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Veröffentlicht am 25.11.2022

Eine Anhäufung von Banalitäten

Hell's Kitchen
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Christian Zaschke schreibt seit 2001 für die Süddeutsche Zeitung, zuerst in München, zwischen 2011 und 2017 in London und seit 2017 New York. Für seine Heimatredaktion hat er in dieser Zeit nicht nur über ...

Christian Zaschke schreibt seit 2001 für die Süddeutsche Zeitung, zuerst in München, zwischen 2011 und 2017 in London und seit 2017 New York. Für seine Heimatredaktion hat er in dieser Zeit nicht nur über die amerikanische Tagespolitik berichtet, sondern auch zusätzlich eine Kolumne gefüttert, in der er in 107 Beiträgen sein Leben in „Hell’s Kitchen“ beschrieben hat, diesem einstmals wegen seiner Bandenkriege und hoher Kriminalitätsrate berüchtigten Viertel in Manhattan, mittlerweile aber auch, wie so viele New Yorker Stadtteile mit Geschichte, der Gentrifizierung zum Opfer gefallen.

Aber darum geht es dem Autor nicht. Weder erfährt man Details zur Geschichte des Viertels, noch zu New York. Stattdessen nervt er mit nichtssagenden, inhaltsleeren und sich permanent wiederholenden Aussagen über sein Apartment im 17. Stock des ehemaligen Schwesternwohnheims, seinen ständig zitternden Friseur, der entweder alkoholabhängig oder an Parkinson erkrankt und deshalb nicht in der Lage ist, einen ordentlichen Haarschnitt hinzubekommen, die Schrottbar Rudy’s, deren Adresse aus welchen Gründen auch immer nicht genannt werden darf und in der er Stammgast ist. Tipps zu den interessanten und einzigartigen Ecken des Big Apple? Fehlanzeige, und sehr frustrierend für alle, die sich Infos über Erlebenswertes abseits der Touristenpfade von einem Insider erhoffen. Und unterm Strich null Erkenntnisgewinn für all diejenigen, die schon mehrfach in New York waren.

Mein Resümee? Eine Anhäufung von Banalitäten, die man sich getrost sparen kann. Da wäre selbst die Schilderung meines Aufenthaltes in der Notaufnahme in der Lower East Side unterhaltsamer gewesen.

Veröffentlicht am 06.11.2022

Ein Gesellschaftsroman, der gerne eine Kriminalgeschichte wäre. Oder doch umgekehrt?

Unschuld
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Im Zentrum von Takis Würgers neuem Roman „Unschuld“ steht Molly Carver, dreiundzwanzig, an Angststörungen und Panikattacken leidend und deshalb medikamentenabhängig. Sie lebt mit ihrem Onkel Mick in einer ...

Im Zentrum von Takis Würgers neuem Roman „Unschuld“ steht Molly Carver, dreiundzwanzig, an Angststörungen und Panikattacken leidend und deshalb medikamentenabhängig. Sie lebt mit ihrem Onkel Mick in einer kleinen Kellerwohnung in Queens, in der sämtliche Freiflächen mit Zeitungsartikeln über ihren Vater Florentin beklebt sind. Dieser hat sich des Mordes am Sohn der vermögenden Rosendales aus dem Hudson Valley schuldig bekannt und sitzt nun seit zehn Jahren in der Todeszelle. Nun steht der Termin für seine Hinrichtung fest und Molly, überzeugt von seiner Unschuld, bleiben nur 35 Tage, um diese zu beweisen. Dafür muss sie aber in die Vergangenheit eintauchen, und wo könnte das besser gelingen als auf dem Anwesen der Rosendales?

Ein Plot, der vertraut klingt und den wir aus zahlreichen Justizthrillern kennen. Allerdings sind es dort in der Regel die Profis, die sich dieser Herausforderung annehmen und seltener bis nie eine junge Frau mit zahlreichen Handicaps. Dieser Thriller-Aspekt tritt aber relativ schnell in den Hintergrund und macht Platz für jede Menge gesellschaftspolitischer Themen, die sich dem Autor bei seinen Aufenthalten in den Vereinigten Staaten offenbar aufgedrängt haben. Allerdings liegen diese, auch wenn man die amerikanischen Verhältnisse nur auch der Ferne betrachtet, so glasklar auf der Hand, dass man darüber kaum noch sprechen muss: Soziale Ungerechtigkeit, Superreiche, die über dem Gesetz stehen, Arme, die ihre Seele verkaufen, die Macht der Waffenlobby, tief verankert durch den zweiten Zusatzartikel zur Verfassung, Medikamentenmissbrauch, Todesstrafe und seltene Krankheit. Wenig überraschen, thematisch überfrachtet, aber genauso oberflächlich abgehandelt wie die Beschreibungen der persönlichen Beziehungen.

