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Veröffentlicht am 29.08.2022

Nachbarschaft

Was nebenan passiert ist
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Die beruflich erfolgreiche Friederike Mönch lebt in einer idyllischen Stadtrandsiedlung. Zu ihrem vollkommenen Glück fehlt nur noch ein eigenes Kind. Doch mitten über ihr geordnetes Leben bricht ein Unglück ...

Die beruflich erfolgreiche Friederike Mönch lebt in einer idyllischen Stadtrandsiedlung. Zu ihrem vollkommenen Glück fehlt nur noch ein eigenes Kind. Doch mitten über ihr geordnetes Leben bricht ein Unglück herein: als sie nach ihren Nachbarn sieht, findet sie ein ermordetes Mädchen und seinen schwer verletzten Vater. Von der Schwester und der Mutter fehlt jede Spur. Die Presse und Social Media-Berichterstatter belagern fortan die Reihenhausgruppe und es wird immer schwieriger, zu unterscheiden, wer vertrauenswürdig ist und wer Verdachtsmomente streut ...

Von der ersten Seite weg fesselt Autorin Rose Klay den Leser an dieses Buch, schafft gekonnt einen Bogen zwischen den aktuellen Ermittlungen und Friederikes Vergangenheit, welcher sich mit einem Ballon in Form von Engelsflügeln recht bildhaft zu einem Kreis schließt. Die Handlung spielt - eng begrenzt - überwiegend in der Familiensiedlung und konzentriert sich auf die Psychologie rund um den Mord an einem kleinen Mädchen und das Verschwinden zweier weiterer Familienmitglieder. Aufs Wesentliche fokussiert und ohne ausschmückendes Beiwerk zieht Klay mit ihrer einnehmenden Schreibweise wohl jeden in ihren Bann. Und trotz – oder gerade wegen (?) – dieser Schlichtheit, wirkt alles völlig lebendig und Friederikes Sicht auf die Dinge wirft immer mehr Fragen auf. Viele Fährten erscheinen auf den ersten Blick logisch, entpuppen sich aber bei genauem Hinsehen als Finte. Auch Friederike selbst verstrickt sich schon bald in Widersprüche. Geschickt und raffiniert ist der ganze Fall aufgebaut, besticht die Handlung mit durchgängiger Spannung, welche bis zum Ende den wahren Täter im Dunklen verbirgt.

Insbesondere die Tatsache, dass Rose Klay viele interessante Themen (Adoption, Kinderwunsch und/oder Karriere, Freundschaft, Wahnvorstellungen,…) ins Geschehen einflicht, lässt dieses Buch nicht nur zu einer spannenden Tätersuche werden, sondern zu einer sehr vielschichtigen Analyse von Problemen. Unterhaltsam und packend, sollte man diesen Thriller am besten ohne Unterbrechungen lesen. Wer gerne auf brutales Blutvergießen und Massaker verzichtet, ist bei dieser psychologischen Betrachtung bestens aufgehoben!



Titel Was nebenan passiert ist

Autor Rose Klay

ISBN 9783751732789

Sprache Deutsch

Ausgabe e-book, 385 Seiten

ebenfalls erhältlich als Hörbuch

Erscheinungsdatum 1. September 2022

Verlag Lübbe

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Spannung
Veröffentlicht am 22.08.2022

Umkehr des Schweigens?

Die Toten von Cork
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Mit Kindern und einer befreundeten Kollegin sucht Kriminalkommissar Markus Felchlin Erholung in der grünen Idylle Irlands. Ein abgeschiedenes Ferienhaus am Rande eines Sees dürfte dafür perfekt geeignet ...

Mit Kindern und einer befreundeten Kollegin sucht Kriminalkommissar Markus Felchlin Erholung in der grünen Idylle Irlands. Ein abgeschiedenes Ferienhaus am Rande eines Sees dürfte dafür perfekt geeignet sein. Allerdings scheint man Gäste hier nicht zu begrüßen: Schmierereien am Zufahrtstor und andere Unannehmlichkeiten trüben die gemütliche Ferienstimmung und Felchlin geht – einmal Polizist, immer Polizist – der Sache nach.

