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Veröffentlicht am 03.04.2023

Ein lohnenswertes Ende

Fine und die Zeit der Veränderung
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Im vorläufigen letzten Band der Reihe „Eine Familie in Berlin“ von Ulrike Renk führt die Geschichte zu Fine, Ullas Tochter, Enkelin der Künstler Richard und Paula Dehmel. Ihrer Mutter Ulla droht das Leben ...

Im vorläufigen letzten Band der Reihe „Eine Familie in Berlin“ von Ulrike Renk führt die Geschichte zu Fine, Ullas Tochter, Enkelin der Künstler Richard und Paula Dehmel. Ihrer Mutter Ulla droht das Leben immer mehr zu entgleiten: ihre Ehe mit dem Arzt Heinrich ist erkaltet, das Geld ist knapp, als Mutter von drei kleinen Mädchen muss sie sich zwischen ihrer künstlerischen Arbeit und dem Haushalt aufteilen. Und dann ist da noch ihr Engagement für die Politik, für den Kommunismus und seine soziale Projekte in Berlin, was mit dem Erstarken der Nationalsozialisten immer gefährlicher wird. Als Tochter einer mehr als unkonventionellen Mutter muss Fine bald lernen, selbständig zu sein und für sich und ihre beiden jüngeren Geschwister zu sorgen. Sie empfindet bewundernde Liebe für die Mutter und eifert ihr nach in ihrer Begierde nach Leben und Teilhabe an der Gesellschaft. Doch zugleich sehnt sie sich nach der Geborgenheit einer Familie, nach Ritualen und Sicherheit, die ihre Mutter ihr nicht geben kann. In Zeiten der Inflation müssen Fine und ihre Geschwister tagsüber oft ohne Mutter auskommen, die auf Arbeitssuche ist. Und trotzdem bleiben die Mägen der Kinder häufig leer. Bis von unerwarteter Seite Hilfe naht, die Fine und ihren Schwestern aber ein großes Opfer abverlangt.
Im ersten Teil – zum Glück nicht ganz die Hälfte des Romans – steht noch Ulla im Mittelpunkt. Die Dialoge mit Familie und Freunden kreisen ermüdend lang und redundant immer wieder um erkaltete Liebe, um den Konflikt zwischen Muttersein und unerfüllter künstlerischer Selbstverwirklichung und um kommunistische Weltverbesserungsparolen, denen die Autoren zum Glück auch gemäßigtere und kritische Stimmen entgegensetzt. Gepackt hat mich das Buch erst, als es ab Seite 180 endlich um Fine geht, die bis dahin gänzlich in einer Erwachsenenwelt untergeht. Nicht nur die Eltern, sondern auch die Autorin scheint bisweilen zu vergessen, dass es sich um eine 8jährige handelt, die aber wie die Erwachsenen von politischem Aktivismus träumt. Stimmiger wird das Bild erst, als sich ihr die Aufmerksamkeit ganz zuwendet. Zuerst die Schilderung einer Reise mit ihrer Mutter und Heinrich Vogeler zu einem kommunistischen Urlaubsprojekt in Italien versöhnt mit der Hürde des Anfangs. Anschaulich und packend begleiten wir Fine in eine für sie gänzlich unbekannte Welt. Der Höhepunkt für mich ist die Erzählung des Abschnittes in Fines Leben, der sie in das Heim der Familie Sperling nach Tabarz führt. Hier sehen wir die Welt aus den Augen eines jungen Mädchens, das mit 12 Jahren schon eine Menge gesehen und erlebt hat, aber jetzt eigentlich erst erfährt, welche Sicherheit und Geborgenheit ein geregeltes Familienleben bringen können, die die Kraft der Familiengemeinschaft und eines Lebens im Rhythmus der Jahreszeiten erlebt. Dankbar ergreift sie die Möglichkeit eines einfachen, bodenständigen Lebens als Ausgangspunkt für ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben später, wenn der Nationalsozialismus ihr als Vierteljüdin diese Chance ließe, ohne aber die bewundernde Liebe zu ihrer unkonventionellen Mutter jemals aufzugeben. Damit ist Fine für mich bereits eine trotz ihres jungen Altes beeindruckende, reife Persönlichkeit.

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Veröffentlicht am 20.03.2023

Böser Zauber in den Karpaten

Tod in Siebenbürgen
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Paul Schwartzmüllers Tante stirbt und vererbt ihm ihren Hof in Siebenbürgen, auf dem er die schönste Zeit seiner Kindheit verbracht hat, bevor er mit seinem Vater Rumänien bei Nacht und Nebel verlassen ...

