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Veröffentlicht am 18.10.2022

Ich steh hier und bügle

Ich steh hier und bügle
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Tillie Olsen war mir bisher vollkommen unbekannt. Die 1912 in Nebraska geborene Tochter jüdischer Einwanderer aus Russland, die junge vierfache Mutter musste ihre fortschrittlichen politischen Ansichten ...

Tillie Olsen war mir bisher vollkommen unbekannt. Die 1912 in Nebraska geborene Tochter jüdischer Einwanderer aus Russland, die junge vierfache Mutter musste ihre fortschrittlichen politischen Ansichten mit künstlerischem Ehrgeiz und Brotarbeit unter einen Hut bringen. Ihre Kurzgeschichte "Ich steh hier und bügle" erschien in »Best American Short Stories of 1957«

Und mit dieser Story beginnt auch die kleine Sammlung an Kurzgeschichten in diesem Band.

Hier erzählt eine Mutter von ihrer Beziehung zu ihrer ältesten Tochter, die sie in den ersten Lebensjahren des Kindes allein großziehen musste, eine schwierige Beziehung, die trotz aller Liebe auch eine gewisse Distanz zwischen Mutter und Kind beinhaltet. Einer ihrer Nachbarn rät ihr "Sie sollten Emily mehr anlächeln, wenn sie sie ansehen" Dieser Satz ist in der Lage einer liebenden Mutter das Herz zu brechen, denn manchmal ist zwischen Alltagssorgen und Geldproblemen nicht viel Platz für Liebesbekundungen, die über saubere Wäsche und regelmäßige Mahlzeiten hinausgehen.
Mit dieser Story erfährt man als Leser gleich, was einen in diesem Buch erwartet, es geht um zwischenmenschliche Beziehungen und diese Beziehungen sind nie einfach, in "He, Seemann, wohin die Fahrt?" besucht der Seemann Whitey eine befreundete Familie, Whitey ist Alkoholiker, eine gescheiterte Existenz, dessen einziger Zufluchtsort die Familie Helens, sein sicherer Hafen ist. Doch auch dort sind die Umstände schwierig. Und doch versucht die Familie alles um Whitey zu helfen, wie es scheint vergebens.
In "O ja" besuchen wir gemeinsam mit der Hauptfigur Carrie einen Gottesdienst einer schwarzen Gemeinde, das Kind ist vollkommen überfordert von dem Ablauf, in dem die Gläubigen ihren Gefühlen, die sie sonst unterdrücken, freien Lauf lassen, das beschreibt die Autorin auf sehr eindringliche Weise und auch wie sehr die einzelnen Gemeindemitglieder Hilfestellung leisten, trösten und in die Arme nehmen. Dieses Verhalten habe ich bisher nie verstanden, erst nach der Lektüre dieser Geschichte habe ich verstanden. Gerade diese Geschichte ist die wohl schwierigste in der kleinen Sammlung, aber auch die wichtigste. Carrie versteht noch nicht, sie ist ein Kind, das hin- und hergerissen zwischen der Freundschaft zu Parry und dem Druck seitens der Schule und ihren dortigen Freunden. Die Freundschaft zu einem farbigen Kind kann zu der Zeit nicht bestehen, will man nicht als Außenseiter enden. Was bleibt ist die Hoffnung, wenn die Mädchen erst einmal erwachsen sind, sie ihre Freundschaft neu knüpfen.

In der letzten Geschichte "Erzähl mir ein Rätsel" geraten wir mitten in einen Ehestreit, während David das Haus, in dem sie ihre Kinder großzogen, verkaufen und in ein Altenheim mit Vollversorgung ziehen will, endlich frei von finanziellen Sorgen und Pflichten möchte, Eva bleiben, wo sie ist, die Stille und den Platz genießen, die weniger werdende Arbeit, die Freiheit dann zu essen, wann sie will, für sich sein.
47 Jahre, Streit, Liebe, Sorgen und Freude, wobei man fast denken könnte, dass der Streit in all diesen Jahren überwog, aus Evas Sicht war es sicher auch so, sie hat sich immer zurückgenommen, mit sieben Kindern blieb ihr auch nichts anderes übrig. Als David erfährt, dass Eva nicht mehr lange zu leben hat, schleppt er sie auf eine lange Reise zu all ihren Kindern ohne ihr den Grund zu verraten.

