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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.10.2022

Zurück auf Anfang, aber ganz woanders

Simón
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Zurück auf Anfang, aber ganz woanders

Bei der Lektüre wird der Leser den Verdacht nicht los, dass der Autor vom Ehrgeiz beseelt ist, partout am Welterfolg von Zafons ‚Der Schatten des Windes‘ anknüpfen ...

Zurück auf Anfang, aber ganz woanders

Bei der Lektüre wird der Leser den Verdacht nicht los, dass der Autor vom Ehrgeiz beseelt ist, partout am Welterfolg von Zafons ‚Der Schatten des Windes‘ anknüpfen zu wollen.
Der Anfang des Romans weckt Erwartungen, determiniert durch die Verknüpfung der Stadt Barcelona mit der Welt der Literatur. So wird der halbwüchsige Rico für seinen jüngeren Cousin Simón zum Cicerone ins Land der Bücher. Doch bereits hier wird ein gewisses Misstrauen geweckt: allzu selbstverliebt geraten die sprachlichen Pirouetten, allzu bemüht das Streben, in der Symbiose der beiden Jungen und dem nächtlichen Streifzug durch die Stadt eine magische Stimmung zu erzeugen.
Das plötzliche Verschwinden des Älteren wird künstlich mit Bedeutung aufgeladen, erst im Laufe des Romans enthüllt sich die ganze Banalität seines Lebenswegs. Ebenso kleinschrittig entfaltet sich die Entwicklung des Jüngeren. Überfrachtet mit Details wird der dornige Weg der Qualifikation zum Spitzenkoch beschrieben, eine Vielzahl weiterer Figuren bevölkern diesen Handlungsabschnitt, ohne dass diese mit wirklich prägnanten Charakterzügen ausgestattet werden.
Eine Vielzahl von Missgeschicken, bedauerlichen Wendungen des Handlungsfortgangs befördern den Abstieg des Helden, der in penetranter Weise auch ständig so apostrophiert wird, und nachgereicht wird die Schilderung von Ricos jämmerlichem Dasein: kein Aufstieg, vielmehr ein beständiges Verharren in einem sich beständig drehenden Karussell des Elends. So treffen denn die beiden Hauptfiguren erneut am Ausgangspunkt ihrer Existenz zusammen. Die Literatur, in ihrer Jugend angeblich ein identitätsstiftendes Moment, ist zu einem bloßen name dropping herabgekommen: der weibliche Gegenpart des Duos nutzt sie allein als Sprachrohr ihrer woken Weltsicht. Die gemeinsam entwickelte Geschäftsidee verknüpft oberflächlich diese beiden Bereiche: der antiquarische Buchhandel, wie er im ersten Teil noch als typischer Bestandteil des Lebensgefühls von Barcelona behauptet wurde, mit der inzwischen untergegangenen Kneipenkultur der Elterngeneration. Gänzlich unorganisch die Einarbeitung der realen Ereignisse terroristischer Anschläge, die letztlich nur dazu dienen mögen, die Unmöglichkeit zu konstatieren, eine vergangene, magisch aufgeladene Szenerie aufrecht zu erhalten, so wie die menschlichen Schicksale gleichfalls der Tristesse anheimfallen.
Mein Urteil: 2 Sterne

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Veröffentlicht am 09.05.2022

Zwei Welten stoßen aufeinander

Die Paradiese von gestern
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Zwei Welten stoßen aufeinander

In Mario Schneiders übermäßig umfangreichen Roman ist alles auf eine fundamentale Konfrontation angelegt. Da ist einmal das junge Liebespaar aus Ostdeutschland, das zu seiner ...

Zwei Welten stoßen aufeinander

In Mario Schneiders übermäßig umfangreichen Roman ist alles auf eine fundamentale Konfrontation angelegt. Da ist einmal das junge Liebespaar aus Ostdeutschland, das zu seiner ersten großen Auslandsreise in den Westen aufbricht. Und da ist die altadelige Familie, die sich als nicht anpassungsfähig an die Erfordernisse einer neuen Zeit erweist. Eigentlich eine großartige Ausgangsidee, deren Ausführung allerdings zu wünschen übrig lässt. So sind Ella und René dafür, dass sie gerade erst den größten Umbruch der deutschen Nachkriegsgeschichte live miterlebt haben, politisch erstaunlich unbeleckt und ausschließlich mit der Seelenzerfleischung innerhalb ihrer anstrengenden und doch recht pubertären Beziehung beschäftigt. Auf der anderen Seite wird Melodram pur serviert, wenn die Gräfin von eigener Hand aus dem Leben scheiden will, da die Erfordernisse einer modernen Welt auf ihren überkommenen Wertekanon keine Rücksicht nehmen. Belastet wird diese aus der Zeit gefallene Figur mit allen nur denkbaren Problemen emotionaler wie auch wirtschaftlicher Art. Der Autor betreibt einen enormen verbalen Aufwand: es wird ungemein viel gesagt, ohne dass die Figuren aus dem Zustand von Pappkameraden hinauskämen. Insgesamt leider eine Enttäuschung!

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Veröffentlicht am 13.10.2021

Wenig inspirierende Lektüre

DAFUQ
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Nach vierjährigem berufsbedingten Aufenthalt in der Postsowjetunion schien mir die Lektüre von Dafuq ein unverzichtbares Muss zu sein. Leider konnte der Roman meine hohen in ihn gesetzten Erwartungen nicht ...

