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Veröffentlicht am 04.12.2017

Von kleinen und großen Katastrophen …

Zur Sache, Schätzle!
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Endlich fühlt sich die 32jährige Pipeline, die von allen nur Line genannt wird, bereit, ihr bisheriges Leben zu ändern und mit ihrem Freund Leon zusammen zu ziehen. Also muss eine bezahlbare Wohnung her, ...

Endlich fühlt sich die 32jährige Pipeline, die von allen nur Line genannt wird, bereit, ihr bisheriges Leben zu ändern und mit ihrem Freund Leon zusammen zu ziehen. Also muss eine bezahlbare Wohnung her, was in Stuttgart gar nicht so einfach ist. Da Leon zurzeit als Ingenieur in China arbeitet, macht sich Line alleine auf Wohnungssuche. Sie versucht zwar ihr bestes um alles richtig zu machen, doch ein Missgeschick nach dem anderen kommt dazwischen. Da ist ein Polizist - und plötzlich zweifelt Line an ihren Gefühlen. Dann ist Leon zurück, eine Wohnung ist gefunden, ein recht chaotischer Umzug ist auch bewältigt – die ersehnte Zweisamkeit kann nun beginnen. Doch dann meldet sich Lines Katastrophen-Gen wieder und sie stolpert von einem Schlamassel in den anderen …

„Zur Sache Schätzle!“ ist bereits der vierte Band einer Serie mit Line und Leon, die die Autorin Elisabeth Kabatek mit viel Humor und schwäbischem Lokalkolorit geschrieben hat. Auch wenn man die ersten Teile nicht gelesen hat, kann man der Geschichte mühelos folgen, da immer wieder Bezug auf frühere Ereignisse genommen wird. Der Schreibstil ist sehr flüssig, bildhaft und detailreich. Man kann sich die Figuren und ihre Handlungsweisen gut vorstellen. Besonders eindrucksvoll, ja schon filmreif, ist eine Szene, in der Line mit dem Fahrrad quer durch Stuttgart (bergauf und bergab - Stuttgart ist hügelig) rast, um eine Hochzeit im letzten Moment zu verhindern. Da bleibt wirklich kein Auge trocken und die Lachmuskeln werden arg strapaziert. Die Dialoge sind ab und zu in schwäbischem Dialekt geschrieben, was die Geschichte sehr authentisch macht. Sollte der Leser damit Probleme haben, sind die eingefügten Fußnoten eine große Hilfe.

Fazit: Ein unterhaltsames, humorvoll und einfallsreich geschriebenes Buch – bestens geeignet zum Abschalten und Entspannen.

Veröffentlicht am 03.12.2017

Von Mäusen und Menschen …

Danke für meine Aufmerksamkeit
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Nachdem Britta sich von ihrem Lebensgefährten getrennt hat, braucht sie eine neue Bleibe. Doch dies ist gar nicht so einfach, denn Britta ist eine gewöhnliche Hausmaus, allerdings eine, die sprechen kann. ...

Nachdem Britta sich von ihrem Lebensgefährten getrennt hat, braucht sie eine neue Bleibe. Doch dies ist gar nicht so einfach, denn Britta ist eine gewöhnliche Hausmaus, allerdings eine, die sprechen kann. Durch Zufall landet sie im Haus von Polly, welches das elfjährige Mädchen mit ihren Eltern bewohnt. Fortan nimmt Britta teil am menschlichen Leben, lernt Pollys Freunde und deren Probleme mit den Eltern kennen, verliebt sich in Nachbars Kater Rico und trifft endlich auf Ferdinand, den Mäusemann ihres Lebens …

Bevor die Autorin Cordula Stratmann als Komödiantin im TV bekannt wurde, war sie als Sozialarbeiterin mit Ausbildung als Familientherapeutin tätig. Sie hat es gut verstanden, ihre diesbezüglichen Erfahrungen in diesem Buch einzubringen. Humorvoll geht es um ernsthafte Themen wie Kindererziehung, Eltern, die kaum für ihre Kinder Zeit haben, überforderte Lehrer und Verunstaltung der deutschen Sprache. Leicht überzogen lernt man aus Sicht der Maus einige, teils groteske und teils bizarre, Familienverhältnisse, sowohl in der Wahrnehmung der Eltern, als auch der der Kinder kennen. Das Buch ist in einem lebendigen, flüssigen Schreibstil geschrieben, der die Szenen und Begebenheiten treffend wiedergibt, die auch sehr viel Lebensweisheiten enthalten.