Ein Gesellschaftsroman, der gerne eine Kriminalgeschichte wäre? Oder doch umgekehrt? Funktioniert leider auf beiden Ebenen nicht zufriedenstellend.

Veröffentlicht am 16.10.2022

Eine Anhäufung von Banalitäten

Utopia Avenue
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London in den Swinging Sixties, Aufstieg und Fall einer (fiktiven) ProgRock-Band. Ich dachte, das wäre sicher interessant zu lesen, um die Erinnerungen an meine Teenagerzeit wieder aufleben zu lassen. ...

London in den Swinging Sixties, Aufstieg und Fall einer (fiktiven) ProgRock-Band. Ich dachte, das wäre sicher interessant zu lesen, um die Erinnerungen an meine Teenagerzeit wieder aufleben zu lassen. Weit gefehlt, aber vorhersehbar, wurde David Mitchell doch erst 1969 geboren und hat die Jahre dieser Ära nicht miterlebt.

Die Story der „Utopia Avenue“ ist schnell zusammengefasst: Vier junge Musiker, in deren Leben es gerade nicht besonders rund läuft, werden von dem Talentscout Levon Frankland zusammengebracht, zu einer Band geformt und gemanagt. Dean Moss, der begnadete Bassist, Elf Holloway, Folksängerin und ehemals Teil eines Duos, Jasper de Zoet, Leadgitarrist mit psychischen Problemen und Griff Griffin, der raue Drummer aus dem Norden. Sie raufen sich zusammen, entwickeln sich musikalisch weiter, machen als „The way out“ Musik, benennen sich um in „Utopia Avenue“, schreiben erfolgreiche Hits, erobern den amerikanischen Markt. Sex and Drugs and Rock’n’Roll - bis zu einem tragischen Ereignis, das das Ende der Band bedeutet.

Das alles angereichert mit völlig überflüssigen Cameo-Auftritten der Großen im Musikgeschäft, Beatles, Pink Floyd, Grateful Dead, Bowie, Hendrix, Joplin, Cohen und wie sie alle heißen, deren Funktion offenbar lediglich darin besteht, den Zeitgeist zu transportieren, der Story Leben einzuhauchen. Wie sonst ließen sich deren banale Dialoge erklären?

Für mich in seiner Vom-Hölzchen-aufs-Stöckchen Erzählweise leider ein enttäuschendes Leseerlebnis. Die Handlung zu simpel konstruiert, die Personen zu stereotyp und platt angelegt, die Dialoge zu inhaltslos. Eine Anhäufung von Banalitäten, in der weder Qualität noch Originalität und zuletzt nicht die Magie von Mitchells früheren Werken zu finden ist. Ein künstlich aufgeblähter und nichtssagender Roman.

Veröffentlicht am 03.10.2022

Enttäuschendes Recycling-Projekt

Ein Leben in Geschichten
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Kürzlich erschien anlässlich des 80. Geburtstags von Donna Leon das schmale Bändchen „Ein Leben in Geschichten“, in dem die Autorin der Venedig-Krimis mit Commissario Brunetti in meist kurzen Erinnerungen ...

Kürzlich erschien anlässlich des 80. Geburtstags von Donna Leon das schmale Bändchen „Ein Leben in Geschichten“, in dem die Autorin der Venedig-Krimis mit Commissario Brunetti in meist kurzen Erinnerungen ihr Leben Revue passieren lässt. Allerdings erfährt man wenig Neues, denn der Großteil der Texte (22 von 30) wurde in der Vergangenheit bereits in anderen Publikationen veröffentlicht, ist also eher ein Recycling-Projekt

