Profilbild von Naraya

Naraya

Lesejury Star
offline

Naraya ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Naraya über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.01.2023

Sehr persönliche Sammlung

Nachthimmel mit Austrittswunden
0

Ocean Vuong begeisterte schon mit seinem 2019 erschienenen Debütroman „Auf Erden sind wir kurz grandios“. In seiner ersten Gedichtsammlung „Nachthimmel mit Austrittswunden“ knüpft er sowohl thematisch ...

Ocean Vuong begeisterte schon mit seinem 2019 erschienenen Debütroman „Auf Erden sind wir kurz grandios“. In seiner ersten Gedichtsammlung „Nachthimmel mit Austrittswunden“ knüpft er sowohl thematisch als auch emotional an seinen Erstling an. Die Sammlung von insgesamt 35 Gedichten ist zweisprachig: auf der linken Seite finden wir den englischen Originaltext, auf der rechten die deutsche Übersetzung von Anne-Kristin Mittag. Wie schon bei seinem Roman leistet sie großartige Arbeit, in dem sie die englischen Sätze mit teils mehrdeutigen Bezügen gekonnt ins Deutsche überträgt.

Vuong sprengt die Grenzen zwischen Prosa und Lyrik, probierte verschiedene Formen aus, so zum Beispiel das japanische Haibun, die Briefform oder ein Gedicht, das nur aus Fußnoten besteht. Er nimmt Bezug auf reale Ereignisse: 1975 spielte der Rundfunk der Streitkräfte „White Christmas“ als Startsignal der Operation „Frequent Wind“, welche die Evakuierung Saigons in der Endphase des Vietnamskriegs einleitete. Vuong kontrapunktiert Zeilen des Liedes mit Beschreibungen der realen Ereignisse. In einem anderen Gedicht nimmt er Bezug auf einen im Jahr 2011 verübten Doppelmord an einem schwulen Ehepaar in Texas.

Ocean Vuong verarbeitet auch Autobiografisches. 1988 im damaligen Saigon geboren, kam er mit 2 Jahren in die USA. Auf dem Cover der Sammlung sehen wir ihn, zwischen Mutter und Tante, in einem philippinischen Flüchtlingslager. Der Vater, der wegen häuslicher Gewalt im Gefängnis saß, verließ die Familie – eine Abwesenheit, die den Autor zeit seines Lebens beschäftigt. In seinem Gedichten erdenkt er sich das, was vom Vater fehlt, hält Zwiesprache mit ihm oder nimmt seine Position ein. Einmal vergleicht er sich selbst mit Telemach, dem Sohn des Odysseus, der ebenfalls von diesem als Kind verlassen wurde.

Im Gegensatz zum Vater ist seine Mutter in Vuongs Texten präsent. Als Analphabetin brachte sie den Sohn mit ihrer Arbeit in einem Nagelstudio durch, was nicht immer einfach war. Und auch nach der Einwanderung bleiben Ocean und seine Familie in den USA oft einsam, gehören nicht dazu. Besonders der Autor fragt sich, wo er als junger, homosexueller Vietnamese seinen Platz im „American Dream“ finden soll. Im emotionalen Gedicht „Someday I‘ll love Ocean Vuong“ richtet er das Wort an sich selbst:

„Don‘t be afraid, the gunfire
is only the sound of people
trying to live a little longer
& failing. Ocean. Ocean -
get up. The most beautiful part of your body
is where it‘s headed. & remember
loneliness is still time spent
with the world.“ (Seite 158/160)

Was für eine wundervolle Sammlung!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.01.2023

Mehr Dark Academia als Thriller

Das College
0

Zehn Jahre ist es her, seit Hannah die Leiche ihrer besten Freundin April in der gemeinsamen Wohnung fand. Die beiden hatten sich an ihrem ersten Tag als Studentinnen in Oxford kennengelernt und aus Mitbewohnerinnen ...

Zehn Jahre ist es her, seit Hannah die Leiche ihrer besten Freundin April in der gemeinsamen Wohnung fand. Die beiden hatten sich an ihrem ersten Tag als Studentinnen in Oxford kennengelernt und aus Mitbewohnerinnen waren Freundinnen geworden. Inzwischen ist Hannah verheiratet, erwartetet ihr erstes Kind und eigentlich könnte alles wunderbar sein. Doch dann stirbt Aprils mutmaßlicher Mörder im Gefängnis und ein Journalist beginnt, den Fall wieder aufzurollen. Er bringt Hannah ins Grübeln: Hat sie wirklich einen Unschuldigen hinter Gitter gebracht?

„Das College“ ist bereits der 7. Thriller aus der Feder der britischen Schriftstellerin Ruth Ware, für mich war es jedoch der erste. Erzählt wird die Handlung ausschließlich aus Hannahs Perspektive, was dazu führt, dass wir als Leser*innen immer nur so viel wissen, wie die Protagonistin selbst. Zusätzlich wechseln die Kapitel stets von „davor“ zu „danach“ - bezogen auf Aprils Tod – bis die Geschichte wieder in der Gegenwart angekommen ist. So ergibt sich nach und nach aus kleinen Mosaikteilchen ein großes Ganzes.

