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Veröffentlicht am 20.07.2017

Murphy's Law

Hundert Lügen
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Kris ist 17 und hat Probleme. In der Schule, im Sozialverhalten, ganz allgemein. Da hilft ihm auch sein Psychologe nicht viel, der den berühmten Namen Murphy trägt. Denn Kris' Vater ist ein menschlicher ...

Kris ist 17 und hat Probleme. In der Schule, im Sozialverhalten, ganz allgemein. Da hilft ihm auch sein Psychologe nicht viel, der den berühmten Namen Murphy trägt. Denn Kris' Vater ist ein menschlicher Hai, einer, der Firmen aufkauft, kaputt macht, teuer weiterverkauft. Er ist reich, er ist bekannt, er bekommt Drohbriefe. Aufgrund dieser ernstzunehmenden Drohbriefe holt er die Kinder seiner ersten Ehe zu sich in die Schweiz, und Kris und seine Schwester Manon sehen sich nach zwei Jahren das erste Mal wieder. Es ist Zeit, Murphy's Law zu befolgen: Stell dich deiner Angst. Als Kris und Manon diesen Ratschlag beherzigen, brechen alte Wunden auf, Erinnerungen durch und Lügen ein. Was ist wirklich vor 10 Jahren passiert?

Das ist wirklich mal ein Buch, das zu fesseln weiß. Die Geschichte von Kris und Manon, die in ihrer frühesten Kindheit ein extremes Trauma durchmachen mussten und darüber zehn Jahre lang belogen wurden, so dass sie nie eine Chance hatten, es aufzuarbeiten, ist einfach nur gut geschrieben. Ich habe sowohl mit Kris als auch Manon, die abwechselnd zu Wort kommen, absolut mitleiden können, habe ihren Vater und den Oberaufseher Alex gehasst, Wachmann Claudio verachtet und tatsächlich Sympathie für Kidnapper empfunden, die sich nicht mehr anders zu helfen wussten. Die Liebesgeschichte, die vorkommt ist genial dezent und geht niemandem mit Gedöns und Gesülze auf die Nerven, und eine Message ohne erhobenen Zeigefinger ist auch zu finden. Ein Klassebuch, das aus dem Jugendbucheinheitsbrei herausragt.

Veröffentlicht am 06.07.2017

Homecoming

Harry Potter und die Kammer des Schreckens (Schmuckausgabe Harry Potter 2)
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Ich habe seit Jahren kein Harry-Potter-Buch mehr (wieder)gelesen. Doch als jetzt die illustrierten Ausgaben rauskamen, führte kein Weg vorbei. Mit dem Inhalt fasse ich mich kurz - wer den noch nicht kennt, ...

Ich habe seit Jahren kein Harry-Potter-Buch mehr (wieder)gelesen. Doch als jetzt die illustrierten Ausgaben rauskamen, führte kein Weg vorbei. Mit dem Inhalt fasse ich mich kurz - wer den noch nicht kennt, hat eh die Welt verpennt.

Harrys zweites Schuljahr hat schon recht holprig begonnen. Ich sag nur fliegende Autos, peitschende Weide, Gilderoy Lockhart. Und dann diese Stimme in seinem Kopf - wird er verrückt? Natürlich nicht, wir reden hier von Harry Potter. Und der Tatsache, dass es immer noch jemand auf sein Leben abgesehen hat, der dessen Name nicht genannt wird. Etwas Fieses hat der sich einfallen lassen, etwas, das er schon in seiner Jugend hat einfallen lassen. Und dann ist da noch eine Riesenschlange, Hermine, die Vielsafttrank in einer Toilette braut, ein Blender-Professor und jede Menge Freundschaft. Harry-Potter-Bücher sind wie nach Hause zu kommen, wo man von seiner ganzen Familie erwartet wird, umarmt und gedrückt und mit diesem tiefen Seufzer, dem Loslassen, dem Entspannen, obwohl man gar nicht wusste, dass man verspannt ist.

