Profilbild von birdies_buecherwelt

birdies_buecherwelt

Lesejury Profi
offline

birdies_buecherwelt ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit birdies_buecherwelt über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.10.2022

Jeder schreibt seine eigene Lebensgeschichte

Café Leben
0

Die 32-jährige Henrietta Lockwood führt ein sehr zurückgezogenes Leben und bezeichnet sich selbst als "gescheiterte Bibliothekarin". Außer zu ihrem Hund Dave hat sie kaum soziale Kontakte. Bei ihrem neuen ...

Die 32-jährige Henrietta Lockwood führt ein sehr zurückgezogenes Leben und bezeichnet sich selbst als "gescheiterte Bibliothekarin". Außer zu ihrem Hund Dave hat sie kaum soziale Kontakte. Bei ihrem neuen Job im "Café Leben" scheint sich Henriettas Zurückhaltung und Distanz positiv auszuzahlen, denn sie soll die Lebensgeschichte von Menschen aufschreiben, die palliativ behandelt werden und bald sterben. Mitleid ist da fehl am Platz.
Als die todkranke Annie ihre Lebensgeschichte erzählt und von ihrer Schwester berichtet, die als junge Frau ums Leben kam, wird Henrietta deutlich stärker involviert, als sie zunächst für möglich gehalten hat.
Jo Leevers Debüt hat mich begeistert, mich nachdenklich gemacht und mir Tränen entlockt. "Café Leben" ist ein Roman über die Lebensgeschichte zweier Frauen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Henrietta, geordnet und unauffällig - Annie, mit extravagantem Kleidungsstil und einem starken Willen.
Mit viel Einfühlungsvermögen werden die beiden Protagonistinnen und ihr Leben dargestellt, ganz ohne zu kitschig oder zu tragisch zu wirken.
Henrietta möchte unbedingt herausfinden was wirklich mit Annies Schwester geschehen ist. Dazu geht sie mit ihrem Engagement weit über die beruflichen Grenzen hinaus und setzt sich dabei zwangsläufig auch mit ihrer eigenen Vergangenheit und traumatischen Erinnerungen auseinander. Ab einem gewissen Punkt war mir die Handlung etwas zu sehr konstruiert. Hier hätte man durchaus einen anderen Weg einschlagen und damit das volle Potential ausschöpfen können.
In diesem Roman geht es aufgrund von Henriettas Job als Verfasserin von Lebensgeschichten selbstverständlich auch um das Sterben und den Tod, aber vor allem geht es um das echte Leben, echte Entscheidungen und echte Konsequenzen. Es geht darum, sein Leben und sein Glück in die eigenen Hände zu nehmen, kurzum: Seine eigene Lebensgeschichte zu schreiben.
Ein sehr schönes Debüt der Autorin, für das ich gerne eine Leseempfehlung ausspreche!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.10.2022

Das Konstrukt der Zeit

Der Junge im Fluss
0

"Bestimmen Gedanken an Vergangenes, die wir in der Gegenwart mit uns herumtragen, am Ende unsere Zukunft?" (S. 145f)

Mit aller Kraft versucht Ben, die Gegenwart festzuhalten. Vor Veränderungen hat er ...

"Bestimmen Gedanken an Vergangenes, die wir in der Gegenwart mit uns herumtragen, am Ende unsere Zukunft?" (S. 145f)

