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Veröffentlicht am 22.02.2022

Anders als alle Vorgängerbände der Reihe, aber trotzdem schön

Bridgerton - Ein hinreißend verruchter Gentleman
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Diesem nunmehr 6. Band der Bridgerton-Reihe sah ich mit gemischten Gefühlen entgegen. Alle Vorgängerwerke hatten mir unheimlich gut gefallen, doch nun würde es um Francesca Bridgerton gehen, die bereits ...

Diesem nunmehr 6. Band der Bridgerton-Reihe sah ich mit gemischten Gefühlen entgegen. Alle Vorgängerwerke hatten mir unheimlich gut gefallen, doch nun würde es um Francesca Bridgerton gehen, die bereits im zarten Alter von 22 Jahren Witwe geworden war und obendrein ihr ungeborenes Kind verloren hatte. Eine ziemlich ernste Thematik für eine Buchreihe, die bisher vor allem durch romantische Verwicklungen, Humor und Regency-Flair bekannt geworden war. Natürlich fragte ich mich, ob die Autorin ihre gewohnte Erzählweise voller Schalk und Ironie beibehalten oder ihren Ton den traurigen Handlungselementen anpassen, ihn abdämpfen, den Humor quasi herunterfahren würde. Tatsächlich ist die Geschichte um Francesca und Michael zwar deutlich ruhiger und insbesondere zu Beginn dramatischer, als man es vom Bridgerton-Universum kennt, aber nicht minder schön und im Endeffekt umso berührender.

Hinsichtlich des Inhalts verweise ich auf den Klappentext, der höchstens noch um den Punkt ergänzt werden sollte, dass der männliche Hauptprotagonist Michael, der Vetter von Francescas verstorbenem Gatten, schon seit Jahren in die hübsche junge Frau verliebt ist; bereits noch während Johns Lebzeiten hatten ihn deshalb heftige Schuldgefühle geplagt, denn er liebte ihn wie einen Bruder und schämte sich, dass er dessen Frau begehrte.

Unerfüllter Kinderwunsch, Trauer, Schuldgefühle, Neuanfänge…all dies findet sich in Francescas und Michaels Story. Zum Glück bleibt Julia Quinn ihrem Schreibstil treu und das Werk mutiert somit nicht zum deprimierenden Schmöker; vielmehr wird die Handlung regelmäßig durch amüsante Passagen, erotische Szenen sowie durch einfühlsame Mutter-Tochter-Momente aufgelockert. Insbesondere die Tatsache, dass wir Violet Bridgerton hier nicht nur in ihrer Rolle als Mutter von acht Kindern erleben, sondern auch als Witwe, die nach dem Verlust ihres Mannes nie wieder geheiratet hat, brachte mir ihre Figur deutlich näher, als dies in allen vorherigen Bänden der Fall gewesen war. Ich hatte schon immer mehr über sie erfahren wollen und hege große Sympathie für sie.

Die Emotionen und Gedanken von Francesca und Michael, aus deren beider Perspektive in der 3. Person erzählt wird, sind größtenteils nachvollziehbar ausgearbeitet worden. Mein einziger Kritikpunkt ist, dass ich dieses Mal den Wandel zur Verliebtheit nicht 100%ig gespürt habe; zack, plötzlich herrschte sexuelle Anziehungskraft. Ich muss zugeben, dass mir die Beiträge aus Lady Whistledowns Gesellschaftsmagazin fehlen; die Kapiteleinleitungen in Form von Briefausschnitten sind allerdings ebenfalls ganz nett und wahrscheinlich passender für diesen ernsten Rahmen.

Fazit: Der wohl bisher tiefgründigste, leiseste und eventuell sündigste (?) Band der Erfolgsreihe! Klare Leseempfehlung für alle Bridgerton-Fans!

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Veröffentlicht am 13.02.2022

Ergreifender historischer Roman

Das Leben in unseren Händen
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In ihrem fesselnd erzählten Werk (FISCHER Taschenbuch, Januar 2022) um zwei ungleiche jüdische Schwestern und ihren Neuanfang in den USA zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs entführt uns Autorin Eva Neiss ...

