamander: Die Geheimnisse von Eerie-on-Sea»
ist ein atmosphärisches und skurriles Kinderabenteuer à la "Eine Reihe betrüblicher Ereignisse". Ich freue mich bereits jetzt auf Band zwei!

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Veröffentlicht am 07.07.2020

Provozierendes, schockierendes Werk über die fiktiven Auswirkungen von Internet

NSA - Nationales Sicherheits-Amt
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Die Entwicklung von mobilen Endgeräten und dem Zugang zum Internet bringt eine schier unendliche Fülle an Möglichkeiten mit sich: der sekundenschnelle Zugriff auf Informationen, die Weiterleitung von Daten, ...

Die Entwicklung von mobilen Endgeräten und dem Zugang zum Internet bringt eine schier unendliche Fülle an Möglichkeiten mit sich: der sekundenschnelle Zugriff auf Informationen, die Weiterleitung von Daten, die mögliche Kommunikation untereinander, die globale Vernetzung und die damit einhergehende Sensibilisierung für andere Kulturen, um nur einige Beispiele zu nennen. Doch wo es Licht gibt, dort herrscht auch Schatten: Der Datenschutz für alle Benutzer ist schon längst nicht mehr gewährleistet und wer an dieses Wissen gelangt, erreicht Macht. Andreas Eschbach wagt das fesselnde Gedankenexperiment: Was, wenn diese totale Überwachung schon im Dritten Reich möglich gewesen wäre?

Das Szenario ist ab der ersten Seite packend und provozierend. Der Autor hinterfragt hier kritisch die heutige Medienlandschaft mitsamt ihren zweischneidigen Fortschritten und bezieht sie auf eine der schrecklichsten Epochen der Menschheitsgeschichte. Somit konstruiert er eine erschreckende Vision, in der die Nationalsozialisten dieses Kontingent für ihre Ideologien zweckentfremden.

Das vorliegende Werk gibt einen umfassenden Einblick in das Leben zweier Hauptfiguren, die eigene Ecken und Kanten besitzen. Aufgrund der großen charakterlichen Unterschiede bleibt die Handlung durchweg abwechslungsreich, obwohl diese beiden Stränge oft nahe beieinander liegen. Leider thematisiert "NSA" häufiger den Einsatz der Überwachungstechnik für deren persönliche Zwecke, anstatt die Verwendung für das totalitäre System näher zu beleuchten, was für mich den Reiz an dem Gedankenspiel ausmacht. Wirkliche Propaganda, durch die die rechtsradikale Partei NSDAP ja so stark an öffentlicher Bedeutung gewinnen konnte, wird über die sozialen Netzwerke nicht betrieben, wie man es hätte erwarten können.

Trotz seines starken Umfangs von knapp achthundert Seiten bleibt der Roman beinahe durchweg kurzweilig und mitreißend. Das liegt vor allem an dem überzeugenden Schreibstil, der sich gut lesen lässt und das Lesepublikum einen flüssigen Einstieg in die Geschichte ermöglicht. Gut, vor allem in der zweiten Hälfte gibt es doch einige erzähltechnische Längen und überflüssige Schlenker in der Handlung, die es wahrlich nicht gebraucht hätte, aber sie trüben den Unterhaltungswert von "NSA" nur unmerklich.

Andreas Eschbach vermischt geschickt historisch belegte Fakten und die fiktiven Auswirkungen des technischen Fortschritts auf den Erfolg der antisemitischen Politik. Somit erzeugt er eine vermeintlich vertrauenswürdige Ebene als Basis, die sein Erzählen authentischer erscheinen lassen, als der Wahrheitsgehalt es erlaubt. Die Handlung verdichtet sich zunehmend zu einem atmosphärischen, fesselnden Ende, das die Leser*innen schockiert zurücklässt: Die starken Parallelen zu George Orwells drastischem "1984", dessen Befürchtungen heutzutage teilweise schon eingetreten sind, sind wohl nicht unabsichtlich!

Jedoch gehe ich als Leser insofern nicht ganz mit, was die Naivität der Protagonistin Helene Bodenkamp anbelangt: Dass sie als Miterzeugerin eines technisch überlegenen Programms überrascht davon ist, dass sich die Technik auch gegen sie wenden kann, erscheint in dem Kontext vollkommen unglaubwürdig. Insgesamt hat mich Andreas Eschbach mit seinem Werk "NSA" trotz kleiner Mängel stark überzeugen können. Es ist ein vielschichtiges Werk mit einem unvergleichlichen Szenario, das seinesgleichen sucht und sofort fesselt. Daher eine große Leseempfehlung von mir!



