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Veröffentlicht am 28.04.2023

Zero 10 taucht ab

Going Zero
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Es ist ein groß angelegtes Experiment und gleichzeitig ein lukratives Spiel: Zehn zufällig ausgesuchte Menschen müssen sich dreißig Tage dem Zugriff der besten Agenten und Cyber-Nerds Amerikas entziehen. ...

Es ist ein groß angelegtes Experiment und gleichzeitig ein lukratives Spiel: Zehn zufällig ausgesuchte Menschen müssen sich dreißig Tage dem Zugriff der besten Agenten und Cyber-Nerds Amerikas entziehen. Sie müssen abtauchen, offline gehen, vom Radar verschwinden; sie dürfen nirgendwo Spuren hinterlassen, denn ihre Jäger sind überall und sie verfügen über ein gigantisches Netzwerk an Computern, Kameras und Hightech-Drohnen, um selbst den cleversten Flüchtling wieder aufzuspüren. Am Ende der dreißig Tage warten drei Millionen Dollar auf denjenigen, der sich bis dahin allen Verfolgern entzogen hat.

Eigentlich kein Spiel für Kaitlyn Day, Bibliothekarin und von allen als graue Maus gesehen - keine Stunde wird sie dort draußen durchhalten, prophezeit man ihr. Doch Kaitlyn, die jetzt als Zero 10 durch die Vereinigten Staaten gehetzt wird, ist Tech-Mogul Cy Baxter und seinem Team immer eine Nasenlänge voraus. Und womit keiner gerechnet hat: Sie hat eine Mission - und nichts mehr zu verlieren!

Anthony McCartens Paranoia-Tech-Dystopie "Going Zero" fängt im Kleinen an und baut ihre Bedrohung Seite um Seite immer dichter und gefährlicher auf. Damit gelingt dem Autor ein Thriller, der Zukunftsvisionen wie Orwells "1984" mit Pageturnern vom Schlage John Grishams oder Michael Crichtons verschmilzt und mit seiner hochintelligenten Dynamik und packender Schreibe auch den skeptischsten Adrenalinjunkie aus dem Sessel hebt. Den Sternabzug gibt es einzig und allein für einige dieser typischen Implausibilitäten, die man heutzutage wohl in jedem zu ambitioniert konstruierten Bestseller vorfindet, aber für jeden Thrillern sollten derlei Kleinigkeiten das Vergnügen auf keinen Fall schmälern. Hochspannungslektüre für Strandkorb und Ferienhaus-Terrasse - auch zu Hause mehr als nur genießbar!

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Veröffentlicht am 04.04.2023

Nordischer Genremix

30 Tage Dunkelheit
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Eine literarisch hochgelobte, aber kommerziell völlig erfolglose Schriftstellerin muss nach einem Streit auf der Buchmesse, der in einem Mediendebakel und einer im Affekt erfolgenden Trotzreaktion endet, ...

Eine literarisch hochgelobte, aber kommerziell völlig erfolglose Schriftstellerin muss nach einem Streit auf der Buchmesse, der in einem Mediendebakel und einer im Affekt erfolgenden Trotzreaktion endet, zu sich selbst und ihrem nächsten Roman finden (ausgerechnet, in Folge des oben erwähnten Debakels, ein Krimi) - und landet deswegen in einem abgelegenen Kaff in Island, um in dreißig Tagen ein Buch aus dem Ärmel zu schütteln. Kurz nach ihrer Ankunft gibt es schon einen Toten zu beklagen, und die Dinge nehmen im kalten Norden ihren unvermeidlich spannenden Verlauf ...

Mit seiner exzentrischen Hauptfigur Hannah Krause-Bendix punktet "30 Tage Dunkelheit" von Beginn an mit spielerischer Leichtigkeit. Die grantige, zynische und menschenscheue Autorendiva mit Hang zu Rotwein und Zigaretten ist so herrlich anders und reüssiert meisterhaft als fast schon verschmitzt über die eigene Frechheit grinsender Gegenentwurf zur klassisch geprägten Romanheldin in der Literatur. Spätestens wenn Hannah am ersten Morgen in hohem Bogen über den Frühstückstisch ihrer Gastgeberin kotzt, weiß der geneigte Leser, dass Jenny Lund Madsen hier keine Fish-out-of-Water-Romanze erzählt, die man aufgrund der Ausgangssituation schon fast vermuten könnte, sondern ihren Krimi langsam und mit brillanter Bissigkeit entwickelt ... und das ganz ohne in die typischen Fallen zu tappen, die in diesem Genre (irgendwo zwischen Cozy Mystery und Scandi Noir) natürlich durchaus lauern können. Ein Genuss für Leute, die ihre Stereotypen gern ironisch gebrochen serviert bekommen.

