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Veröffentlicht am 27.02.2023

Abschied vom Münsterlandkrimi?

Schattenbruch
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Nachdem ich anfangs dachte, es wäre ganz gut, dass die Serie endet, bin ich mir nun nicht mehr so sicher. Schattenbruch hat es im Gegensatz zum letzten Teil, Finsterbusch, doch geschafft, mich bis zum ...

Nachdem ich anfangs dachte, es wäre ganz gut, dass die Serie endet, bin ich mir nun nicht mehr so sicher. Schattenbruch hat es im Gegensatz zum letzten Teil, Finsterbusch, doch geschafft, mich bis zum Schluss bestens zu unterhalten.

Die Protagonisten kennt man ja nun gut genug, denkt man, aber es tun sich auch in diesem Buch Abgründe auf, die man anfangs nicht vermutet. Ob es der pensionierte Tenbrink ist oder Isa, die echt was drauf hat in diesem verzwickten Fall, man kann sich das „Krimipersonal“ gut vorstellen. Was mich beim Lesen etwas stört, ist aber die ständige Wiederholung bestimmter Charaktereigenschaften, was beim ersten und zweiten Erwähnen noch lustig rüberkommt, wird ab dem dritten Mal lästig. Die nörgelnde Ella sei nur als Beispiel genannt.
Wie sich der Fall entwickelt und wie er aufgeklärt wird, das schreibe ich hier natürlich nicht, es ist jedenfalls nicht langweilig.

Tom Finnek hat eine lockere Art, seine Geschichte zu entwickeln, der regionale Bezug zum Münsterland ist da, aber wird weder übertrieben noch in den Vordergrund gestellt. Die Ermittler, allen voran der arg gebeutelte Maik Bertram, bewegen sich des Öfteren auf dünnem Eis, wenn man das so nennen darf. Ob es bei der Kripo tatsächlich zugeht, wie beschrieben, weiß ich nicht, ein bisschen lockerer als im echten Leben nehmen es die Leute im Münsterlandkrimi auf jeden Fall. Gewürzt wird das Ganze dann noch mit Außenstehenden, die auch nicht ganz koscher sind. Da zwinkert uns der Schalk des Autors immer mal zu.

Ich kann das Buch allen Krimifans empfehlen, denke aber, es ist ratsam die anderen Teile zu kennen, um mit vorangegangenen Ereignissen, insbesondere den Erlebnissen von Maik Bertram, klarzukommen.

Fürs Lektorat:
Einige Fehler haben sich eingeschlichen, da das epub keine echten Seitenzahlen anzeigt, hier nur einige Wörter, die korrigiert werden müssen: Gegen muss Gegend heißen; er schreitete gibt es nicht, nur er schritt; Dränage ist immer noch Drainage; der Satz „Diesmal trug er keinen bunten Kaftan, sondern ein seidig glänzender, schwarzer Dress, der an fernöstliche Kampfanzüge erinnerte.“ muss heißen „ Diesmal trug er keinen bunten Kaftan, sondern einen seidig glänzenden, schwarzen Dress, der an fernöstliche Kampfanzüge erinnerte.“; einen SchuPo gibt es nicht, nur einen Schupo; und man bringt jemanden hinter Gitter, nicht hinter Ginter.
Diese Anmerkungen erscheinen in meiner öffentlichen Rezension aber nicht, hier sollen sie nur helfen, die Fehler zu beseitigen. Ich erhebe aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit!




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Veröffentlicht am 03.07.2022

Ein wunderbarer Liebes- und Gesellschaftsroman

Was ich nie gesagt habe
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Vor gut einem Jahr habe ich "Stay away from Gretchen" als Hörbuch gehört und war total begeistert von der frischen Art, wie Susanne Abel schicksalhafte Ereignisse zu einem tollen Roman verflocht. Seitdem ...