"NSA: Nationales Sicherheits-Amt" ist ein provozierendes, schockierendes Werk über die fiktiven Auswirkungen von Internet auf die Politik im Dritten Reich.

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Veröffentlicht am 22.03.2022

Irre schön ist teils wirklich irre schön!

Irre schön!
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Mehr als ein Viertel der deutschen Gesamtbevölkerung leidet unter depressiven Symptomen (Statista berichtete). Betroffene von psychischen Störungen haben nicht nur unter erheblichem Verlust an Lebensqualität ...

Mehr als ein Viertel der deutschen Gesamtbevölkerung leidet unter depressiven Symptomen (Statista berichtete). Betroffene von psychischen Störungen haben nicht nur unter erheblichem Verlust an Lebensqualität zu leiden, nein: Auch das Umfeld leidet stark darunter und ist teils in weit verbreiteten Stigmata gefangen. Empathie für die Perspektiven zu schaffen, das haben sich Stef und Bonny Lycen in ihrer Anthologie «Irre schön» zur Aufgabe gemacht.

Konglomerat unterschiedlicher Textformen
Das vorliegende Werk ist in acht verschiedene Themenfelder gegliedert. Unter diesen finden sich ein Konglomerat unterschiedlichster Textformen: von Poetry Slams, Prosa und Gedichten über Auszüge aus Theaterstücken und stream-of-consciousness-ähnlichen Ergüssen, für jeden Geschmack ist etwas dabei.

Psychoedukation als Anspruch von «Irre schön»
Durchsetzt werden diese textlichen Beiträge durch aufklärende inhaltliche Inputs, die mit fundierten Fakten mit öffentlichen Vorurteilen aufräumen und ein Bewusstsein für das Problem schaffen wollen: „Psychoedukation“, so nennt sich die erfolgreiche Aufklärung über psychische Störungen.

Aufbrechen von Vorurteilen: Psychische Störungen sind Krankheiten
In diesen Einschüben definieren Stef und Bonny Lycen griffig verschiedene Ausprägungen mentaler Krankheiten und gehen deren Ursachen weiter auf die Spur. Zudem geben sie sowohl den Betroffenen als auch ihrem Umfeld Perspektiven und Ansprechpartnerinnen. Dass es sich etwa bei einer Depression um eine Krankheit und nicht etwa eine emotionale Laune handelt, und dass es okay (und keineswegs ein Zeichen von Schwäche ist!), sich Hilfe zu holen: mit diesen und weiteren Vorurteilen gehen sie hart ins Gericht.

Diese Sachinformationen sind zwar interessant und einfach formuliert, haben jedoch einen stark belehrenden Charakter: Dadurch, dass sie direkt nach den Texten platziert sind, in denen eine psychische Störung porträtiert wird, sprechen sie teils mit erhobenem moralischem Zeigefinger.

Qualitativer Unterschied der einzelnen Texte
Qualitativ schwanken die einzelnen Texte sehr, was ich vollkommen verzeihen kann: Während ich über die gewöhnungsbedürftige Affektivität eines Beitrags wie «Wenn deine Seele schon hängt, lass sie doch einfach … baumeln» die Stirn runzelte, konnten mich andere mit ihrer Ehrlichkeit, Authentizität und poetischen Schönheit begeistern und berühren. Teils greifen die Autor
innen jedoch auf eine derart explizite Formulierung zurück, sodass ich mir eine Triggerwarnung dringend gewünscht hätte.

Hier eine kurze Übersicht über die Texte, die mir am besten gefallen haben:
- «Der Tag, an dem die Angst das Fürchten lernte» (Helene Seidenfeder)
- «Dementor oder Depression» (Laander Karuso)
- «Mein grauer Planet» (Veronika Rieger)
- «Angst I-V» (Maria Victoria Odoevskaya)
- «Apfel oder Schokolade» (Katharina Wenty)
- «Du bist der Wald und ich bin das Meer» (Stef)
- «Creep» (Florian Hacke)
- «Philipp» (Aron Boks)
- «Dr. Zargota: Erste Sitzung» (Jan Lindner)
- «Das Geschenk» (Tina Nadler)
- «Toutes directions» (Christine Teichmann)
- «Wenn der Frühling kommt» (Felicitas Friedrich)
- «Wut gemacht» (Annette Flemig)
- «Schalt mal um» (Stef)
- «Das Wohl des sicheren Genicks» (Henrik Szanto)

Fazit
Eine berührende Anthologie, die Stigmatisierungen aufbricht und Betroffenen psychischer Krankheiten eine helfende Hand reicht: «Irre schön» ist streckenweise wirklich irre schön.