Paul Schwartzmüllers Tante stirbt und vererbt ihm ihren Hof in Siebenbürgen, auf dem er die schönste Zeit seiner Kindheit verbracht hat, bevor er mit seinem Vater Rumänien bei Nacht und Nebel verlassen musste. Nun macht er sich auf in die Karpaten, um sich sein Erbe anzuschauen. Dabei begegnet er seinem Jugendfreund Sorin wieder, den man kurz darauf wegen Mordverdachts verhaftet. Paul, von Berufs wegen Investigativjournalist, macht sich kurzerhand auf die Suche nach dem wahren Täter und stößt dabei auf Unglaubliches.
Zunächst einmal beeindrucken den Leser die Landschaftsdarstellungen der Karpaten. Spricht diese umwerfende Landschaft schon für sich, so gelingt es der Autorin auf wunderbare Weise, diese Schönheit vor dem Auge des Lesers entstehen zu lassen. Gekonnt flicht sie in die Handlung die Geschichte Siebenbürgens ein, lokale Speisen, aber auch Spukgeschichten um Dracula und bösen Zauber, sodass der Leser sich immer wieder fragen muss, ob er es bei dem Täter wirklich mit einem menschlichen Bösewicht zu tun hat. Neben aller spannenden Historie entwickelt sich eine dramatische Tätersuche, die auch Paul fast um den Verstand zu bringen droht, den als Starjournalist eigentlich nichts um seine Professionalität bringen kann. Bis zum Schluss verfolgt der Leser mit ihm viele mögliche Fährten, bis es Paul und Leser am Ende wie Schuppen von den Augen fällt. Absolut unvorhersehbar und mitreißend. Toll geschrieben. Nette Figuren.
Kleines Manko: Unsere große Spürnase Tom kommt das ein oder andere Mal dann doch zu naseweis und naiv daher. Und ganz am Ende ist es doch etwas mehr Dracula-Schauder- als Kriminalroman.
Aber auf jeden Fall auch für Sonst-Nicht-Unbedingt-Krimileser ein vielseitiger Spaß mit Bildung inklusive!

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  • Spannung
Veröffentlicht am 17.02.2023

Nicht die Religion ist böse, sondern die Menschen.

Der Kreis
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Der Lebensweg der Jesidin Aziza ist mehr als beschwerlich. Geboren in einer Familie der Heiler, muss sie mit ansehen, wie ihre ganze Familie zum Islam konvertiert in einer Zeit, in der politische und ...

Der Lebensweg der Jesidin Aziza ist mehr als beschwerlich. Geboren in einer Familie der Heiler, muss sie mit ansehen, wie ihre ganze Familie zum Islam konvertiert in einer Zeit, in der politische und religiöse Unruhen ihr Land bedrohen, in dem sie als Jesiden in der Minderheit wohnen. Von außen drängen die Franzosen und Engländer, dagegen wollen die einen einen religionslosen türkischen Staat errichten, die anderen fürchten um ihren Einfluss als religiöse Führer muslimischer Sekten. Ventil für Aggression und Zukunftsangst sind die religiösen Minderheiten. Aziza selbst wird von einem Sektenführer entführt, der viele Frauen in seine Dienste zu Prostituierten und gedungenen Mörderinnen zwingt. Doch mit Aziza hat er großes vor, hat sie doch Gaben, die ihm nutzbar sein könnten in seiner Taktiererei mit den Anführern der türkischen Bewegung und den äußeren Feinden aus Frankreich…
Der Roman beginnt als großer Abenteuerroman, spannend, atmosphärisch wie ein Hollywood-Blockbuster. Der Mittelteil dagegen entwickelt sich eher zäh. Die Romanhandlung weist einige logische Schwächen bzw. Sprünge auf. Historische und religiöse Hintergründe bleiben sehr allgemein und vage. Die Figuren sind eher statisch und holzschnitthaft. Jeder scheint nur nach seinem Vorteil zu trachten, um Ideale oder auch um Glauben geht es wenig. Religion dient nur der Stabilisierung oder Vergrößerung des eignen Einflusses, als politisches Instrument oder als reine Überlebensstrategie, wenn man an die konvertierten Jesiden denkt. Einzig die Frauen im Dienste des Sektenführers erscheinen als religiöse Fanatikerinnen, die im Namen der Religion ihren Körper verkaufen und hinterhältige Mordanschläge ausführen im Glauben an das Gute der Sache. Der Sektenführer selber ist ein bösartiger, berechnender, abstoßender Fettsack, der keine Werte kennt, nur den eigenen Vorteil. Aziza könnte da ein großes Gegenbild sein, aber ihre Figur gerät im Mittelteil sehr in den Hintergrund. Sie wiederholt lediglich immer an ihrem Glauben festhalten zu wollen, trotz aller gegenteiligen Erfahrung. Woher sie diese Stärke im Glauben nimmt, ist mir nicht wirklich deutlich geworden. Ihre Visionen sind mir allerdings auch zu fremd, um mich dort einfühlen zu können.
Der Schlussteil versöhnt wieder mit dem Buch. Hier schildert der Autor, was ich mir eigentlich mehr von dem Buch erwartet hätte: das Leben der Heilerin Aziza als religiöser Außenseiterin. Trotz aller Mühsal ihres Lebens – oder wegen? - hat die Schilderung ihres Todes am Ende etwas Befreiendes und Hoffnungsvolles.
Das Buch zeigt deutlich, wie der Mensch Religion zu seinem Zweck aufs Schändlichste missbraucht. Deutlicher hätte für mich werden können, dass dies im Wesen des Menschen begründet liegt, nicht in der Religion. Dazu wäre es für den Laien hilfreich gewesen, mehr über die politischen, historischen und religiösen Zusammenhänge – insbesondere auch über die Jesiden und die vielen im Buch nur genannten religiösen Gruppierungen – zu erfahren.

