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Julia_Matos

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.01.2018

Vergangenheitsbewältigung und Selbstfindung in stimmungsvoller Atmosphäre

Im kalten Nebel
1

Loreth Anne White hat eine altbekannte Grundidee inhaltlich und stilistisch toll umgesetzt.
Wo man andernorts auf eine naive oder konturlos anmutende Hauptfigur trifft, wirkt hier Hauptfigur Meg sehr lebendig, ...

Loreth Anne White hat eine altbekannte Grundidee inhaltlich und stilistisch toll umgesetzt.
Wo man andernorts auf eine naive oder konturlos anmutende Hauptfigur trifft, wirkt hier Hauptfigur Meg sehr lebendig, weist Ecken und Kanten auf, lädt zum Mitfühlen ein. Beruhend auf traumatischen Erlebnissen ist sie eine sich kühl gebende Karrierefrau, deren Fassade zu bröckeln beginnt.
Die Autorin versteht etwas davon, in das Setting einzusaugen. Es wird stets eine passende Atmosphäre erzeugt, mal bedrohlich-düster, mal zum Verlieben.
Es geht um Geheimnisse, Lügen, Selbstbetrug, Zuneigung, Eifersucht, Vertrauen, Misstrauen und die elementaren Fragen “Was macht uns zu dem, was wir sind? Was bewirken äußere Einflüsse? Was macht mich glücklich? Wie möchte ich leben? Wer möchte ich sein?”.
Eine Aufteilung in Schwarz und Weiß gibt es nicht, Motive für das jeweilige Handeln sind einfühlsam und einleuchtend dargestellt. Dadurch dass eine Vielzahl an spannenden Nebenfiguren mit ihren ganz eigenen Hintergründen, Problemen und Interessen ihren Auftritt haben, kann man lange über die 22 Jahre zurückliegenden Geschehnisse miträtseln. Immer mehr Puzzleteile fügen sich zusammen, wobei auch Rückschläge und unerwartete Wendungen nicht ausbleiben. Es werden reichlich Spannung und Emotionen geboten.
Großer Pluspunkt: Die unaufdringliche Vermittlung positiver Botschaften, die nachwirken und als Denkanstoß dienen können.

Was Interessierte wissen sollten: Umschreibungen von Gefühlsregungen nehmen textlich viel Raum ein. Dabei werden einige Phrasen zum Gemütszustand sehr oft bemüht, z. B. das gegen die Brust hämmernde/pochende oder für einen Schlag aussetzende Herz. Zudem werden Umgebung, Wetterlage und so manche banale Tätigkeit ausführlich beschrieben. Durchaus bildhaft beschrieben, z. B. mit stimmigen Metaphern, was dazu beiträgt, dass man tiefer in die Atmosphäre eintaucht und unterschwellige Stimmungen wahrnehmen kann. Aber nicht Jeder mag die hierdurch auftretenden Längen. Auch ich hätte mir manchmal mehr Tempo gewünscht. Insbesondere im Mittelteil, in dem Meg Zeitzeugen und Ermittelnde befragt, fiel die Spannungskurve ab. Und es gibt Stellen, die ein bisschen kitschig anmuten. Nicht zu sehr für meinen Geschmack, aber ich gehöre eben auch zu den Leuten, die dafür empfänglich sind.

Ich finde es super, dass mit Perspektivwechseln im personalen Erzählstil (Bewusstseinshorizont der erzählenden Figur) und mit Rückblenden gearbeitet wird. Unausgesprochene bedeutungsvolle Interpretationen zu Wahrgenommenem werden durch kursive Schrift hervorgehoben – ein Stilmittel, das mir gut gefällt.

Hat mich nicht ganz so gefesselt wie “Winterjagd”. Den Storyverlauf fand ich innovativer und unerwarteter, die inneren Kämpfe der Figuren noch intensiver und die Hauptfigur Olivia ging mir noch mehr ans Herz. Aber das ist Meckern auf sehr hohem Niveau. Ich spreche für beide Romane meine Leseempfehlung aus.
Ich freue mich auf einen dritten Roman von Loreth Anne White in deutscher Übersetzung.

Veröffentlicht am 21.01.2018

Spannende und emotionale Geschichte, eingebettet in das 20. Jahrhundert

Kain und Abel
0

Über mehrere Jahrzehnte begleitet man hier zwei im Jahr 1906 geborene Männer, die sich charakterlich so ähnlich sind, deren unbeugsamer Stolz sie jedoch zu erbitterten Rivalen macht. Der eine Selfmade, ...