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Veröffentlicht am 21.03.2022

Wut als cis-männliche Emotion

Wut und Böse
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Ein rot angelaufenes Gesicht, Schweiß in den fest zusammengekniffenen Fäusten, gefletschte Zähne: Der Begriff der ‚Wut‘ ist im allgemeinen Sprachgebrauch negativ konnotiert. Wütende Menschen seien anstrengend, ...

Ein rot angelaufenes Gesicht, Schweiß in den fest zusammengekniffenen Fäusten, gefletschte Zähne: Der Begriff der ‚Wut‘ ist im allgemeinen Sprachgebrauch negativ konnotiert. Wütende Menschen seien anstrengend, laut, heißt es oft, und sie versuchten aufdringlich, ihrer Meinung Gehör zu verschaffen.

Unsere Gesellschaft braucht Wut
Dieses Denken möchte die deutsche Autorin und Journalistin Ciani-Sophia Hoeder in ihrem Plädoyer „Wut und Böse“ aufbrechen. Es ist ein kurzweiliges Buch, das in fünf übersichtlichen Themenschwerpunkten der Verdrängung des Zorns in der Gesellschaft auf den Grund geht und handfeste Argumente dafür liefert, wieso wir diese Emotion brauchen. Und dass sie mehr beinhaltet als die weit verbreitete Vorstellung des ‚überkochenden Topfes‘.

Paradox: Den Unterdrückenden steht am meisten Wut zu
Es ist ein Paradoxon, schreibt sie: Es seien vor allem privilegierte Menschen, die die Herrschaft über die Wut besitzen. Im Klartext bedeutet dies: überwiegend weiße, cis-heterosexuelle, nicht-behinderte Männer. Menschen, die marginalisiert werden, weil sie etwa eine der aufgelisteten Eigenschaften nicht erfüllen, stehe weniger Zorn zu. Weil sie etwa in der unterlegenen Position des Machtverhältnisses zu den Unterdrückenden stehen; weil schon in der Sozialisation Mädchen tendenziell Wut abgesprochen wird; und weil Wut mit Scham besetzt und von den Folgen des Patriarchats durchtränkt ist.

Ciani-Sophia Hoeder trifft dabei den richtigen Ton: sie formuliert knapp und bündig, was ihre Forderungen sind. Dabei greift sie zur Verdeutlichung auf konkrete Beispiele aus ihrem Alltag und dem ihrer Freundinnen. Zudem liefert das Quellenverzeichnis zahlreiche Recherchemöglichkeiten. Sie schildert nüchtern, wie viel Benachteiligung ihr als Schwarze Frau entgegen geweht ist – und wieso sie es als richtig empfindet, die aufkeimende Wut zuzulassen. Und sich gegen Sexismus, Rassismus, Queer- und Transfeindlichkeit aufzustemmen.

Wut zeigt uns, dass wir ungerecht behandelt werden
„Wut als Katalysator für Veränderung“, so betitelt sie treffend eines ihrer Kapitel. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Konstruktivität persönlichen und gesellschaftlichen Zornes: Sie zeigt uns, dass wir ungerecht behandelt werden. Haders ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir dieses Empfinden in konkrete Verbesserungen stecken können: 2019 gründete sie das Onlinemagazin „RosaMag“ für Schwarze Frauen in Deutschland und bietet diskriminierten Menschen eine Plattform.

Trotz der knapp zweihundert Seiten Buchlänge fielen mir beim Lesen einige retardierende Argumente auf. Dadurch litt die Lesekonzentration zwischen den (ansonsten) klar formulierten Kritikpunkten. Die Beispiele hätten teils etwas griffiger sein können, als sich zum wiederholten Male auf anonyme Freund*innen zu beziehen.

Selbstreflexion der eigenen Kommunikation
Nichtsdestotrotz: Das Buch regt zur starken Selbstreflexion der eigenen Kommunikation an. Wann beharre ich auf meinem Recht, zu mir selbst zu stehen? Wann steht mir dieser Platz überhaupt zu, wann höre ich „nur“ zu? Woher kommt das Denken, Frauen stehe weniger Raum für Zorn zu?


Ein kurzweiliges und informatives Plädoyer für weibliche Wut: Wieso Wut als weiße heterosexuelle männliche Emotion gilt, wieso es förderlich ist, die eigene Wut zu zeigen, wie wir diese Emotion nutzen können, um gegen Marginalisierungen anzukämpfen!

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Veröffentlicht am 13.01.2022

Wütender Befreiungsschlag!

Schwarzes Herz
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Wut. In Jasmina Kuhnkes Debütroman brodelt es vor überschäumender Wut: von offensivem und aggressivem Hass, sozialisierter und teils unterschwelliger Diskriminierung und verzweifeltem, schambesetztem Zorn. ...