Mit einem etwas verstörenden Prolog und einem seltsamen Naturschauspiel beginnt dieser Kriminalroman, in dem so viel mehr steckt als ein unterhaltsamer Krimi. Unmittelbare Nähe vermittelt Gerlinde Michel, indem sie das Präsens als Zeitform wählt und ihre Botschaft in knappe, schnörkellose Sätze verpackt. So schafft die Autorin eine ganz spezielle Atmosphäre, welche immer wieder Gänsehaut und Sprachlosigkeit erzeugt. Gleichzeitig wahrt sie Distanz, indem die Hauptfigur fast durchgehend mit Nachnamen genannt wird. So wird ein tolles Spannungsfeld erzeugt, auf das sich der Leser vollkommen einlassen sollte. Denn was sich als überaus detaillierte Geschichte mit vielen Nebensächlichkeiten anlässt, entwickelt sich zu dramatischen Szenen, welche auf wahren Begebenheiten beruhen.

Rasch befindet man sich als Leser im Sog von Michels virtuoser Kunst, Reales mit Fiktivem zu verknüpfen, insbesondere die persönlichen Berichte, welche die Urlaubsidylle im County Cork immer wieder unterbrechen, verursachen zunehmend Gänsehaut. Auch wenn das Wissen um die zugrundeliegenden Verbrechen schrecklich ist, so darf dies niemals totgeschwiegen und vergessen werden.

In diesem Sinne finde ich die Metapher des Flusses mit zwei Fließrichtungen sehr gelungen: eine Umkehr des Schweigens, eine Umkehr zu Recht und Gerechtigkeit muss möglich sein. Danke an Gerlinde Michel, die mit diesem Kriminalroman ein Mahnmal verfasst und (nicht nur) die Toten von Cork in Erinnerung behalten lässt. Klare Leseempfehlung!



Titel Die Toten von Cork

Autor Gerlinde Michel

ISBN 978-3-89425-790-3

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 208 Seiten

Ebenfalls erhältlich als e-book und Hörbuch

Erscheinungsdatum 25. August 2022

Verlag Grafit

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.08.2022

Morbides Wien

Fluch der Venus – Wiener Abgründe
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Nach dem Tod der Nobelprostituierten Fanni Matzner soll eine Obduktion stattfinden. Einer ihrer Freier will Gewissheit, woran sie gestorben ist. Aufgrund des Ergebnisses setzt Polizeipräsident Marx den ...

Nach dem Tod der Nobelprostituierten Fanni Matzner soll eine Obduktion stattfinden. Einer ihrer Freier will Gewissheit, woran sie gestorben ist. Aufgrund des Ergebnisses setzt Polizeipräsident Marx den Sonderermittler Leopold Kern ein, auch als Hurenpoidel bekannt. Schnell landet Leo bei alten Bekannten aus dem Milieu und gerät zwischen Freund und Feind.

Von Beginn an findet sich der Leser in einem perfekt zum Leben erweckten alten Wien im Jahre 1880 wieder. Ringstraße und Vorstadt, Prachtbauten, ärmliche Behausungen und Ecken des Elends entstehen mittels bildhafter Sprache und etlichen typischen Ausdrücken vor dem geistigen Auge des Lesers. Rasch ist man im Sog gefangen von hochrangigen Beamten, Grafen, Edelhuren und Geheimnissen. Ein jeder ist auf seinen Vorteil bedacht, niemand will irgendwo anstreifen. So ist es Marx unmöglich, offizielle Mordermittlungen einzuleiten; also muss Kern mit seinen Kontakten zum Milieu herhalten.

