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Veröffentlicht am 19.12.2022

Wissenschaft und ihre Feinde

Die Medizin und Ihre Feinde
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„Den Impfstoff gegen Ignoranz gibt es schon, er heißt Bildung. Er sollte in möglichst großen Dosen an Menschen jeden Alters verabreicht werden. Auffrischungen sind unerlässlich.“ (S. 171)

Nicht erst seit ...

„Den Impfstoff gegen Ignoranz gibt es schon, er heißt Bildung. Er sollte in möglichst großen Dosen an Menschen jeden Alters verabreicht werden. Auffrischungen sind unerlässlich.“ (S. 171)

Nicht erst seit der Corona-Pandemie ist klar, dass die (Schul)Medizin auch ihre Feinde hat. Schon zu Zeiten Maria Theresias (1730-1780) gab es Befürworter und Gegner der damals neuartigen Inoculation, der ersten Impfung gegen die gefürchteten Pocken.

Journalist und Autor Herbert Lackner geht gemeinsam mit dem Onkologen Christoph Zielinksi diesem Phänomen nach. Interessanterweise ist nicht immer das „thumbe Volk“ gegen neue Erkenntnisse, sondern auch der eine oder andere Intellektuelle wie Immanuel Kant. Nebenbei nützen Politiker einst und jetzt die Verunsicherung für ihre eigenen Ziele.

In folgenden Kapiteln werfen die beiden einen Blick auf die Medizin und ihre Feinde:

In den Fängen der Religionen
Die Hexenjagd - große Bühne für Verschwörungstheoretiker
Der Aufklärer als Impfgegner
Vernunft und Unvernunft
Lebensreformer - die grüne Flucht vor der Moderne
Eine ganz besondere Krankheit
„Rassenhygiene“ und „Wehrbiologie“
Ein Hoch der Wissenschaft
Mit allen Mitteln
Die Rückkehr der Radikalen
„Hausverstand“ schlägt Wissenschaft
Die Internationale der „Verschwörungstheoretiker“
Die Wissenschaftsgegner und die medizinischen Fakten
Von Kinderblut und Kanaldeckeln

Auf die Frage, warum besorgte Mütter und abseitige Verschwörungstheoretiker gemeinsam gegen die Erkenntnisse der Wissenschaft marschieren, kann leider keine eindeutige Antwort gegeben werden.

Fazit:

Eine gelungene Übersicht über wissenschaftsfeindliche Phänomene, die es der Wissenschaft seit Jahrhunderten nicht leicht machen. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 19.12.2022

Rückt die Illusion vom beschaulichen Biedermeier zurecht

Halbseidenes biedermeierliches Wien
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Dieser Streifzug durch Wien ist der fünfte Teil einer Reihe, die sich einerseits mit Kriminalgeschichten des historischen Wiens in der jeweiligen Epoche als auch mit der Geschichte selbst beschäftigt. ...

Dieser Streifzug durch Wien ist der fünfte Teil einer Reihe, die sich einerseits mit Kriminalgeschichten des historischen Wiens in der jeweiligen Epoche als auch mit der Geschichte selbst beschäftigt.

Diesmal ist das biedermeierliche Wien im Fokus des Autors Günter Zäuner. Als Biedermeier oder auch Vormärz werden die Jahre zwischen 1815 und 1848 bezeichnet. Zu Beginn steht das Ende der Napoleonischen Kriege und der Neuordnung Europas am Wiener Kongress 1814/15 und am Ende die Revolutionen von 1848.

Die 16 Geschichten, die nicht alle wirklich als kriminell zu bezeichnen sind, geben einen Einblick in eine Zeit, die vom Spitzelwesen des Fürsten Metternich dominiert wird. Die Menschen ziehen sich in ihre Wohnungen (soferne sie welche haben) zurück und frönen der Privatsphäre mit Walzerklängen und scheinbarer Idylle.

Dass es hier in Wien auch anders zugegangen ist und die Mehrheit der Bewohner unter äußerst prekären Umständen gelebt haben, zeigt diese Anthologie auf.
Weder waren die Wiener Wäschermädel so süß, noch liegt das Glück auf der Straße. Vielmehr sind die Wäscherinnen sowohl den Unbillen des Wetters als auch der Ausbeutung durch ihre Arbeitgeber ausgesetzt.

Jeder Geschichte ist ein tabellarischer Abriss der Geschichte vorangestellt, so dass der Leser weiß, wann was wo sonst noch geschehen ist.

Mir gefällt diese Art von Kriminalgeschichten. Autor Günter Zäuner wirft mit diesem Buch einen Blick auf die äußeren Umstände der Zeit und rückt das häufig verklärte Bild des Biedermeiers zurecht. Der Tanz auf dem brodelnden Vulkan, der sich 1848 entladen wird, ist bereits deutlich spürbar.


Fazit:

Gerne gebe ich dieser Anthologie, die das fälschlich verklärte Biedermeier, wieder in das rechte Licht rückt, 5 Sterne.

Veröffentlicht am 16.12.2022

Eine beeindruckende Botschaft

Ich werde nicht hassen
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„Ich weiß, was Leid bedeutet. Ich bin Palästinenser!“

Diese Autobiografie ist an Dramatik kaum zu überbieten.

