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Veröffentlicht am 26.06.2022

Aufwachsen in einem Umfeld der Gewalt

Amelia
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Im Jahr 1969 nehmen die Unruhen in Irland ihren Anfang. Das kümmert die fast achtjährige Amelia Boyd Lovett aber erst einmal wenig. Sie besucht jeden Tag ihr Versteck, um sich ihre Schätze anzugucken: ...

Im Jahr 1969 nehmen die Unruhen in Irland ihren Anfang. Das kümmert die fast achtjährige Amelia Boyd Lovett aber erst einmal wenig. Sie besucht jeden Tag ihr Versteck, um sich ihre Schätze anzugucken: ein kleines Plastikschaf, eine Münze mit einem eingeprägten Gebet, eine Tube Glitzer - und Gummigeschosse, die sie sammelt, seitdem die britische Armee angefangen hat, damit zu schießen…

„Amelia“ ist der Debütroman von Anna Burns, der im Original bereits 2001 erschienen ist.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 26 Kapiteln, die wiederum in Abschnitte unterteilt sind. Die Handlung umfasst mehrere Jahrzehnte: von 1969 bis Mitte der 1990er-Jahre. Immer wieder gibt es Zeitsprünge. Die entsprechenden Jahreszahlen befinden sich am Anfang der Kapitel. Dieser Aufbau ist nicht unkompliziert, aber geschickt komponiert.

Der Schreibstil ist dialoglastig und sehr plastisch, manchmal auf schmerzhafte Weise. Die Sprache wirkt nüchtern und schnörkellos und ist gleichzeitig eindringlich.

Amelia ist eine reizvolle Protagonistin. Daneben gibt es eine Vielzahl an weiteren Figuren.

Inhaltlich ist der Roman keine leichte Kost. Obwohl er schon vor mehr als 20 Jahren verfasst wurde und die Handlung in der weiter zurückliegenden Vergangenheit verortet ist, hat das Thema nicht an Aktualität eingebüßt. Die jüngsten Unruhen in Nordirland haben den Fokus der Öffentlichkeit wieder auf den Konflikt gelenkt. Daher hatte ich mir tiefergehende Einblicke erhofft, die ich leider aber nur teilweise erhalten habe. Allerdings konnte mich die Geschichte dennoch berühren.

Der deutsche Titel weicht erheblich von der englischsprachigen Originalausgabe („No Bones“) ab, passt aber natürlich auch. Das erfrischend ungewöhnliche Cover wurde übernommen.

Mein Fazit:
Auch mit „Amelia“ hat Anna Burns einen sehr speziellen und originellen Roman geschrieben. Trotz mehrerer Schwächen eine insgesamt lohnenswerte Lektüre.

Veröffentlicht am 13.06.2022

Über Andrew Haswell Green

Der große Fehler
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Es ist Freitag, der 13. November 1903, und für Andrew Haswell Green ist es wahrlich ein Unglückstag. Auf offener Straße, auch noch vor seiner eigenen Haustür, wird der 83-Jährige erschossen. Was steckt ...

Es ist Freitag, der 13. November 1903, und für Andrew Haswell Green ist es wahrlich ein Unglückstag. Auf offener Straße, auch noch vor seiner eigenen Haustür, wird der 83-Jährige erschossen. Was steckt hinter diesem Mord? Und wie hat es der Sohn eines mittellosen Bauern geschafft, zu einer ruhmreichen Persönlichkeit zu werden?

„Der große Fehler“ ist ein Roman von Jonathan Lee.

Meine Meinung:
Der Roman ist unterteilt in 33 kurze Kapitel. Sie sind benannt nach den Toren des Central Parks, eine schöne Idee.

Der Schreibstil wirkt ein wenig altertümlich mit der antiquierten Ausdrucksweise. Für mich passt diese Sprache jedoch gut zur Geschichte. Sie verleiht dem Buch Charme.

Der Protagonist ist ein interessanter Charakter, der ein erlebnis- und erfolgreiches Leben aufweisen kann und somit eine Menge Stoff für eine Romanbiografie bietet. Insgesamt glänzen in dem vorliegenden Werk aber die Nebenfiguren, vor allem die weiblichen.

Inhaltlich ist der Roman in zweifacher Hinsicht reizvoll: Einerseits bringt der Autor seiner Leserschaft eine historische Person nahe, die sich auf mehreren Gebieten verdient gemacht hat. Andererseits geht es um einen Mordfall. Dieses Konzept ist vielversprechend und stellt einen guten Ansatz dar. Keine der beiden Erzählstränge ist jedoch komplett überzeugend umgesetzt. Für eine Kriminalgeschichte ist das Werk zu durchschaubar und wenig aufregend, für einen autobiografischen Roman ist es zu unvollständig.

