Profilbild von Jecke

Jecke

Lesejury Star
offline

Jecke ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Jecke über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.08.2017

✎ Carlos Ruiz Zafón - Friedhof der vergessenen Bücher 1 Der Schatten des Windes

Der Schatten des Windes
0

Vor Jahren schon einmal - vielleicht, als es gerade herauskam - habe ich dieses Buch gelesen. Da ich mich jedoch so gar nicht mehr daran erinnern konnte, was es in mir auslöste, habe ich beschlossen, es ...

Vor Jahren schon einmal - vielleicht, als es gerade herauskam - habe ich dieses Buch gelesen. Da ich mich jedoch so gar nicht mehr daran erinnern konnte, was es in mir auslöste, habe ich beschlossen, es noch einmal zu lesen.

Zuerst hat mich die Seitenzahl abgeschreckt, denn dicke Büchern bedeuten manchmal viel Geschwafel und wenig Inhalt. Carlos Ruiz Zafón jedoch erschafft genau das Gegenteil: Ich habe mich durch die Geschichte tragen lassen und war teilweise von Seite zu Seite faszinierter.

Der Autor beschreibt ein Barcelona, welches von Bildern im Kopf lebt. Auch die Charaktere sind vielschichtig und tiefgründig - keiner bleibt im Hintergrund. Dabei setzt er jedoch nicht auf Gefühlsduselei, sondern grast die komplette Palette ab: grausam, wundervoll, geheimnisvoll, lieb, naiv, unheimlich, ...

Und so sieht es auch mit der Geschichte an sich aus: Liebe, Krimi, Historisches - kaum ein Genre wird ausgelassen und trotzdem wirkt es nicht überladen, sondern eins fügt sich ins andere hinein und alles zusammen ergibt ein tolles Gesamtbild.

Ein Buch, welches ich nun (hoffentlich) nicht mehr so schnell vergessen und vor allem einigen empfehlen werde - auch wenn es selbst nach über 10 Jahren noch immer in aller Munde scheint.

Bisher war ich unschlüssig, ob ich die anderen Bände auch noch lesen mag, aber nachdem ich selbst gemerkt habe, dass ich aus dem Schwärmen gar nicht mehr herauskomme, wäre es doch eigentlich schade, wenn ich mir Zafóns tollen Schreibstil entgehen lassen würde.

©2017

Veröffentlicht am 13.07.2017

✎ Diane Setterfield - Die dreizehnte Geschichte

Die dreizehnte Geschichte
1

Vor mir liegt ein Buch, welches ich bereits jahrelang im Regal stehen habe. Der Einschnitt nachgedunkelt, passt dies perfekt zum Cover. Ich habe es früher auch schon einmal gelesen, denn damals war es ...

Vor mir liegt ein Buch, welches ich bereits jahrelang im Regal stehen habe. Der Einschnitt nachgedunkelt, passt dies perfekt zum Cover. Ich habe es früher auch schon einmal gelesen, denn damals war es noch so, dass ich Bücher kaufte, weil ich sie verschlingen wollte. Leider konnte ich mich an den Inhalt nicht mehr erinnern, oder daran, wie es mir gefiel.

Nun weiß ich, dass es mein Regal nicht verlassen wird.

Dem Schreibstil von Diane Setterfield verfallen, habe ich die über 500 kleinbeschriebenen Seiten in relativ kurzer Zeit gelesen. Das Leben rund um Vida Winter hat mich so sehr interessiert, dass ich für ein paar Momente am Tag meine eigene Umgebung vergaß - ich war in der Geschichte gefangen.

Das Setting an sich ist super ausgearbeitet. Es ist zwar durchweg düster, spiegelt jedoch die Atmosphäre toll wider. Ich habe mich selbst in den Räumen gesehen, bekam Gänsehaut bei den Beschreibungen.

Leser, die 'Jane Eyre' mögen, werden an dieser Lektüre ebenfalls ihren Spaß haben. Es wird oft auf dieses Buch eingegangen oder man hat das Gefühl, selbst Parallelen ziehen zu können. Da mir Charlotte Brontës Werk gefällt und ich es gerne weiterempfehle, empfand ich dieses Detail als besonders schön.

Schade fand ich hingegen, dass man auf Klischees zurückgegriffen hat. Warum immer warten, bis man dem Tod ins Auge sieht, bevor man seine Geschichte erzählt? Warum 2 Protagonisten mit geheimnisvollen Vergangenheiten berichten lassen?

Solche Dinge muss man als Leser wohl hinnehmen, wenn man dafür ein Buch bekommt, welches man gerne weiterempfiehlt.

©2017

Veröffentlicht am 01.07.2017

✎ Anja Lauckner - Schwarz steht mir einfach nicht

Schwarz steht mir einfach nicht
0

"Es werden die intensivsten und glücklichsten Jahre ihres Lebens ..." (Klappentext)

Ich finde es immer traurig, wenn Menschen erst im Zuge einer (unheilbaren) Krankheit erkennen, dass das Leben sehr schnell ...

