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Veröffentlicht am 03.03.2023

Dorfgemeinschaft

Dschomba
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Was geschieht in einer seit Jahren eingeschworenen Dorfgemeinschaft, wenn plötzlich ein Fremder auftaucht? Die Autorin geht dieser Frage nach und begibt sich auf Spurensuche in dem Ort, in dem sie aufgewachsen ...

Was geschieht in einer seit Jahren eingeschworenen Dorfgemeinschaft, wenn plötzlich ein Fremder auftaucht? Die Autorin geht dieser Frage nach und begibt sich auf Spurensuche in dem Ort, in dem sie aufgewachsen ist, in Eferding.
Dort taucht eines Tages der Serbe Dzomba auf und verhält sich zunächst sehr auffällig, indem er auf dem Friedhof tanzt. Sofort nimmt die Gerüchteküche ihren Lauf, und jeder tut etwas hinzu. Aber was will der Fremde wirklich? Die Leute spielen ihre Rollen, dem Eindringling wird Neugier, Interesse und gleichzeitig Abwehr entgegengebracht.
Doch schrittweise gelingt es Dzomba mit seiner hilfreichen und direkten Art die Sympathie von immer mehr Bewohnern zu gewinnen. Es ist interessant zu lesen, wie das dynamische Miteinander im Dorf so einiges in Bewegung setzt.
Viele verlorene Seelen werden offensichtlich, die einander unterstützen und dadurch das Schicksal mildern.
Gewöhnungsbedürftig ist zunächst der Schreibstil, der mit unvollständigen Sätzen, ungewöhnlicher Wortstellung und Bruchstücken von Sätzen aufwartet. Manchmal sind es nur einzelne Wörter. Anfangs kam ich nur langsam im Buch weiter, und meine Beschäftigung mit der Sprache hat mir die Sicht auf den Inhalt vernebelt. Aber je mehr ich mich eingelesen habe, desto klarer wurden mir die Situation und die Zusammenhänge. Auch konnte ich dann flüssiger lesen.
Das Cover ist sehr minimalistisch gestaltet und fällt dadurch auf. In gewisser Weise überträgt sich dieser Stil auch auf die Sprache, die prägnant und bedeutungsvoll ist, aber keine unnützen Beschreibungen abgibt.
Alles in allem ein sehr interessantes Buch, das noch lange Spuren hinterlässt.

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Veröffentlicht am 29.01.2023

Nordic Noir - beklemmend und düster

Verschwiegen
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Elma ist in Akranes aufgewachsen, einer kleinen Stadt in Island. Wie so viele Jugendliche zog sie dann aber in die Hauptstadt, um dem eintönigen Kleinstadtleben zu entkommen. Sie arbeitete als Polizistin ...