Warum?

Izzeldin Abuelaish ist in einem palästinensischen Flüchtlingslager aufgewachsen, ...

„Ich weiß, was Leid bedeutet. Ich bin Palästinenser!“

Diese Autobiografie ist an Dramatik kaum zu überbieten.

Warum?

Izzeldin Abuelaish ist in einem palästinensischen Flüchtlingslager aufgewachsen, hat Medizin studiert und ist der erste Palästinenser, der in einem israelischen Krankenhaus arbeitet. Das Leben als Pendler zwischen zwei Welten ist für den Gynäkologen, der nichts anderes will, als Frauen zu helfen ist an sich schon schwierig genug, lässt sich aber durch Beharrlichkeit und ein Übermaß an stoischem Verhalten ertragen.

Doch dann bringt eine versehentlich abgefeuerte Rakete eines israelischen Panzers sein Weltbild gehörig ins Wanken: Die Rakete trifft sein Haus, obwohl klar sein muss, dass hier ein Arzt wohnt, und tötet drei seiner Töchter und eine Nichte.

Sein Bericht im israelischen Fernsehen am 16. Januar 2009 geht um die Welt: Aufgelöst berichtet er live: „Unser Haus wurde bombardiert, meine Töchter sind tot. Oh Gott, was haben wir getan?“

Izzeldin Abuelaish hätte nun jeden Grund, Israel zu hassen. Im Gedenken an seine toten Töchter kämpft er für eine Versöhnung und Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern. Es ist ihm aus ganzem Herzen zu wünschen, dass seine Appelle und Bemühungen endlich Erfolge zeigen und eine nachhaltige Lösung in diesem Konflikt bringen, der keinen Gewinner sondern nur Verlierer kennt.

Fazit:

Dieser beeindruckenden Autobiografie, die Politiker aufrütteln soll, gebe ich gerne eine Leseempfehlung und 5 Sterne.

Veröffentlicht am 16.12.2022

Dünne Luft in eisigen Höhen

Schneegrab
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Mit diesem Bergsteigerroman entführt uns Michelle Paver in das Jahr 1935 zu einer Expedition, die die Erstbesteigung des dritthöchsten Berges der Welt, den Kangchenjunga (auch Kangchendzönga geschrieben) ...

Mit diesem Bergsteigerroman entführt uns Michelle Paver in das Jahr 1935 zu einer Expedition, die die Erstbesteigung des dritthöchsten Berges der Welt, den Kangchenjunga (auch Kangchendzönga geschrieben) zum Ziel hat.

Fünf Engländer der Oberschicht begeben sich auf die Spuren einer früheren englischen Expedition, die gescheitert ist und mehrere Tote gefordert hat.

Mit dabei ist das Brüderpaar Christoph „Kits“ und Stephan Pearce. Die beiden könnten nicht unterschiedlicher sein. Während Kits, der ältere, Erbe des Familienvermögens ist, muss sich Stephan seinen Lebensunterhalt als Arzt verdienen.

Schon von Beginn hat sind die Spannungen im Team zu spüren, die sich im Laufe der Zeit verstärken und eskalieren. Vor allem auch deshalb, weil man sich über die Route anfangs nicht einig ist. Als man beschließt, genau dieselbe, die im Jahr 1906 mehrere Tote verursacht hat, zu nehmen, sorgt das für Unruhe bei den Sherpas, die das Besteigen des Heiligen Berges ohnehin als Sakrileg sehen. Die Unwägbarkeiten des Wetters und so manches unheimliche Ereignis, lassen bei den Sherpas und bei Stephan den Gedanken an einen Fluch aufkommen.

Stephan Pearce hat so seine eigenen Gedanken über diese Tour. Er will herausfinden, was 1906 wirklich passiert ist, zumal einer der damaligen Teilnehmer sich über die dramatischen Ereignisse ausschweigt, während ein anderer ein Buch über seine eigenen Heldentaten veröffentlicht hat.

Meine Meinung:

Sowohl die Expedition von 1935 als auch jene von 1906 sind fiktiv. Dennoch zieht die Geschichte den Leser sofort in den Bann.

Der mystische Roman wird aus der Sicht von Stephan Pearce erzählt. Gleich einem Tagebuch werden Ereignisse, Gedanken und Ängste notiert. Wir erfahren einiges über die medizinischen Überlegungen, die Pearce anstellt. Warum schaffen es die Sherpas, barfuß und sichtlich ohne Anstrengung die Ausrüstung, die jeweils mehr 40 kg wiegt, mühelos zu tragen, während die Engländer aus dem letzten Loch pfeifen? Wir erfahren einiges über Erfrierungen und die Höhenkrankheit. Nebenbei ist der Standesdünkel der Engländer den anderen gegenüber deutlich spürbar und unerträglich.

Der Schreibstil ist ruhig, dennoch nicht minder spannend. Die Bedrohung durch den Berg, die Schatten der Vergangenheit und die eigenen Ängste sind deutlich spürbar.