"Es werden die intensivsten und glücklichsten Jahre ihres Lebens ..." (Klappentext)

Ich finde es immer traurig, wenn Menschen erst im Zuge einer (unheilbaren) Krankheit erkennen, dass das Leben sehr schnell vorbei sein kann und dann erst versuchen, jeden Tag doch noch zu genießen und nur noch glückliche Momente erleben wollen. Als ob man das Leben herausfordert.

Kai war anders. Kai hat seine Anja geliebt. Er hat ihr immer wieder mit kleinen Aufmerksamkeiten gezeigt, wie er für sie empfindet, dass er sie liebt(e) - von Anfang an.

"Und umgekehrt? Habe ich ihn geliebt?
Wenn ich ehrlich bin: Nein, ich glaube nicht.
Ich habe ihn sehr gemocht, aber Liebe war es nicht." (S. 32)

Als ich das las, war ich das erste Mal traurig - für Kai. Ich habe mich anfangs oft gefragt, ob man so wirklich eine gute Beziehung führen kann. Manchmal Mal fand ich Anja deswegen unsympathisch.

Aber durfte ich das? Durfte ich mir ein Urteil über einen Menschen erlauben, den ich gar nicht kenne? Von dem ich jetzt gerade die ersten Zeilen lese? Nein.

Ich habe also nochmals durchgeatmet, mich gesammelt, all meine Vorurteile beiseite geschoben und nochmals angefangen. Ohne Vorurteile. Ohne negative Gedanken.

Anja Lauckner erzählt auf eine schöne und dennoch tieftraurige Weise von der letzten Zeit aus Kais Leben. Wie jede Familie mussten auch sie Rückschläge im Bezug auf die Krankheit hinnehmen und sie musste erkennen, dass ihr Mann, der das Leben liebte, dennoch nur ein Mensch mit begrenzter Kraft ist.

"»[...] Ihr Mann lässt niemanden mehr an sich ran, [...] Er sagt, dass er nicht mehr will.«
Mir rutschte das Herz in die Hose." (S. 88)

In solchen Momenten habe ich nur immer gedacht: Gut, dass noch der kleine Nils da ist. Wie die beiden ihn an die Krankheit seines Papas herangeführt haben, fand ich gut. Es ist nicht jedermanns Ding, aber es war der Weg, den sie für richtig hielten.

Mehrmals brach mir während des Lesens fast das Herz..

"»Anja, ich komme irgendwie klar damit, dass ich krank bin.
Auch damit, dass ich sterben muss.
Aber was ich nicht schaffe, ist, den Gedanken zu ertragen,
dass ich euch hier zurücklassen muss. [...]«" (S. 133)

Dennoch fand ich es super, dass sie nicht nur ihre eigene Sicht der Dinge schildert, sondern ebenfalls aufzeigt, wie der Kranke in solchen Momenten denkt. Die Reaktionen von Nils finden ebenso ihren Platz im Buch - egal ob positiv oder negativ.

Auch der Ort, den sich Kai für seine letzten Tage ausgewählt hat, rief in mir eine gewisse Bewunderung hervor. Ich weiß, wie schwierig eine solche Entscheidung ist, denn auch ich habe bereits einen geliebten Menschen an den Krebs verloren und die letzten Tage intensiv mit ihm verbracht. Wir haben uns auch nach dem Wunsch der Sterbenden gerichtet - auch wenn es in diesem Fall ein anderer war.

An vielen Stellen konnte ich mit Anja mitleiden, habe ihre Kraft bewundert und hätte sie manchmal gerne in den Arm genommen. Meine anfängliche Skepsis ihr gegenüber, war am Ende absolut verflogen. Ich stellte sogar eine Gemeinsamkeit fest:

"Noch immer bekomme ich die Sache mit dem Tod nicht richtig zu fassen.
Dass jemand einfach aufhört zu atmen. Weg ist, tot ist.
Das ist und bleibt etwas Rätselhaftes." (S. 250)

©2017

Veröffentlicht am 17.06.2017

✎ Tammy Cohen - Während du stirbst

Während du stirbst
0

Ich habe mit Allem gerechnet - aber nicht damit!

Eigentlich wollte ich "Während du stirbst" nur mal so nebenbei lesen.
Mein liebstes Genre sind Psychothriller und ich bin stets auf der Suche nach wirklich, ...

Ich habe mit Allem gerechnet - aber nicht damit!

Eigentlich wollte ich "Während du stirbst" nur mal so nebenbei lesen.
Mein liebstes Genre sind Psychothriller und ich bin stets auf der Suche nach wirklich, wirklich guten dieser Art. Leider ist es sehr schwierig, diese ausfindig zu machen und so war ich gespannt, was mich erwartet, hatte jedoch keine hohen Anforderungen.

Direkt zum Anfang wurde mein Nervenkostüm auf die Probe gestellt. Spannung pur. Die Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Ich wusste nicht, wo vorne und hinten ist. Ich war einfach gefesselt. So einen mega guten Thriller hatte ich seit Ewigkeiten nicht mehr gelesen. Es gab alles, was für mich einen Psychothriller ausmacht.