Vor gut einem Jahr habe ich "Stay away from Gretchen" als Hörbuch gehört und war total begeistert von der frischen Art, wie Susanne Abel schicksalhafte Ereignisse zu einem tollen Roman verflocht. Seitdem wartete ich sehnsüchtig auf den zweiten Teil der Geschichte. Gretchen, in den Kriegswirren aus Ostpreußen geflohen und im unzerstörten Heidelberg gelandet, lernte den schwarzen Besatzungssoldaten Bob Cooper kennen und lieben, aus dieser Liebe ging Marie hervor. Aber die Zeiten nach dem Krieg waren noch nicht so weit gediehen, als dass eine solche Liebe Bestand haben konnte. Marie kommt in ein Kinderheim, wird nach Amerika zwangsadoptiert und Bob verschwindet von der Bildfläche. Zurück bleibt Gretchen, die psychisch krank wird, aber durch das Kennenlernen von Konrad vor dem Schlimmsten bewahrt. Am Ende des ersten Teils ist es Gretchens Sohn Tom, der der unterdessen dementen Mutter Marie "wiedergibt". Tom ist Fernsehmann, bekannt wie ein bunter Hund, aber irgendwann am Ende seiner Kräfte. Im vorliegenden zweiten Band lernen wir die Familie von Konrad kennen, erfahren viel über Konrads Kindheit und Jugend, seine Kriegserlebnisse und über seine Gefangenschaft. Konrad hat im Krieg die gesamte Familie verloren, einschließlich seiner Schwester Lizzy, die der Euthanasie zum Opfer fiel. Konrad ist sehr hellhörig bei allem, was er erfährt. Einzig sein Onkel Drickes (Heinrich Pütz) lebt noch. Mit Hilfe dieses Onkels, der in russischer Gefangenschaft ist, landet er in Heidelberg, macht ein Medizinstudium und wird Arzt. Hier kreuzen sich die Wege von Konrad und Gretchen. Sie heiraten, beide gehen nach Köln, dort ist unterdessen der Onkel mit Adenauers Hilfe 1956 endlich aus der Gefangenschaft zurück und richtet eine Frauenarztpraxis ein. Konrad wird Teilhaber. Onkel Drickes beschäftigt sich intensiv und gewinnbringend mit der künstlichen Befruchtung gut betuchter Patienten.
Das Buch wird über verschiedene Zeiträume und Handlungsebenen geführt, Konrad und Gretchen haben endlich einen Sohn bekommen und Thomas, auch Tömmes und später Tom genannt, agiert in der Jetztzeit und wird auf verschiedenste Weise mit der Vergangenheit seiner Eltern und seines Onkels konfrontiert. Toms Leben, seine Entwicklung wird dabei in der Rückblende erzählt. Im Jetzt hat er sich in Jenny, eine Kollegin verliebt, die gerade ein Baby bekommen hat. Tom hat das erste Mal im Leben das Gefühl, an der richtigen Stelle angekommen zu sein. Er will mit Jenny leben, fürs kleine Carlchen da sein, sich nach seinem Zusammenbruch wieder an die Arbeit machen und eine wöchentliche Talkshow soll sein Comeback fördern. Bald zieht er mit Jenny ins Haus seiner Mutter, deren Freundin kümmert sich um die demente Mutter nun ebenso wie um den kleinen Carl. Fast perfekt das Ganze. Dass das Leben nie so geradlinig verläuft, weiß man aus Erfahrung, und so kommt es zu vielen Verwicklungen und Missverständnissen, die ich hier natürlich nicht offenbare. Zukünftige Leser sollen gespannt bleiben, was in Toms Leben noch alles geschieht.
Sehr anrührend wird Gretchens Leben als demente Mutter beschrieben, wer in seiner Familie ähnliche Fälle kennt, wird hier auf sanfte Weise "geschult", denn im Alltag eines Demenzkranken gibt es unzählige Momente, in denen Erinnern, Erkennen und Wissen durchschimmern. Das hat mir gut gefallen.
Ich habe auch dieses Buch sehr gern gelesen, aber die überzeugende Wirkung des ersten Bandes hat es bei mir nicht erreicht. Der Stil war teilweise etwas stakkatoartig, viele, oft zu viele Details sollen den Leser erreichen und berühren. Ich habe viele Kenntnisse über den 2. Weltkrieg, Euthanasie, Holocaust, Vertriebene, Gefangenschaft usw., da kam mir der Buchtext manchmal wie eine verstärkende Wiederholung im Geschichtsunterricht vor. Einerseits sind viele geschichtliche Details nur angerissen, andererseits springt die Autorin in den Abläufen oft hin und her. Manchmal wäre mir ein ruhiger Erzählfluss lieber gewesen, als dieses nervöse Gedankenkarussell. Im Laufe der Geschichte gibt es dann auch immer wieder Rückblicke auf den ersten Band. Eigentlich wäre es wohl besser, jeder der dieses Buch lesen möchte, liest zuerst "Stay away from Gretchen", das Wissen um die Hintergründe erleichtert einem das Verständnis für die Geschehnisse im zweiten Teil sehr.
Das Nachwort habe ich dann mit Interesse gelesen, hier werden die Quellen und Inspirationen beschrieben, die für die Autorin wichtig und ermutigend waren. Ich empfehle das Buch gern allen, die sich für deutsche Geschichte und den Umgang damit interessieren. Sie bekommen einen wunderbaren Liebes- und Gesellschaftsroman.
Und sogar mit Lesebändchen!