In ihrem fesselnd erzählten Werk (FISCHER Taschenbuch, Januar 2022) um zwei ungleiche jüdische Schwestern und ihren Neuanfang in den USA zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs entführt uns Autorin Eva Neiss in die verheißungsvolle Metropole New York City.

Die beiden weiblichen Hauptfiguren könnten kaum unterschiedlicher sein – Hannah, aus deren Sicht erzählt wird, ist warmherzig, liebenswert, hilfsbereit, taktvoll und einfach eine Seele von Mensch. Sie hat große Träume und weiß genau, was sie sich vom Leben wünscht: Ärztin zu werden. Ihre hübsche Schwester Ada – nun ja, sie ist hübsch, das ist aber auch schon alles. Als sie und Hannah Ellis Island erreichen, ist sie gerade hochschwanger; über den Vater schweigt sie sich aus. Wider Erwarten lässt man sie nicht direkt einreisen, aber als es ihnen schließlich gelingt, führt der erste Weg direkt in den Kreißsaal, wo Ada – viel zu früh – eine Tochter zur Welt bringt. Sie hat keinen Bezug zu dem Baby und es kümmert sie nicht, ob das winzige Menschlein überlebt oder stirbt. Einzig dem beherzten und schnellen Eingreifen von Hannah ist es zu verdanken, dass die Kleine, der sie den Namen Sarah gibt, nicht aufgegeben wird. Dank der schicksalhaften Begegnung mit dem renommierten Dr. A. Couney nimmt auch Hannahs Leben eine unerwartete Wendung.

Die Schwestern Rosenbaum: Während ich einer von ihnen alles Glück der Welt wünschte, hätte ich die andere am liebsten geschüttelt. Selten habe ich solch eine unsympathische, manipulative, selbstverliebte, egoistische Figur wie Ada erlebt. Mal ganz davon abgesehen, dass sie sich ihrem Baby gegenüber absolut herzlos und abgestumpft verhält, denn wer weiß, was ihre Gründe dafür sind, erlebt man sie ihren Mitmenschen gegenüber stets nur schnippisch und herablassend; so als müsste jedermann dankbar sein, wenn Fräulein Ada sich auch nur im selben Raum aufhält und ihre Schönheit präsentiert. Arbeiten? Wie lästig. Ein reicher Mann muss her, ist doch klar. Der Autorin ist es wunderbar gelungen, den Charakteren Leben einzuhauchen und sie glaubwürdig agieren zu lassen. Wenn ich Ada auch nicht mochte, ihr Verhalten war stets schlüssig.

Zwar schlummert eine dezente Liebesgeschichte zwischen den Seiten dieses unheimlich gut recherchierten Werkes, das mit atmosphärischen Beschreibungen der damaligen Lebensumstände punktet und zudem das Schicksal gesellschaftlicher Randgruppen näher beleuchtet, sie spielt sich allerdings eher nebenbei ab. Das wahre Highlight für mich waren die Szenen zu den Anfängen der Neonatologie; diesen Aspekt fand ich total spannend, zumal ich bisher noch nie in etwas über dieses Thema gelesen hatte.

Ich weiß nicht, woran genau es lag, aber das in zwei große Abschnitte unterteilte Werk hatte insgesamt etwas Schwermütiges, leicht Deprimierendes an sich. Trotz zahlreicher Überraschungen und (u.A. positiver) Entwicklungen hatte ich beim Lesen des Öfteren ein erdrückendes Gefühl, eine graue Wolke über mir. Vielleicht muss man sich wirklich nur auf die Fakten konzentrieren und gewisse Elemente und Personen ausblenden, wer weiß. Die Autorin schreibt auf jeden Fall sehr gefühlvoll, klug und flüssig, daran lag es also gewiss nicht. Ich hätte mir mehr Details bzw. umfangreichere Passagen zu dem Krankenhausalltag mit den Frühchen gewünscht, da dies der Hauptgrund gewesen war, der mich auf den Roman neugierig gemacht hatte.