Mit aller Kraft versucht Ben, die Gegenwart festzuhalten. Vor Veränderungen hat er Angst, denn er kann sie nicht kontrollieren und Veränderungen bedeuten auf einer Insel weit draußen im Meer nichts gutes. Am liebsten möchte er alles so bewahren, wie es ist. Als eines Tages sein Bruder zurück kehrt und von einem Ort ohne Zeit berichtet, begibt Ben sich auf die Suche nach diesem Ort, der seine tiefsten Sehnsüchte zu erfüllen vermag.
Eine Geschichte, die sich wie ein modernes Märchen liest. Voller Weisheiten, überraschender Wendungen und mit einem Protagonisten, der sich erst nach und nach dem Lesenden offenbart. Die Zeit spielt eine besondere Rolle, sie erscheint manchmal gegensätzlich und ja, ich hatte beim Lesen mehrfach Fragezeichen auf der Stirn. Mit diesem Buch muss man sich aber auch auseinandersetzen, um es genießen zu können. Es geht um wichtige Fragen, Rätsel, Erkenntnisse, Trauer und so viel mehr. Das alles wird tiefgründig thematisiert und lädt zum Nachdenken ein. Alles habe ich nicht nachvollziehen können, einige Gespräche empfand ich als zu philosophisch oder einfach nicht logisch. Hier soll aber gar nicht alles logisch sein, denn das Leben selbst ist voller Widersprüche. Wir müssen unseren eigenen Weg finden, das haben wir in unserer Vergangenheit und das werden wir auch in unserer Zukunft.
Ein Buch für Fans von John Strelecky und alle, die sich gerne mit philosophischen Themen beschäftigen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.10.2022

Vampire gibt es nicht

This Charming Man
0

Der zweite Teil der "The Stranger Times"-Reihe von C. K. McDonnell glänzt erneut mit schwarzem Humor, schrägen und gleichzeitig liebenswerten Charakteren und einer spannenden Story, die mir sogar besser ...

Der zweite Teil der "The Stranger Times"-Reihe von C. K. McDonnell glänzt erneut mit schwarzem Humor, schrägen und gleichzeitig liebenswerten Charakteren und einer spannenden Story, die mir sogar besser gefallen hat als die des ersten Teils.
Als in Manchester ein Mann in der Pathologie landet, der überdurchschnittlich entwickelte Eckzähne hat und in dessen Magen sich menschliches Blut befindet, traut sich noch niemand das V-Wort auszusprechen. Auch als sich Vorfälle mehren, die auf blutsaugende und mordende Geschöpfe hindeuten, sind sich sowohl die übernatürlichen Begründer, das Altvolk als auch ein Mann, der ausschließlich die Wahrheit sagen kann einig: Vampire gibt es nicht. Hannah und ihre Kollegen von der Stranger Times stürzen sich in diese Story und versuchen herauszufinden, was wirklich vor sich geht.
Ich würde jedem empfehlen, den ersten Teil der Reihe zu lesen, denn ohne Vorwissen dürfte es schwierig sein, den kuriosen Ereignissen folgen zu können. Während ich beim ersten Teil noch skeptisch war, bin ich von "This Charming Man" wirklich begeistert.
Die Charaktere haben sich weiterentwickelt, ja selbst Banecroft der ausgesprochen menschenfeindliche Chef der Redaktion, und auch das Übernatürliche wirkt nicht mehr ganz so ungreifbar und unverständlich. Gerne hätte ich mehr über das Altvolk und die Begründer erfahren, da gibt es definitiv noch einiges zu entdecken. Da aber bereits der dritte Teil der Reihe angekündigt ist, hoffe ich dort auf viele weitere spannende Entwicklungen.
Wer britischen und schwarzen Humor liebt, sich auf eine außergewöhnliche und magische Geschichte einlassen möchte, der ist beim Team der Wochenzeitung "The Stranger Times" bestens aufgehoben und wird spannende Lesestunden erleben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.09.2022

Eindrucksvoll

Miss Kim weiß Bescheid
0

Das Cover der angenehm handlich gebundenen Ausgabe zeigt das Porträt einer jungen südkoreanischen Frau ohne Gesicht. Statt Augen, Mund und Nase ist der Titel in weißen Buchstaben abgedruckt. Die Frau steht ...

Das Cover der angenehm handlich gebundenen Ausgabe zeigt das Porträt einer jungen südkoreanischen Frau ohne Gesicht. Statt Augen, Mund und Nase ist der Titel in weißen Buchstaben abgedruckt. Die Frau steht meiner Interpretation nach stellvertretend für die (Lebens-)Geschichten von Frauen, denen Cho Nam-Joo in ihrem neuen Roman Aufmerksamkeit schenkt.