Die Menschen in Tillie Olsen Geschichten sind alle auf die eine oder andere Art miteinander verbunden, sie beschreibt sie nicht mit ihren körperlichen Merkmalen und doch hatte ich immer ein klares Bild von ihnen vor Augen und auch wie sie lebten konnte ich mir gut vorstellen, das hätte ich zu Beginn der Lektüre nicht erwartet, denn der Schreibstil der Autorin ist sehr knapp und sehr kurz, das muss man mögen. Ich mag ihn, einen ganzen Roman in diesem Stil zu lesen, wäre zwar sicherlich etwas anstrengend, aber in der vorliegenden Form ist die Lektüre zwar eine Herausforderung, aber auf eine gute Art, die mich am Ende zufrieden zurückließ.


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Veröffentlicht am 12.10.2022

Die Abartigen

Karawane nach Cood
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In einer Welt, in der jeder so leben kann, wie er mag, in der Schule gelehrt wird, dass alle Menschen gleich sind, müssen Mikail und seine Familie ein schwerwiegendes Geheimnis bewahren, ein Geheimnis, ...

In einer Welt, in der jeder so leben kann, wie er mag, in der Schule gelehrt wird, dass alle Menschen gleich sind, müssen Mikail und seine Familie ein schwerwiegendes Geheimnis bewahren, ein Geheimnis, das ans Licht zu kommen droht, wenn er die sicheren Stadtmauern verlässt. Als es eines Tages so weit ist und er gemeinsam mit seinem besten Freund Loris an einer Karawane teilnehmen darf, die sie in die Stadt Cood führt, der Stadt am Meer weit weg von seiner Heimatstadt Or, doch der Weg dorthin ist weit und gefährlich.

Achtung, der folgende Text kann Spuren von Spoilern enthalten.

Bisher kannte ich von dem Autor Sascha Raubal nur seine humorvollen Bücher über den Privatdetektiv Kurt Odensen, um so gespannter war ich auf Die Abartigen, einer Fantasyreihe, die in einer auf den ersten Blick fast perfekten Welt spielt, sieht man von den Unwägbarkeiten der Natur einmal ab, mit denen sich die Bewohner dieser Welt aber gut arrangiert haben.

Jeder darf leben wie er will, solange er niemandem schadet, er darf lieben, wen er will und das erzählt der Autor mit einer erfrischenden Selbstverständlichkeit, das war schon mal der erste Pluspunkt von vielen, den diese Geschichte von mir erhält, den zweiten Pluspunkt bekommt sie wegen der einfachen und klaren Sprache, die das Buch auch für jüngere Leser gut verständlich macht und sie trotzdem nie das Gefühl haben werden nicht ernst genommen zu werden. Nun muss niemand damit kommen, dass auch Sex und Gewalt in diesem Buch vorkommen, beides hält sich in Grenzen und im Werbefernsehen bekommt man heute mehr zu sehen.

Weitere Pluspunkte sind der Schreibstil, die Handlung, die liebevoll beschriebenen Protagonisten, die Ortsbeschreibung, eigentlich ist mir nichts Negatives aufgefallen.

Jedoch ist in dieser Welt aber auch nicht alles nur Friede, Freude, Eierkuchen, ab und an kommen Kinder zur Welt, die anders sind, die mit einem Makel geboren werden: Die Abartigen
Was mit diesen Kindern geschieht, wird zunächst nur angedeutet und auch was das mit ihren Eltern macht, erfahren die Leser erst nach und nach. Diese Kinder müssen dem Rat gemeldet werden, sobald sie diesen Makel feststellen, geschieht dies nicht, sehen die Reinheitsgesetze genaue Strafen dafür vor. Mehr verrate ich an dieser Stelle aber nicht. Ich komme jetzt zu den Protagonisten.

Da ist zunächst einmal Mikail, er ist noch nicht ganz 20 Jahre alt, als er seinen Freund Loris auf der Karawane begleiten darf, zwar erschreckt ihn die Situation, aber sie erfüllt ihn auch mit Vorfreude und Stolz. Sein Leben verläuft bisher in ruhigen Bahnen, geprägt von harter Arbeit auf dem elterlichen Hof und der Liebe seiner Eltern. Mikail ist verliebt in Lia, der jüngeren Schwester Loris, für ihre Gesellschaft ungewöhnlich, wollen die beiden sich füreinander aufsparen, bis sie zu Gefährten werden, das heißt auch das sie keine anderen Gelegenheiten zum Sex mit anderen wahrnehmen, das spricht für Mikail, denn niemand würde so ein Verhalten missbilligen. Lieben und Lieben lassen.