Und keine Angst, es wird schon recht bald spannend und sogar düster, ohne dass die Autorin sich selbst oder ihre (Anti-)Heldin verrät - und damit entsteht ein Thriller, der vehement differenzierter und soviel besser ist als das, was man erwartet hat. Und ganz ehrlich: Das ist gut so!

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Veröffentlicht am 08.01.2023

Groschupf hat's drauf - meistens.

Die Stunde der Hyänen
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Johannes Groschupf ist Berlin-Chronist durch und durch ... mit Leidenschaft wühlt er sich durch den Unterbauch einer kalten Metropole, greift sich die Verlierer der Gesellschaft heraus und macht sie zu ...

Johannes Groschupf ist Berlin-Chronist durch und durch ... mit Leidenschaft wühlt er sich durch den Unterbauch einer kalten Metropole, greift sich die Verlierer der Gesellschaft heraus und macht sie zu seinen unwahrscheinlichen Protagonisten. Das war schon in "Berlin Prepper" und erst recht im Hardboiled-Gangster-Thriller "Berlin Heat" so - und auch "Die Stunde der Hyänen" fällt hier wenig aus dem Raster. Ein Krimi oder Thriller ist Groschupf' neuer Roman trotz eines Serienbrandstifters, vielfachem sexuellem Missbrauch und diverser Gewalttaten dennoch nicht, sondern vielmehr eine genau beobachtete Milieustudie aus den sozial benachteiligten Vierteln der Hauptstadt. Das macht aber nichts, denn die Spannung kommt aus seinen Figuren, die allesamt mindestens einen Knacks haben: Maurice, der unauffällige Postbote, der nach Dienstschluss in einer Sekte um Gottes Gunst fleht und nachts die Autos auf den Straßen anzündet. Jette, die Zeitungsreporterin, die eigentlich viel zu selbstbewusst ist und sich trotzdem von ihrem Freund verprügeln lässt. Und Romina, die Roma-stämmige Polizistin, die nicht ernst genommen wird und die man quer durch die Dienststelle mobbt. Zusammen streifen sie durch das Dunkel von Berlin, getrieben von ihren eigenen Dämonen und einer verständnislosen Umwelt. Man leidet mit ihnen, versteht ihren Zynismus und Zorn und wünscht sich für alle einen Neuanfang ...

Ein bisschen liegt da auch der (Story-)Hase im Pfeffer: Über all den starken Charakterporträts verliert Johannes Groschupf gegen Ende ein bisschen den Fokus seiner Geschichte aus den Augen. Nicht alle persönlichen Handlungsstränge werden kathartisch oder wenigstens versöhnlich aufgelöst, die polizeilichen Ermittlungen verlaufen teilweise höchst fragwürdig im Sand und die Entwicklung einer sehr zentralen Figur nimmt mehrfach eine höchst eigenwillige Wendung, als sie Berlin verlässt, obwohl der aus der Figurenperspektive geschriebene Text zuvor nicht ein einziges Mal auf einen derartigen charakterlichen Wandel schließen ließ. Da geht dann ein bisschen der Deus ex Machina mit Groschupf durch, der am Ende sichtlich Mühe hat, alle seine Stränge zu verknüpfen. Das trübt ein wenig die Lesefreude (vor allem, wenn man den ähnlich pessimistischen, aber dennoch hervorragend konstruierten Vorgänger "Berlin Heat" zum Vergleich heranzieht), aber wie immer ist hier auch der Weg das Ziel. Und auf dieser Achterbahn hat der geneigte Leser auf jeden Fall Spaß - der recht abrupte Bremser bei der Zieleinfahrt gehört halt bei jedem Rummel irgendwie dazu. Daher immer noch nahezu uneingeschränkte Leseempfehlung für Liebhaber harter und urbaner Noir-Literatur. Bis zum nächsten Mal, Herr Groschupf!

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Veröffentlicht am 21.08.2022

Klassische Fantasy frisch erzählt!

Der schwarzzüngige Dieb (Schwarzzunge, Bd. 1)
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"Der schwarzzüngige Dieb" mag mit seinem etwas sperrigen deutschen Titel zwar nicht gerade einen Innovationspreis gewinnen (zumindest ist er relativ originalgetreu aus dem Englischen übertragen worden), ...