Diese Illustrationen sind geil, einfach nur geil. Manchmal hätte ich mir sogar noch mehr davon gewünscht, aber die Illustrationen, die da sind, treffen die Geschichte oder die Protagonisten perfekt. Es ist, als hätte Jim Kay in J. K.'s (hey, die gleichen Initialen haben doch bestimmt nichts zu sagen - it's magic, I believe in magic!) Kopf gesessen und genau gewusst, wie er das Buch noch einmal mehr zum Leben erwecken könnte. Ja, ich bin erwachsen, jedenfalls offiziell. Nein, ich habe nicht aufgehört, auf meinen Hogwartsbrief zu warten. Bis dahin warte ich einfach auf die nächsten illustrierten Ausgaben zweier Genies: Rowling und Kay.

Veröffentlicht am 25.06.2017

Lasst die Welt herein

Was man von hier aus sehen kann
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Ich will, dass dieses Buch einen Preis erhält. Mir egal, welchen. Deutscher Buchpreis, Nobelpreis, irgendwas. Denn, liebe Leute und Leutinnen, das ist mal ein Buch, das einen Preis verdient. Das ist ein ...

Ich will, dass dieses Buch einen Preis erhält. Mir egal, welchen. Deutscher Buchpreis, Nobelpreis, irgendwas. Denn, liebe Leute und Leutinnen, das ist mal ein Buch, das einen Preis verdient. Das ist ein Buch, das eine Geschichte erzählt, die zusammengefasst so banal klingt, wie es sich für ein buchpreisgeehrtes Buch gehört, aber es überhaupt nicht ist. Das ist ein Buch, das eine Sprache besitzt, die mitnimmt, berührt, von den alltäglichsten Dingen plaudert, und doch keineswegs alltäglich ist. Das ist eine Geschichte, die keine Werbung für die Raucherindustrie macht, die nicht political correct von Flüchtlingen spricht, und doch das Leben hereinlässt, vielleicht sogar die Welt. Ich kann dieses Buch nicht genügend in einer Rezension würdigen, aber ich kann es wenigstens versuchen.

Selma ist eine alte Frau aus dem Westerwald. Ausgerechnet sie, die niemals herausgekommen ist aus ihrem winzigen Ort, träumt von einem Okapi. Und zwar immer kurz bevor jemand stirbt. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Niemand weiß, wen es treffen wird, doch alle drehen am Rad. Und manchmal sterben auch Leute, die es nicht verdient haben. Martin zum Beispiel, der zehnjährige Freund der gleichaltrigen Luisa, welche die Enkelin von Selma ist. Und Luisa übernimmt für uns auch den Part der Erzählerin, in der Ich-Form, was nichts daran ändert, dass auch andere zu Wort kommen. Selma sowieso, der Optiker, der im ganzen Buch nur einmal bei seinem Namen genannt wird, und der seit mehr als vier Jahrzehnten in Selma verliebt ist. Luises Vater, Elsbeth, Selmas Schwägerin, Marlies, die niemanden an sich heran- und niemanden zu sich hereinlassen will, nicht einmal die Welt. Dann ist da noch Felix, der eigentlich in einem Kloster in Japan lebt und trotzdem Luise näher kommt als jeder andere.

Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Man taucht in diesen Mikrokosmos ein, ist sofort dabei und gehört dazu, zur Welt, zum Dorf, zur Familie. Ich habe geschmunzelt, die Stirn gerunzelt, die Augenbrauen hochgezogen, mitgelitten. Mann, habe ich teilweise mitgelitten, logisch, das tut man, wenn in der Familie was passiert. Und dann diese Sprache. Diese außergewöhnliche, unglaubliche Sprache, die sich an keine Vorschriften oder Konventionen hält, die Regeln bricht, bewusst, obwohl sie bekannt sind, und gerade dadurch eine Enge, einen Bezug zum Erzählten schafft, den ich so noch nie vorher erlebt habe. Dieses Buch gehört eigentlich überhaupt so gar nicht zu dem, was ich üblicherweise lese, und vielleicht hat es mich gerade deshalb so aus den Socken gehauen. Lest es. Verdammt noch mal, lest es, wenn ihr jemals ein Buch mit literarischem Anspruch lesen wollt.

Veröffentlicht am 19.06.2017

Gegen Pest und Mordsgesindel

Der Blackthorn-Code – Die schwarze Gefahr
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1665 wird London von der Pest heimgesucht, pro Tag sterben tausende Menschen, und es gibt einfach kein Heilmittel dagegen. Oder doch? Ein Prophet taucht auf und verkündet, wer die nächsten Opfer sein werden, ...