Loris ist das genaue Gegenteil, er hat seine Bestimmung im Leben noch nicht gefunden, weder was seinen Beruf angeht noch, was Frauen betrifft, er lässt keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen. Die einzige Konstante in seinem Leben ist die Freundschaft zu Mikail und seine Familie. Allerdings steht er staunend vor den technischen Errungenschaften in Cood, deren Aufbau und Funktion er sich genau erklären lässt und die er mit erstaunlicher Auffassungsgabe auch versteht, seine Auffassungsgabe und seine Gabe Situationen schnell zu erkennen und entsprechend zu handeln lassen mich so einiges vermuten.

Dafür, dass das Buch gerade mal 243 Seiten umfasst, habe ich erstaunlich viel geschrieben und ich könnte noch eine Weile so weiter machen, so sehr hat mich die Geschichte begeistert. Die Abartigen gehört zu den Büchern, die uns trotz aller Unterhaltung zum Nachdenken anregen, darüber, wie wir mit denen umgehen, die nicht in unser Weltbild passen, weil sie vielleicht von der Norm abweichen. Aber ihr solltet das Buch natürlich selber lesen.

Ich vergebe für Die Abartigen ein

Absolut lesenswert

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Veröffentlicht am 23.09.2022

Wenn der Nebel schweigt

Wenn der Nebel schweigt
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Das Tal, so wird der Ort genannt, an dem Jana aufwuchs, was so idyllisch klingt, ist in der Realität ein nebliger ungemütlicher Ort, den Jana seit Jahren meidet, nichts zieht die junge Frau nach Hause. ...

Das Tal, so wird der Ort genannt, an dem Jana aufwuchs, was so idyllisch klingt, ist in der Realität ein nebliger ungemütlicher Ort, den Jana seit Jahren meidet, nichts zieht die junge Frau nach Hause. Zu ihrem Vater hat sie kaum noch Kontakt und ihre Mutter ist seit Jahren tot, sie wurde ermordet und der Täter wurde nie ermittelt, obwohl ihr Vater der Hauptverdächtige war, konnte ihm der Mord nie nachgewiesen werden. Eines Tages erhält Jana eine dringende Nachricht von einem Freund ihres Vaters, sie müsse sofort nach Hause kommen, um ihren Vater stünde es schlimm. Widerwillig kehrt sie heim und erlebt einen Schock, ihr Elternhaus ist bis unters Dach vermüllt. Beim Versuch etwas Ordnung zu schaffen macht sie eine Entdeckung, die alles verändert.

Ich habe mich sehr auf das neuste Werk Roman Klementovic gefreut, ich kannte schon frühere Werke des Autors und mag die Art und Weise wie er schreibt sehr, seine Storys sind immer wieder für eine Überraschung gut, als Leser weiß man nie was als nächstes passiert, überraschende Wendungen sorgen für Abwechslung und seine ruhige Art zu erzählen hebt sich wohltuend von vielen reißerischen und bluttriefenden Thrillern ab. (nicht falsch verstehen, die liebe ich auch, aber Abwechslung verhindert Leseflauten). Seine Charakterbeschreibungen lassen die Personen lebendig werden und zwingt einen schnell dazu Sympathien und Antipathien zu verteilen, ob die Einordnung immer gerechtfertigt ist, eröffnet sich erst während des Lesens, also wie im richtigen Leben.

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Veröffentlicht am 31.07.2022

Blut der Drachen

Blut der Drachen
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Mit dem vierten Teil finden die Regenwildnis-Chroniken einen würdigen Abschluss, auch wenn die Autorin hier noch einiges der Fantasie ihrer Leser überlässt. Die Autorin nimmt uns mit nach Kelsingra, der ...

Mit dem vierten Teil finden die Regenwildnis-Chroniken einen würdigen Abschluss, auch wenn die Autorin hier noch einiges der Fantasie ihrer Leser überlässt. Die Autorin nimmt uns mit nach Kelsingra, der Stadt der Drachen, die nach und nach ihre Geheimnisse preisgibt und damit immer greifbarer wird, die Stadt erwachte vor meinem inneren Auge mehr und mehr zum Leben. Allerdings hat Kelsingra auch am Ende der Reihe noch längst nicht alle Geheimnisse preisgegeben, doch so wie mein Bild der Stadt wuchs, so wuchs auch mein Bild der Protagonisten, da ist Alise, die zunächst dagegen war, dass Kelsingra von den Hütern und Drachen in Besitz genommen wurde, sie will alles bewahren so wie sie es vorgefunden hatten, um die Stadt und ihre Geheimnisse zu erforschen, doch im Laufe der Zeit muss sie einsehen, dass sie sich eine andere Aufgabe suchen muss denn Kelsingra gehört den Drachen und den Uralten.
Und da ist da natürlich noch Thymara, die sich lange selbst im Wege stand, ihre Erziehung und die Regeln ihrer Heimat blockierten ihre innere Freiheit, was sie meiner Meinung nach auch daran hinderte sich entweder für Tats oder Rapskal zu entscheiden.