In acht Kapiteln werden acht Geschichten erzählt, in denen jeweils eine Protagonistin im Mittelpunkt steht. Ob Ehefrau, Mutter, Tochter oder Großmutter, sie alle vereint die Suche nach dem eigenen Ich, nach Zufriedenheit und Selbstverwirklichung. Cho Nam-Joo beschreibt einen Alltag, der für die Frauen sehr bedrückend ist. Sie wollen ihrer Familie, ihrem Arbeitgeber und ihren Freunden gegenüber gerecht werden. Dabei lassen sie ihr eigenes Wohlergehen meist außer acht und erkennen erst spät oder sogar nie, dass sie Glück ebenso verdienen wie alle anderen.

Der Schreibstil ist sehr ruhig, die Geschichten sind dem Alltag entlehnt und wirken auf den ersten Blick ganz normal und undramatisch. Doch durch die Sichtweise der Protagonistinnen bekommt man ein ganz anderes Gefühl für diese Erzählungen. Vor allem zwischen den Zeilen lässt sich der erhobene Zeigefinger in Richtung Gesellschaft erkennen. Kulturell mag Südkorea etwas anders geprägt sein als Europa, die Geschichten der einzelnen Frauen konnte ich dennoch gut nachvollziehen. Einige haben mich sehr berührt, während ich in anderen den Sinn nicht so recht entdecken konnte. Bei acht Geschichten wird aber jede Leserin etwas entdecken, mit dem sie sich identifizieren kann. Eine klare Leseempfehlung von mir.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.09.2022

Das erste Paar

Ingeborg Bachmann und Max Frisch – Die Poesie der Liebe
0

"Berühmte Paare - Große Geschichten": Im dritten Band der Reihe, widmet sich Bettina Storks dem Künstler-Paar Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Ich muss gestehen, dass mir dieses Paar vor lesen des Romans ...

"Berühmte Paare - Große Geschichten": Im dritten Band der Reihe, widmet sich Bettina Storks dem Künstler-Paar Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Ich muss gestehen, dass mir dieses Paar vor lesen des Romans völlig unbekannt war. Umso unvoreingenommener konnte ich den beiden begegnen.
Ingeborg Bachmann und Max Frisch sind beide begnadete und vielfach ausgezeichnete Schriftsteller. Beide sind quasi bereits mit der Literatur verheiratet, als sie in Paris aufeinandertreffen. Während Frisch sich augenblicklich in die jüngere Bachmann verliebt, hadert diese lange Zeit. Sie hat sich soeben erst von ihrem Liebhaber Paul Celan getrennt.
Das Paar lebt an verschiedenen Orten und versucht vor immer neu auftretenden und sich verschärfenden Problemen in ihrer Beziehung zu fliehen. Doch hat ihre Liebe eine Chance?
Unglaublich, wie viel Recherche, wie viel Leidenschaft Bettina Storks in diesen Roman gesteckt hat. Sie erweckt die beiden Protagonisten zu neuem Leben und das auf ganz besondere Weise. Ein Künstler-Paar ist nicht wie andere Paare. Auch wenn Max Frisch sich Bodenständigkeit wünscht, Ingeborg Bachmann kann ihre Freiheit unmöglich aufgeben. Diese zwei Individuen sind so unterschiedlich und doch in ihrer Leidenschaft zueinander vereint. Sie erleben Höhenflüge und letztendlich den unausweichlichen Absturz. Die Beziehung gleicht einem Drama, wie keiner der beiden es sich besser hätte ausdenken können. Für meinen Geschmack manchmal zu viel Drama, aber vermutlich sind diese beiden starken Persönlichkeiten prädestiniert für Drama und Sturheit.
Sehr beeindruckend und großes Kompliment an Bettina Storks, die sich mit diesem Roman einen Traum erfüllt, wie sie selbst schreibt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere