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Dominik_Hellenbeck

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.08.2022

Ein Maßstab für Politthriller

Der Matarese-Bund
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Ludlums „Matarese-Bund“ ist auch nach über 4 Jahrzehnten noch packend und fesselnd: es gibt über die 620 Seiten keinen Spannungsabfall. Das Buch schildert den geheimnisvollen Matarese-Bund als steuernde ...

Ludlums „Matarese-Bund“ ist auch nach über 4 Jahrzehnten noch packend und fesselnd: es gibt über die 620 Seiten keinen Spannungsabfall. Das Buch schildert den geheimnisvollen Matarese-Bund als steuernde Meta-Ebene des in den 1970er Jahren grassierenden Terrorismus mit seinen permanenten Flugzeug-Entführungen, Bombenattentaten etc.
Der dramaturgische Aufbau ist durchweg gelungen, so bleiben die handelnden Köpfe dieser Geheimgesellschaft lange im Dunkeln, insbesondere der Anführer, der sog. „Hirtenjunge". Die beiden Protagonisten werden in der ersten Hälfte des Buches sorgsam aufgebaut, ohne dass der Leser mit einer ausufernden Vorgeschichte belästigt wird. Vielmehr lernt er den Hintergrund und die Persönlichkeit der beiden straff und strukturiert kennen. Schritt für Schritt entwickelt der Autor eine in sich schlüssige Story, die rasant an Fahrt aufnimmt, ohne zwischendurch zu langweilen. Es gibt weder überflüssige Nebenschauplätze noch die zeitttypischen Stereotypen, bemerkenswert ist hierbei die sachlich-neutrale Darstellung von CIA und KGB, was Ende der 70er nicht eben üblich war.
Für die Beschreibung der Matarese schöpft der Autor sichtlich aus Quellen über bekannt gewordene Geheim-Strukturen, etwa die Freimaurerlogen, die Mafia oder Adam Weishaupts umstürzlerischem Illuminatenorden. Das Freimaurer-Motto „Ordo ab chao“ (Ordnung im Chaos schaffen) wird im Buch zwar nicht ausdrücklich genannt, als Zielsetzung der Matarese aber genau umschrieben. Der Autor ahnte mit diesen quasi die erst 1981 (und damit 2 Jahre nach Veröffentlichung des Buches) bekannt gewordene italienische Freimaurerloge „Propaganda Due“ voraus, deren Mitglieder fast ausnahmslos aus der Finanzwirtschaft, der Politik und dem Militär kamen - darunter die drei amtierenden Leiter der italienischen Geheimdienste sowie der amtierende Premierminister.

Der Schlußteil des Buches, welcher in einem furiosen Finale endet, scheint etwas inspiriert von „The Manchurian Candidate“ (1962) , bleibt aber dennoch eigenständig und originell, der Autor schaltet zudem auf den letzten 100 Seiten nochmals „einen weiteren Gang hoch“. Man mag etwas überrascht sein, dass kein überraschender Turn von der „guten“ auf die „böse“ Seite oder umgekehrt im Buch erfolgt, was aber der Spannung keinen Abbruch tut.

Groß zu kritisieren ist nichts, ein paar Kleinigkeiten wären etwa die starke Hervorhebung des Amtes des Ministerpräsidenten der UdSSR, was aber gegenüber dem real maßgebenden Amt des Generalsekretärs der KPdSU randständig war oder die Verwendung des Mafia-Begriff des „Consiglieri“ für die Kommandoebene des Matarese-Bundes. Consiglieri sind jedoch lediglich die Berater der Führung, nicht diese selbst. Einfach Pech hatte Ludlum, dass sich die Drucklegung 1979 mit der iranischen Revolution überschnitt, der im Buch genannte Geheimdienst SAVAK wurde mit dem Machtantritt Chomeinis aufgelöst und existierte nicht mehr mit dieser Bezeichnung. Was die deutsche Fassung betrifft, hätte sich nebenbei die Übersetzung von Beowulf „agate“ in „Achat“ angeboten, da Beowulf agate irgendwie an den deutschen Frauen Vornamen Agathe erinnert und doch eher irritiert. Nebenbei: Dass das Werk aus vergangenen Zeiten stammt, merkt man an Sätzen, die Homosexuellen „abartige Neigungen" bescheinigen. Derartige Feststellungen dürften es heutzutage nicht mehr durch die (selbstverständlich nicht existierende ) Zensur schaffen.