Und die Drachen?

Es war eine Freude ihre Entwicklung zu verfolgen, von erschöpften Seeschlangen über missgestaltete Drachen zu den Herrschern der Lüfte, die stolz und arrogant und so gar nicht liebenswert nur auf ihre Bedürfnisse achten, ihre Hüter sind nur dazu da sie zu pflegen und zu nähren und sie im schlimmsten Fall mit dem eigenen Leben zu verteidigen und doch konnte ich nicht genug von ihnen bekommen. Und ich muss zugegeben, ihren Rachegedanken gegen ihre Peiniger aus Chalced durchaus begrüßt habe.

Die Regenwildnis-Chroniken sind ein besonderes Leseerlebnis das ich gern weiterempfehle.



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Veröffentlicht am 16.04.2022

Warten auf ein Wunder

Warten auf ein Wunder
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Zwei Frauen, getrennt durch viele Jahrzehnte, vereint durch eine gemeinsame Hoffnung. Anna McPartlin erzählt dramatisch, witzig, rührend und lebensnah wie keine Zweite.

2010: Als Caroline ihren verzweifelten ...

Zwei Frauen, getrennt durch viele Jahrzehnte, vereint durch eine gemeinsame Hoffnung. Anna McPartlin erzählt dramatisch, witzig, rührend und lebensnah wie keine Zweite.

2010: Als Caroline ihren verzweifelten Wunsch nach einem eigenen Kind gegen alle Versprechen nicht aufgeben kann, verlässt ihr Mann sie, er kann die Verzweiflung und die Trauer bei jedem gescheiterten Versuch trotz aller Liebe nicht mehr ertragen.

Mit 16 Jahren wird Catherine schwanger, im Jahr 1976 in Irland kommt das einer Katastrophe gleich, ihr Freund, der Vater des Kindes weigert sich Verantwortung zu übernehmen und Catherine bringt ihr Kind in einem Magdalenenheim zur Welt.
(“Magdalenenheime“ wurden ursprünglich als Auffanghäuser für sogenannte “gefallene“ Mädchen eingerichtet. Doch vor allem in Irland entwickelten sie sich unter dem Deckmantel der Kirche zu Arbeitslagern, in denen junge Mädchen unbezahlter Zwangsarbeit ausgesetzt wurden.)
Verzweifelt versucht sie, ihr Kind zu behalten, doch Catherine hat keine Chance, gegen die hartherzigen Nonnen anzukommen und so bleibt ihr nur der Wunsch und der feste Wille, ihr Kind, das sie Daisy nennt, wiederzufinden.


Durch reinen Zufall las ich vor einigen Jahren den Roman «Die letzten Tage von Rabbit Hayes» der Autorin Anna McPartlin und ich war mehr als angenehm überrascht, als ich dann mitbekam, dass es ein neues Buch mit einem sehr interessanten Thema von ihr erschienen ist, musste ich das einfach lesen.

Und ich wurde nicht enttäuscht, sehr einfühlsam beschreibt die Autorin die Situation.
Für uns ist es aus heutiger Sicht unvorstellbar, wie im Namen des Herrn mit den jungen Frauen umgegangen wurde, die ungewollt oder einfach minderjährig schwanger wurden und in einem der Heime landeten, körperliche und seelische Misshandlungen waren an der Tagesordnung. Das zu lesen, ist nicht immer leicht zu ertragen. Genauso wie schwierig ist es von den Kämpfen der Frauen zu lesen, die sich nichts weniger wünschen als ein eigenes Kind. Außer Caroline, lernen wir noch Janet, Natalie und Ronnie kennen, die vier verbindet dieser kaum zu stillende Wunsch. Verstehen kann das in seinem ganzen Ausmaß wohl nur jemand der ebenfalls in dieser Situation war, aber die Autorin schafft es das Gefühl ganz nah an ihre Leser zu bringen.

Trotz aller Ernsthaftigkeit der angesprochenen Themen, bleibt eine Leichtigkeit in der Art und Weise wie Anna McPartlin schreibt erhalten, die das Lesen zu einem Vergnügen macht, bei dem sich Trauer und Schmunzeln wohldosiert abwechseln. Da gebührt sicherlich auch der Übersetzerin Sabine Längsfeld die Anerkennung für die gute Arbeit.

Ich spreche sehr gern eine Leseempfehlung aus.

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