Profilbild von clematis

clematis

Lesejury Star
offline

clematis ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit clematis über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 31.12.2022

Verschleppt

Wehrlos
0

An der Hand eines älteren Mädchens läuft die vierjährige Nele über den Spielplatz. Es ist zu spät, als die Mutter bemerkt, dass jemand Nele in ein dunkles Auto zerrt. Obwohl die Polizei sofort alarmiert ...

An der Hand eines älteren Mädchens läuft die vierjährige Nele über den Spielplatz. Es ist zu spät, als die Mutter bemerkt, dass jemand Nele in ein dunkles Auto zerrt. Obwohl die Polizei sofort alarmiert wird, fehlt von den Entführern jede Spur, das Kind bleibt verschollen. Während der Ermittlungen stoßen die Kriminalbeamten auf andere, ähnliche Fälle, an die sie anknüpfen wollen.

Eine schreckliche Szene am Spielplatz – verfasst im Präsens – eröffnet diesen fesselnden Thriller, der fortan flüssig im Präteritum verfasst ist. Klar und eindringlich bringt Nora Benrath die Handlung zu Papier, wobei verschiedene Personen ihre Sichtweise darlegen und sich zwischendurch auch eine Stimme aus dem Hintergrund einschaltet. Die grausame Kindesentführung geht sogar einigen Polizisten unter die Haut, enden die Verbrechen doch oft genug in Misshandlung oder Mord der Minderjährigen. Neles Verschwinden passiert am helllichten Tag, inmitten von fröhlichen Menschen. Dennoch sieht keiner genau hin, versucht gar, die Entführung zu verhindern. Erstarrt, aus welchem Grund auch immer, überlassen sie Nele und ihre Mutter Mieke allein ihrem Schicksal. Die Autorin spricht aus dem wahren Leben, rüttelt die Leser wach und schreibt so realistische Szenen, dass man selbst bald Gänsehaut bekommt. Der Spagat zwischen überbehütender Glucke und genervter Rabenmutter ist schwierig, das Dilemma, selbst schuld zu sein als Aufsichtsperson, schwerwiegend. Unterschiedlichste Kommentare fluten die sozialen Medien und erleichtern die Nachforschungen der Kriminalkommission nicht immer.

Spannende, kurze Kapitel, unterschiedliche Blickwinkel auf das Geschehen und ein erschütterndes Thema lassen diesen Thriller zu einem wahren Nervenkitzel werden. Psychologisch geschickt aufgebaut und nahe an der Realität spielt sich Neles Geschichte ab, die wohl niemanden kalt lässt. Mein erstes Buch von Nora Benrath, aber gewiss nicht mein letztes. Von mir gibt es jedenfalls eine Leseempfehlung, soferne einen Kinder als Opfer nicht abschrecken – aber so spielt das Leben leider auch …



Titel Wehrlos

Autor Nora Benrath

ASIN B09VQKH82L

Sprache Deutsch

Ausgabe ebook

ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (401 Seiten)

Erscheinungsdatum 27. Dezember 2022

Verlag HarperCollins

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.12.2022

Puppen

Das Buch - Schreib um dein Leben!
3

Ein Serienmörder treibt seit mehr als zehn Jahren sein Unwesen. Neben den Leichen hinterlässt er jeweils eine Puppe. Nun entführt er eine bekannte Krimiautorin, damit sie ein Buch über ihn schreibt. In ...

Ein Serienmörder treibt seit mehr als zehn Jahren sein Unwesen. Neben den Leichen hinterlässt er jeweils eine Puppe. Nun entführt er eine bekannte Krimiautorin, damit sie ein Buch über ihn schreibt. In einem dunklen Keller gefangen, soll die von Klaustrophobie geplagte Frau das beste Werk ihres Lebens verfassen, andernfalls ist sie tot.

Von Beginn an fesselt Patricia Walter mit bildhaften, beklemmenden Beschreibungen. Der Mörder ist von einer inneren Macht getrieben, die schnell deutlich wird und sich bereits in der ersten Szene manifestiert. Grausame Details werden erwähnt, aber nicht in scheußlichen Einzelheiten ausgeführt, sodass auch jene Leser gut zurechtkommen sollten, die Blutrünstiges weniger gerne lesen. Die Spannung jedoch ist bald hoch und die psychologischen Effekte kommen gut zur Geltung. Spürbar werden Kara Benders Ängste und Gedanken im Keller dargestellt, sodass man sich gut in deren Lage hineinversetzen kann. Isolation, Dunkelheit, Verlust von Zeitgefühl und vieles mehr bestimmen den Alltag der Schriftstellerin, die einer schier unlösbaren Aufgabe gegenübersteht.