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Veröffentlicht am 23.06.2022

Der steinige Weg zum eigenen Roman

Autorenwegweiser
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Dr. Gerrit P. Cziehso hat sich ein Thema vorgenommen, das heute in vielen Köpfen eine kleine oder auch große Rolle spielt. Jeden Tag erscheinen neue Bücher, kann ich das auch? Diese Frage wird beantwortet, ...

Dr. Gerrit P. Cziehso hat sich ein Thema vorgenommen, das heute in vielen Köpfen eine kleine oder auch große Rolle spielt. Jeden Tag erscheinen neue Bücher, kann ich das auch? Diese Frage wird beantwortet, Cziehso zeigt den steinigen Weg, wenn jemand sich fest entschlossen hat, einen eigenen Roman zu schreiben. Ja, er zeigt sogar, wie man ganz zu Beginn überhaupt zu einer Idee kommt für eine solchen Roman. Ich merkte schon nach den ersten Seiten: spannendes Thema, interessante Vorgehensweise.

Am Ende angekommen, zog ich für mich selbst das Fazit: Einen Roman schreibe ich wahrscheinlich nie. Ich habe bereits drei Sachbücher veröffentlicht, da kommt man ja auf die verrücktesten Gedanken. Aber nach der Lektüre des Autorenwegweisers bin ich der Meinung: Schuster, bleib bei Deinen Leisten. Warum?

Schon allein die Ideenfindung ist schwierig, Cziehso macht im Buch verschiedene Vorschläge, wie man es angehen kann. Das Sammeln der Ideen, der spezielle Geistesblitz, die nächtliche Eingebung, Schicksale von Fremden oder Freunden, was auch immer, es könnte geeignet sein für einen Roman. Das gefiel mir ausnehmend gut. Die gesammelten Ideen müssen gefiltert, strukturiert und bewertet werden, ist da etwas, was „funktionieren“ kann? Und was ist das Ziel des Schreibens? Die vier Punkte, die der Autor hier nennt, sind jeder für sich aber auch in Kombination möglich. Schon beim Lesen des Kapitels „Die Idee“ war mir klar, ich suche weder wirtschaftlichen Erfolg, noch will ich die Welt verbessern, aber für die Selbstverwirklichung und die Vermittlung einer Grundidee könnte ich mich schon begeistern.

Für mich der interessanteste Teil des Buches ist das Kapitel „Der Schreibprozess“. Die Ratschläge zur Strukturierung des geplanten Romans sind allesamt nachvollziehbar und praxisnah. Ich konnte feststellen, dass ich bei meinen Sachbüchern teilweise ähnlich vorgegangen bin, zuerst ein Storybuch (ich nannte es für mich damals ausführliches Inhaltsverzeichnis), für den Roman dann das „Charakterbuch“ für die einzelnen Personen, für Ablauf und Rückblenden einen Zeitstrahl. Dieser Zeitstrahl hat es mir besonders angetan, ich überarbeite gerade mein letztes Buch, in dem ich viel mit Rückblenden, Zeitabläufe, verkürzt oder gedehnt, arbeite. So ein Zeitstrahl wird mir sicher helfen, das Buch noch besser zu machen.