"Der schwarzzüngige Dieb" mag mit seinem etwas sperrigen deutschen Titel zwar nicht gerade einen Innovationspreis gewinnen (zumindest ist er relativ originalgetreu aus dem Englischen übertragen worden), aber schon auf den ersten Seiten präsentiert sich der Auftakt der geplanten Trilogie als moderne Fantasy im besten Licht. Dabei erinnert Christopher Buehlmans erfrischend respektloser Umgang mit seinen Figuren bisweilen an die Ursprünge der aktuellen (bzw. schon fast wieder abflauenden) Grim-Dark-Bewegung, bleibt aber im Vergleich zu den bekanntesten Vertretern des Genres wie etwa Joe Abercrombies "First Law"-Saga gerade in der Charakterentwicklung nahbarer und reflektiert seinen Humor eher ironisch als hoffnungslos zynisch.

Inhaltlich geht es natürlich weitestgehend klassisch zu, aber das ist auch durchaus gut so: Schnell fühlt man sich als Leser heimisch zwischen Landstraße und Gasthaus, im altvertrauten Setting mit ähnlichen Archetypen, humorvollen Einwürfen und einem Einstand in ein Abenteuer, das Lust macht auf mehr. Die zusammengewürfelte Truppe hat genügend Reibungspunkte, um interessante Gruppenkonflikte zu garantieren, die Queststruktur passt sich perfekt in die Erzählweise ein und das World Building ist wundervoll bodenständig und versteigt sich nicht in verkopften Versuchen, besonders originell zu sein. Klingt nicht wie ein Lob, ist aber durchaus so gemeint. "Der schwarzzüngige Dieb" erschafft eine Welt, in die man als Leser gern eintaucht - und auf jeden Fall gern zurückkehrt ...

Besondere Erwähnung verdient auch der fast schon selbstverständliche, aber immer wieder erfreuliche Standard der Hobbit-Presse-Veröffentlichungen bei Klett-Cotta: Das Hardcover sieht gut aus, wirkt mit seiner farblich toll gestalteten Front-Illustration extrem hochwertig und hält natürlich auch das übliche Kartenwerk bereit (diesmal hinten statt vorn, aber das sind nur ganz kleine Meckerdetails). Hier fühlt man sich als Fantasy-Fan immer gut aufgehoben, und gar keine Frage - dafür muss es ganz einfach auch die volle Punktzahl geben. Zugreifen!

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Veröffentlicht am 01.05.2022

Ultimativ New York!

New York und der Rest der Welt
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Es hat fast fünfzig Jahre gedauert, bis es die scharfzüngige Schreibe von Fran Lebovitz nach Deutschland geschafft hat. "New York und der Rest der Welt" ist die Gesamtveröffentlichung zweier Sammelbände, ...

Es hat fast fünfzig Jahre gedauert, bis es die scharfzüngige Schreibe von Fran Lebovitz nach Deutschland geschafft hat. "New York und der Rest der Welt" ist die Gesamtveröffentlichung zweier Sammelbände, von denen der erste bereits 1978 (und der folgende drei Jahre später) in den Staaten erschien und enthält die besten Essays aus Fran Lebovitz' umfangreichem satirischem Werk - staubtrocken erzählte und gerade deswegen so brüllend witzige Perlen der alltäglichen Beobachtung des Großstadtlebens, die zwischen Anfang der 70er und Anfang der 80er entstanden und dennoch erstaunlich zeitlos sind. Das ist im Prinzip das literarische Äquivalent eines frühen Woody-Allen-Films - eine hemmungslos verklärte Liebeserklärung an die Stadt New York, ihre durchgeknallten Bewohner und deren permanente Neurosen. Wer da nicht sofort ein Ticket in die Stadt, die niemals schläft, buchen möchte, dem ist irgendwie auch nicht mehr zu helfen.

Fran Lebovitz ist wirklich eine ganz Große, nicht erst seit ihrer Netflix-Serie, in der die einstige Weggefährtin von Andy Warhol und spätere Kolumnistin der "Vanity Fair" von ihrem Freund Martin Scorsese über sieben Folgen hinweg liebevoll ruppig porträtiert wird. Stilikone, Komikerin, spröde Muse und resolute Intelligenzlerin - das ist Fran in ihrer Gesamtheit und ihre hier versammelten Stadtvignetten sprühen vor süffisanter Streitbarkeit, Freude an detaillierter Beobachtung und Spaß am Wort. Ihre Begegnungen mit "hörbar braungebrannten" Agenten, sympathischen Großstadtmacken und den ganz normalen Verrücktheiten des urbanen Alltags sind eine Oase kostbaren Wassers in einer Wüste an gleichgeschalteter Problem- und Genreliteratur. Medizin für die Pandemiekrise und Futter fürs Hirn - etwas anderes als eine unbedingte Leseempfehlung braucht hier gar nicht diskutiert zu werden.

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