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Veröffentlicht am 06.08.2022

Guter Bulle, Böser Bulle

Bruch: Ein dunkler Ort
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Hauptkommissaren Nicole Schauer hat sich gerade erst von Hamburg nach Dresden versetzen lassen und muss sich nicht nur mit ihrem neuen Kollegen Felix Bruch zusammenraufen, sondern auch den Fall der verschwundenen ...

Hauptkommissaren Nicole Schauer hat sich gerade erst von Hamburg nach Dresden versetzen lassen und muss sich nicht nur mit ihrem neuen Kollegen Felix Bruch zusammenraufen, sondern auch den Fall der verschwundenen zwölfjährigen Celina im ländlichen Stadtteil Goppeln aufklären. Das Prekäre daran ist, dass deren beste Freundin vor 2 Jahren verschwunden und erst nach 2 Wochen plötzlich unterernährt, dehydriert und traumatisiert wieder aufgetaucht war. Ihre Eltern haben damals eine psychologische und gynäkologische Untersuchung verweigert, da das Mädchen eh nicht sprach, und schotten sie auch jetzt vor der Polizei ab. Hat der gleiche Täter wieder zugeschlagen? Und was tut er den Mädchen an?
Die Situation spitzt sich immer weiter zu. Presse, Anwohner und „besorgte Bürger“ stürzen sich auf jeden eventuellen Verdächtigen und schrecken auch vor Selbstjustiz nicht zurück. Nur bringt sie keiner dieser Schritte Celina näher.
Schauer und Bruch fällt auf bei ihren Nachforschungen auf, dass die Geschwister der Mädchen und ihre Freunde etwas zu wissen scheinen, aber aus Angst nicht darüber reden. Sie flüstern schüchtern vom Spukhaus und der Hexe – einem verfallenen Dreiseithof und deren Bewohnerin, die vor einem halben Jahr verstorben ist. Angeblich irren immer wieder Lichter durch das alte Gemäuer und man kann Schritte hören, wenn man sich reintraut ... „Nein, sie wollte nicht in dieses Haus. Ganz und gar nicht. Nicht in der Nacht, nicht am Tag, nicht mit Bruch.“ (S. 239)

Frank Goldammer hat es wieder geschafft, dass ich mich beim nächtlichen Lesen vor einer wehenden Gardine zu Tode gefürchtet habe. Er webt in „Bruch – ein dunkler Ort“ eine extrem dichte und düstere Atmosphäre, die einen sofort in seinen Bann zieht und in der man bald niemandem mehr traut, auch seinen eigenen Wahrnehmungen nicht. Die Handlung ist so gruselig, dass man mit dem Lesen nicht aufhören kann bis man endlich weiß, was mit den Mädchen passiert (ist). Bruch und Schauer finden immer neue Theorien, Motive und Verdächtige, die alle sehr plausibel klingen, doch sie können nichts davon beweisen, und die Zeit läuft ihnen davon.

Auch die beiden Ermittler sind nicht ohne. Sie haben mit eigenen Traumata zu kämpfen, wobei Felix seins ins Unterbewusste verdrängt hat und Nicole oft mit blinder Wut und Gewalt reagiert, wenn ihres getriggert wird, dafür war sie schon in ihrer alten Dienststelle bekannt. Außerdem hatte sie sich wegen ihres Freundes nach Dresden versetzen lassen, der sie aber inzwischen verlassen hat. Zu diesem ganzen Ärger kommt jetzt noch der Stress mit Bruch, über den ihr Vorgesetzte sagt: „Felix ist ein wenig … eigen. …er hatte es in letzter Zeit nicht leicht. Vor Kurzem erst hat er bei einem Unfall seinen langjährigen Kollegen und Freund verloren.“ (S. 8) Doch es gibt Gerüchte, dass Felix ihn hätte retten können.
Nicole weiß nicht, wie sie mit ihm zusammenarbeiten, wie sie überhaupt an ihn herankommen soll. Felix scheint emotionslos, fast apathisch. Er spricht nur im Notfall, lässt sie alle Entscheidungen treffen – ist er vielleicht Autist? Zudem verzettelt er sich bei den Ermittlungen immer wieder in Nebensächlichkeiten, die nicht wirklich was mit Celinas Verschwinden zu tun haben können – oder doch? Und dann sind da diese Pillen, die zu nehmen ihn eine Anruferin jeden Tag erinnert und seine eigentümlich leere Wohnung … „Was sie sehen, ist ein Mensch, der einmal Felix war. Der etwas sucht und es nicht finden kann.“ (S. 271 / 272)