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Veröffentlicht am 17.10.2022

Eine lustige Weihnachtsgeschichte

Ein Alman feiert selten allein
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Elif ist Tochter einer türkischer Gastarbeiterfamilie. In diesem Jahr lernt sie die Eltern ihres deutschen Freundes Jonas kennen. Und das ausgerechnet zu Weihnachten. Werden ihr dabei ihre Weihnachtserfahrungen ...

Elif ist Tochter einer türkischer Gastarbeiterfamilie. In diesem Jahr lernt sie die Eltern ihres deutschen Freundes Jonas kennen. Und das ausgerechnet zu Weihnachten. Werden ihr dabei ihre Weihnachtserfahrungen aus ihrer eigenen Familie, die sich bemüht hat, ihren Töchtern Weihnachten vergleichbar dem ihrer deutschen Mitschülerinnen zu ermöglichen, dabei helfen können, diese Probe zu bestehen?
Weihnachtlicher Hype ist ja immer eine Satire wert. So wird auch hier das Notstands-Gebaren der Familie zu Weihnachten genüsslich auf die Schippe genommen. Dabei aus der Perspektive einer Nicht-Christin zu schreiben, macht diese Weihnachtsparodie besonders reizvoll und originell. Dabei klingen durchaus auch ernste Töne an über Clash of Cultures, Assimilation und Vorurteile. Allerdings hoffe ich doch, dass Fragen und Phrasen: „Warum esst ihr kein Schweinefleisch?“, „Bei uns Deutschen wird das aber so gemacht.“ oder „Wieso bist du überhaupt hier? Ihr feiert ja noch nicht mal Weihnachten!“ sowie ein mit einem Geschirrtuch um den Kopf als Muslima verkleideter Labrador zu den übertriebenen Klischees gehören und nicht in eine durchschnittlich aufgeklärte und halbwegs weltoffene Familie. Oder zumindest mit dem gleichen Augenzwinkern gemeint sind wie die vielen Stereotypen über deutsche Gründlichkeit, Ordnungsliebe oder Gemütlichkeit, die die Protagonistin/Autorin von sich gibt.

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Veröffentlicht am 15.10.2022

Zwei ungleiche Brüder

Zwischen Brüdern
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Als der Erzähler nach seiner Kriegsgefangenschaft in Folge des 1. Weltkrieges ins Nachkriegswien zurückkehrt, trifft er dort auf seinen jüngeren Bruder Hans. Dieser hat die Gabe trotz allen persönlichen ...

Als der Erzähler nach seiner Kriegsgefangenschaft in Folge des 1. Weltkrieges ins Nachkriegswien zurückkehrt, trifft er dort auf seinen jüngeren Bruder Hans. Dieser hat die Gabe trotz allen persönlichen und geschichtlichen Widrigkeiten immer wieder das Schöne in der Welt zu sehen. Das Schöne ist für ihn die neue Ästhetik des Kunsthandwerks, wie sie z. B. vom Bauhaus definiert wird. Aus den Augen des Erzählers, Lehrer für Geographie und Turnen, eher bodenständig, realistisch und „enervierend bescheiden“, entfaltet sich das Leben des Schöngeistes und Lebenskünstlers Hans, der in den stürmischen Zeiten zwischen Nachkriegsjahren und Kriegsjahren des 2. Weltkriegs, immer wieder in ganz persönliche Krisen schlittert und immer wieder ein neues Leben beginnt oder beginnen muss. Im Stil der Literatur der Neuen Sachlichkeit beschreibt der Erzähler das schillernde Leben in der Metropole Wien in seinen Höhen und Tiefen, die verschiedenen Stile der damaligen Baukunst, das rote Wien und darin die persönlichen Schicksale seiner Familie und Freunde sehr anschaulich und packend. Sein Verhältnis zu seinem Bruder ist geprägt von Bewunderung, aber auch Unverständnis für dessen egoistische Eskapaden, die auch vor der eigenen Tochter nicht Halt machen. Schade dabei ist nur, dass er, obwohl er ja der Erzähler ist, nicht so viel über sich erzählt. Es mag seiner „enervierenden Bescheidenheit“, wie der Bruder Hans einmal sagt, geschuldet sein, dass er sich selbst nicht so wichtig nimmt. Ein leises, bescheidenes Buch über eine laute, schillernde Zeit. Genauso so schnörkellos wie die Bauhauskunst, um der reinen Kunst zur Form zu verhelfen.

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