Das Cover gefällt mir von den Gestaltungskomponenten her gut, aber die Konturen der zwei abgebildeten Frauen sind meiner Meinung nach viel zu verschwommen und dem Buchtitel fehlt eine klare Kontur – vielleicht ein Schatten oder eine Umrandung der Schrift. Bei näherer Betrachtung sieht es leider nach einer eilig zusammengestellten PowerPoint-Folie aus. (Das meine ich gar nicht böse, sondern als ehrlichen Verbesserungstipp für zukünftige Ausgaben, denn das Buch verdient es definitiv, gelesen zu werden - und gerade im Genre Historischer Roman ist die Konkurrenz groß. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dem Klappentext oft nur selten eine Chance gegeben wird, wenn das Cover nicht optisch ansprechend ist.)

Fazit: Eine Geschichte, die zum Nachdenken anregt und die ich allen Fans von historischen Frauenromanen gerne empfehle.

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Veröffentlicht am 08.02.2022

Der erste Eindruck kann täuschen

The Way We Fall - Edinburgh-Reihe, Band 1 (knisternde New-Adult-Romance mit absolutem Sehnsuchtssetting)
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Da mir das ebenfalls beim Ravensburger Verlag erschienene "Make My Wish Come True" von Jana Schäfer im vergangenen Jahr ziemlich gut gefallen hatte, freute ich mich sehr auf ihre neue Buchreihe, deren ...

Da mir das ebenfalls beim Ravensburger Verlag erschienene "Make My Wish Come True" von Jana Schäfer im vergangenen Jahr ziemlich gut gefallen hatte, freute ich mich sehr auf ihre neue Buchreihe, deren Setting einer meiner Sehnsuchtsorte ist: die Stadt Edinburgh. Im Gegensatz zum Vorgängerwerk erwartete mich in "The Way We Fall" keine Slow-Burn-Romance, sondern vielmehr eine Instant-Attraction-Story, wobei es der talentierten jungen Autorin erneut gelungen ist, unheimlich tiefgehende Emotionen und lebensnahe, nachvollziehbare Dialoge der sympathischen Hauptfiguren überzeugend zu einem Päckchen Leseglück zusammenzuschnüren.

Auf den ersten Blick mögen Hobbymusikerin Amelia und Bestsellerautor Jasper nicht viel gemeinsam haben, außer dass sie beide das gemütliche Café Daydream frequentieren – sie als Kellnerin, die das kuschlige Lokal am Rande der Altstadt als ihr zweites Zuhause ansieht, er als neuer Gast, der zunächst nicht gerade den besten Eindruck bei Amelia hinterlässt. Beide haben jedoch eine außergewöhnliche Beziehung zu ihren jeweiligen Geschwistern. Während Amelia nach dem Unfalltod ihrer Eltern ihr Leben völlig auf die Bedürfnisse ihrer jüngeren Schwester Maisie ausgerichtet hat, sind Jasper und sein Bruder Jamie – im wahrsten Sinne des Wortes – meilenweit voneinander entfernt. Eigentlich hat Amelia keine Zeit für eine Beziehung und eigene Träume, wie z.B. ein Studium oder eine eigene Wohnung, denn aktuell leben sie und Maisie bei ihrer Tante. Und eigentlich ist Jasper fest entschlossen, niemanden nah an sich heranzulassen. Eigentlich…

"»Ich weiß nicht, ob ich ein Mann sein kann, den du verdienst. Aber ich wünschte, ich hätte die Chance, es zu versuchen.«"

Hinsichtlich des Covers bin ich unentschlossen – der Schriftzug gefällt mir, ebenso die goldfarbenen Glanzpartikel, die sich quer über die Front ziehen. Sollte es sich bei dem Hintergrund tatsächlich um den Stadtplan von Edinburgh handeln, wäre das ein cleverer Schachzug. Die restliche Rosafärbung, die zum unteren Rand hin eher ins Gelbliche ausläuft, ist weniger meins. Aufgrund der hellen Farbe wird Leichtigkeit suggeriert, die a) inhaltlich nicht zutrifft, da die Story durchaus geballte Emotionen bereithält und nicht seicht daherkommt, und b) in meinen Augen optisch nicht so ausdrucksstark wirkt, wie es eine knalligere, kräftigere Farbe getan hätte. Dann wäre auch der Stadtplan besser zur Geltung gekommen.