Für mich ist der Krimi schon fast ein Thriller. Vom Opfer fehlt jede Spur und das Setting (die Enge der fast schon dörflichen Gemeinschaft und der verfallene Dreiseithof), die krassen Wendungen und undurchsichtigen Ermittler voller Selbstzweifel sorgen für Gänsehaut. Ich hoffe, Schauer und Bruch gehen in Serie – denn wenn sie zusammen agieren, ist nicht immer klar, wer der gute und wer der böse Bulle ist. Das finde ich extrem spannend!

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Veröffentlicht am 02.08.2022

Wie ein Licht in dunkler Nacht

Drei Tage im August
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… erstrahlt das Schaufenster der ältesten Berliner Pralinenmanufaktur Sawade auch im August 1938 auf der Prachtstraße Unter den Linden. Darum kümmert sich Elfie, die Prokuristin und erste Verkäuferin. ...

… erstrahlt das Schaufenster der ältesten Berliner Pralinenmanufaktur Sawade auch im August 1938 auf der Prachtstraße Unter den Linden. Darum kümmert sich Elfie, die Prokuristin und erste Verkäuferin. „Über allem hier drinnen liegt der Duft nach Schokolade, wie ein feiner Puder hängt er in der Luft. Er tränkt den Raum, schaukelt über dem Parkett, legt sich weich in Elfies Nase. Süß und herb, ein Versprechen, ein Aufruf zur Zuversicht, und ja, zum kleinen Ungehorsam, weil die Versuchung in jeder Lade lauert.“ (S. 13)

Seit Hitlers Machtübernahme sind schon viele Läden und Restaurants in der Umgebung verschwunden, deren Besitzer den neuen Machthaber nicht passten. Auch der jüdische Buchhändler Franz bangt um seine Existenz. „Er hat sich sein eigenes kleines Himmelreich geschaffen – und das soll er aufgeben? Diesem braunen Pack überlassen, das ihn seit einigen Jahren terrorisiert?“ (S. 19) Nicht nur einmal wurde ihm nahegelegt, seinen Laden endlich in deutsche Hände zu übergeben, dabei hatte sich bereits sein Urgroßvater in Berlin niedergelassen. Soll er bleiben und hoffen oder gehen?
Erwin arbeitet seit 40 Jahren Aufseher im Kronprinzenpalais, doch er erkennt die Ausstellung kaum wieder, seit die „entartete“ Kunst daraus entfernt und in den Keller verbannt wurden. Aber zumindest er geht sie noch jeden Tag besuchen und fühlt sich dabei, „So als bewege er sich als Überlebender unter Gespenstern.“ (S. 47).
Zu den letzten „Überlebenden“ gehört auch der Halb-Ägypter Issa El Hamady. Er hat vor 3 Jahren eine Bar eröffnet und obwohl die Nazis ihn nicht gern sehen, gehören sie zu seinen wenigen Stammgästen. Jetzt hofft er durch Olympia auf mehr Umsatz. Er serviert übrigens Sawade-Pralinen zu seinen Drinks und scheint ein Auge auf Elfie geworfen zu haben. Aber hätte ihre Beziehung überhaupt eine Chance?
Direkt über dem Sawade wohnt Madame Marie Conte, die schon über 90 Jahre alt ist und bei der Geburtsstunde der Manufaktur dabei war, mit der sie etwas ganz Besonderes verbindet ...

„Drei Tage im August“ ist eine Ode an Berlin, eine Hommage an jüdische Künstler wie Max Liebermann und Käthe Kollwitz, an die berühmte Prachtstraße Unter den Linden und alles, was Berlin damals ausmachte – die Leierkastenmänner und Blumenmädchen, die Ur-Berliner aus aller Welt und Sawade-Pralinen. Denn Berlin war während der Olympiade, kurz vor dem 2. WK, noch einmal für kurze Zeit bunt, bevor es braun und schwarz wurde.