Elma ist in Akranes aufgewachsen, einer kleinen Stadt in Island. Wie so viele Jugendliche zog sie dann aber in die Hauptstadt, um dem eintönigen Kleinstadtleben zu entkommen. Sie arbeitete als Polizistin in Reykjavik, bis ihre Beziehung zerbrach und sie wieder in ihre Heimatstadt zurück katapultierte.
Normalerweise hat die Polizei in Akranes keine spektakulären Fälle zu bearbeiten, aber kaum hat Elma ihren Dienst begonnen, wird im Meer am alten Leuchtturm eine Frauenleiche entdeckt, deren Tod viele Rätsel aufgibt. Sie hat in Akranes eine traumatische Kindheit erlebt und war lange nicht mehr dort, weil sie den Ort verabscheute. Es stellt sich den Ermittlern die Frage, warum sie zurückgekommen ist und wer ihren Tod zu verantworten hat.
Es ist ein ständiger Perspektivenwechsel, der uns immer mehr Details zum Fall eröffnet. Man lernt ganz langsam immer mehr Leute kennen, die überwiegend in Akranes leben und die ein Bild abgeben, wie es in einer Kleinstadtgemeinde zugeht, wieviele Intrigen geschmiedet werden, wie eine gewisse Hackordnung entsteht und wie manche aus der Gemeinschaft verbannt werden. Hochangesehene Bewohner haben abgrundtiefe Geheimnisse, und irgendwie hat man die ganze Zeit das Gefühl, dass viele Bescheid wissen wissen, aber lieber schweigen. Das erzeugt eine bedrückende und düstere Atmosphäre, denn keiner scheint an der Aufklärung des Falles interessiert. Für mich ist dieses Gesellschaftsbild hochinteressant und realistisch.
Außer dem Perspektivwechsel gibt es auch zeitliche Rückblicke in die Kindheitsjahre der Toten. Diese sind besonders düster, denn man ahnt, welche Qualen das Mädchen durchlitten hat.
Durch die ständige Erweiterung der Informationen beginnt man irgendwann mitzurätseln, was passiert sein könnte, und die Spannung, die anfangs sehr lau ist, steigt spürbar. Zu Beginn waren für mich auch die vielen verwirrenden Namen ein Hindernis, ins Geschehen hineinzukommen. Mit der Zeit ging es besser.
Gut gefallen haben mir auch die geographischen Karten in den Umschlagseiten und die eingewebten Hintergrundinformationen über Island.
Alles in allem hat mich das Buch nach Anfangsschwierigkeiten gut unterhalten, und ich freue mich auf den nächsten Fall für Elma und ihre Kollegen, der in der zweiten Jahreshälfte erscheinen soll.

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Veröffentlicht am 17.12.2022

Aufbegehren gegen die Dominanz der Fürsten

Die Tochter der Hungergräfin
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Gräfin Louise Juliane von Sayn und Wittgenstein musste im 17. Jahrhundert zwei schwere Schicksalsschläge ertragen, zunächst starb ihr Mann, dann auch noch der Erbprinz Ludwig. Zwar hat der Graf verfügt, ...

Gräfin Louise Juliane von Sayn und Wittgenstein musste im 17. Jahrhundert zwei schwere Schicksalsschläge ertragen, zunächst starb ihr Mann, dann auch noch der Erbprinz Ludwig. Zwar hat der Graf verfügt, dass in diesem Falle seine beiden Töchter Ernestine und Johannette in die Erbfolge treten, aber dies wird nicht akzeptiert. Es beginnt ein auszehrender Kampf um die Grafschaft. Verschiedene Fürsten und Bischöfe versuchen, die Region an sich zu reißen, jedes Mittel ist ihnen recht.
Aber Louise Juliane verliert nicht ihren Stolz und kämpft weiter für die Rechte ihrer Familie. Sogar als man versucht, die Familie und den Hofstaat auszuhungern, verliert sie nicht den Mut, obwohl selbst ihre beiden Töchter große Not leiden. Sie organisiert eine gewagte Flucht und kämpft weiter....
Für mich ist dieser historische Roman besonders interessant, weil die besagte Region in nächster Nachbarschaft zu uns liegt. Aber über die Geschichte habe ich bislang kaum etwas erfahren. Ich wurde auf das Buch aufmerksam, als ich direkt vorne auf einer der ersten Seiten ein Bild der erhabenen und beeindruckenden Freusburg sah, die auch zu den Besitztümern gehörte und mittlerweile als Jugendherberge ausgebaut wurde. Wenn man dort droben auf den Felsen in dem dicken Gemäuer schon mal übernachtet hat, kann man sich die Situation noch besser vorstellen.
Ich finde den Roman atmosphärisch etwas düster, aber das passt hervorragend in die Zeit des 30-jährigen Krieges, als überall um die Besitztümer gekämpft wurde, die einfachen Leute die unschuldigen Leidtragenden waren und es überall Gemetzel, Hunger und Not gab.
Der Roman wird erzählt aus Sicht der älteren Tochter Ernestine, die zunächst sehr unsympathisch wirkt, sehr verwöhnt, egoistisch und auf die Untergebenen herabblickend, was besonders ihre erste Zofe zu spüren bekommt. Doch nach und nach muss sie immer mehr Verantwortung übernehmen und findet Zugang zu den Gefühlen ihrer Untertanen. Diese Entwicklung und die Auslöser dafür hat die Autorin eingehend geschildert.
Auf der anderen Seite empfindet man auch Mitleid mit ihr, denn sie kann ihre Rolle nicht verlassen und muss sich ihrer starken Mutter fügen, die ihr sogar den Ehemann vorschreiben will, um die Grafschaft zu halten. Hier zeigt sich die unausweichliche Ohnmacht der Frauen der damaligen Zeit, die ihr Leben lang in Abhängigkeit blieben, denn sie durften ja keine Berufe ergreifen, sondern waren nur Spielbälle und Unterstützer für die Familie. Die Autorin hat diesen Zusammenhang sehr treffend beschrieben.
Louise Juliane ist hier die große Ausnahme, aber auch sie muss sich einiges gefallen lassen und wird oft nicht ernst genommen. Trotzdem hat sie die Schicksale ihrer Töchter positiv geprägt, auch wenn sie manchmal wie eine erbarmungslose Mutter erscheint.
Der Schreibstil der Autorin hat mir gefallen, auch wenn manche Passagen etwas langatmig waren. Ich habe das Buch gern gelesen und historisch einiges über unsere 'Nachbarschaft' hinzugelernt.