Fazit: Ein Buch, bei dem man Schmunzeln kann, das aber auch zum Nachdenken anregt.

Veröffentlicht am 15.08.2017

Eine afrikanisch-amerikanische Familiensaga

Heimkehren
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Effia und Esi sind Schwestern, kennen sich jedoch nicht und wissen auch nichts von der Existenz der anderen. Während Effia bei ihrem Vater und Stiefmutter im Stamme der Fante aufwächst, lebt Esi bei ihrer ...

Effia und Esi sind Schwestern, kennen sich jedoch nicht und wissen auch nichts von der Existenz der anderen. Während Effia bei ihrem Vater und Stiefmutter im Stamme der Fante aufwächst, lebt Esi bei ihrer Mutter und Stiefvater im verfeindeten Stamm der Asante. Als die Engländer Mitte des 18. Jahrhunderts in Ghana einfallen, kooperieren die Fante bald mit ihnen. Effia wird mit einem Engländer verheiratet und wohnt nun in Cape Coast Castle, einer Festung, in deren Verlies die gefangenen Schwarzen bis zu ihrer Verschiffung als Sklaven eingesperrt werden.

Von den Asante werden viele Stammesangehörige, unter ihnen auch Esi, gefangen genommen und als Sklaven nach Amerika verschickt, wo sie unter unwürdigsten Bedingungen auf den Baumwollfeldern und in Kohlegruben ums Überleben kämpfen. Während Effias Nachfahren über Generationen in einem gewissen Wohlstand leben und vom Sklavenhandel profitieren, müssen Esis Nachkommen über Jahrhunderte als Leibeigene in Amerika schuften. Erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts beginnt sich langsam einiges zu ändern …

„Heimkehren“ ist der Debütroman der jungen, 1989 in Ghana geborenen und in den USA aufgewachsenen, Autorin Yaa Gyasi. Das Buch erschien im April 2017 unter dem Titel „Homegoing“ zuerst in den USA und erhielt bereits von National Book Critics Circle den Preis „Best First Book“ und steht auf der Shortlist für PEN/Robert W. Bingham Prize for Debut Fiction. Die Autorin studierte Englische Literatur an der Stanford University und lebt in den USA.

Anhand zweier Familiengeschichten, die in Ghana etwa Mitte des 18. Jahrhunderts beginnen, schildert Yaa Gyasi sehr eindringlich die Rechtlosigkeit und die Unterdrückung, die die schwarze Bevölkerung erleiden musste und teilweise bis in die heutige Zeit noch erleiden muss. Man erlebt mit ihnen Sklaverei, Rassenhass, Bürgerkriege und Aufstände. Dabei wird dem Leser auch klar gemacht, dass daran nicht nur die Weißen Schuld tragen, sondern die Kriege und Fehden der verschiedenen schwarzen Stämme untereinander ein Großteil zum Sklavenhandel beigetragen haben. Hin und her pendelnd zwischen den beiden Zweigen der Familie über sieben Generationen hinweg widmet die Autorin jeweils einem Nachkommen ein Kapitel. Diese sind meist sehr kurz gehalten, so dass der Leser ständig mit einer geballten Ladung unerträglichen Leids und tragischen Schicksals konfrontiert wird.

Was ich anfangs noch spannend und interessant fand, wurde im Verlauf der Geschichte doch ziemlich anstrengend. Hätte ich nicht hinten im aufgeführten Stammbaum nachsehen können, wäre mir der Überblick öfters total verloren gegangen. Leider litt dadurch auch der Lesefluss. Für mein Empfinden wurde in die Geschichte zu viel rein gepackt, zu viele Familien, zu viele Einzelschicksale, zu viel Tragik und zu viel Leid. Da konnte mich auch ein versöhnlicher Schluss nicht mehr überzeugen, der für mich einem konstruierten Zufall gleichkommt.

Fazit: Ein durchaus lesenswertes Buch, das durch flüssigen Schreibstil und gut rekonstruierte geschichtliche Tatsachen überzeugt, vom Leser aber ein gewisses Maß an Konzentration erfordert und ihn recht nachdenklich zurück lässt.

Veröffentlicht am 11.07.2017

… und alles geschieht im Namen Gottes …

Nicht ohne meine Schwestern
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Celeste, Kristina und Juliana wachsen als 2. Generation in der Sekte „Children of God“ auf, welche Ende der sechziger Jahre in Kalifornien von David Berg gegründet wurde. Anfang der siebziger Jahre trat ...

Celeste, Kristina und Juliana wachsen als 2. Generation in der Sekte „Children of God“ auf, welche Ende der sechziger Jahre in Kalifornien von David Berg gegründet wurde. Anfang der siebziger Jahre trat der Vater der Mädchen der Sekte bei und bald wurde auch Celeste, die Älteste, geboren. Insgesamt zeugte Vater Jones mindestens 14 Kinder mit 7 verschiedenen Frauen. Die Kinder wuchsen nicht gemeinsam auf, sondern wurden zu Pflegefamilien oder in „Internate“ der Gemeinschaft gegeben, die sich an den verschiedensten Orten in Europa, Afrika und Asien befanden. Dort erwartete sie eine strenge Erziehung, harte Arbeit, Sex und Missbrauch. Die Sekte nannte sich inzwischen „Family of Love“ und handelte auch danach: Sie sollten möglichst viel Sex haben, auch mit Kindern, denn das sei der größte Ausdruck von Liebe. Fragwürdige Erziehungsmethoden, brutale Züchtigung und Prügel erwartete die Kinder, wenn sie ihre Meinung kundtaten oder nicht zu Willen waren. Da die Behörden mittlerweile auf das Treiben der Sekte aufmerksam wurden, wurden ständig Namen und Aufenthaltsorte und somit auch die Bezugspersonen gewechselt. Erst im Erwachsenenalter gelingt es den Schwestern, sich unabhängig voneinander aus den Zwängen der Sekte zu befreien …

„Nicht ohne meine Schwestern“ ist ein erschütternder Tatsachenbericht, der meine Vorstellungskraft, die ich bisher über Sekten hatte, bei weitem übertrifft. Die drei Autorinnen Celeste Jones, Kristina Jones und Juliana Buhring widmeten das Buch ihrer Schwester Davida, die an ihren Erlebnissen zerbrach und an einer Überdosis Heroin starb. In je einem Kapitel erzählen die Frauen zunächst von ihrer eigenen Kindheit und Jugend, die unabhängig voneinander doch ähnlich verlief. Da sie sich ab und zu trafen ist es nicht verwunderlich, dass einzelne Passagen ähnlich klingen und manche Ereignisse sich wiederholen. Ängste und Verluste, harte Arbeit und Gewalt, Züchtigungen, Gebete und Sex bestimmen die ersten Jahre der Mädchen, die der Willkür der Erwachsenen hilflos ausgeliefert sind. Um Geld zu beschaffen mussten sie singen, tanzen und betteln – das war ganz normal, sie kannten ja nichts anderes.

Im vierten Teil kommen die Schwestern abwechselnd zu Wort. Jede erzählt von ihren Gefühlen und von ihren ersten zaghaften Gedanken, die „Familie“, wie sich die Sekte nun nennt, zu verlassen. Doch wie sollten sie sich im „System“, wie die Welt außerhalb der Gemeinschaft genannt wurde, zurecht finden? Wie sollten sie sich von der eingetrichterten Ideologie befreien, wo doch draußen eine feindliche Welt auf sie lauert? Obwohl vor jedem Kapitel steht, welches der Mädchen gerade seine Geschichte erzählt, ist dieser Teil des Buches nicht ganz leicht zu lesen. Zeitangaben und Zeitspannen überschneiden sich und neue Namen von Bezugspersonen, von Halb- und Stiefgeschwistern tauchen auf, die man bald nicht mehr zuordnen kann. Man verliert leicht den Überblick darüber, in welchem Alter das jeweilige Mädchen gerade war, als sie von diesem oder jenem Erlebnis berichtet. Dennoch gebührt ihnen größten Respekt dafür, dass sie es geschafft haben, sich aus den Klauen der Sekte zu befreien und für ihren Mut, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen.

Veröffentlicht am 10.07.2017

Zwei große, bedeutende Männer

Und Marx stand still in Darwins Garten
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Kent, „Down House“, Frühjahr 1881. Wieder einmal erwacht Charles Darwin schweißgebadet. Alpträume stören seinen Schlaf, sein schlechtes Gewissen plagt ihn, seit er die Gesetze der Evolution entdeckt und ...

Kent, „Down House“, Frühjahr 1881. Wieder einmal erwacht Charles Darwin schweißgebadet. Alpträume stören seinen Schlaf, sein schlechtes Gewissen plagt ihn, seit er die Gesetze der Evolution entdeckt und somit den Glauben an den Schöpfer verloren hat. Er ist jetzt 72 Jahre alt und fürchtet, nach seinem Ableben als „Gottesmörder“ in die Geschichtsbücher einzugehen. Die Folgen davon sind chronische Migräne, ausgeprägte Übelkeit und unerträgliche Flatulenzen, die auch die regelmäßigen Besuche seines Arztes Doktor Beckett nur unzureichend lindern können. So widmet er sich nächtelang seinem Experiment zur Erforschung des Regenwurms – seiner Frau Emma wäre es lieber, er würde sich wieder Gott zuwenden.

Etwa 20 Meilen entfernt, in London, Maitland Park Road, leidet ein anderer Mann, Karl Marx. Der staatenlose Immigrant aus Deutschland hadert mit seinem Schicksal. Die Arbeit am 2. Band von „Das Kapital“ geht nur schleppend voran, seine finanzielle Lage ist beschämend, die Revolution will und will nicht kommen, das Wetter in England ist ihm zu nass und zu kalt, und jetzt ist er auch noch ernsthaft krank. Der 63jährige liegt mit schwerer fiebriger Bronchitis danieder, sein gut betuchter Freund Friedrich Engels schickt ihm Doktor Beckett.

Der Arzt ist fasziniert von seinen beiden Patienten, dem Juden und Rabbiner-Enkel Marx und dem ehemaligen Theologie-Studenten Darwin, von ihren Theorien und Denkweisen. Es bleibt nicht aus, dass er bei dem einen über den anderen spricht und dabei feststellt, dass sie mehr Gemeinsamkeiten haben, als sie sich eingestehen wollen. Bei einem abendlichen Dinner kommt es zum Treffen, das mit einem Eklat endet …

Die Autorin Ilona Jerger hat Politologie und Germanistik studiert, war von 2001 bis 2011 Chefredakteurin der Zeitschrift „natur“ und lebt als freie Journalistin und Autorin in München. Dem Roman „Und Marx stand still in Darwins Garten“ liegt eine intensive Recherche vor Ort zugrunde, Darwins Briefe und der Briefwechsel zwischen Marx und Engels wurden ebenfalls hinzu gezogen. Historische Fakten wurden nicht verändert, allerdings sind sich Darwin und Marx nie begegnet und Doktor Beckett gab es nicht. Tatsächlich hat Marx jedoch an Darwin ein Exemplar von „Das Kapital“ mit einer sehr wertschätzenden Widmung geschickt, für welches sich Darwin seinerseits mit einem höflichen Brief bedankte. Das Buch steht heute noch in Darwins Arbeitszimmer in „Down House“, das sich im Besitz von „English Heritage“ befindet und der Öffentlichkeit zugänglich ist.

Ein informativer Roman, in dem die Autorin ihre Erzählkunst mit wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Erkenntnissen verbindet und das Portrait zweier bedeutender Männer des 19. Jahrhunderts zeichnet. Ihr Schreibstil ist klar und flüssig, gut und schnell lesbar, und von beeindruckender Präzision. Der Leser erfährt Einzelheiten aus Darwins jungen Jahren, über seine gefahrvollen, abenteuerlichen Reisen, bei denen er Erdbeben, Vulkanausbrüche und Tsunamis erlebte, und erhält Einblick in seine vielfältigen Forschungen. Dass Karl Marx aus einer Rabbinerfamilie aus Trier stammt ist ebenso interessant zu lesen wie, dass bei seiner Beerdigung Engels die Grabrede hielt und Wilhelm Liebknecht einen Kranz mit roter Schleife nieder legte.

Fazit: Ein humorvolles Portrait zweier großer Männer – für den interessierten Leser ein Gewinn.