Von diesen Nebensächlichkeiten abgesehen ist Ludlums „Der Matarese-Bund“ ein erstklassiger und daher zeitloser Politthriller, der durch Präzision und fehlerlosem Aufbau überzeugt. Nicht zufällig soll eine Verfilmung im Gespräch sein.

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Veröffentlicht am 25.06.2022

Realismus und Thrill

Das allwissende Auge
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Wie immer schildert der Autor präzise Kenntnisse des operativen Einsatzablaufs, in alle Überlegungen wird der Leser eingeweiht. Auch taktische Erfordernisse in realen Situationen wie Überwachungen oder ...

Wie immer schildert der Autor präzise Kenntnisse des operativen Einsatzablaufs, in alle Überlegungen wird der Leser eingeweiht. Auch taktische Erfordernisse in realen Situationen wie Überwachungen oder Schusswechsel werden korrekt dargestellt. Eisler ist als Ex-CIA-Mitarbeiter und Kampfsportexperte „vom Fach", jede Schilderung sitzt, bei ihm gibt es keine Schnitzer. Das allwissende Auge hat einen guten Spannungsbogen, es gibt keine Flucht in ausgedachte Waffen oder irrwitzige Zufälle: Jede Aktion ist plausibel und führt zu ebenfalls plausiblen Reaktionen.

Auf der politischen Ebene ist Eisler schmerzhaft realistisch: Die Öffentlichkeit will gar nicht genau wissen, was getan wird, sie will die Illusion der eigenen Unschuld behalten. Grundrechte und Privatsphäre sind (spätestens) in 9/11-Zeiten rein fiktiv, wer als Gefahr für die nationale Sicherheit der USA gilt, wird rund um den Globus gesucht, gefunden und ausgeschaltet. Ob per Drohne, einem Entführungskommando privater Dienstleister oder Auftragskiller. Etwas „70er Stil“ vielleicht das Ende: die finsteren Verschwörer von „Big Government“ scheitern an den engagierten Journalisten, die jetzt für Internet-Newsservices statt für die Printmedien wie die Washington Post arbeiten.

Fazit: Sehr empfehlenswert, realistisch und packend geschrieben.

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Veröffentlicht am 25.06.2022

Gelungener Krimi und mehr...

Tod eines Gentleman
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Wer zu Christopher Huangs „Tod eines Gentleman“ greift, um einen Kriminalfall in einem noblen Herren-Club im Nachkriegs-London von 1924 zu lesen, wird bestens bedient. Unter anderem findet der Leser einen ...

Wer zu Christopher Huangs „Tod eines Gentleman“ greift, um einen Kriminalfall in einem noblen Herren-Club im Nachkriegs-London von 1924 zu lesen, wird bestens bedient. Unter anderem findet der Leser einen Mordfall vor, der von Eric Peterkin, seines Zeichens Verlags-Lektor für Kriminalliteratur, untersucht wird. Er agiert als Amateurdetektiv und damit, wie der Autor in seinen Anmerkungen mitteilt, bewußt als nur wenig wissendes Double des Lesers.

Der Roman folgt bewußt dem bewährten Whodunit-Prinzip und endet (Agatha Christie sei's Panier!) mit einer Auflösung durch Peterkin im großen Kreis der anwesenden Verdächtigen. Da Peterkin sich ohne nennenswerten Plan durch die Szene hangelt und eine Tat-Variante neben der anderen formuliert, abwägt, teilweise verwirft, dann aber doch wieder hervorholt, wird der mittlere Teil des Romans leider arg undurchsichtig und zieht sich etwas hin. Die Auflösung geriet bei der Überfülle an präsentierten Indizien und Verdächtigen für meinen Geschmack doch etwas beliebig, eigentlich hätte es jeder/jede Verdächtige sein können (eine Kürzung der über 400 Roman-Seiten um ein Viertel hätte dem Buch vielleicht gut getan...)

Weit mehr als ein Epigone klassischer britischer Kriminalliteratur ist das Buch aber, wenn man die gesellschaftlichen, politischen und historischen Hintergründe betrachtet.