Düster und undurchsichtig ist die Atmosphäre im Buch, verstärkt wird das Ganze noch durch Kerns persönliches Schicksal, an dem er schwer zu tragen hat. Die Schreibweise Loraths, geprägt durch alte Wiener Ausdrücke, untermalt das besondere Flair zur damaligen Zeit, lässt gar Gerüche des Verderbens vernehmen und das schwere Parfum, welches alles überdecken soll. Ähnlich wie die Syphilis frisst sich das Unheil langsam aber stetig bis an die Oberfläche. Die Handlung ist geschickt komponiert und führt ohne Eile, dennoch stets interessant, durch verschiedenste Stationen. Es wird immer schwieriger, Freund von Feind zu unterscheiden, nicht nur für Leopold Kern, sondern auch für den Leser, der ja da und dort auch zusätzliche Einblicke bekommt.

Spannende Figuren, welche lebendig charakterisiert werden und Bilder der Zeit des Umbruchs in Wien lassen diesen Krimi zu einem besonderen Erlebnis werden, die Handlung im Rotlichtmilieu ist glaubwürdig und authentisch entwickelt. So darf der Leser auf weitere Fälle für Leopold Kern hoffen. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen.



Titel Fluch der Venus - Wiener Abgründe, Peter Lorath

Autor Peter Lorath

ISBN 978-3-492-50626-7

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 360 Seiten

Ebenfalls erhältlich als e-book

Erscheinungsdatum 1. September 2022

Verlag Piper

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Veröffentlicht am 16.08.2022

Anonym

Der Gastgeber. Fühl dich wie zu Hause
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Programmiererin Nika hat einen falschen Pass und lebt in verschiedenen Airbnb-Wohnungen, ohne weiter aufzufallen oder gar Spuren zu hinterlassen. In einer neuen Wohnung angekommen, entdeckt sie verstörende ...

Programmiererin Nika hat einen falschen Pass und lebt in verschiedenen Airbnb-Wohnungen, ohne weiter aufzufallen oder gar Spuren zu hinterlassen. In einer neuen Wohnung angekommen, entdeckt sie verstörende Bilder mit Portraits von jungen Frauen, von denen ihr eine verblüffend ähnlich sieht.

Arne Garrit legt diesen Thriller raffiniert an. Über etliche Seiten lernt der Leser die gehetzt wirkende Nika und die strebsame, aber kaum durch Anerkennung verwöhnte Polizistin Rita Benesch kennen, weiß aber ziemlich lange nicht, worum es im Buch überhaupt geht. Die Szenen aus den Blickwinkeln der beiden Frauen sind in knappen Sätzen im Präsens abgebildet. Der Sog, der dadurch entsteht, fesselt den Leser an die Geschichte, welche erst allmählich Konturen annimmt. Insbesondere die Hauptfigur Nika bleibt bis zum Schluss ein wenig distanziert, was aber hier perfekt zur Geschichte passt, während Benesch eine bemerkenswerte Entwicklung durchlebt. Erst spät ergeben sich konkrete Zusammenhänge, wodurch die Neugierde immer wieder aufs Neue geweckt wird, noch schnell ein Kapitel, oder zumindest einen weiteren Unterabschnitt zu lesen. Etwas verwirrend, aber durchaus gewitzt, sind jene Details, welche aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt werden und wodurch klarerweise der zeitliche Ablauf da und dort ein wenig zurückgeschraubt wird. Die Aufmerksamkeit des Lesers ist jedenfalls gefordert. Welches Ende der Gastgeber bereithält, ist eine gelungene Überraschung, die überzeugend ins Puzzle passt.

Fazit: kurze Sätze, welche Tempo ins Spiel bringen und eine außergewöhnliche Geschichte mit zwei realistischen Frauen bilden ein solides Fundament für packende Lesestunden. Das Duo Peter Gallert und Jörg Reiter hinter dem Pseudonym Garrit hat hier eine ganz besondere Atmosphäre erschaffen. Gerne mehr davon!



Titel Der Gastgeber. Fühl dich wie zu Hause.

Autor Arne Garrit

ISBN 978-3-548-06593-9

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 384 Seiten

Ebenfalls erhältlich als e-book

Erscheinungsdatum 30. Juni 2022

Verlag Ullstein

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Veröffentlicht am 31.07.2022

Die Welt verändern

Findelmädchen
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Nach Jahren als Findelkinder bei einer freundlichen Gastfamilie in Frankreich wird im Dezember 1954 endlich über den Suchdienst des Roten Kreuzes der Vater von Helga und Jürgen gefunden. Aufgeregt und ...