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Veröffentlicht am 11.12.2022

Rückbesinnung

Der Mondmann - Blutiges Eis
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Der Profiler Jens Lerby übt seinen Beruf in Kopenhagen aus. Allerdings ist er berufsmüde, ausgelaugt, hat ein nicht befriedigendes Privatleben und so kam es zu einer derben Beleidigung des Polizeipräsidenten. ...

Der Profiler Jens Lerby übt seinen Beruf in Kopenhagen aus. Allerdings ist er berufsmüde, ausgelaugt, hat ein nicht befriedigendes Privatleben und so kam es zu einer derben Beleidigung des Polizeipräsidenten. Da dies nicht der erste Vorfall dieser Art war, wird er strafversetzt, um einen ungelösten Fall in einem kleinen grönländischen Dorf zu klären. Er soll sich rückbesinnen und einer Suspendierung entgehen. Lerby macht sich voller Vorurteile auf den Weg in die eisige Kälte...
Dort wurden drei Männer grausam ermordet, wobei es den Anschein hat, dass sie von Walrosszähnen durchbohrt wurden. Dies wiederum gibt alten grönländischen Mythen neue Nahrung und das Dorf lebt in Angst und Schrecken. Lerby muss sich mit der alten grönländischen Kultur, ihren Schamanen und ihren Dämonen auseinandersetzen. Dies wiederum gibt dem Leser tiefe Einblicke und Hintergrundinformationen über die dortigen Traditionen, die Gebräuche und die dadurch bedingte heutige Lebensweise. Dies fand ich äußerst interessant, da man in eine andere Gedankenwelt abtaucht, in der andere Werte eine große Rolle spielen.
So kommt es auch bei Lerby durch die engen Kontakte zu den Einheimischen zu einer Rückbesinnung, und der anfangs sehr arrogant auftretende Profiler wird immer sympathischer, da er anfängt, Emotionen zu entwickeln und Empathie zu fühlen. Dies ist eine weitere Stärke dieses Krimis.
Das Krimigeschehen selbst ist nicht sehr spektakulär, teilweise geht es recht gemächlich zu, Spannung ist trotzdem vorhanden und man fühlt sich als Leser gut unterhalten. Das Ende ist auf jeden Fall schlüssig, es bleiben keine offenen Fragen zum Fall.
Die Beschreibungen des Autors sind sehr präzise und atmosphärisch, man spürt förmlich die Überheblichkeit des Profilers zu Anfang und man bibbert mit ihm in der eisigen Kälte. Dazu kommt ein gut lesbarer Schreibstil, der einen abtauchen lässt in eine andere Welt. Es bleibt zu hoffen, dass es weitere Bände mit diesem Ermittler gibt. Empfehlenswert!