Gekonnt dargestellt wird beispielsweise das verdeckt herrschende Old-Boy-Netzwerk des Establishments, welches die Eliten in Clubs, Armee, Polizei, Ministerien und der Wirtschaft verbindet. Wer da nicht drin ist, bleibt außen vor und bekommt bestenfalls Brosamen und ein gönnerhaftes Schulterklopfen von den Strippenziehern. Für diese stellt der weiße, britische Gentleman das Ideal „des Menschen an sich“ dar. Alles, was einer anderen Klasse, Rasse, Nation oder Religion (oder Geschlecht) angehört, ist somit eindeutig defizitär und zweit-, wenn nicht gar drittklassig. Ritterlich, wie sie gerne scheinen möchte, nimmt die Upper-Class diese schwachen Geschöpfe zwar unter ihre fürsorgliche Obhut (oder was sie darunter versteht), erwartet dafür aber selbstverständlich stete Dankbarkeit und Gehorsam. Auf aufmüpfiges Verhalten von Kriegsdienstverweigerern (ein Blessiertenträger im Britannia Club!), halbchinesischen Abkömmlingen oder renitenten Frauenzimmern wird mit Empörung und Distanzierung reagiert – alleine die Vorstellung von gleicher Augenhöhe dieser Subjekte mit dem britischen Establishment erscheint schlichtweg grotesk.


Historisch interessant ist die Gegenüberstellung kollektiver gesellschaftlicher Vorstellungen und erlebter Realität in der Zwischenkriegszeit. Huang thematisiert diesen Konflikt der durch das Posttraumatische Belastungssyndrom traumatisierten Überlebenden mit einer Umwelt, die sich mental noch im 19. Jahrhundert befand und für die der Krieg 1914-1918 so etwas wie der Mahdi- oder der Sepoyaufstand, der Matabele-Krieg und andere koloniale Scharmützel war. Daher betrachtete sie Soldaten nach wie vor als tapfere Recken des Heiligen Georg, die heldenhaft für König und Vaterland streiten und notfalls durch „schutzbedürftige“ Damen per weißer Feder an ihre „patriotische Pflicht“ erinnert werden. Die Grabenkämpfer erlebten im Krieg hingegen das blanke Grauen des modernen Stellungskrieges. Hier mäht MG-Feuer in Minuten (ohne ritterlichen Zweikampf) Tausende nieder, hier walzen Tanks als apokalyptische gepanzerte Ungeheuer Schützengräben samt Soldaten platt, Giftgas-Angriffe und tagelanges Artilleriefeuer traumatisierte die sich ohne jede Fluchtmöglichkeit in die Erde verkriechenden Grabenkämpfer. Ausbilder Bradshaw empfindet daher Schuld, seine Rekruten eigentlich für den längst vergangenen Burenkrieg ausgebildet und dann nach Flandern ins Giftgas geschickt zu haben.

Zudem geht der Autor auch auf die verbreitete Morphiumsucht in den 20ern ein und liefert dazu sowie zur PTBS in seinen Anmerkungen sehr interessante Informationen.

Neben der (trotz mancher Längen) lesenswerten Kriminalgeschichte sind es diese Aspekte, die „Tod eines Gentleman“ wirklich lesenswert machen.

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Veröffentlicht am 25.06.2022

Tiefgründig, aber mühsam...

Im ersten Kreis
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Da bereits der Titel des Werkes bei Dantes Inferno entlehnt wurde, kann man dort getrost eine weitere Anleihe machen: Wer anfängt, dieses Buch zu lesen, laßt alle Hoffnung (auf rasches Verständnis der ...

Da bereits der Titel des Werkes bei Dantes Inferno entlehnt wurde, kann man dort getrost eine weitere Anleihe machen: Wer anfängt, dieses Buch zu lesen, laßt alle Hoffnung (auf rasches Verständnis der Zusammenhänge) fahren. Der Leser wird anfangs mit einem Telefonat konfrontiert, um anschließend die nächsten über zweihundert Seiten einen komplett anderen Zusammenhang kennen zu lernen – auf äußerst zähe Weise. Weder die Handelnden noch der Ort wird sogleich vorgestellt, nein, man liest Seite um Seite, ohne geringste Ahnung, wer was wem warum wo mitteilt. Ein vorheriger Blick in eine grobe Inhaltsangabe ist dringend empfohlen, auch fundierte Kenntnisse über die Sowjetunion der 1930er bis 1950er schadet keinesfalls.