Wut. In Jasmina Kuhnkes Debütroman brodelt es vor überschäumender Wut: von offensivem und aggressivem Hass, sozialisierter und teils unterschwelliger Diskriminierung und verzweifeltem, schambesetztem Zorn. „Schwarzes Herz“ erzählt die Geschichte einer Ich-Protagonistin, die Opfer der rassistischen und patriarchalen Umstände ist, in denen wir leben. – Eine Rezension von Johannes Streb

Rauer Ton wie ein Schlag ins Gesicht
Die Autorin schreibt offen und direkt; schon die ersten Seiten, in denen Kuhnke ihren unbarmherzigen Ton klarstellt, wirken wie ein Schlag ins Gesicht. In angenehm unverschnörkeltem, parataktischem Erzählstil nimmt sie kein Blatt vor den Mund – und scheut sich nicht davor, ihre Leserinnen mit (noch immer) aktuellen sprachlichen Wirklichkeiten zu konfrontieren.

„Schwarzes Herz“ lässt sich, einmal begonnen, nicht mehr aus der Hand legen. Die Sätze, die Kapitel, das ganze Buch ist recht kurz und lässt dem Lesepublikum bei all seiner inhaltlichen Härte nur wenig Luft zum Aufatmen. Die Triggerwarnung zu Beginn sollte daher gut studiert werden.

Bericht rassistischer und sexistischer Gewalterfahrungen
Im Zentrum des Romans steht eine namenlose Schwarze Protagonistin, die ihre rassistischen und sexistischen Gewalterfahrungen aus der Ich-Perspektive teilt. Ihre ganze Lebenskraft zieht sie aus ihrer Funktion aus Mutter; verzweifelt versucht sie, ihre Kinder vor der Wut und der Gewaltbereitschaft in ihrem Umfeld zu schützen. Dieses Motiv gibt ihr, auch wenn wir ihren Namen nie kennenlernen, eine immense Kraft als zentrale Figur.

Gleichzeitig bekräftigt dieser Verfremdungseffekt der Namenlosigkeit die gesellschaftliche Omnipräsenz der Anfeindungen: Jede
m könnte das passieren, überall. Und es ist wichtig, dass darüber immer wieder gesprochen wird und werden kann – im politischen Sinne, aber auch im privaten Kreise. Kuhnke stellt eine verbitterte Vision der Isolation und unerwiderten Liebe dar, denn die Hauptfigur ist alleine mit ihren Problemen: keiner hört ihren Schmerz, niemand würdigt die Kraft, die sie für ihre Kinder dennoch aufbringt, ihr fehlt es an Ansprechpartnerinnen.

Protagonistin mehr Objekt der Umstände als Subjekt
Man wünschte sich, Kuhnke würde sich ein wenig mehr Zeit für subtile und persönliche Töne lassen: Oft wirkt das Buch mehr wie eine Bestandsaufnahme als eine szenische Erzählung. Einige ungelenke und nicht sofort ersichtliche Zeitsprünge in der Handlungschronologie sorgen für einen kurzen Verwirrungsmoment. Diese Distanz ist teils so groß, dass die Protagonistin entfremdet wirkt – andererseits zeigt sie ihre Position als von ihren Umständen gebeutelte Figur. Sie ist mehr Objekt als Subjekt, und bis auf ihre Liebe zu ihren Jüngsten wird sie in „Schwarzes Herz“ nicht zu viel mehr emotional befähigt, als die Ungerechtigkeiten zu ertragen.

Befreiender Trotz gegen bestehende Machtgefälle
Der Leistungssport stellt hier eine glaubwürdige Kompensationsmöglichkeit für sie dar, in denen sie sich über gesellschaftliche Unterdrückung, über fehlende Selbstwertgefühle und das manifestierte Gefühl, nicht dazu zu gehören, hinwegsetzen kann. Hier möchte sie jemand sein, unabhängig von ihrer Geschichte, ihrer Herkunft – und doch: allein.

„Schwarzes Herz“ ist, wie eingangs schon erwähnt, ein wütendes Buch. Auf jeder Seite spürt man das Verlangen der Autorin, Klartext zu sprechen und bestehenden Machtgefällen zu trotzen: sei es das Patriarchat, seien es Rassistinnen, seien es Nazis und Skinheads. Wenn sich diese Frustration auf die Leserinnen überträgt, dann kann daraus eigene Handlungsbereitschaft erwachsen – eine große Qualität des Buchs. Das Schlussplädoyer kann vielen Betroffenen Kraft und Identifikationsmöglichkeiten bieten.

Fazit
„Schwarzes Herz“ rüttelt wach und tut weh – ein kraftvolles und wütendes Plädoyer.

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