Über mehrere Jahrzehnte begleitet man hier zwei im Jahr 1906 geborene Männer, die sich charakterlich so ähnlich sind, deren unbeugsamer Stolz sie jedoch zu erbitterten Rivalen macht. Der eine Selfmade, ein Paradebeispiel für den amerikanischen Traum „Vom Tellerwäscher zum Millionär“, mit umfänglichen Erfahrungen in Armut, Gefangenschaft, Verlust und Traumata. Der andere, dem von Geburt an ein steiler Aufstieg zur Elite im Bankenwesen angedacht ist.
Auch wenn es bei ersterem naturgemäß leichter fiel, habe ich mit beiden sympathisiert und mitgefiebert, denn sie haben lobenswerte Eigenschaften sowie Schwächen und mit Rückschlägen zu kämpfen. Des Öfteren hätte ich sie gern zusammen in einen kleinen Raum gesperrt, damit sie sich mal aussprechen. Der Zwist gerät glaubhaft. Es tritt ein Gegenspieler auf, der das Schwarz-Weiß-Denken ein bisschen überstrapaziert, ansonsten fand ich auch die Nebenfiguren gelungen.
Der auktoriale Erzählstil ermöglicht es, auch Fakten zu Nebenfiguren und Nebenschauplätzen zu sammeln und berufliche und private Entwicklungen auf allen Ebenen mitzuverfolgen. Einerseits gefallen mir die vielfältigen Einblicke und es werden doppelte Szenenwiedergaben vermieden, andererseits wird die Story dadurch vorhersehbarer.
Ähnlich wie bei der Clifton-Saga fließen Informationen zur Historie des 20. Jahrhunderts (hier vorrangig USA, aber auch Mitteleuropa, Russland und Türkei) ein, es stehen aber die fiktiven Figuren im Vordergrund. Ich bin dankbar für den Erkenntniszuwachs. Die Einbettung in die beiden Familiengeschichten finde ich glaubhaft. Auch sind fiktive von realen Vorkommnissen gut unterscheidbar.
Noch eine Parallele zur Clifton-Saga: Zu Beginn erhält man Einblicke in die Lebenswirklichkeit der Armen und Unterdrückten, was ich als besonders berührend, faszinierend und erschütternd empfunden habe. Zum Ende hin wird nur noch die Oberschicht beleuchtet, es geht viel um Machtspiele, Intrigen, Politik und Aktienkäufe. Zunächst geneigt, darüber zu meckern, dass demgegenüber Gefühlslagen zu wenig Raum einnehmen, fühle ich mich durch solche Sätze besänftigt: „ich betrachte nur einfach meinen kostbarsten Besitz und vergewissere mich, dass ich ihn nicht als gegeben hinnehme“, „S. hatte einmal behauptet, Liebe wäre etwas für arme Schweine (…) Ich muss pleite sein.“ Zudem kann man wohlwollend vorbringen, dass die nach außen demonstrierte Stärke für einen authentischen Charakter spricht. Dass Probleme unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten wenig vorkommen, finde ich schade, möchte dies aber nicht als Minuspunkt werten, da der Klappentext dies auch nicht versprochen hat.
Charmant sind solche humorvollen Seitenhiebe: „und schaute zu, wie sein Erstgeborener (…) immer dort auftauchte, wo man ihn am wenigsten erwartete, woraus R. schloss, dass sein Sohn bestimmt Politiker werden würde.“
Bei eingängiger Sprache wird lange Unterhaltung (mehr als 700 Seiten) geboten.
Abweichend von der Clifton-Saga ist dieses Werk eigenständig. Alle Handlungsfäden werden (teils überraschend) abgeschlossen, alle Rätsel gelöst. Die beiden Fortsetzungen zur nächsten Generation sind optional.
Familiensaga, Thriller, Historie, Liebesgeschichte - ich hatte viel Freude an diesem emotionalen und spannenden Buch mit Botschaft.

Veröffentlicht am 18.11.2017

Unamerikanisch – im besten Sinne

Der Letzte seiner Art
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Wenig klassische Action, viel Charakterstudie. Dabei wurde es mir nie langweilig. Als Leser taucht man 350 Seiten lang ein in den Bewusstseinshorizont der desillusionierten, zynischen und viel über philosophische ...