Der kleine Kosmos Unter den Linden steht für Deutschland, für die Veränderungen, die seinerzeit vor sich gingen. Berlin wurde zwar noch einmal aufgehübscht, aber die alten Linden durch junge Bäume ersetzt und unliebsame Einwohner (wie fahrendes Volk) in Lager gesperrt. Die Leute wusste davon, raunten sich diese Informationen zu, aber man redete nicht öffentlich darüber oder wehrte sich, hatte zu viel Angst.
Die Welt traff sich in Berlin, und für diese kurze Zeit hofften alle, dass es doch keinen Krieg geben würde, dass die Lager nur vorübergehend wären, während Juden wie Franz alles für ein Affidavit gaben und sogar Versprechen gegenüber Freunden brachen.

Elfie ist mir beim Lesen besonders ans Herz gewachsen. Sie ist oft schwermütig, alles außerhalb des Ladens und die Umbrüche machen ihr Angst. Das Sawade ist ihre Insel: „Es ist, als habe die Schönheit der Welt, nach der sich Elfie sehnt, die sie überall sucht, hier im Laden alle Kraft zusammengenommen, nur um ihr zu gefallen.“ (S. 13) Sie ist einsam und lässt niemanden an sich heran, ist vom Alltag abseits des Sawade überfordert. Ihre Großmutter hat ihr immer wieder gesagt, dass sie nichts wert ist und nichts kann. Inzwischen müsste sie es besser wissen, aber sie hat diese Vorwürfe verinnerlicht – kein Wunder, dass sie sich mit den 2. Wahl Pralinen tröstet. Dabei ist sie bei den Kunden sehr beliebt und die Manufaktur auch wegen ihr eine der ersten Adressen in Berlin und darüber hinaus. Ich hätte sie gern in den Arm genommen und getröstet, ihr gesagt, dass sie an sich glauben und Veränderungen zulassen soll, weil die gut sein können. Denn sie hat ein weiches Herz und ist großzügig – aber leider nur anderen gegenüber und nie zu sich selbst.

Anne Stern erzählt von ergreifenden Schicksalen in unsicheren Zeiten, von zarten Annäherungen ungleicher Paare und einer großen, sinnlichen, bittersüßen und leidenschaftlichen Liebesgeschichte – und natürlich von Pralinen in unzähligen Varianten, von denen eine leckerer klingt als die andere ...

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Veröffentlicht am 22.07.2022

Die Jungfrauen-Compagnie

Die Entdeckerin der Welt
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„Ich will, dass die Welt weiß, wer Maria Sybilla Merian war.“ (S. 170)
1691 fängt Maria Sybilla Merian mit 44 Jahren noch einmal neu an. Sie hat sich von ihrem Mann scheiden lassen, weil der auf ihren ...

„Ich will, dass die Welt weiß, wer Maria Sybilla Merian war.“ (S. 170)
1691 fängt Maria Sybilla Merian mit 44 Jahren noch einmal neu an. Sie hat sich von ihrem Mann scheiden lassen, weil der auf ihren Erfolg eifersüchtig war, und die letzten Jahre mit ihren Töchtern Johanna und Dorothea bei den Labadisten gelebt – einer Sekte, in der sie auf persönlichen Besitz und Annehmlichkeiten verzichten mussten. Aber die Labadisten haben in Suriname eine Kolonie gegründet und schicken wunderschön präparierte Schmetterlinge nach Hause, die Maria Sibylla fasziniert und in ihr den Wunsch geweckt haben, selber in den südamerikanischen Regenwald zu reisen. Das ist für eine alleinstehende Frau eigentlich unmöglich und auch fast unbezahlbar. Doch sie ist niemand, der sich davon abschrecken lässt. Um das Geld für die Reise zu verdienen, gründet sie mit ihren Töchtern die „Jungfrauen-Compagnie“, in der sie Zeichenunterricht geben, Auftrags-Illustrationen anfertigen und Farben etc. verkaufen. Allerdings arbeiten Johanna und Dorothea noch unter dem Namen ihrer Mutter, weil der mehr Gewicht hat, schließlich hat sie bereits erfolgreich zwei Raupen- und drei Blumenbücher herausgebracht.