Gerade auch die lapidaren Sätze, die Cziehso einflicht in seine Erklärungen, sind für das praktische Arbeiten ein Segen. Zu Beginn des Schreibens soll man z. B. nie vergessen: „Ihr Ziel ist es, einen ersten Entwurf zu erstellen, keine Endversion.“ Bei mir lag da der Finger sofort auf der Wunde… So erging es mir des Öfteren, dass ich meine eigenen Fehler beschrieben fand.

Ich will hier keinesfalls das ganze Buch von Cziehso wiedergeben, es sollen ja Interessierte auch noch Neues und Unbekanntes darin finden. Über die Werkzeuge und Stilmittel bis hin zur Überarbeitung des halbwegs fertigen Textes ist alles berücksichtigt. Am Ende hat man einen druckreifen Text. Unterstützend zur Verfügung stehen Wegweisertipps sowie Downloadmaterialien.

Nun wendet sich der Autor der ganz entscheidenden Frage zu: Wie veröffentlichen? Man hat die Qual der Wahl, Verlag, Literaturagent oder Selfpublishing mit oder ohne Lektorat… Oh je, das ist schwierig und ich gebe ehrlich zu, ich habe mich bei all meinen Büchern für die allerletzte Variante entschieden. Die ist einfach, birgt aber den geringsten Erfolg.

Das umfangreichste Kapitel ist „Nach der Veröffentlichung“. Hier nun wird es sehr spannend, sehr schwierig und sehr steinig für einen jungen Autor. Ich fand die Erklärungen zu Facebook, Instagramm und sozialen Medien im Allgemeinen wirklich spannend, habe mir bisher darüber wenig Gedanken gemacht und glaube, dass für mich Instagramm als Multiplikator noch am ehesten in Frage kommt. Jüngere Leute als ich werden sich da vielleicht noch mehr ins „Getümmel“ stürzen, die Möglichkeiten scheinen endlos.

Die schwierige Suche im sog. Offline-Bereich (stationärer Buchhandel, Werbung, Marketingmaßnahmen) ist schon eher etwas für echte Profis unter den Autoren. Es gehört eine Menge Willen, Durchsetzungsvermögen, viel Zeit und teilweise auch Geld dazu, um ohne oder zusätzlich zum Verlag etwas auf die Beine zu stellen. Aber auch hier mein Fazit: Von nichts kommt nichts.

So kann ich am Ende nur sagen: Ein interessanter Ansatz, um Menschen mit Schreibambitionen auf einen praktikablen Weg zu bringen. Ob und wie jeder sein Ziel erreicht, ist genauso offen wie bei einem Ratgeber für eine Diät oder ein tägliches Fitnessprogramm. Der Leser muss bestimmte Hinweise verinnerlichen und immer wieder im Buch abrufen, um Nutzen daraus zu ziehen.

Die Typografie und Schriftartenauswahl fanden nicht meine hundertprozentige Zustimmung, ich hätte mir auch mehr Raum für eigene Notizen gewünscht. Der Begriff Buchrücken wurde leider mit der Coverrückseite verwechselt, aber das sind dann auch schon alle Kritikpunkte. Wer allerdings ganz genau wissen will, „wie“ man schreibt, seinen Stil und seine Grammatik, seine verwendeten Zeiten verbessert, Schachtelsätze vermeidet oder Wiederholungen, der muss dann doch noch andere Bücher zu Rate ziehen. Diese Empfehlung kommt nicht nur von mir, sondern auch vom Autor.

Ich kann das Buch guten Gewissens weiterempfehlen, auch Leute, die keinen Roman, sondern vielleicht nur eine Geschichte oder etwas anderes veröffentlichen möchten, finden sicher hier jede Menge gute Tipps.

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Veröffentlicht am 26.03.2024

Noch eine Familiengeschichte

Nochmal von vorne
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Familiengeschichten sind auf der Skala von eins bis zehn bei mir auf Level neun, Dana von Sufrins Roman trifft genau mein Interesse. Die Familie ist etwas „zusammengewürfelt“, ein jüdischer Vater, eine ...

