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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.07.2018

Düstere Zukunftsaussichten präsentiert mit absurd schrägem Humor

QualityLand (QualityLand 1)
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Irgendwann in einer vermutlich nicht allzu fernen Zukunft: Sämtliches Dasein ist dem Kommerz untergeordnet: 'Ich konsumiere, also bin ich.' Menschen sind entsprechend diverser Kriterien in Levels eingeordnet, ...

Irgendwann in einer vermutlich nicht allzu fernen Zukunft: Sämtliches Dasein ist dem Kommerz untergeordnet: 'Ich konsumiere, also bin ich.' Menschen sind entsprechend diverser Kriterien in Levels eingeordnet, bekommen gemäß ihren Einordnungen in diverse Datenbanken PartnerInnen empfohlen, Essenvorschläge und 'The Shop', der größte Versandhändler, weiß schon im Voraus, was die Einzelnen sich wünschen. Als eines Tages jedoch Peter Arbeitsloser einen rosaroten Delphinvibrator erhält, den er sich ganz bestimmt nicht gewünscht hat und versucht, diesen zurückzugeben, setzt er einen Prozess in Gang, der weitreichende Folgen haben könnte.
Dystopien sind in, denn die Zukunft unseres Planeten und unserer Gesellschaft sieht eher trübe aus. Was in Qualityland teilweise in extremer Form dargestellt wird, ist in Ansätzen (und auch teilweise schon darüberhinausgehend) bereits Realität. Menschen, die in Level eingestuft werden, die je höher sie sind, Bevorrechtigungen ermöglichen (kommt in China). Die Komplettüberwachung der Bevölkerung durch eine vollständige Vernetzung aller elektronischen Geräte; Privatisierung aller öffentlichen Aufgaben (z.B. muss die Polizei in Qualityland ihren Unterhalt selbst erwirtschaften); Probleme haben ihre Ursache immer außerhalb des eigenen Landes. Alles Themen, die nicht gerade vermuten lassen, dass sie in einer humorvollen Lektüre vorkommen.
Doch Marc-Uwe Kling gelingt es, indem er die Szenarien völlig überspitzt und damit teilweise schon ins Absurde treibt. Trotz des wahren und häufig allzu traurigen Kerns bleibt einem nichts anderes mehr übrig, als zu lachen . Auch wenn mir manchmal das Lachen buchstäblich im Halse steckenbleiben wollte. Dennoch: nicht die schlechteste Art und Weise, Missstände aufzuzeigen, die häufig niemand (mehr) hören will. Ein kleines Beispiel zum Thema Lebensmittel: 'Hast Du schon mal FeSaZus probiert? Du weißt nicht, was FeSaZus sind? FeSaZus sind industriell verpresste Klumpen, die nur aus dem Besten bestehen, was die Nahrungsmittelindustrie zu bieten hat: Fett, Salz und Zucker! Klingt pervers, ist aber geil. Das FeSaZus-Reinheitsgebot: 1/3 Fett, 1/3 Salz, 1/3 Zucker. Jetzt neu: SchmalzFeSaZus mit Speckgeschmack! Am besten mit unserer 50-Prozent-Zucker-Barbecue-Soße.'
Marc-Uwe Kling liest sein Buch selbst vor und ich finde, er macht das richtig klasse. Der lethargische Peter, das herrlich schimpfende pinkfarbene Qualitypad (das das Känguru fast ersetzt ), die stets beflissene Kalliope usw. Dem Autor gelingt es, all seinen Figuren eine eigenständige Stimme zu verleihen, sodass ich keinerlei Schwierigkeiten hatte, sie zu unterscheiden.
Ein tolles Hörbuch, das man durchaus auch mehrfach hören kann.

Veröffentlicht am 26.09.2017

Harry Hole ist und bleibt der Beste ;-)

Durst
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Als begeisterter Harry-Hole-Fan wird es natürlich schwierig, eine wirklich objektive Kritik zu schreiben - aber ich versuche mein Bestes
Wie schon im vorherigen Band Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi, ...