Zur Handlung selbst möchte ich gar nicht viel verraten, nur so viel: Mein Highlight war der Roadtrip durch die schottischen Highlands. Hier gab es die wunderschönen, bildhaften Beschreibungen, die ich mir auch von Edinburgh gewünscht hätte; beim städtischen Setting selbst fehlte mir ein klein wenig das Flair. Meinen Hauptkritikpunkt an dem ansonsten großartig geschriebenen Werk verrate ich euch mit einem Augenzwinkern: Es war die Wiederholung des Wortes "leise". Die Hauptfiguren reden, antworten, seufzen, kommunizieren in jeglicher Art und Weise LEISE – bei 30x habe ich aufgehört zu zählen. Vor allem aber wird auf gefühlt jeder Seite LEISE gelacht. War ich zuerst etwas irritiert darüber, machte ich mir ab Mitte des Romans einen Spaß daraus und zählte für eine Weile mit. Irgendwann wollte ich den Figuren zurufen: Traut euch ruhig, lacht doch mal LAUT! Aber Spaß beiseite, abgesehen davon mochte ich den gefühlvollen Schreibstil sehr gerne und konnte mich prima in die Figuren hineinversetzen.

Fazit: Für ein 5-Sterne-Highlight hat es nicht ganz gereicht, aber dank liebenswerter Figuren, glaubwürdiger Dialoge und herrlicher Highlands-Atmosphäre, die Lust auf einen Urlaub in Schottland macht, vergebe ich zufriedene 4 Sterne und spreche eine Leseempfehlung für alle New-Adult-Fans aus.

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Veröffentlicht am 01.02.2022

Emotionaler Auftakt zur Chronik der Familie Laverne

Schicksalszeit
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Die Autorin Katja Maybach war mir bereits aufgrund ihres fesselnden Nachkriegsromans "Die Zeit der Töchter" bekannt und auch "Schicksalszeit" habe ich in einem Rutsch durchgelesen. Ihr aktuelles Werk bildet ...

Die Autorin Katja Maybach war mir bereits aufgrund ihres fesselnden Nachkriegsromans "Die Zeit der Töchter" bekannt und auch "Schicksalszeit" habe ich in einem Rutsch durchgelesen. Ihr aktuelles Werk bildet den Auftakt der beim Knaur Verlag erschienenen Reihe 'Die Chronik der Familie Laverne', einer hochdramatischen, von ihrer eigenen Familiengeschichte inspirierten Erzählung, die das Schicksal dreier Geschwister - Nesthäkchen Victoria, Offizier Franz und der in Paris lebenden Luise, die aufgrund eines Eklats mit der Familie gebrochen hat - näher beleuchtet.

Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges entfalten sich die tragischen Ereignisse, die mich gebannt Seite um Seite umblättern ließen. Wann immer ich dachte, ich wüsste, wie die Handlung voranschreiten würde, wurde ich eines Besseren belehrt und von einem Twist überrascht.

Wenn man sich auch nach der Lektüre noch von Herzen über eine Figur empören kann, dann hat die Autorin bei deren Ausarbeitung alles richtig gemacht. Selten war mir eine Protagonistin so verhasst wie die Nebenfigur Gerda, um die ein interessanter Nebenplot gewoben worden ist. Zahlreiche weitere Nebenstränge ließen mich mit allerlei Spekulationen über den zukünftigen Verlauf zurück, speziell im Hinblick auf meine Favoritinnen Luise Laverne und Clara Weinberg.