So entwickelt sich bald ein Buch im Buch, denn Patricia Walter verquickt die Erzählung aus Karas Sicht gekonnt mit der Lebensgeschichte des Täters, die Übergänge verschwimmen fließend, alles verschmilzt zu einer beeindruckenden Einheit. Eher ungewöhnlich ist die kleine Rolle der Ermittler, was in diesem Fall aber total stimmig ist. Kara Bender und ihr Entführer stehen weitgehend im Mittelpunkt, die Kriminalisten agieren eher am Rande, sind dafür aber sehr effektiv in ihrer Kombination der Fakten. Die gesamte Handlung ist logisch und gut durchdacht, durchgehend spannend, und zum Schluss gibt es noch eine phantastische Überraschung, die dem Ganzen einen besonderen Effekt verleiht.

„Das Buch“ ist ein flott geschriebener Psychothriller, der seine Leser sofort in seinen Bann zieht und bis zum Ende kaum loslässt. Die Überraschung ist jedenfalls gelungen. Ich empfehle dieses Buch gerne weiter und bin natürlich neugierig auf die anderen Thriller von Patricia Walter.

Titel Das Buch – Schreib um dein Leben
Autor Patricia Walter
ASIN B09Y9HHGDZ
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich alsTaschenbuch (464 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 16. Dezember 2022
Verlag beThrilled/Lübbe

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Spannung
Veröffentlicht am 13.12.2022

Realer Hintergrund

Ginsterhöhe
0

Eine Granate hat ihm seinen besten Freund geraubt und sein Gesicht zerstört. Als einer der Letzten kehrt der junge Bauer Albert Lintermann 1919 aus dem Krieg zurück in seine Heimat Wollseifen. Von seiner ...

Eine Granate hat ihm seinen besten Freund geraubt und sein Gesicht zerstört. Als einer der Letzten kehrt der junge Bauer Albert Lintermann 1919 aus dem Krieg zurück in seine Heimat Wollseifen. Von seiner Fratze abgestoßen, wendet sich Ehefrau Bertha ab, aber irgendwie muss der Alltag weitergehen. Mit einigen Freunden im Dorf und seiner Familie gelingt es dem engagierten Mann schließlich, seinen Platz in der Gemeinschaft wiederzufinden. Aber als die Zeichen für eine hoffnungsvolle Zukunft stehen, erstarken die Nazis und schmieden Pläne für das Gebiet rund um das kleine Bergdorf.

Basierend auf wahren Begebenheiten in der Nordeifel hat Anna-Maria Caspari diesen berührenden Roman verfasst. Die eingehende Beschäftigung mit dem Schicksal der damaligen Dorfbewohner ist beim Lesen allgegenwärtig. Einfühlsam, aber dennoch mit eindringlichen Worten schildert sie nicht nur Alberts Leid, sondern geht auf verschiedene Personen und deren Gefühlswelt ein. Die Abgeschiedenheit am Berg, das Beisammensein am Stammtisch und in der Sonntagsmesse, das stete Bangen um eine ausreichende Ernte – viele Gründe, welche die Wollseifener zusammenhalten lassen. Und auch nach dem Großen Krieg kümmert man sich um Fortschritt, um die Elektrifizierung und einen Wasseranschluss. Hartes Arbeiten ist man von Kindesbeinen an gewöhnt, gejammert wird selten. So ist nun einmal der Lauf der Dinge.

Zwischen den Szenen kommt der Dorflehrer Faßbender zu Wort, der gerne seine Gedanken sortiert, indem er sie, Satz für Satz, aufschreibt – Politisches, Wirtschaftliches und ganz Persönliches. Durch diesen Mix an unterschiedlichen Perspektiven gewinnt dieses Buch noch mehr an Lebendigkeit, lässt den Leser Freud und Leid spüren, die Beklemmung, welche sich mit den Nationalsozialisten über das Dorf legt. Die friedvolle Natur steht in krassem Gegensatz zu den Taten der Nationalsozialisten, dazwischen versuchen unbescholtene Menschen, ihr Leben zu meistern.