Wenig klassische Action, viel Charakterstudie. Dabei wurde es mir nie langweilig. Als Leser taucht man 350 Seiten lang ein in den Bewusstseinshorizont der desillusionierten, zynischen und viel über philosophische Schriften von Seneca sinnierenden Hauptfigur. Duane wirkt echt, sodass ich Anteil an seinem Schicksal nahm. Nicht selbstverständlich, da er nicht nur ein Opfer ist und aufgrund seines Machogehabes eigentlich nicht für den typischen Sympathieträger steht. Besonders faszinierend und dabei auch erschütternd fand ich die Rückblenden. Erkenntnisse zu politischen Machenschaften empfinde ich als tragisch und realistisch. Die Beschreibungen zum Umfeld (irisches Hafenstädtchen) geraten atmosphärisch.
Das Ende lässt noch Fragen offen. Einige werden’s nicht mögen, für mich ist dieses Ende sehr stimmig. Wenn Duane in so vielen elementaren Fragen keine Gewissheit erlangt hat, ist es dann nicht viel passender, wenn man auf diese Weise angeregt wird, ein bisschen über alternative Enden zu grübeln und darüber wie man selbst agiert hätte?!
Auch wenn das Buch etwa 15 Jahre alt ist, sind die Themen „Technik in der Kriegsführung“ und „Ethik der Medizin“ modern wie nie.
Mein erster Andreas-Eschbach-Roman war sowohl unterhaltsam als auch tiefgründig. Ich freue mich über gewonnene Denkanstöße und habe Lust, mehr in dieser Richtung zu lesen.

Veröffentlicht am 18.11.2017

Historische Familiensaga mit Thrillerelementen und viel britischer Politik und Wirtschaft bei hohem Stellenwert fiktiver Figuren

Die Clifton-Saga 1-3: Spiel der Zeit/Das Vermächtnis des Vaters/ - Erbe und Schicksal (3in1-Bundle)
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Band 1 und 2 sind mir 5 Sterne wert, die gesamte 7-teilige Saga 4 Sterne.
Hinweis: Ich habe die Clifton-Saga ab Band 3 im Englischen gelesen, wo bereits alle Bände erschienen sind. Neben dem Argument, ...

Band 1 und 2 sind mir 5 Sterne wert, die gesamte 7-teilige Saga 4 Sterne.
Hinweis: Ich habe die Clifton-Saga ab Band 3 im Englischen gelesen, wo bereits alle Bände erschienen sind. Neben dem Argument, dass das Original regelmäßig am besten ist, hier zwei weitere Vorteile: 1. Keine mehrmonatige Wartezeit auf den nächsten Band, insbesondere unter Berücksichtigung fieser Cliffhanger am Ende eines jeden Bandes und fehlender Inhaltszusammenfassungen. 2. Deutlich günstiger, Band 1 bis 7 für derzeit insgesamt 27,13 €.
Alle 7 Bände der historischen Familiensaga sind gut geschrieben, spannend und bieten gute Unterhaltung.
Es werden Einblicke in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft ab Ende der 1920er-Jahre gewährt, bisweilen etwas konstruiert zur Einordnung in die Familiengeschichte. Politisch steht Großbritannien im Vordergrund, es gibt aber auch Exkurse in deutsche, russische und US-amerikanische Geschichte, wobei sich Präferenzen herauskristallisieren (z. B. wenig schmeichelhafte Darstellung der Russen).
Im Mittelpunkt stehen aber tatsächlich eher familiäre Verwicklungen als geschichtliche Genauigkeit.
In Band 1 und 2 werden mit Maisie und Harry sympathische, tiefgründige Hauptfiguren etabliert, die mich mitfühlen ließen.
Aus meiner Sicht lässt die emotionale Tiefe in den Folgebänden nach, was sich dadurch äußert, dass viele neue Figuren Stereotype bedienen und zu wenig charakterisiert werden und bereits vorhandene Figuren langfristig zu wenig Ecken und Kanten haben. Familiär bedeutende Ereignisse (auch Geburten und Todesfälle) werden zu wenig aufgearbeitet, müssen wirtschaftlichen Themen und Krimielementen weichen. Ich hätte mir gewünscht, dass z. B. Vorstandssitzungen und das Innenleben der "Bösewichte" kürzer gefasst worden wären, zugunsten von mehr emotionalem Tiefgang bei Familienmitgliedern. Die zunehmende Einteilung in Schwarz und Weiß fand ich schade: Auf der einen Seite die megaerfolgreichen, herzensguten, moralisch unfehlbaren Helden. Auf der anderen Seite die zumeist gleichen Gegner, die - von wenig substantiierten Rachegefühlen, Macht- oder Geldgier getrieben - fiese Intrigen aushecken oder immer wieder ähnliche Machtspiele provozieren (viele Thrillerelemente in Band 3 bis 6). Hierdurch ist Identifikationspotenzial verloren gegangen.
Ich hätte es als reizvoll empfunden, wenn der Zeitgeist in den unterschiedlichen Epochen intensiver eingefangen worden wäre: Alltag und Sorgen der sog. unteren Mittelschicht und Unterschicht, gesellschaftliche Problemstellungen kommen insbesondere ab Band 3 zu kurz. Politisch wird vorrangig auf das unmittelbare Umfeld der fiktiven Figuren abgestellt, hier hätte ich das Aufzeigen größerer Zusammenhänge und mehr geschichtliche Genauigkeit begrüßt.
Trotz meiner Kritikpunkte bleibt es unbestritten, dass Jeffrey Archer einen guten Erzählstil hat. Gestaltet sich die eine Handlungslinie nicht so faszinierend, geht es mit einem anderen Protagonisten im nächsten Abschnitt spannungsgeladen weiter (Vorlieben werden sich je nach persönlichen Neigungen unterscheiden).
Im Ergebnis habe ich bis zum Ende interessiert gelesen, bin auch dankbar für vielfältige Einblicke in eine Zeit vor meiner Geburt, war zum Ende hin aber nicht mehr so gefesselt und fasziniert wie zu Beginn. Der Erkenntnisgewinn zur Gesellschaft und zur für mich interessanten Politik blieb überschaubar. Wer eine Saga sucht, die den Fokus darauf legt, Gesellschaft und Politik sowie Personen und Nationen ausführlich, ausgewogen und realitätsnah zu beleuchten, ist hier nicht optimal bedient. Wer dies sucht, sollte besser die Jahrhundert-Saga von Ken Follett lesen.