Und dann kam der zweite Teil.

Ich war geschockt. All die Momente, in denen ich vor Anspannung die Luft anhielt, waren wie weggeblasen. Von Gänsehautmomenten konnte keine Rede mehr sein. Der Ballon war zerplatzt.

Ich kam mir ein wenig veräppelt vor.

Je weiter ich der Geschichte jedoch folgte, desto besser gefiel sie mir. Die Autorin bricht aus Mustern aus, folgt keiner allgemeinen Linie, zieht ihr Ding durch und überrascht damit auf ganzer Strecke. Selbst am Ende gibt es nochmals mehrere Wendungen, die ich ihr hoch anrechne.

Leicht zu lesen durch einen lockeren Schreibstil war ich in kürzester Zeit durch das Geschehen geflogen. Hier und dort gab es für mich ein paar Eckpunkte, die ich im Gesamten jedoch hinten runterfallen lasse, da sie für mich nicht ins Gewicht fallen.

Ich finde es richtig toll, dass Tammy Cohen aus dem Mainstream ausgebrochen ist und diesen Psychothriller gezaubert hat. Ich kann ihn nur weiterempfehlen! Gerade wenn man mal etwas lesen mag, was einen in die Abgründe der menschlichen Psyche zieht.

Das zweite Buch von ihr ist bereits in meinem Besitz - und ich hoffe, sie enttäuscht mich nicht, denn sie hat sich die Messlatte mit ihrem Debüt selbst sehr hoch gelegt.

©2017

Veröffentlicht am 10.06.2017

✎ Stephanie Quitterer - Hausbesuche

Hausbesuche
0

Ja, ich gebe zu, ich lese Biographien & Erfahrungen & Tatsachen, weil ich am echten Leben anderer interessiert bin und nicht unbedingt immer das abtriften in fiktive Welten benötige.

Hier jedoch wurde ...

Ja, ich gebe zu, ich lese Biographien & Erfahrungen & Tatsachen, weil ich am echten Leben anderer interessiert bin und nicht unbedingt immer das abtriften in fiktive Welten benötige.

Hier jedoch wurde ich auch von der Tatsache angezogen, dass die Autorin Kuchen gebacken hat und mit diesen einfach vor fremden Menschen stand und um Einlass bat.

Ich war gespannt, wie Stephanie Quitterer das Projekt aufzieht, was für ein Mensch sie vor und auch hinterher war, ob all die fremden Menschen sie verändert haben - und wie es überhaupt dazu kam, dass dieses Buch nun vor mir liegt.

"Hier bin ich! Und das ist mein Projekt!
Und wenn du es doof findest, ist das deine Sache,
weil es mir völlig reicht, wenn nur ich an mich glaube [...]" (S. 72)

Im locker-leichten Schreibstil, ja Plauderton, nimmt uns Frau Quitterer mit auf die Reise durch ihre Nachbarschaft. Sie lässt uns innehalten, lachen, bangen. Und sie vermittelt eine ganz wichtige Botschaft:

"Ich will üben, jeden Menschen erst kennenzulernen, bevor ich ihn einteile." (S. 40/41)

"Eine Abrissbirne muss her, für meine Mauern im Kopf." (S. 111)

Aufgelockert haben die Erzählungen einige Statistiken. Die waren interessant und ließen noch mehr hinter die Fassade blicken, denn alles kann man in dieser Lektüre nicht unterbringen, ohne langweilig daherzukommen.

Meinen Respekt hat die Verfasserin, denn auch nach dem Lesen kann ich mir nicht vorstellen, ein ähnliches Vorhaben in die Tat umzusetzen, obwohl ich in Gedanken bereits heftig am Planen bin, welche Kuchen es denn werden sollen.

Ein Hinweis sei noch gegeben: Es sind nicht wirklich (viele) ernstzunehmende Rezepte im Buch enthalten - zumindest ich als Backjunkie würde ihr wahrscheinlich auch lieber eine Postkarte mit einer Einladung schreiben, auf der vermerkt ist, dass ich den Kuchen auftische.

©2017

weitere Zitate:

"Bei manchen Dialekten leide ich an Assimilierungszwang vor lauter Sympathie." (S. 87)

"»[...] durch die Chemo habe ich vierzig Kilo zugenommen. [...] Aber wenn sie es so aufregt, dass ich so aussehe, wie ich aussehe - warum kommt dann nicht mal einer und fragt, warum es so ist?«" (S. 89)

"Ich liebe meine Wette. Meine Lupe, mein Kaleidoskop. Ich liebe es, dass jeden Tag, für genau die Dauer eines Tages, ein anderer Mensch, mit einer anderen, eigenen Geschichte, im Mittelpunkt steht." (S. 120)

"Wann nur, wann endlich habe ich mein Oberstübchen von diesen Schubladen entrümpelt?!" (S. 161)

"Es gibt immer etwas zu tun, [...], darf nicht vergessen werden und verträgt auch keine Relativierung. Aber mit »meiner« Welt anzufangen, [...] finde ich einen durchaus akzeptablen ersten Schritt." (S. 221)