Die Handlung baut sich nur langsam auf und hat, bis zu einem gewissen Punkt, nur wenige Thrillerelemente. Mir persönlich gefiel das sehr gut, da ich zum einem gemäßigte Thriller sehr mag und zum anderen so der Fokus auf Oxford und der damaligen Clique lag. Diese bestand aus drei Frauen (April, Emily und Hannah) und drei Männern (Hugh, Ryan und Will), zwischen denen es immer wieder zu Spannungen und Eifersüchteleien kam. Doch auch der mutmaßliche Täter, Pförtner Neville, legt ein gruseliges Verhalten an den Tag, ebenso wie Tutor und Frauenheld Dr. Myers. Im Prinzip handelt es sich also eher um einen typischen Dark Academia-Roman mit leichten Thrilleranteilen.

Für mich kam das Ende des Buches durchaus überraschend, wobei ich nicht sagen kann, ob das möglicherweise daran lag, dass „Das College“ mein erster Ruth Ware-Thriller war. Das Miträtseln fand ich jedenfalls unheimlich spannend und im Verlauf habe ich auch immer wieder meine Hauptverdächtigen gewechselt. Für echte Thrillerfans gibt es hier aber wohl zu wenig Action.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.01.2023

Absolut eindrucksvolles Romandebüt

Liebewesen
0

Biologin Lio lernt über eine Dating-App Max kennen, einen Radiomoderator. Doch von Anfang an scheint die Beziehung nicht rund zu laufen; das zeigt sich beim Sex, aber auch in fortwährenden Streitereien. ...

Biologin Lio lernt über eine Dating-App Max kennen, einen Radiomoderator. Doch von Anfang an scheint die Beziehung nicht rund zu laufen; das zeigt sich beim Sex, aber auch in fortwährenden Streitereien. Auch dass Lio irgendwann aus ihrer WG mit ihrer besten Freundin Mariam aus- und mit Max zusammenzieht, bringt nicht unbedingt eine Besserung – eher das Gegenteil. Als sie dann eines Tages auch noch ungeplant schwanger wird, scheint alles um Lio herum zusammenzubrechen.

„Liebewesen“ ist das Romandebüt der Journalistin und Autorin Caroline Schmitt. Die Handlung wird aus der Sicht der Protagonistin Lio in der Ich- und Vergangenheitsform erzählt. Gerade das macht den Roman so eindrucksvoll, denn wir erleben hautnah mit, wie es in Lio aussieht und wie eine Beziehung unter all dem, was wir so als seelisches Gepäck mit uns herumtragen, zerdrückt werden kann.

Wir erleben hier keinen Liebesroman, in dem es zwar Probleme gibt, diese sich dann aber aus lauter Liebe wieder ins Nichts auflösen. Nein, wir lesen von einem Paar, das sich streitet, das im Bett nicht kompatibel zu sein scheint, das sich gegenseitig bis zur Unerträglichkeit nervt – und das ist, auch wenn das individuelle Schicksal der beiden durchaus traurig ist, herrlich erfrischend. So ist es uns doch allen schon einmal gegangen, vielen geht es vielleicht immer noch so; warum das nicht auch offen aussprechen und zu Papier bringen? Lio und Max sind echt, sie sind wie wir.

Die Autorin schneidet in ihrem Roman einige wichtige Themen an. Lio lebt aufgrund von körperlichem und seelischem Missbrauch (in und außerhalb der Familie) im Krieg mit ihrem eigenen Körper. Max möchte Verständnis zeigen, versinkt aber selbst in seiner Depression, trinkt zu viel und lässt seine Therapie schleifen. Kurz gefasst: Die beiden tun einander nicht gut. In diese Situation bricht Lios ungewollte Schwangerschaft hinein, doch wenn die eigene Mutter einem die Worte „Ich wünschte, ich hätte dich nie geboren“ an den Kopf wirft, kann man dann überhaupt eine gute Mutter sein? Absolut eindrucksvoll und unheimlich wichtig!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.12.2022

Gelungener Mix aus Liebesgeschichte, Humor und ernsten Themen

Zimmer gesucht, Liebe gefunden
0

Emma und ihr Freund sind DAS Traumpaar auf Instagram, doch dann lässt Leon sie von einem Tag auf den anderen sitzen – und das, obwohl die beiden gerade zusammenziehen wollten. Es muss also eine neue Wohnung ...

Emma und ihr Freund sind DAS Traumpaar auf Instagram, doch dann lässt Leon sie von einem Tag auf den anderen sitzen – und das, obwohl die beiden gerade zusammenziehen wollten. Es muss also eine neue Wohnung her und mit der Hilfe ihrer besten Freundin Pepper findet Emma in der WG von Dirk Unterschlupf. Der bastelt eigentlich lieber an seinen Robotern, als sich mit Menschen zu beschäftigen und auch die Neuigkeiten, dass Leon nun mit Influencerin Larissa zusammen ist, verbessern nicht unbedingt Emmas Laune.