Als begeisterter Harry-Hole-Fan wird es natürlich schwierig, eine wirklich objektive Kritik zu schreiben - aber ich versuche mein Bestes
Wie schon im vorherigen Band Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi, Band 10) geht es Harry Hole erstaunlicherweise noch immer gut: glücklich verheiratet mit Rakel, seiner großen Liebe; seine Aufgabe als Dozent an der Polizeihochschule macht ihm noch immer Freude und seine frühere Ermittlungsarbeit fehlt ihm nicht im Geringsten. Doch als in Oslo zwei Frauen umgebracht werden, deren Blut der Täter offenbar getrunken hat, setzt ihn Mikael Bellmann, der Polizeipräsident und Intimfeind Harrys, unter Druck, damit er in diesen Fällen ermittelt. Denn der Täter ist offenbar kein Unbekannter ...
Wer noch keinen Harry-Hole-Krimi gelesen und die Befürchtung hat, es könnte das Lesevergnügen vermindern, nun beim 11. Band direkt einzusteigen, kann beruhigt sein. Zwar gibt es immer wieder Hinweise auf die Vergangenheit, aber zum Verständnis dieses Thriller sind die vorhergehenden Bände nicht nötig. Also nur ran an die über 600 Seiten
Es ist praktisch von Beginn an klar, wer der Täter ist - zumindest soll man das glauben. Die Jagd nach ihm umfasst mehr als drei Viertel des Buches und ist durchweg spannend. Immer wieder gibt es kleine Hinweise, dass mehr dahinter stecken könnte als auf den ersten Blick zu erkennen ist, doch erst im dritten Teil wird dies wirklich deutlich. Obwohl Jo Nesbø 'nur' wieder seine altbekannten Schachzüge einsetzt wie zwei Handlungen unmittelbar aufeinanderprallen zu lassen, die sich jedoch an völlig unterschiedlichen Orten abspielen; oder Sachverhalte ohne Namensnennung zu beschreiben, sodass man fast sicher ist, es kann sich nur um die und die Person handeln - tut es aber nicht. Obwohl die Technik also bekannt ist (ich habe alle Harry-Hole-Bände gelesen), bin ich beinahe stets auf's Neue diesen Irreführungen erlegen, was die Spannung natürlich beträchtlich erhöhte. Wirklich bis zum Schluss werden diese Verwirrspiele durchgehalten und führen zu einer Auflösung, die im Gegensatz zu den vorhergehenden Fällen jedoch nur an einem Indiz festzumachen war. Dieses Mal habe ich mir also nichts vorzuwerfen im Sinne von 'Das hättest Du doch erkennen können'
Eine kleine Mäkelei habe ich aber dennoch: Natürlich werden auch hier Personen als mögliche Verdächtige aufgebaut, um die Lesenden in die Irre zu leiten. Das geschah aber dieses Mal bei Zweien derart plump, dass sofort klar war: Die können es nicht sein. Ich kann mich erinnern, das ging auch schon besser
Dennoch ist es wieder ein richtig toller Harry-Hole-Fall, der viel zu schnell durchgelesen war.

Veröffentlicht am 05.06.2017

Ein wunderbares Buch mit schrecklichem Inhalt

Im Frühling sterben
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Deutschland, Frühling 1945, das Ende des Krieges ist bereits zu ahnen. Doch die Waffen-SS rekrutiert gnadenlos jeden, dessen sie habhaft werden kann. So müssen die beiden 17jährigen Melker Walter und Fiete, ...