Sybilla hat mir sehr imponiert. Sie ist selbstbewusst, zielstrebig, willensstark und geht keiner Diskussion aus dem Weg oder lässt sich von anderen unterkriegen. Sie erzieht ihre Töchter zu modernen, unabhängigen Frauen und bildet sie zu Künstlerinnen aus. Das natürlich nicht ganz uneigennützig, schließlich müssen sie ihr bei der vielen Arbeit helfen. Außerdem sollen sie selber für ihren Lebensunterhalt sorgen können und nicht von ihren Männern abhängig sein. Johanna muss z.B. in der Zeit, als Maria Sibylla und Dorothea in Suriname sind, die Geschäfte zu Hause weiterführen.

Alexander Schwarz schreibt unglaublich lebendig und lässt Amsterdam als damals drittgrößte Stadt mit seinen Bewohnern und hochmodernen Bauwerken wiederauferstehen, beschreibt aber auch die unschönen Gerüche und verdreckten Krachten. Die Stadt protz mit ihrem Reichtum und hat einen der ersten Botanischen Gärten mit zahleichen Sammlungen und Ausstellungen. Zusätzlich gibt es unzählige private Sammler, die sich „Naturalien-Wunderkammern“ einrichten und alles sammeln, was sich mit Geld beschaffen lässt – je seltener und teurer, desto besser.
Maria Sybilla passt also eigentlich perfekt in diese Szene, zumal sie anbietet, bei ihrer Forschungsreise nach Suriname für Nachschub zu sorgen, wenn man sie finanziell unterstützt – aber das wollen die Männer nicht hören. Also fällt sie eine radikale Entscheidung und verkauft fast alles, was sie besitzt, um die Reisekosten für sich und Dorothea zusammenzubekommen.

„Das Ablegen der Haube … passte zu der neuen Freiheit … Eine Freiheit, die Maria Sibylla sogar bis hier auf den Surinam gebracht hatte.… Sie musste abstreifen, was ihr nicht diente. Sich nicht nach sinnlosen Regeln richten, sondern ihr Leben selbst bestimmen. Eigentlich war das nicht anders als bei den Raupen. Scheinbar hatten sie für jeden Lebensabschnitt eine andere Form, die ihnen in dieser Phase am besten diente, bis sie sich schließlich im wahrsten Sinne des Wortes entfalten konnten und im Fliegen und ihre Schönheit ihre Freiheit fanden.“ (S. 246 / 247)

Auch Suriname mit seiner Tier- und Pflanzenwelt wird sehr farbenprächtig und anschaulich geschildert. Maria Sybillas Illusionen zerschlagen sich schon bei ihrer Ankunft. Das Land lebt vom Zuckerrohr und die Plantagen werden mit unzähligen Sklaven bewirtschaftet. Das Klima ist noch unwirtlicher als erwartet, ihre Kleidung unpraktisch und der Urwald ohne die Sklaven, die ihr den Weg erst freischlagen und sie vor gefährlichen Tieren und Pflanzen schützen müssen, nicht begehbar. Der Kontrast zu Europa könnte kaum größer sein. Da sie gegen die Sklaverei und seine Begleiterscheinungen ist, versucht sie sie wenigstens als (fast) Gleichgestellte zu behandeln. Zudem weist sie die Plantagenbesitzer auf die Grundzüge von Natur- und Umweltschutz hin, prangert die einseitige Bewirtschaftung an. Andererseits überlegen sie bei jedem Tier, wieviel Geld es als Präparat bringen würde. Aber trotz aller Gegensätze und Schwierigkeiten erfüllt sich ihr Lebenstraum im Urwald und sie macht unglaubliche Entdeckungen.