Vier Einteilungen gliedern die Erinnerungen stellen die jeweiligen Lebensabschnitte der Schriftstellerin vor. In „Amerika“ geht es im Wesentlichen um ihre Herkunft, Kindheit, Jugend und Familie. „On the road“ beschreibt ihre Aufenthalte in den verschiedenen Ländern, in denen sie gelebt und gearbeitet hat. In „Italien“ nimmt sie uns mit in ihre geliebte Wahlheimat Venedig, deren tiefgreifende Veränderungen für sie nicht mehr zu ertragen waren, sodass sie die Stadt verließ und ihren Lebensmittelpunkt in die Schweiz verlegte. „In den Bergen“ schließlich könnte man als den Schlusspunkt der Reisen Leons betrachten, die, die sich selbst als rastlos bezeichnet. Sie ist angekommen, lebt jetzt auf einem Bauernhof im Val Müstair in Graubünden und besitzt seit 2020 die Schweizer Staatsbürgerschaft.

Die Geschichten spiegeln den Eindruck wieder, den man hat, wenn man Interviews mit der Autorin kennt. Allzu Persönliches spart sie aus, bleibt vage, höflich zurückhaltend, vermeidet Bewertungen. Lediglich in den Rückblicken auf ihre Aufenthalte in China und Saudi-Arabien (im Rahmen von Lehrtätigkeiten) lässt sie sich zu emotionalen Aussagen hinreißen und kritisiert die starren, rigiden Regeln dieser Länder im Umgang mit den ausländischen Gästen.

190 Seiten, die keine neuen Erkenntnisse bieten, sondern Altbekanntes wieder aufwärmen. Für mich ein enttäuschendes, ein überflüssiges Buch, dessen Informationsgehalt für mich gegen Null tendiert und lediglich für Fans interessant sein könnte, die sich noch nie mit dem persönlichen Hintergrund der Autorin auseinandergesetzt haben.

Veröffentlicht am 31.08.2022

Überkonstruierte Story

SCHNEE
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Winter in Island. Der Schnee liegt meterhoch, der Wind pfeift. Nicht die beste Zeit, um eine Wanderung zu unternehmen. Doch davon lassen sich die beiden Paare nicht abhalten, haben sie doch jemanden kennengelernt, ...

Winter in Island. Der Schnee liegt meterhoch, der Wind pfeift. Nicht die beste Zeit, um eine Wanderung zu unternehmen. Doch davon lassen sich die beiden Paare nicht abhalten, haben sie doch jemanden kennengelernt, der den Eindruck vermittelt, dass er sich mit der Gegend auskennt und den Unbillen des Wetters trotzen kann. Doch es kommt anders als erwartet, denn die Gruppe kommt nicht zurück. Ein Such- und Rettungsteam wird losgeschickt, das in einer Berghütte Hinweise darauf findet, dass sie dort vorübergehend Unterschlupf gesucht haben. Die weitere Suche verläuft ergebnislos, bis…ja, bis das Team im Schnee einen Leichnam findet. Unbekleidet. Der dritte unerklärliche Fund während ihres Einsatzes. Zuerst der Kinderschuh, dann die Blutlache und jetzt die Leiche. Äußerst mysteriös, und es dauert auch einige Zeit, bis die Autorin Hinweise einstreut, die weniger der Klärung dienen, sondern leider eher für zusätzliche Verwirrung sorgen.

Und genau hier liegt mein Problem mit „Schnee“, dem neuen Buch der isländischen Autorin Yrsa Sigurdardóttir, das als Thriller beworben wird, aber besser in den Bereichen Mystery-/Gruselroman aufgehoben wäre. Denn es gibt kaum Vorkommnisse, die sich rational erklären lassen. Vergangenheit und Gegenwart werden verwoben, selbst die betroffene Person hat die Erinnerung verloren. Allem, was geschieht oder geschehen ist, haftet der Hauch des Übernatürlichen an. Mir war das unterm Strich zu viel Lärm um nichts.

Ich will nicht ausschließen, dass es mit Sicherheit Leser/innen gibt, denen unerklärliche Phänomene Gänsehaut verursachen. Hat bei mir leider nicht geklappt, ich fand die Story langatmig, überkonstruiert und an den Haaren herbeigezogen. Und die Kirsche auf der Sahne war das völlig überzogene Ende, das von hinten durch die Brust ins Auge zielt, keine Auflösung anbietet, stattdessen zu Spekulationen auffordert.