Nach vierjährigem berufsbedingten Aufenthalt in der Postsowjetunion schien mir die Lektüre von Dafuq ein unverzichtbares Muss zu sein. Leider konnte der Roman meine hohen in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. So erhoffte ich einen authentischen Einblick in die Denkweise der jungen oppositionellen Intelligenz, als deren Repräsentantin die Protagonistin Anja gelten soll. Aber mehr als standardisierte Floskeln hatte diese Figur nicht zu bieten. Die zahlreichen Rückblenden in Anjas Kindheit und Jugend wurden wenig inspiriert heruntererzählt. Weder die Ereignisse noch die inneren Vorgänge in den jeweiligen Lebensphasen vermochten mich zu fesseln. Die kontinuierlich eingeschalteten Visionen oder Wahnvorstellungen und insbesondere der mythologisch hergeleitete Schluss verrieten den verzweifelten Ehrgeiz, Anklänge an die Dämonie der russischen Klassiker heraufzubeschwören. Die Abfolge der einzelnen Tage dieses Arrestaufenthalts und die Gruppe der Mithäftlinge wurden weder sprachlich noch inhaltlich fesselnd gestaltet. Immer wieder die gleichen Formulierungen dienten zur Beschreibung der einzelnen Charaktere, die Abschilderung der immer gleichen Abläufe erzeugten keinerlei fesselnde Sogwirkung. Leider eine rundherum enttäuschende Leseerfahrung!

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Veröffentlicht am 12.05.2021

Zwei Frauen aus verschiedenen Generationen

Warten auf Eliza
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Der Anfang des Romans weckt noch positive Erwartungen auf eine unterhaltsame Lektüre, die durchaus Anstalten macht, literarische Ansprüche zu erfüllen. Alternierend werden zwei gänzlich unterschiedliche ...

Der Anfang des Romans weckt noch positive Erwartungen auf eine unterhaltsame Lektüre, die durchaus Anstalten macht, literarische Ansprüche zu erfüllen. Alternierend werden zwei gänzlich unterschiedliche Frauen präsentiert: eine ältere Witwe, hinter der eine glückliche Ehe liegt, an der man allenfalls kritisieren mag, dass die Frau gegenüber der dominanten Gestalt des Ehemanns nicht ihr volles Potenzial ausgeschöpft hat. Mit ihr kontrastiert eine junge Frau, Doktorandin, bisexuell, charakterlich unfertig, was sich unter anderem darin zeigt, dass sie sich nicht von einer bereits beendeten Beziehung lösen kann. Stück für Stück nähern sich diese beiden Frauen einander an, wobei übermäßig viele Nebenstränge retardierend wirken, um die Begegnung und das Anknüpfen einer Freundschaft herauszuzögern. Der Autorin muss geschwant haben, dass ihre Erzählökonomie ziemlich aus der Balance geraten ist, denn in der zweiten Hälfte des Romans zieht sie merklich das Tempo an, auf Kosten der sprachlichen und kompositorischen Ausgestaltung. Der Text mutet zunehmend nur noch als ein Entwurf an. Den dramatischen Höhepunkt bildet der Verrat der jungen Protagonistin, der die ältere Frau seelisch verletzt zurücklässt. Dazu kommt noch eine äußere Traumatisierung, als sie auch noch Opfer eines Verbrechens wird. Nicht nur die mangelhafte Gestaltungsfähigkeit schlägt zu Buche - weiterhin ist zu bemängeln, dass so ziemlich jedes aktuelle gesellschaftliche Thema in diesem Roman verwurstet wird. Ergebnis ist ein Gemischtwarenladen, der wie anhand einer to-do-Liste konzipiert scheint. Insgesamt eine enttäuschende Lektüre.

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Veröffentlicht am 12.01.2021

Disparate Einzelteile - kein stimmiger Roman

Miss Bensons Reise
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Welch eine Lektüre-Enttäuschung, nachdem die Leseprobe solche Erwartungen geweckt hat! Zunächst glaubt der Leser, sich auf eine Gesellschaftsstudie der Nachkriegszeit in England einstellen zu dürfen. Margerys ...

Welch eine Lektüre-Enttäuschung, nachdem die Leseprobe solche Erwartungen geweckt hat! Zunächst glaubt der Leser, sich auf eine Gesellschaftsstudie der Nachkriegszeit in England einstellen zu dürfen. Margerys gutbürgerliche Herkunft, die in einem einzigen Augenblick zerstört wird, Mr. Mundics Trauma der Kriegsgefangenschaft, die verhindert, dass er sich wieder in die Gesellschaft einfügen kann, als Kontrast die Figur der Enid als vulgär gezeichnete Vertreterin der working class. So weit, so gut. Ganz unvermittelt aber schwenkt die Autorin auf einen ganz anderen Kurs um. Nachdem Margery plötzlich ihren Kindheitstraum in die Tat umsetzen will, häufen sich alberne Slapstick-Szenen, die den feinfühligen Charakterporträts diametral entgegenstehen. Übermäßig idyllisch gezeichnete Landschaftsschilderungen kollidieren mit Thrillerelementen, so dass der Handlungsfortgang unnötig in die Länge gezogen wird. Auch Enids Lebensziel, Schwangerschaft und Mutterschaft, erfahren dauernd retardierende Momente, so dass der Höhepunkt des Romans unweigerlich mit einer ziemlichen Ermüdung des Lesers zusammenfällt. Der Schluss ist nur noch als abgrundtief kitschig zu bezeichnen: Tod zweier tragender Charaktere des Romans, schwülstige Darstellung des zu guter letzt doch noch gelingenden Aufspürens des gesuchten Käfers, süßliches Idyll der neuen weiblichen Zweier-Konstellation. Eine Entscheidung für ein Genre oder eine Beschränkung auf einander ergänzende Motive hätten dem Roman gut getan, in dieser Form ist er als literarisches Gebilde weitgehend ungenießbar.

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