Mein Hauptkritikpunkt, der übergreifend für die Kriterien Figuren und Setting (- hin und wieder Berlin, aber größtenteils ein elegantes Hotel im fiktiven Kurort Bad Lichtenberg, nahe der deutsch-französischen Grenze -) gilt: Dieser aus verschiedenen Perspektiven erzählte Roman hätte dringend mehr Seiten benötigt, um all die bildhaften Beschreibungen und die vielschichtigen, vor allem aber polarisierenden Charaktere noch ausführlicher präsentieren zu können. Oder gewisse Elemente - ich sage nur: Liebschaften - hätten gänzlich gestrichen werden sollen, zugunsten einer intensiveren Beleuchtung von Victorias Charakter, der neben anderen Mitgliedern ihrer Familie eher verblasst, oder um die Atmosphäre der Kriegsjahre noch umfassender einzufangen.

Fazit: Wer historische (Familien-)Romane mag, ist mit diesem mitreißenden Werk wunderbar beraten.

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Veröffentlicht am 28.01.2022

Mitreißend und romantisch!

Die Rebellinnen von Oxford - Furchtlos
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"Sie war strahlend wie das Licht und beschäftigte sich mit Farben; er hatte die Dunkelheit geatmet und in sich aufgenommen, so lange darin gelebt, dass sie nun in ihm lebte, ein Teil von ihm war."

Ich ...

"Sie war strahlend wie das Licht und beschäftigte sich mit Farben; er hatte die Dunkelheit geatmet und in sich aufgenommen, so lange darin gelebt, dass sie nun in ihm lebte, ein Teil von ihm war."

Ich hatte schon viel Positives über Evie Dunmores Oxford-Rebels-Reihe gehört und war unheimlich gespannt darauf, wie mein Reiheneinstieg mit dem vorliegenden 3. Band wohl verlaufen würde. Da jedes der Werke eine in sich geschlossene Geschichte darstellt, in welcher stets eine andere der 4 Freundinnen Annabelle, Lucie, Hattie und Catriona im Fokus steht, konnte ich der Handlung um die bis dato vom Glück recht verwöhnte Hattie Greenfield, die sich nach einem gesellschaftlichen Patzer in einer ungewollten Ehe mit dem von der feinen Gesellschaft verachteten Lucian Blackstone wiederfindet, prima folgen.

Bis kurz vor dem Ende des immerhin fast 550 Seiten starken Schmökers war ich mir sicher, dass ich das Buch mit 5 Sternen bewerten würde, so sehr begeisterte mich der fesselnde, durch und durch einnehmende Schreibstil, in dem bildgewaltige Landschaftsbeschreibungen ebenso Platz fanden wie scharfsinnige Beobachtungen der beiden höchst unterschiedlichen und doch gleichermaßen vielschichtig ausgearbeiteten Hauptfiguren, aus deren Perspektive abwechselnd erzählt wird. Vor allem die neckischen Vergleiche hatten es mir angetan, ich liebte Formulierungen wie "orientierungslos wie eine Eule, die man rüde aus einem Nickerchen geweckt hatte". Die witzige Charakterbeschreibung "selektiv abergläubisch" habe ich direkt in meinen Sprachgebrauch übernommen. Die sündhaft heißen Passagen zwischen Lucian und Hattie gefielen mir ausgesprochen gut; zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl einen 1880er New-Adult-Roman (auch wenn Lucian schon 29 Jahre alt war) in den Händen zu halten - wohlerzogenes, heimlich rebellisches Mädchen aus gutem Hause hat eine schicksalhafte Begegnung mit attraktivem Bad Boy und kann ihm nicht widerstehen, herrlich! Auch mein Jane-Austen-Herz war höchst zufrieden, versprühte die Story doch gewisse "Stolz-und-Vorurteil"-Vibes – mit Betonung auf Vorurteil, insbesondere im Hinblick auf Lucians Charakter, der mir eindeutig der liebste Protagonist war. "Alarmierend. Ein Mann, der weiblichem Charme gegenüber immun war, war gefährlich, da einer Frau kaum eine andere Waffe zur Verteidigung ihrer Interessen blieb als ihr Charme."