Obwohl ich bei diesem Roman keinesfalls eine durchweg spannende Handlung erwartet habe und deshalb mit dem gemächlichen Erzähltempo kein Problem hatte, haben mich einige Längen gestört. Das liegt daran, dass die Geschichte immer wieder ihren roten Faden verliert und einzelne anekdotenhafte Episoden eingeflochten sind. Manche davon sind sehr lesenswert und unterhaltsam, andere weniger fesselnd.

Das deutsche Cover finde ich in optischer Sicht sehr ansprechend. Allerdings gibt es nur einen weniger direkten Bezug, was das Motiv angeht. Der englischsprachige Originaltitel („The Great Mistake“) wurde wortgetreu ins Deutsche übertragen.

Mein Fazit:
Mit „Der große Fehler“ hat Jonathan Lee eine interessante Persönlichkeit wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt und Andrew Green zu recht eine Art Denkmal gesetzt. Leider verschenkt der Roman in seiner Umsetzung aber einen Teil seines großen Potenzials.

Veröffentlicht am 08.06.2022

Ein Neuanfang am Waldrand

In den Wäldern der Biber
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Die Beziehung mit Fabian ist vorbei, in ihrem hektischen Leben in Frankfurt am Main fühlt sich Alina mittlerweile unwohl. Bei ihrem Großvater Siegfried Engelhardt in dem Dorf Spechthausen in Brandenburg ...

Die Beziehung mit Fabian ist vorbei, in ihrem hektischen Leben in Frankfurt am Main fühlt sich Alina mittlerweile unwohl. Bei ihrem Großvater Siegfried Engelhardt in dem Dorf Spechthausen in Brandenburg möchte sie zur Ruhe kommen. Zwar hatten die beiden seit Längerem keinen Kontakt mehr. Dennoch nimmt er seine Enkelin bei sich in dem Haus am Waldrand auf.

„In den Wäldern der Biber“ ist ein Roman von Franziska Fischer.

Meine Meinung:
Der Roman setzt sich aus 24 Kapiteln und einem mit „Weihnachten“ überschriebenen Epilog zusammen. Die Struktur ist unkompliziert und funktioniert gut. Die Handlung ist chronologisch aufgebaut, beinhaltet aber auch Rückblenden.

Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Alina. In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman komplett überzeugt, obwohl der Schreibstil recht dialoglastig ist und überwiegend auf eine einfache Syntax zurückgreift. Gleichzeitig aber gelingt es der Autorin, immer wieder starke, oft sogar kreative Sprachbilder und eine eindringliche Atmosphäre zu schaffen.

Ein Manko ist für mich die Protagonistin. Zwar wirkt sie insgesamt durchaus lebensnah. Obwohl ihre Gedanken und Gefühle deutlich werden, blieb sie mir allerdings in ihrem Verhalten teilweise fremd.

Das Setting des Romans hat mich sofort angesprochen. Die Natur bildet jedoch größtenteils nur die Kulisse für Themen, die fast jeden beschäftigen: Wie stelle ich mir mein Leben vor? Welche Ziele, welche Wünsche habe ich? Lebensentwürfe und Neuorientierung spielen also eine große Rolle.

Auf den rund 300 Seiten ist die Geschichte abwechslungsreich und kurzweilig. Mir haben jedoch stellenweise etwas Tiefgang und überraschende Momente gefehlt.

Der Titel und das ansprechende Covermotiv sind in sehr gelungener Weise aufeinander abgestimmt.

Mein Fazit:
Mit „In den Wäldern der Biber“ hat Franziska Fischer einen unterhaltsamen Roman geschrieben, der mich in Bezug auf seine Sprache begeistert hat. Trotz kleinerer Schwächen eine Geschichte, die schöne Lesestunden verschafft.

Veröffentlicht am 02.06.2022

Wenn Trauern nur im Verborgenen möglich ist

Verheizte Herzen
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Als Anwältin hat Ana Kelly häufig mit Todesfällen zu tun. Doch auf den Anruf von Rebecca Taylor, die ihr von dem Unfalltod ihres Mannes Connor Mooney erzählt, war sie nicht gefasst. Drei Jahre hatten Ana ...