Deutschland, Frühling 1945, das Ende des Krieges ist bereits zu ahnen. Doch die Waffen-SS rekrutiert gnadenlos jeden, dessen sie habhaft werden kann. So müssen die beiden 17jährigen Melker Walter und Fiete, beste Freunde, in die Kommandantur in Hamburg-Langenhorn einrücken, von wo aus sie nach drei Wochen Ausbildung nach Ungarn abkommandiert werden. Walter, der einer der Wenigen mit Führerschein ist, landet als Fahrer bei einer Versorgungseinheit der Waffen-SS, während es Fiete an die Front verschlägt.
Der Inhalt dieses Buches ist so grauenvoll, dass es mir nicht möglich war, mehr als 40 bis 50 Seiten am Stück zu lesen; danach musste das Gelesene erst mal verdaut werden. Das bedeutet nicht, dass hier die Grausamkeiten des Krieges bis ins kleinste Detail beschrieben werden - es existieren Krimis, die wesentlich blutrünstiger und brutaler sind. Es ist eher das Gegenteil: Fast schon poetisch (Ist das nicht ein Widerspruch? Kann man Entsetzliches poetisch erzählen?) wird Walters Leben in dieser Kriegszeit geschildert, so präzise und sorgfältig, als würde man neben ihm stehen. Gefühle oder Stimmungen werden ausgespart, was keinen Mangel darstellt, denn der Autor verfügt über eine derart ausdrucksstarke Sprache, dass es keine zusätzlichen Beschreibungen braucht, um zu wissen, wie es in Walter aussieht. Rothmann nutzt eigene Wortkreationen (‚Überdunkelt von seiner Vergangenheit, …‘) und Begriffe, die so selten genutzt werden, dass sie wohl nur den Wenigsten geläufig sein dürften, dafür aber umso präziser sind (beispielsweise Vulkanfiber = Werkstoff, der auch beim Schild der Mützen der Waffen-SS zum Einsatz kam; oder Kalvarienhügel = religiöse Andachtsstätten der Katholiken, die umfangreiche Nachbildungen der Kreuzigung Christi und seines Leidensweges darstellen.).
Ein wirklich grandioses Buch, das den Krieg in all seiner Schrecklichkeit zeigt, ohne dass dazu in irgendeiner Form irgendwelche Extreme genutzt werden mussten.

Veröffentlicht am 02.05.2017

Wundervoll schräge Geschichte mit herrlich skurrilen Figuren

Der Freund der Toten
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Irgendwo an der Küste Irlands, im kleinen Dorf Mulderrig, taucht im Jahre 1976 ein junger Mann auf, der vielen Einheimischen merkwürdig bekannt vorkommt. Kein Wunder, denn der 26jährige Mahony ist seiner ...

Irgendwo an der Küste Irlands, im kleinen Dorf Mulderrig, taucht im Jahre 1976 ein junger Mann auf, der vielen Einheimischen merkwürdig bekannt vorkommt. Kein Wunder, denn der 26jährige Mahony ist seiner Mutter Orla wie aus dem Gesicht geschnitten, die in Mulderrig lebte und kurz nach seiner Geburt verschwand. Mahony wuchs in einem Waisenhaus in Dublin auf und ist nun auf der Suche nach Orla, was offensichtlich Vielen überhaupt nicht gefällt. Doch er bekommt auch Unterstützung - und nicht nur von den Lebenden.
Wer sich mit übersinnlicher, eher etwas weniger realitätsgetreuer Lektüre schwertut, sollte besser die Finger von diesem Buch lassen. Denn hier spielen beispielsweise Tote eine wichtige Rolle: "Die Toten zieht es zu den Verwirrten und Ungeschriebenen, den Beschädigten und Gebrochenen.... Denn die Toten haben gebrauchte Geschichten für dich, wenn du sie hereinlassen würdest." Mahony lässt sie herein (wenn auch wohl eher unfreiwillig), während die meisten von uns sie übersehen, denn wir sind "... mit einem beruhigenden Mangel an Visionen gesegnet." Die Toten haben sich ihre Eigenheiten bewahrt, vermutlich sind sie sogar noch verstärkt, sodass die Beschreibungen herrlich skurril und gleichzeitig liebenswert wirken (wie zum Beispiel Johnnie, der immer wieder nur halb bekleidet toten Zimmermädchen nachstellt). Trotzdem erscheinen sie wie auch andere übernatürliche Erscheinungen (seltsame Wetterphänomene, eine plötzliche Quelle in einem Bibliothekszimmer incl. Fröschen, ...) hier weniger mystisch als einfach dazugehörend; ein Teil von Irland, der etwas schräg und einnehmend ist wie viele der Figuren.
Was dem Ganzen zudem etwas Phantastisches verleiht, ist der wunderbare Sprachstil der Autorin. Unbelebten Dingen verleiht sie eine Seele, in dem sie sie zu handelnden Subjekten werden lässt: "Bald wurde der Regen selbstbewusster, platschte auf Kopfsteinpflaster, hüpfte durch die Traktorspuren in der festgebackenen Erde." oder "Und natürlich wussten auch die Bäume Bescheid, aber sie trieben ihre Pfahlwurzeln einfach tiefer in die Erde und behielten ihre Meinung für sich."
Doch was nicht vergessen werden sollte: spannend ist die Suche nach Orla zudem. Alles in Allem ein durchweg tolles Lesevergnügen!