1665 wird London von der Pest heimgesucht, pro Tag sterben tausende Menschen, und es gibt einfach kein Heilmittel dagegen. Oder doch? Ein Prophet taucht auf und verkündet, wer die nächsten Opfer sein werden, zur selben Zeit erscheint ein Apotheker namens Galen, dem es gelingt, vor den Augen von Pestärzten ein paar der Opfer zu heilen. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse, Galen wird angewiesen in der Blackthorn-Apotheke sein Mittel herzustellen, und Christopher kann nicht verhindern, dass ein Attentat auf ihn verübt wird, das er nur durch Glück überlebt. Plötzlich erkrankt auch noch Tom, und Christopher hat alle Hände voll zu tun, nicht nur der Pest zu entkommen, sondern auch perfiden Mördern, die den Aberglauben und die Verzweiflung der Londoner ausnutzen. Wie üblich ist es ihm eine große Hilfe, dass er von seinem Meister zu logischem Denken und Codeknacken ausgebildet wurde ...

Wie schon im ersten Abenteuer von Christopher und Tom ist auch dieses hier genial erdacht und geschrieben. Eine neue Freundin kommt hinzu, Sally, die er bereits aus dem Cripplegate-Waisenhaus kennt. Die Schrecken der Pest und die Angst der Menschen wird eindringlich festgehalten, obwohl es auch an Humor nicht mangelt, und mit einem gewitzten Jungen wie Christopher, seinem treuen Freund Tom und der wendigen, aufgeweckten Sally kann sich wohl jeder leicht identifizieren. Das Ganze ist sehr gut vom Sprecher Oliver Rohrbeck umgesetzt worden, der allen auftretenden Personen eine eigene Stimme und einen eigenen Charakter verleihen konnte. Bleibt also nur, eine klare Hör(Lese-)empfehlung auszusprechen und zu hoffen, dass bald der dritte Teil des Blackthorn-Codes herauskommt.

Veröffentlicht am 28.05.2017

Ziemlich beste Bullen

Kommando Abstellgleis
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Sie sind der Abschaum der Pariser Polizei: Säufer, Depressive, Krankfeierer, in Ungnade gefallene. Sie werden in eine extra für sie geschaffene Abteilung abgeschoben, in ein Büro, das nicht annähernd genug ...

Sie sind der Abschaum der Pariser Polizei: Säufer, Depressive, Krankfeierer, in Ungnade gefallene. Sie werden in eine extra für sie geschaffene Abteilung abgeschoben, in ein Büro, das nicht annähernd genug Platz hat für die 40 Leute, aus denen dieses Kommando Abstellgleis bestehen soll. Allerdings erwartet sowieso keiner, dass alle immer zur selben Zeit auftauchen, nicht einmal Anne Capistan, die diese Abteilung leiten soll. Sie war einst der Superstar der Kriminalpolizei, bis sie einmal zu oft und zu schnell geschossen hat. Eigentlich sollen diese Loser nur eines: Däumchen drehen, die Klappe und den Ball flach halten. Dass man ihnen ungelöste Fälle auf den Tisch wirft, ist eher Augenwischerei. Doch dann entdecken diese Abgeschobenen eine Verbindung zwischen zweien dieser Fälle und plötzlich besinnen sie sich ihrer Fähigkeiten und tun das, was gute Bullen tun: sie ermitteln. Und das fast ohne Ausrüstung und Befugnis, dafür mit mehr Einsatz und Originalität.

Ein großer Spaß, dieses Buch! Sehr französisch, was ich eigentlich nicht mag, dafür mit großer Leichtigkeit und Humor, was mir liegt. Natürlich ist eine ganze Menge an den Haaren herbeigezogen, die Verbindungen, die Zufälle, aber das wird wettgemacht durch eine zweigleisig erzählte Geschichte, in der als Versager abgestellte Beamte plötzlich zu Hochform auflaufen. Da werden mit Babyphonen Räume abgehört, ein Hungerstreik wird durch eine Mittagspause unterbrochen und ein Killer hat ein Herz für Katzen. Die Sprecherin kam super mit den französischen Namen und Ausdrücken zurecht und so kann ich nur sagen, dass ich dieses Buch empfehle für Leute, die mit fremdländischen Namen zurechtkommen und sich auf die unendliche Leichtigkeit des Seins einlassen können. 4,5/5 Punkten.