Als Anwältin hat Ana Kelly häufig mit Todesfällen zu tun. Doch auf den Anruf von Rebecca Taylor, die ihr von dem Unfalltod ihres Mannes Connor Mooney erzählt, war sie nicht gefasst. Drei Jahre hatten Ana und Connor eine heimliche Affäre, obwohl auch die Anwältin verheiratet ist. In ihrer Trauer versucht sie, sich mit ihrer früheren Kontrahentin anzufreunden…

„Verheizte Herzen“ ist ein Roman von Sarah Crossan.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus fünf Teilen. Die Handlung umfasst einige Zeitsprünge in die Vergangenheit und die Zukunft.

In stilistischer Hinsicht ist das Buch sehr besonders. Es handelt sich um einen Versroman, der ohne Reime auskommt und doch bisweilen poetische Untertöne hat.

Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Ana. Die Sprache ist weder verschnörkelt noch schwülstig, sondern sogar recht reduziert, aber dennoch intensiv und eindringlich.

Ana ist für mich keine klassische Sympathieträgerin, aber eine durchaus interessante Protagonistin. Ihre Gedanken und Gefühle lassen sich gut nachvollziehen. Neben ihr bleiben die anderen Figuren jedoch größtenteils ziemlich blass.

Zwar spielt auch die romantische Liebe eine Rolle, aber ohne Kitsch und die üblichen Handlungsstränge. Inhaltlich geht es vielmehr um Trauer und Verlust, um Heimlichkeiten, Betrug und Schuldgefühle. Eine interessante Mischung, von der ich in dieser Form noch nicht oft gelesen habe.

Auf rund 260 Seiten entwickelt sich schnell ein Lesesog. Ein paar überraschende Enthüllungen steigern den Unterhaltungswert.

Das Cover mit den erhabenen Elementen ist hübsch geworden und macht einen wertigen Eindruck. Thematisch noch besser passen würde es allerdings, wenn der englischsprachige Originaltitel („Here is the Beehive“) wortgetreu übernommen worden wäre.

Mein Fazit:
„Verheizte Herzen“ ist ein lesenswerter Roman von Sarah Crossan. Eine vor allem stilistisch ungewöhnliche Lektüre mit nur kleineren Schwächen.

Veröffentlicht am 28.05.2022

Eine Teenagerin am Rande der Gesellschaft

Nachtschwärmerin
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East Oakland in Kalifornien: Die Mutter sitzt im Gefängnis, der Vater ist tot. Mit ihrem älteren Bruder Marcus muss sich Kiara (17) durchschlagen. Sie schafft es jedoch nicht, sich einen regulären Nebenjob ...

East Oakland in Kalifornien: Die Mutter sitzt im Gefängnis, der Vater ist tot. Mit ihrem älteren Bruder Marcus muss sich Kiara (17) durchschlagen. Sie schafft es jedoch nicht, sich einen regulären Nebenjob zu suchen. Deshalb rutscht sie in die Prostitution ab…

„Nachtschwärmerin“ ist der Debütroman von Leila Mottley.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus etlichen kurzen Kapiteln, die zumeist noch in Abschnitte aufgeteilt sind. Der Aufbau ist recht einfach.

Der Schreibstil hat mich leider nicht sonderlich beeindruckt. Er ist geprägt von einem umgangssprachlichen, teilweise vulgären Ton und von vielen Dialogen. Das wirkt zwar durchaus authentisch und anschaulich, liest sich aber nicht so elegant. Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Kiara.

Kiara ist eine reizvolle und durchaus sympathische Protagonistin. Ihr Verhalten ist manchmal nicht ganz nachvollziehbar und schwer zu ertragen.

Das Thema des Romans hat mich sofort angesprochen. Ich finde es wichtig, die oft strukturellen Probleme schwarzer Frauen sichtbar zu machen. In dem interessanten Nachwort der Autorin ist zu lesen, dass die Geschichte auf wahren Tatsachen beruht. Die Recherche ist dem Roman immer wieder anzumerken.

Auf etwas mehr als 400 Seiten ist die Geschichte aufgrund von Themen wie Gewalt und Missbrauch keine leichte Kost, aber kurzweilig und fesselnd. Allerdings gibt es einige inhaltliche Wiederholungen, was mich ein wenig gestört hat.

Der deutsche Titel ist auf gelungene Weise aus dem amerikanischen Englisch („Nightcrawling“) übertragen. Das Cover des deutschen Verlags gefällt mir sogar besser als das Original.

Mein Fazit:
Mit ihrem Debüt hat mich Leila Mottley nicht in allen Punkten überzeugt. Dennoch ist „Nachtschwärmerin“ ein besonderer Roman.