Veröffentlicht am 17.11.2022

Philosophisch, actionreich, mit bissigem Humor

Der Koloss aus dem Orbit
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Dies ist ein eigenständiger, temporeicher SF-Thriller um eine Zeitreise in die Zukunft mit utopischen und dystopischen Elementen, inneren Kämpfen und dezenter Liebesgeschichte.
Ich-Erzählerin Dysti ist ...

Dies ist ein eigenständiger, temporeicher SF-Thriller um eine Zeitreise in die Zukunft mit utopischen und dystopischen Elementen, inneren Kämpfen und dezenter Liebesgeschichte.
Ich-Erzählerin Dysti ist eine 38-jährige mürrische, abgewrackte Ex-Reporterin. Sie sammelte bei mir Pluspunkte, indem sie im Laufe der Geschichte ihren weichen Kern (Fürsorge, Verletzlichkeit) hinter der harten Schale zeigte. Es ist interessant, verschiedene Gesellschaftsformen kennenzulernen und mitzuerleben, wie die Erlebnisse und Begegnungen ihr Weltbild und Selbstbild verändern. Mir gefällt, dass die Charaktere keine Superhelden sind, sondern fehlerbehaftet und mit Selbstzweifeln.
Von der Umgebung erhielt ich brauchbare Eindrücke. Ich hatte z. B. Szenen aus „Das fünfte Element“, „Mad Max“ und „I am Legend“ mit Will Smith vor Augen.
Spannend sind die Zukunftsfragen. Allerdings empfand ich die Diskussion rund um Grenzen zwischen Menschsein und Maschine stellenweise etwas gewollt. Nach meinem Verständnis ist ein als solcher geborener und aufgewachsener Mensch, der im Erwachsenenalter technische Upgrades z. B. an Gliedmaßen erhält, selbstredend ein vollwertiger Mensch. Im späteren Verlauf der Handlung in anderem Kontext finde ich diese Diskussion aber durchaus passend und bereichernd.
Die vorherrschende Technikfeindlichkeit und was zu solchen Zuständen geführt hat, hätte für meinen Geschmack früher und ausführlicher erklärt werden sollen.
Eine sprachliche Kritik: Der Ausdruck „Cyborg“ kommt im Buch 193x vor und wird dabei für unterschiedliche Figuren verwendet. Ich hätte mir eine vielfältigere Wortwahl gewünscht, bestenfalls eine, die dem sich wandelnden Gefühlsleben der Protagonistin gerecht wird.
Das dritte Viertel des Romans mit viel emotionsarmem Häuserkampf gefiel mir am wenigsten.
Das Ende knüpft dann wieder an die positiven Seiten an, wirkt abgerundet, lässt den roten Faden erkennen, beantwortet offene Fragen und stellte mich insgesamt zufrieden.
Meine positiven Eindrücke überwiegen: Es gibt Spannung, bissigen Humor, Atmosphäre, laute und leise Momente sowie wertvolle Denkanstöße, die mich knappe vier Sterne vergeben lassen. Ich kann mir vorstellen, ein zweites Buch von Jacqueline Montemurri zu lesen.

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