Nach Jahren als Findelkinder bei einer freundlichen Gastfamilie in Frankreich wird im Dezember 1954 endlich über den Suchdienst des Roten Kreuzes der Vater von Helga und Jürgen gefunden. Aufgeregt und überglücklich reisen sie zurück nach Köln. Während der Vater mit einer kleinen Verkaufsbude beginnt und Jürgen bei Ford arbeitet, möchte Helga mit ihrer raschen Auffassungsgabe und ihrem Talent zu schreiben das Gymnasium besuchen. Dies wird ihr jedoch verwehrt, sie soll sich mit ihren „deux mains gauches“ (zwei linke Hände) durch die Haushaltungsschule plagen und sich auf ein Leben als Ehefrau und Mutter vorbereiten. Beim Praktikum im Waisenhaus gerät sie an die Grenzen des Erträglichen, so wie manches Kind dort behandelt wird. Bald gerät sie in einen Gewissenskonflikt zwischen Akzeptanz und Widerstand.

Mit besonderer Gewissenhaftigkeit und Hingabe scheint Lilly Bernstein sich diesem Buch gewidmet zu haben. Aus Helgas Sicht erzählt sie einfühlsam und mit spürbarer Empathie über das Schicksal der beiden Geschwister, welche behütet aber doch als „boches“ (Deutsche, Außenseiter) in Frankreich bei Tante Claire und Onkel Albert einige Jahre ihrer Kindheit verbringen. Zurück in Köln hausen sie in ärmlichen Verhältnissen in ihrem früheren Wohnhaus, in dem aber jetzt die unbarmherzige Tante Meta ein strenges Regiment führt. Dazwischen sind Tagebucheinträge einer verzweifelten Frau zu lesen, welche von Schutt und Trümmern, Hunger und Krankheit berichten.

Gut recherchiert und detailgenau geht die Autorin auf die schwierige Nachkriegszeit ein, beschreibt beengte und heruntergekommene Wohnverhältnisse und harte Arbeit ebenso wie die Freude über den Aufschwung, unterhaltsame Musik und schwingende Pettycoats. Die Zeit um 1955 ist sehr lebendig und gut vorstellbar eingefangen. Rasch fühlt man als Leser mit Helga mit, egal, ob es um den ausgelassenen Jitterbug geht, den sie tanzt oder um die Traurigkeit, nicht ins Gymnasium zu dürfen. Insbesondere ihre Erlebnisse mit den Zöglingen im Heim sind erschütternd realistisch und unglaublich nahegehend widergegeben. (Den Dankesworten am Ende des Buches ist zu entnehmen, dass Lilly Bernstein mit Zeitzeugen gesprochen hat.)

Die Spannung in diesem sehr emotionalen Roman steigt kontinuierlich an und zeigt die inneren Konflikte einer jungen Frau vom Bouche de Noel (Biskuitrolle mit Schokocreme) 1954 bis zum Weihnachtsbaumkuchen 1955. Ein ereignisreiches Jahr, das voller Aufregung steckt. Soll man sich gesellschaftlichen Konventionen beugen oder doch lieber um Veränderung kämpfen? Soll man Akzeptanz von bestehenden Normen über oder Unrecht wie Rassentrennung bekämpfen? Einerseits ist Helga furchtbar naiv und gutgläubig, andererseits hat sie ganz klare Vorstellungen davon, wie sie ihr Leben (nicht) gestalten möchte. Geschickt verquickt Bernstein historische Details mit einer tollen fiktiven Handlung und schafft so einen überaus lesenswerten Roman, den ich nur wärmstens empfehlen kann.



Titel Findelmädchen

Autor Lilly Bernstein

ISBN 978-3-548-06568-7

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 592 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook und Hörbuch

Erscheinungsdatum 28. Juli 2022

Verlag Ullstein

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