Fazit: Ein brillantes russisches Buch für russische Leser, alle anderen werden sich mühsam in die Materie rein arbeiten müssen. Dies allerdings lohnt sich dann aber.

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Veröffentlicht am 25.06.2022

Packend geschrieben, historisch etwas gewagt...

Unternehmen Brandenburg
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Zuerst einmal: die erste Befürchtung nach flüchtiger Lektüre des Einbandtextes, bei Unternehmen Brandenburg (1999) handele es sich lediglich um einen Aufguß von Robert Ludlums Holcroft-Vertrag von 1978, ...

Zuerst einmal: die erste Befürchtung nach flüchtiger Lektüre des Einbandtextes, bei Unternehmen Brandenburg (1999) handele es sich lediglich um einen Aufguß von Robert Ludlums Holcroft-Vertrag von 1978, bestätigte sich nicht. Meade hat einen eigenen, sehr präzisen und spannenden Stil, vermeidet dankenswerter Weise Zeitsprünge und fokussiert sich auf wenige handelnde Personen, die für den Leser sorgfältig eingeführt werden, bevor neue hinzukommen. So entsteht eine (zumindest in sich) schlüssige Geschichte mit einem sorgfältig aufgebauten Spannungsbogen: die Spannung hält auch über die 700 Seiten der Taschenbuchausgabe, ohne dass zwischendurch Langeweile auftritt.

Bei vielen englischsprachigen Autoren scheinen „The Nazis" und ein bevorstehendes „IV. Reich“ eine ungebrochene Faszination auszuüben, sei es im Gewand der EU wie bei Andrew Roberts' Das Aachen Memorandum, sei es durch Genmanipulationen wie in Ira Levins The Boys from Brazil oder als von einem „neuen Führer“ aufgestellte NS-Geheimarmee wie in John Gardeners James-Bond-Roman Operation Eisbrecher. Auch bei Meade spielt ein neuer Führer samt konspirativen Netz eine Rolle, auch die unvermeidliche „Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen“ (ODESSA) – bekannt aus Frederick Forsyths Die Akte ODESSA – ist dabei.

Im Großen und Ganzen behält Meade einigermaßen die historischen Realitäten und die politische Plausibilität im Blick. Aber auch nur einigermaßen, denn Neonazi-Zellen in Bundeswehr und Polizei, hohe, putschbereite Spitzenbeamte der Bundesregierung und rechtsradikale „Aufstände“, eine beabsichtigte Notstandsverordnung der Bundesregierung „zur Internierung sämtlicher Extremisten“ und Linksterroristen, die sich den bösen Nazis mit entgegenstellen, um die Bundesregierung zu retten sind zwar politisch absurd, aber, da der literarischen Dramatik geschuldet, in einem Polit-Thriller legitim.

Bei einigen zu vernachlässigenden Randpunkten geht es historisch etwas unsauber zu, so wird im Eifer des Gefechts Dachau zum Vernichtungslager und es ist im wieder vereinten Berlin der 90er von einem „Oberbürgermeister von Berlin“ die Rede. Einen solchen gab es aber nur im Sowjetsektor Berlins, der Regierungschef übernahm nach der Vereinigung die bisherige West-Bezeichnung „Regierender Bürgermeister“. Nicht korrekt ist auch die Behauptung, nach der Verfassung übernähme der Vizekanzler automatisch die Amtsgeschäfte des ausgefallenen Bundeskanzlers, hier ging Meade wohl von der US-Verfassung aus – das Grundgesetz kennt aber schlicht keinen Vizekanzler. Und ein Bundespräsident, der mal eben bis auf Weiteres das Amt des Bundeskanzlers mit übernimmt, ist komplett Schmarrn, der letzte, der Kanzler und Präsident in Personalunion war, hieß Adolf Hitler... Dass dem Bundeskabinett in den 90ern ausschließlich männliche Minister angehören sollen, ist eher eine Schnurre, da bereits 1961 Elisabeth Schwarzhaupt (CDU) die erste Bundesministerin in der Bundesrepublik Deutschland wurde.

Alles in allem aber ein exzellenter Thriller, wenn man die reale Geschichte der 1990er und die politischen und verfassungsrechtlichen Hintergründe nicht zu genau kennt...

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