Die Buchreihe heißt ja „Außergewöhnliche Frauen zwischen Aufbruch und Liebe“, doch wer hier eine klassische Liebesgeschichte erwartet, wird vielleicht enttäuscht. Maria Sibyllas Liebe gilt den Schmetterlingen und ihrer Arbeit, ihrem Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit und ihren Töchtern. Ich finde, es ist ein sehr beeindruckendes Porträt einer besonderen Forscherin und Künstlerin, die ihrer Zeit voraus war.

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Veröffentlicht am 19.07.2022

Der lange Weg zurück

Zwei auf einem Weg
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„Wenn ich meinen alten Freund dazu bringen wollte, über die Vergangenheit hinwegzusehen und mich wieder in sein Leben zu lassen, musste ich ihm seinen Traum auf einem Silbertablett servieren.“ (S. 38)
Ein ...

„Wenn ich meinen alten Freund dazu bringen wollte, über die Vergangenheit hinwegzusehen und mich wieder in sein Leben zu lassen, musste ich ihm seinen Traum auf einem Silbertablett servieren.“ (S. 38)
Ein großes Geheimnis, eine kleine Not- und eine richtig große Lüge führen Theo und Joel nach über 13 Jahren wieder zusammen. In ihrer Jugend waren sie beste Freunde, träumte von einer gemeinsamen Karriere als Autoren für Sitcoms, aber dann ist ein Unfall passiert und hat alles verändert.
Für Joel hat sich ihr Traum erfüllt. Aber Theo ist vor zwei Jahren beruflich und privat gescheitert und versteckt sich seitdem im Gartenhaus seiner Eltern vor dem Erwachsenwerden. Ausgerechnet an seinem 30. Geburtstag werfen die ihn raus. „Je länger du hierbleibst, desto schwieriger wird es für dich, wieder den Anschluss zu finden.“ (S. 12) Da meldet sich Joel und erinnert ihn an ihren Plan, den 184 Meilen lange Themsepfad von ihrem Heimatort Kemble bis nach London zu laufen. Wann, wenn nicht jetzt? Tagsüber laufen, abends an ihrem alten Projekt arbeiten, das die BBC jetzt angeblich kaufen will, lockt er Theo. Doch wie schon damals, verschweigt Joel ihm auch heute etwas extrem Wichtiges. Den Grund, warum er sich mit ihm aussöhnen will.

„Zwei auf einem Weg“ ist ein außergewöhnlicher Roadtrip alter Freunde, die sich längst auseinandergelebt, aber nie ganz aus den Augen verloren haben.
Theo war früher schon irgendwie verschoben, trug die falschen Klamotten und die falsche Frisur und wurde in der Schule gemobbt. Joel kam damals neu in die Klasse und hat ihn vor den anderen beschützt, so wurden sie Freunde. Inzwischen ist Theo wieder eine verkappte Existenz, suhlt sich im Selbstmitleid, träumt von einem besseren Leben, aber nimmt es nicht allein in Angriff.
Joel ist ein Star in der Szene, kann sich vor Bekannten und Freunden kaum retten. Doch kaum jemand kennt seine dunkle Seite, dass er ohne seine Freundin Angstzustände bekommt, die er lange mit Alkohol und Drogen betäubt hat. Natürlich gab es Gerüchte, aber zum Glück blieben die zumindest in der Öffentlichkeit ohne Folgen.

Zusammen verfallen sie der Kontemplation des Laufens, schwelgen erst jeder für sich, dann miteinander in Erinnerungen und nähern sich vorsichtig wieder an. Nur was nicht so toll war und ist, wird auf Joels Wunsch hin ausgeklammert – auch wenn Theo immer wieder versucht, hinter sein Geheimnis zu kommen, weil er sieht, dass es ihm nicht gut geht. Und jeder Schritt, den sie in Richtung London gehen, bringt sie auch menschlich wieder näher. Bis zum erneuten großen Knall.