Mir gefällt der englische Titel „Thin Air“ also „dünne Luft“ viel besser. Denn der geringe Sauerstoffgehalt in den Höhen des Himalaya-Gebirges lässt die Menschen an ihre Grenzen gehen und häufig auch scheitern. Er ist aber auch für Halluzinationen verantwortlich.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem mystischen Bergsteigerroman, der von der fiktiven Expedition zur Besteigung des Kangchenjunga im Jahr 1935 und einer früheren (ebenfalls fiktiven) Expedition im Jahr 1906, handelt, 5 Sterne.

Veröffentlicht am 14.12.2022

Das abenteuerliche Leben des Hans S.

Das Land am anderen Ende des Meeres
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Der von der Edition Karo herausgegebene, biografische Roman über den Seemann Hans S., der wenig in seinem Leben ausgelassen hat, basiert auf einem Interview, das Autor Jürgen Rath im Jahr 1981 mit dem ...

Der von der Edition Karo herausgegebene, biografische Roman über den Seemann Hans S., der wenig in seinem Leben ausgelassen hat, basiert auf einem Interview, das Autor Jürgen Rath im Jahr 1981 mit dem damals über 90 Jahre alten Seemann geführt hat.

Worum geht’s?

Hans, eine Junge aus Papenburg soll, nach dem Willen seiner Mutter, zur See fahren und nicht wie der Vater in der Fabrik schuften. Dummerweise ist er zu klein, zu schmächtig und muss - bevor sich sein (?) Traum erfüllen kann, als „Nietjunge“ in der Werft arbeiten. Hier lernt er einiges fürs Leben, das ihm später auf See helfen wird, zu überleben. Als es denn endlich mit der Seefahrt klappt, ist Hans 13 Jahre alt und zu seinem Glück hat er einen Kapitän, der zwar streng, aber keine Leuteschinder ist. Lange Zeit fährt Hans als Matrose, dann als Steuermann über die Weltmeere. Um nicht, wie so viele seiner Zeit in die Mühlen des Ersten Weltkrieges zu geraten, gibt er sich als Holländer aus, mustert in Kalifornien ab, kauft Grund und Boden und versucht sich als Farmer. Dann muss er, nun amerikanischer Staatsbürger, doch noch zur Armee, desertiert und wird zu lebenslanger Zwangsarbeit in den Quecksilberminen verurteilt. Er überlebt, seine Farm ist futsch und Hans fährt wieder zur See. Auf den Philippinen findet er ein kurzes Zuhause, um dann wieder nach Europa zurückzukehren und im Altenheim für Seemänner in Hamburg die letzten Jahrzehnte seines Lebens zu verbringen.

Dort trifft er 1981 auf den Autor dieses Romans, der für die Uni Hamburg, alte Seeleute interviewt. Autor Jürgen Rath ist Historiker und Kapitän und interessiert sich für das Leben der Seemannschaften auf Segelschiffen um 1900. Ob der spannenden Lebensgeschichte von Hans S. ist Jürgen Rath so beeindruckt, dass rund 40 Jahre nach dem Interview, dieser Roman entstanden ist.

Dem Hans Schnieders aus dem Roman stellt der Autor Jutta, eine junge Studentin, als Interviewerin gegenüber. Sie wirkt genervt, ungeduldig und wenig empathisch. Doch der alte Seebär, Hans ist ja schon über 90 Jahre alt, schafft es, die junge Frau ein wenig aus der Reserve zu locken. Einen Oscar für Empathie erhält sie dennoch nicht.

Meine Meinung:

Obwohl das eigentliche Interview nur rund 2,5 Stunden gedauert hat, ist Jürgen Rath ein fesselnder Roman gelungen. Die Lücken zwischen den Eckdaten hat der Autor, der ja auch Bücher über die (historische) Seefahrt geschrieben hat, mit aufwändig recherchierten Berichten anderer Seeleute, gefüllt.

Ein interessantes Detail ist die Hypothese, dass Juttas Großmutter das Kind aus einer Beziehung von Hans sein könnte. Schade, dass das hier nicht weiter verfolgt wird.

Wir Leser lernen einiges über die Seefahrt abseits von shanghaien und Leuteschindern. Disziplin und Kommandos, die im Schlaf beherrscht werden müssen, sind im Kampf gegen Naturgewalten zum Überleben absolut notwendig.

Schmunzeln musste ich, als Hans sich über das Einweihungsfest seines Hauses auf den Philippinen freut, ohne mitzubekommen, dass es eigentlich seine Hochzeitsfeier mit der Tochter des Häuptling ist. Das Thema Frauen und Seemann wird ziemlich ausgespart. Viel Glück hat Hans hier ohnehin nicht.

Ein ungewöhnlicher biografischer Roman, der sich von der Vielzahl solcher Bücher wohltuend abhebt, da fundierte Kenntnisse der Materie und ein echtes Interview Basis sind.


Fazit:

Wer an historischen Romanen und Oral History interessiert ist, findet hier eine fesselnd erzählte Lebensgeschichte. Gerne gebe ich diesem fesselnden Roman 5 Sterne und eine Leseempfehlung.