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Veröffentlicht am 04.10.2022

Die neun Leben des Paul Brenner

Kerl aus Koks
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Mal eben noch dem Tod von der Schippe springen - das hat Paul Brenner nicht nur einmal erlebt, teils selbst verschuldet, teils durch unglückliche Umstände. Aber Paul ist zäh, hat einen enormen Lebenswillen ...

Mal eben noch dem Tod von der Schippe springen - das hat Paul Brenner nicht nur einmal erlebt, teils selbst verschuldet, teils durch unglückliche Umstände. Aber Paul ist zäh, hat einen enormen Lebenswillen und beißt sich immer wieder durch. Er ist ein Kämpfertyp, der es versteht, aus seinem Leben in jeder Situation das jeweils beste zu machen.
Dieser Roman mit biographischen Zügen wird erzählt von dem Schauspieler Michael Brandner, alias Paul Brenner. Wie es scheint, war sein Leben sehr abwechslungsreich und geprägt von ständigen Höhen und Tiefen.
Der kleine Paul wird von seiner ledigen Mutter in eine Pflegefamilie in Bayern gegeben, wo er sich wohlfühlt und naturverbunden lebt. Aber eines Tages holt ihn seine leibliche Mutter ins Ruhrgebiet, denn sie hat geheiratet und möchte Paul zu sich nehmen. Damit verändert sich Pauls Leben rasant, aber er findet Wege, um das neue Leben zu genießen. Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn ist geprägt von ständigen Vorwürfen und Forderungen. Seine Mutter fühlt sich im Pott fehl am Platze, sie hat was Besseres verdient, sagt sie. Sein Stiefvater Helmut ist für Paul ein guter Freund, der zu ihm hält, oftmals auch gegen die Mutter, so dass kein harmonisches Familienleben entstehen kann. Hinzu kommen neue Erfahrungen für den Jungen: er wird sehr krank und spürt Todesnähe.....
Diesen ersten Teil fand ich sehr atmosphärisch. Der Autor beschreibt glaubwürdig und ergreifend, wie es damals nach dem Krieg in den Familien zuging, er beschreibt die Armut, die Raumnot, die Tagesgestaltung. Ich habe diesen Part sehr gern gelesen und mich in einer anderen Welt gefühlt.
Der Umbruch kam für mich, als Paul mit ein paar Freunden in einem alten Opel nach Großbritannien fährt, um Urlaub zu machen. Er gerät in einen regelrechten Freiheitsrausch und bricht die Fachoberschule ab. Es folgen zahlreiche Jobs, viele Liebschaften, Drogenerfahrungen und diverse Wohnungswechsel. Ab hier bleibt alles an der Oberfläche, vieles wird nur angedeutet, es gibt keinen Tiefgang mehr, z.B. wird ein Kumpel aus der Psychiatrie zurückgeholt, aber wie? Man hat das Gefühl, einen Ausflug in eine übersteigerte Fantasie zu machen. Während mich Pauls Leben als Kind und Teenager sehr berührte und spannend war, kamen nun langatmige Passagen, geprägt von einem Paul, der sich einer übertriebenen Selbstdarstellung ausliefert und keine Grenzen kennt. Besonders sein Umgang mit Frauen hat mir nicht gefallen.
Der lebendige Schreibstil mit humorvollen und ironischen Elementen hat mich besonders im ersten Teil sehr angesprochen, z.B. die Szene der Musterung. Leider hat sich diese Lebendigkeit im zweiten Teil verändert. Dieser Part erschien mir hektisch, wie Pauls Leben in diesen Jahren.
Dem ersten Teil hätte ich ohne Zögern fünf Sterne zuerkannt. In Anbetracht des deutlich schwächeren zweiten Teils vergebe ich nun vier. Denn interessant ist das Buch alles in allem auf jeden Fall.

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