Richard Roper schreibt über eine Jungenfreundschaft in der Kleinstadt, die eigentlich ein Leben lang hätte halten können. Er erzählt von geplatzten Erwartungen und Träumen, von dunklen Geheimnissen und wie schwer es ist, erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Joel musste das schon viel zu früh, während Theo sich immer noch vor seinem Leben bei seiner Familie versteckt. Joel bringt ihn jetzt auf eine Reise, die ihm endlich den Sinn seines Lebens und ein Ziel zeigt, auf dass er zielstrebig zusteuert.
Richard Roper erzählt aber auch vom Wandern, von den Begegnungen mit Menschen und Tieren, von der Ruhe und Natur, und wie entschleunigend so eine Pilgerreise sein kann.

Es ist ein sehr besonderes und emotionales Buch, das mich zu Tränen gerührt und zum Nachdenken anregt hat. Ein echtes Lesehighlight.

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Veröffentlicht am 12.07.2022

Für Kinder ist nur das Beste gut genug

Fräulein Steiff
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Könnt Ihr Euch noch an Euer allererstes Plüschtier erinnern? Meins war ein riesiger Teddy, den ich zur Geburt bekommen habe und der mich meine ganze Kindheit und Jugend begleitet hat. Leider war er nicht ...

Könnt Ihr Euch noch an Euer allererstes Plüschtier erinnern? Meins war ein riesiger Teddy, den ich zur Geburt bekommen habe und der mich meine ganze Kindheit und Jugend begleitet hat. Leider war er nicht von Steiff und auch später habe ich nie ein Steifftier bekommen, dabei gäbe es ohne die Firmengründerin Margarte Steiff heute wahrscheinlich keine Plüschtiere. Nur weil sie für ihre Schwägerin ein Nadelkissen aus Filz in Form eines Elefäntle genäht hat und das ihrem kleinen Neffen so sehr gefiel, ist sie überhaupt auf die Idee der Kuscheltiere gekommen. Zu ihrer Zeit gab es nämlich kein Spielzeug, dass nicht irgendeine Funktion hatte. Mit Zinnsoldaten spielte man Krieg und an Puppen wurde das spätere Mutterdasein geübt. Aber Margaretes Filztiere waren (Spiel-)Gefährten, die man einfach nur liebhaben und mit denen man alles Teilen konnte, egal ob Freud oder Leid: „Sobald ein Kind das Tier in die Hand nimmt, wird es lebendig.“ (S. 38)

Maren Gottschalk schreibt sehr einfühlsam und lebendig über Margaretes Leben Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts in Giengen auf der schwäbischen Alb. Sie erzählt den Werdegang eines willensstarken und intelligenten Mädchens, dass durch eine Kinderlähmung nicht laufen und ihren rechten Arm kaum bewegen konnte, aber immer normal behandelt werden wollte „Ich bin nicht krank … nur laufen kann ich nicht.“ (S. 73) und mit ihrer Mutter deswegen regelmäßig Kämpfe ausfechten musste, die in ihr immer nur eine ewige Last sah, die die Familie durchfüttern muss. Dabei hatte Margarete eigene Pläne. Sie wird Näherin, baut sich erst mit ihren Schwestern und später allein ein Geschäft auf, das letztendlich ein riesiges Familienunternehmen mit Weltruhm wird. Sie reist, lernt Menschen kennen und findet einen Freund fürs Leben – diese zarte „Fast-Liebesgeschichte“ hat mir besonders gut gefallen.

Ich konnte mich aus eigenen ganz ähnlichen Erfahrungen gut in Margarete hineinversetzen und wäre als Kind auch gern schon selbstbewusst gewesen wie sie. Es hat mir imponiert, dass sie trotz der Vorurteile und Bevormundung vor allem durch ihre Mutter stets ihre Ziele verfolgt und Wege gefunden hat, um diese auch zu erreichen. Damals hat man sie bestimmt oft eigensinnig genannt, heute würde man eher selbstbewusst sagen – so sollten Frauen damals nur leider nicht sein. „Sie hatte schon seit jeher den Wunsch, wahrgenommen zu werden, hörbar und sichtbar zu sein, zu zeigen, was sie kann. Respekt zu verdienen.“ (S. 406 / 407)

Für mich ist Fräulein Steiff ein rundum gelungenes, sehr anrührendes und warmherziges Buch, das Margarete lebendig werden lässt und in mir die alte Sehnsucht nach einem eigenen echten Steiff-Bären weckt …

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