Veröffentlicht am 21.04.2017

Sommer mit 16

Skizze eines Sommers
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Was für ein schön zu lesendes Buch! Locker-leicht-melancholisch vermittelt es ein Lebensgefühl, wie man es nur in einem Sommer mit 16 haben kann - ok, vielleicht auch noch mit 17 oder 18
Sommer 1985 in ...

Was für ein schön zu lesendes Buch! Locker-leicht-melancholisch vermittelt es ein Lebensgefühl, wie man es nur in einem Sommer mit 16 haben kann - ok, vielleicht auch noch mit 17 oder 18
Sommer 1985 in Potsdam, René ist gerade 16 geworden und vor ihm liegen zwei Monate ohne Schule, ohne Erwachsene und mit überraschenderweise viel Geld. Lässig-schnoddrig und auch wundervoll selbstironisch erzählt er von dieser Zeit, dem Abhängen mit seinen Freunden, seinen Erfahrungen mit Mädchen und überhaupt diesem Leben, in dem es nichts Wichtigeres zu geben scheint als Bücher, Musik, Klamotten - nicht zu vergessen der Weltfrieden. Ich las die meiste Zeit mit einem Grinsen im Gesicht, zum Einen weil der Text an sich sehr humorvoll ist ('Es herrschte bei uns ja ständig ein Überfluss an irgendwelchem Mangel'), zum Andern weil mir Vieles sehr bekannt erschien, auch wenn ich meine Jugend nicht in der DDR verbrachte (beispielsweise das Zusammenstellen von Mixtapes). "Hach! - diesen Ausruf hat man beim Lesen von André Kubiczeks «Skizze eines Sommers» ziemlich oft im Kopf." - so schrieb der Stern und ich kann dem nur zustimmen. Insbesondere auch bei der Erwähnung von Musik. Viele, schon lange nicht mehr gehörte Gruppen kehrten wieder ins Bewusstsein zurück, die ich mir endlich mal wieder zu Gemüte führen werde (The Cure, Grandmaster Flash...). Überrascht bin ich, wieviele Gemeinsamkeiten es offensichtlich damals zwischen der Ost- und West-Jugend gab, nur in wenigen Situationen schienen wirklich deutliche Unterschiede zu herrschen (beispielsweise bei der Literaturbeschaffung).
Auch wenn das Buch mehr als leichte Unterhaltung daherkommt, sind doch immer wieder schöne, tiefergehende Passagen zu finden. Beispielsweise die Lobeshymne auf ein Gedicht: 'Es war wie ein Wunder, jemanden zu treffen, der genau wusste, was man selber gern gesagt hätte. Und der es für einen in Worte kleiden konnte, die schön klangen und in einem Buch geborgen waren, das so edel wirkte wie ein Schatzkiste.' So oder so ähnlich ging es mir auch mit diesem Buch