Mit dem Buch „Ginsterhöhe“ hat Anna-Maria Caspari ein einzigartiges Zeitzeugnis vorgelegt, welches zeigt, wie schnell Söhne vergessen, was ihren Vätern im Krieg widerfahren ist. Möge der Nationalpark Eifel dieses Andenken auch weiterhin aufrechterhalten und die Wüstung Wollseifen als Mahnmal dienen. Szenen, die tief unter die Haut gehen, aber niemals so grausam werden, dass man das Buch beiseitelegt – eine perfekt gelungene Erzählung, die ich sehr, sehr gerne allen empfehle, die sich für die Zeitspanne 1919 – 1949 interessieren.



Titel Ginsterhöhe

Autor Anna-Maria Caspari

ASIN B09XFDXB8L

Sprache Deutsch

Ausgabe ebook

ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (401 Seiten) und Hörbuch

Erscheinungsdatum 24. November 2022

Verlag Ullstein

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.12.2022

Die Wahrheit findet einen Weg

Feldpost
0

Anwältin Cara sitzt gemütlich in einem Cafe und schreibt Weihnachtskarten, als sich eine Fremde zu ihr setzt, von einer verschwundenen Adele spricht und kurz darauf selbst wieder verschwindet. Allein ihre ...

Anwältin Cara sitzt gemütlich in einem Cafe und schreibt Weihnachtskarten, als sich eine Fremde zu ihr setzt, von einer verschwundenen Adele spricht und kurz darauf selbst wieder verschwindet. Allein ihre schwarze Tasche ist zurückgeblieben, in der Cara alte Feldpostbriefe aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt und einen Kaufvertrag über eine Kasseler Villa mit symbolischem Wert. Einer Intuition folgend, stellt Cara Nachforschungen an und enthüllt längst vergessen geglaubte Geheimnisse.

Überaus interessant und ansprechend gestaltet ist Borrmanns Rahmenhandlung rund um Cara, hinter der sich bewegende und zutiefst berührende Schicksale verbergen. In unbestimmter Abfolge wird aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt, teils um den Jahreswechsel 2000/2001, teils aus den (Vor)Kriegsjahren ab 1935. Die stehen gelassene Tasche ist Ausgangspunkt für eine ergreifende Erzählung rund um die Familien Kuhn und Martens, welche damals, vor dem Krieg, gut befreundet waren. Wohin die innigen Liebesbriefe und die Notarurkunde führen, was mehr als fünfzig Jahre später als Wahrheit zutage tritt, das beschreibt Mechtild Borrmann mit ruhigen, aber immer wieder unter die Haut gehenden Worten. Recherchen im Tagebucharchiv Emmendingens und schreckliche wahre Begebenheiten bilden eine solide Grundlage für diesen Roman, ein Nachwort dazu, wieviel tatsächlich stimmt, wäre noch schön gewesen. Aber auch so ist die Verknüpfung von Realität und Dichtung überaus glaubwürdig, man mag sich nicht annähernd ausmalen, wie es tatsächlich zugegangen ist.

Die Figuren, die Handlung, alles ist lebensnah und überzeugend geschildert, nur all zu leicht kann man eine Nähe zu den dargestellten Personen verspüren. Schnell ist klar, wie sehr die Politik in den 1930er-Jahren die Menschen beeinflusst und verändert hat, wie rasch Freunde zu Feinden werden und Vertrauen ein äußerst hohes Gut wird. Beklemmend, aber nicht in grausamsten Details wird der Aufstieg der Nationalsozialisten geschildert und die Schrecken in der Heimat und an der Front berühren den Leser auch ohne Einzelheiten mit jeder Zeile. Geschickt gibt die Autorin erst nach und nach preis, wie es den einzelnen Familienmitgliedern ab 1935 wirklich ergangen ist, so manches hätte man zu Beginn des Buches so nicht vermutet.

Mittels eingängigem Schreibstil und Szenen, die weit unter die Oberfläche dringen, vermag Borrmann jeden Außenstehenden zu fesseln und für die wundervolle, wenn auch tieftraurige Geschichte zu begeistern. Frei von Urteilen und Schuldzuweisungen schreibt die Autorin Unfassbares und Bewegendes nieder, die Beteiligten spüren dies ohnehin selbst am schnellsten. Bis zur letzten Seite bleibt diese auf Feldpost beruhende Suche nach der Wahrheit spannend und birgt immer wieder ungeahnte Überraschungen, sodass man nur gebannt und stellenweise mit angehaltenem Atem dem Weg Adeles und der Ihren folgen kann.

Eine außergewöhnliche, tragische Erzählung in perfektem Rahmen – berührend als Mahnmal und Erinnerung festgehalten. Dafür kann es nur fünf Sterne und eine klare Leseempfehlung geben.