Familiengeschichten sind auf der Skala von eins bis zehn bei mir auf Level neun, Dana von Sufrins Roman trifft genau mein Interesse. Die Familie ist etwas „zusammengewürfelt“, ein jüdischer Vater, eine katholische Mutter und eine exaltierte Schwester plus verrücktem Onkel, da lässt sich eine Menge erzählen. Die Autorin macht das gut, ihre ellenlange Sätze lesen sich äußerst vergnüglich, ihren Gedanken- und Zeitsprüngen bin ich gern gefolgt. Dass es mir zuweilen doch langweilig und ich der Endlosschleifen überdrüssig wurde, möge mir die Autorin verzeihen. Kindheit, Jugend, gescheiterte Beziehungen, Themen, die in allen Familienromanen anstehen, aber die nicht in allen so wild und überbordend behandelt werden. Der Vater als vergötterte und zugleich als peinlich angesehene Person, der stirbt und wohl auch Anlass fürs Nachdenken, Erinnern und Schreiben ist, der wird mir von diesem Buch am deutlichsten in Erinnerung bleiben. Die nervende Schwester kommt locker auf Platz zwei.
Fazit: ein Experiment, dem man sich nicht verschließen kann, hat man das Buch erst einmal ins Herz geschlossen.

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Veröffentlicht am 14.08.2023

Schriftstellerikone Brigitte Reimann aus der Sicht eines Literaturprofessors

Ich bin so gierig nach Leben – Brigitte Reimann
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Carsten Gansel ist ein profunder Kenner der Literatur, ein Literaturwissenschaftler, der sich der DDR-Schriftstellerin Brigitte Reimann annimmt, und dies sehr detailverliebt.
Brigitte Reimann hätte in ...