Von Caroline Brinkmann kannte ich bisher nur ihren Fantasyroman „Die Clans von Tokito“, mit „Zimmer gesucht, Liebe gefunden“ beweist sie nun, dass sie auch andere Genres beherrscht. Die Handlung wird von Protagonistin Emma in der Ich- und Gegenwartsform erzählt, so dass wir uns immer mitten im Geschehen befinden. Darüber hinaus teilt diese auch Einträge ihres „Disaster-Diary“, denn neben ihrem Zimmerpflanzentick - den wir auch in den hübsch gestalteten Kapitelanfängen wiederfinden - ist das Schreiben Emmas größte Leidenschaft.

Zentral für die Handlung sind sicherlich die sympathischen Figuren. Sei es Emma selbst, die eigentlich nur so geliebt werden möchte, wie sie wirklich ist, Dirk, der unter seiner brummeligen Schale einen sehr weichen Kern hat, Pepper, die wohl coolste beste Freundin mit eigener Privatdetektei oder Rick, ihr Angestellter, der hinter seiner Aufreisserfassade ein loyales, ehrliches Herz verbirgt. Doch auch die „negativen“ Charaktere bekommen im Verlauf der Handlung mehr Profil, so dass ihre Motivation etwas verständlicher wird.

„Zimmer gesucht, Liebe gefunden“ ist ein wirklich gelungener Mix aus Liebesgeschichte, humorvollen Szenen, die alles ein wenig auflockern und durchaus wichtigen Themen. Es geht nämlich auch darum, was in Beziehungen wichtig ist, dass Social Media Fluch und Segen zugleich ist, um ganz unterschiedliche Arten von Liebe und Sexualität, um Freundschaft, Familie und große Lebensträume. Ich bin wirklich gespannt, was wir als nächstes Neues von Caroline Brinkmann lesen werden – würde mich aber auch über die eine oder andere Fortsetzung freuen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.12.2022

Eine Haushälterin auf den Spuren von Hercules Poirot

Die Dreitagemordgesellschaft
1

Phyllida Bright ist als Haushälterin in Mallowan Hall angestellt, dem Anwesen der Schriftstellerin Agatha Christie und ihres Mannes Max Mallowan. Sie hat einiges an sich, was von ihrer Umwellt – und besonders ...

Phyllida Bright ist als Haushälterin in Mallowan Hall angestellt, dem Anwesen der Schriftstellerin Agatha Christie und ihres Mannes Max Mallowan. Sie hat einiges an sich, was von ihrer Umwellt – und besonders Männern – nicht geschätzt wird: feuerrote Haare, ein loses Mundwerk und zu allem Überfluss ist sie auch noch unverheiratet. Als während einer dreitägigen Festgesellschaft auf Mallowan Hall in der Bibliothek ein Toter gefunden wird, ist Phyllida sofort klar, dass sie in die Fußstapfen ihres großen Vorbildes Hercules Poirot treten und den Fall lösen muss.

„Die Dreitagemordgesellschaft“ ist der erste Band der Reihe rund um die selbstbewusste Haushälterin aus der Feder der Autorin Colleen Cambridge, die dieses Pseudonym für ihren Ausflug in das Krimi-Genre gewählt. Sie schreibt darüber hinaus auch Paranormal-, Romance- und Young Adult-Reihen und verwendet dabei hauptsächlich den Namen Colleen Gleason. „Die Dreitagemordgesellschaft“ wird in der dritten Person und der Vergangenheitsform erzählt. Die meiste Zeit bleiben wir bei der Protagonistin, springen aber auch zu anderen Personen, wenn Ereignisse dargestellt werden sollen, an denen Phyllida nicht teilgenommen hat.

Die Handlung des Romans ist auf der einen Seite ein klassischer Krimi mit einer Amateur-Ermittlerin. Phyllida verfolgt Spuren, befragt Zeugen und mischt sich – sehr zum Leidwesen des ermittelnden Inspektors Cork – auch sonst ständig ins Geschehen ein. Dabei war mir sehr sympathisch, dass sie dabei auch Fehler macht und eben nicht sofort die richtige Lösung erkennt. Auch für mich war die Auflösung des Fall bis zuletzt unklar und bescherte so einige Überraschungsmomente.

Neben der soliden Kriminalhandlung besticht „Die Dreitagemordgesellschaft“ aber vor allem durch seine Figuren. Phyllida an sich ist schon eine Naturgewalt, besonders amüsant sind ihre Interaktionen mit dem spießigen Butler Mr. Dobble und dem griesgrämigen Chauffeur Bradford – herrlich! Für Fans der „Queen of Crime“ kommt dann noch die freundschaftliche Beziehung Phyllidas zur Hausherrin und Anspielungen auf deren Leben und Werke hinzu. Ein tolles Leseerlebnis!

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Spannung