Titel Feldpost

Autor Mechtild Borrmann

ISBN 978-3-426-28180-2

Sprache Deutsch

Ausgabe Gebundenes Buch, 304 Seiten

ebenfalls erhältlich als e-book und Hörbuch

Erscheinungsdatum 2. November 2022

Verlag Droemer

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.11.2022

Der das Böse bekämpft

Der Mondmann - Blutiges Eis
0

Jens Lerby, Profiler in Kopenhagen, behält selten seine Meinung für sich, selbst, wenn es sich um Kollegen oder Vorgesetzte handelt. Nun soll er einen Fall in Grönland übernehmen, was für ihn, der Eis ...

Jens Lerby, Profiler in Kopenhagen, behält selten seine Meinung für sich, selbst, wenn es sich um Kollegen oder Vorgesetzte handelt. Nun soll er einen Fall in Grönland übernehmen, was für ihn, der Eis und Kälte hasst, einer Strafversetzung gleich kommt. Aber wenn Walrosszähne für einen Mord verantwortlich sind, muss ein erfahrener Mann entsendet werden. Dort sieht sich Lerby einer eingeschworenen Gemeinde von Inuit gegenüber, die traditionellerweise fest an Dämonen glaubt.

Schnell ist Jens Lerby charakterisiert, mit seinen Ecken und Kanten ist er ganz gewiss keiner, mit dem man sich anfreunden möchte. Und gerade diese Persönlichkeit verleiht unter anderem den Reiz dieser einnehmenden Geschichte rund um die Frage, ob ein Amarok – ein Mischwesen aus Walross und Wolf – rund um Illokarfiq sein Unwesen treibt. Der störrische Fünfzigjährige jedenfalls stößt mit seinen herkömmlichen Methoden rasch auf Widerstand und kann von Glück reden, dass eine junge Einheimische, Pallaya Shaa, zwischen Lerby und dem alten Schamanen im Dorf vermittelt.

Beeindruckend beschreibt Fynn Haskin die Landschaft des ewigen Eises, das nur für kurze Zeit im Sommer schmilzt und die alten Traditionen der Inuit, die seit viertausend Jahren gepflegt werden. Erst die letzte Generation ist von der westlichen Welt gezwungen worden, die Robbenjagd aufzugeben und neue Wege zu gehen. Während spannender Ermittlungen lässt der Autor den Leser eintauchen in die Welt der Sagen und Mythen, in die Angst der Inuit vor dem tupilaq, dem Dämonen, der Böses über die Menschen bringt. Mit jeder Zeile spürt man, welche Begeisterung Haskin hier für dieses Thema mitbringt und erlebt durch detaillierte Recherche und Erklärungen die Kultur der Ureinwohner Grönlands hautnah. Schon zu Beginn begleitet der Leser Natuk in seinem qajaq, spürt die hervorragend vermittelte Stimmung der Natur durch die bildhafte Beschreibung: „Flach wie ein Blatt lag das Kajak auf dem Wasser, dessen dunkelblaue Farbe zwischen den Schollen von eisiger Tiefe kündete, während es heller und türkisfarben wurde, je näher man dem Eis kam.“ (kindle Pos. 83) Geschickt vermag es Fynn Haskin, Natur und Mensch in ihren von jeher vorgegebenen Einklang zu bringen und die Konflikte mit Jens Lerby herauszuarbeiten, welche klarerweise nicht lange auf sich warten lassen.

Der Spannungsbogen steigt stetig an, rotes Blut färbt Eis und Schnee, aber trotz scheußlicher Verbrechen verzichtet der Autor auf ausführlichen Beschreibungen der Gräueltaten. So ist man als Leser rasch gefangen zwischen Kälte und Eis, alter Kultur und neuen Ermittlungsmethoden, Angst vor Ungeheuern und überheblichem Hinwegsetzen über ebendiese. Ein klassischer Schreibstil in flottem Präteritum lässt die Seiten nur so dahinfliegen, eine logisch aufgebaute Handlung besticht durch geschickt eingeflochtene Informationen, welche die Geschichte authentisch und glaubwürdig werden lassen. Auch die Auflösung führt alle Fragen und losen Enden überzeugend zusammen, sodass man das Buch nur zufrieden aus der Hand legen kann.



Titel Der Mondmann

Autor Fynn Haskin

ISBN 978-3-404-18865-9

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 400 Seiten

ebenfalls erhältlich als e-book und Hörbuch

Erscheinungsdatum 25. November 2022

Verlag Lübbe