Carsten Gansel ist ein profunder Kenner der Literatur, ein Literaturwissenschaftler, der sich der DDR-Schriftstellerin Brigitte Reimann annimmt, und dies sehr detailverliebt.
Brigitte Reimann hätte in diesem Jahr ihren 90. Geburtstag feiern können, wäre sie nicht vor 50 Jahre viel zu früh an Krebs verstorben. Also 2023 gleich zwei Jubiläen, guter Grund, ihr endlich eine Biografie zu widmen. Carsten Gansel scheint für diese Aufgabe prädestiniert, er verknüpft die Lebens- und Schaffensgeschichte mit viele anderen Schriftstellern und Zeitgenossen, mit denen die Reimann früher oder später Kontakt und mehr hatte. Unzählige Zitate bereichern das Buch, machen es aber auch sehr umfangreich. Das trifft auch auf die historischen Betrachtungen zu, die Gansel in aller Ausführlichkeit um die teilweise dünneren Faktenlagen in Bezug auf die Reimann herumdrapiert.
Ich habe 1975 im Verlag Neues Leben gearbeitet, der „Geist“ von Brigitte Reimann war damals noch in jedem Flur zu spüren und in so manchem Büro, gerade war der Roman „Franziska Linkerhand“ verlegt worden, es hat eine Schaffenszeit von rund 10 Jahren bis zu ihrem Tod, und sammelt Lob ein, Nachauflagen wurden gestartet, sonst in der Menge eher ungewöhnlich. Und immer wieder ein „Hier habe ich mit Brigitte gesessen, hier haben wir diskutiert…“ Auch zwei Jahre nach ihrem Tod war sie fast noch lebendig, Walter Lewerenz war im Verlag ihr größter Verehrer, der Typograf Leipold mindestens der zweitgrößte. Dass nun seit Jahren der Aufbauverlag das Erbe der Reimann wiederbelebt, ist für mich Ausdruck hoher Wertschätzung.
In den letzten Jahren erschienen, teils in Neubearbeitung, ihre Tagebücher, sie bieten einen wunderbaren, authentischen Einblick in dieses unglücklich-glückliche Künstlerleben. Ich habe die Bücher und Hörbücher gleichermaßen geliebt. Nun, beim Lesen der Biografie, fühlte ich mich überschüttet mit so vielen Einzelheiten, dass mir die Lesefreude an mancher Stelle doch genommen wurde. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich Details aus dem Leben der Brigitte Reimann doch schon kannte. Mit einem unvoreingenommenen Blick hätte mir das Buch wahrscheinlich besser gefallen.
Auch wenn über Brigitte Reimann meist, nicht nur hier, viel Lob ausgeschüttet wird, sollte man nicht vergessen, sie war eine Schriftstellerin in der DDR. Sie war Zwängen unterworfen, die sich auch auf ihre Werke auswirkten. Sicher hat sie immer wieder angeeckt mit ihrer Art, aber sie hat sich auch angepasst und die oktroyierten Prinzipien in ihren Werken beachtet. „Die Arbeiterklasse“ war das Maß aller Dinge, auch wenn die Reimann einen sehr kritischen Blick hatte, musste oder wollte sie das nicht verleugnen. Mit einigen Wortbeiträgen hätte sie der Aktuellen Kamera, der DDR-Nachrichtensendung, gut zu Gesicht gestanden. Andererseits distanziert sie sich zunehmend von eben jenem Bitterfelder Weg, der der schreibenden Arbeiter- und Bauernzunft als Orientierung dienen sollte.
Im Laufe der 1960er Jahre verschärft sich der Ton, es weht den Schriftstellern ein rauer Wind des sozialistischen Vaterlands entgegen, Brigitte Reimann gerät mehr als einmal zwischen die Stühle. Dass sie und wohl auch ihre jeweiligen Ehemänner in den Fokus und in die Hand der Staatssicherheit gerieten, wundert da nun wirklich nicht. Brigitte Reimann, die zuerst in Hoyerswerda, der Vorzeigplattenbaustadt schlechthin, später dann in Neubrandenburg wohnt, quält sich wohl sehr mit den politischen und ideologischen Hemmnissen, die ihr und anderen in den Weg gelegt werden. Die Mauer verursacht auch in den Köpfen der Menschen eine eingeengte Denkweise, die Vorgaben an die Verlage werden verschärft, Schriftsteller fühlen sich geistig eingeengt. Wie signifikant ist da der Satz „Mein Buch macht mir keinen Spaß mehr, …“ – gemeint ist der Fortschritt bei „Franziska Linkerhand“. Dass sie sich im weiteren Schreibprozess dennoch einer gewissen Selbstzensur unterworfen hat, spricht nicht gegen sie, sondern gegen ein System der geistigen Unterdrückung und Manipulation. Es ist auch die Zeit, als „Spur der Steine“ mit Manfred Krug und viele andere Filme in den Giftschränken der Partei verschwinden, bis sie nach der Wende triumphierend wieder gezeigt werden können. Für die Künstler ein später Trost, manche haben es gar nicht mehr erlebt.
Der Epilog hat aus meiner Sicht eine Schwäche, er geht in keiner Weise auf die heutige Zeit, die Rezeption dieser Künstlerin nach der Wende in Ost und West, auch im Ausland, die interessanten Entwicklungen in Hoyerswerda und Neubrandenburg ein. Schade, der Bogen hätte doch geschlagen werden können. Man findet z. B. in Hoyerswerda eine Brigitte Reimann Begegnungsstätte, auch eine Stadtbibliothek mit ihrem Namen, es werden Stadtspaziergänge gemacht, die an ihre Zeit in der Stadt erinnern. In Neubrandenburg gibt es ein Literaturzentrum, das ein relativ großes Konvolut an Dokumenten und Büchern bewahrt, einige Anmerkungen verweisen auf dortige Quellen.
Fazit: Sehr umfangreich, detailintensiv, ungewöhnliche Sichtweise und nicht ganz flüssig zu lesen. Die Tragik des verlorenen Kampfes gegen den Krebs macht das Lesen nicht leichter. Gerade für Leser, die sich der Brigitte Reimann erstmals annähern und auch historisches Interesse haben, ist die Biografie ein Gewinn und empfehlenswert.

IchbinsogierignachLebenBrigitteReimann

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