Neben dem romantischen Aspekt nahmen zahlreiche andere Themen bedeutend viel Raum ein, z.B. der Kampf um Frauenrechte, die schändlichen Arbeitsbedingungen in Minen, Kinderarbeit und das zum damaligen Zeitpunkt noch recht umständliche Fotografie-Verfahren. Zwischenzeitlich wurden mir insbesondere die politisch angehauchten, sachlichen Passagen etwas zu viel und ich hätte mir gewünscht, dass die so wunderbar aufgebaute, prickelnd aufgeladene Stimmung zwischen Lucian und Hattie noch öfter im Vordergrund gestanden hätte. Die Reise nach Schottland und die Schilderung der dortigen Bekanntschaften und Ereignisse waren genau nach meinem Geschmack, interessant gestaltet, klug und mal humorvoll, mal ernst und die Missstände anprangernd erzählt. Auf jeden Fall wird die gründliche Recherche der Autorin deutlich.

Die Suffragistin Hattie war mir mit ihrer gütigen, unbeholfenen Art zu Beginn der Handlung deutlich lieber als gegen Ende; irgendwann hörte ich von ihr permanent nur noch 'ich, ich, ich', IHRE Wünsche, IHRE Bedürfnisse, IHRE Erwartungen, IHRE Anforderungen – auf Gefühle anderer nahm sie kaum Rücksicht. Angesichts ihrer eigensinnigen Attitüde und ihres z. T. belehrenden Tonfalls war ich immer mehr geneigt, Lucians anfängliche Meinung über sie als "verwöhntes Gör" zu teilen. Fräulein Moralapostel bog sich die Gegebenheiten immer fein zurecht, wie es ihr gerade passte. Allerdings verstand ich ihren Frust über die unfassbar ungerechte Rollenverteilung in der viktorianischen Gesellschaft, die Ausweglosigkeit, mit der Frauen konfrontiert waren - "[…] nur Weniges war empörender als Frauen, die lautstark einforderten, vor dem Gesetz wie Menschen behandelt zu werden". Sie sollten der 'Engel im Haus' sein, sich einzig um Haushalt, Gatten und Kinder kümmern, überhaupt war die Mutterschaft das allerhöchste Ziel. In der Ehe nahmen Frauen die untergeordnete Position ein, verloren beinahe sämtlichen Besitz und dadurch auch jegliche eventuelle Chance auf das daran gekoppelte Wahlrecht.

Nachfolgend ein paar Worte dazu, warum ich einen Stern abgezogen habe. Diese Beurteilung ist direkt an die Handlung geknüpft und eine nähere Erläuterung folglich leider nicht ohne SPOILER möglich, daher an dieser Stelle eine ausdrückliche SPOILER-Warnung.

** ACHTUNG, SPOILER! *
Lucians Wandel zum liebenden Ehemann verlief absolut glaubwürdig; man spürte, wie er mit sich rang und sich erst nach und nach fallen lassen konnte. Dass er gegen Ende allerdings zum vernarrten Schoßhündchen mutiert, bei dem Hattie nur mit dem Finger zu schnipsen braucht, um ihren Willen zu bekommen, und dass ihr Aufenthalt in Frankreich, der in meinen Augen nur ihrem Ego diente, noch damit belohnt wird, dass Lucian ihr nachläuft und um sie betteln muss, fand ich zu viel des Guten. Ich mochte den Roman – die spannende Handlung, die Romantik, den Schreibstil, das Setting, die Figuren – bis dahin so, so gerne, aber diese Entwicklung am Ende hat mich kalt erwischt, ernüchtert und ganz aus der Stimmung gebracht, und in Kombination mit den teilweise zu ausschweifenden Politikpassagen letztlich dafür gesorgt, dass ich nur 4 Sterne vergeben kann.
* SPOILER-ENDE **

Fazit: Abgesehen von der Figurenentwicklung ganz am Schluss hat das Werk mich begeistert und ich habe die restlichen Bände der Reihe allesamt auf meine Wunschliste gesetzt. Klare Leseempfehlung für alle, die sexy Liebesromane mögen und ein Faible für historische Romane haben.

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