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Veröffentlicht am 03.03.2023

Eine Bereicherung

Bei Regen in einem Teich schwimmen
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Wie funktionieren Geschichten eigentlich? Welche Erwartungen wecken sie im Leser und wie lenken sie die Wahrnehmung?

Diesen Fragen geht George Saunders in seinem neuen Buch “Bei Regen in einem Teich ...

Wie funktionieren Geschichten eigentlich? Welche Erwartungen wecken sie im Leser und wie lenken sie die Wahrnehmung?

Diesen Fragen geht George Saunders in seinem neuen Buch “Bei Regen in einem Teich schwimmen” nach, indem er sich intensiv sieben Kurzgeschichten der russischen Meister annimmt. Er kann dabei auf seinen Erfahrungen als Dozent an der Syracuse University aufbauen, wo er jahrelang Creative Writing unterrichtet hat. Wir als Leser haben nun die wunderbare Möglichkeit, in eines seiner Seminare reinzuschnuppern. Wir können unter Saunders Anleitung das entdecken, was Literatur ausmacht und tauchen tief in die Zeilen der von ihm ausgewählten Kurzgeschichten ein.

Ich bin davon überzeugt, dass dieses Buch jeden, der sich für Literatur interessiert, begeistern wird. Es ist klug und zeugt von einem tiefen Verständnis für die Gattung der Kurzgeschichten, der Saunders sich selbst als Autor gewidmet hat. Sein eigenes Können beweist er im Übrigen in seinen Erläuterungen, die seinen Humor und seinen meisterhaften Umgang mit Sprache widerspiegeln.

“Bei Regen in einem Teich schwimmen” ist ein Buch für alle leidenschaftlichen Leser, Fans von Kurzgeschichten und der russischen Literatur, für Nerds der Literaturwissenschaft und Close Reading-Liebhaber, für angehende Schriftsteller und Hobbyautoren. Und auch allen anderen, die sich in dieser Liste nicht wiederfinden, kann das Buch nur ans Herz gelegt werden! Es ist eine Bereicherung und ein riesiges Vergnügen.

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Eine Bereicherung

Schnee fällt auf Chinas Erde
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Obwohl Ai Qing (1910-1996) einer der bekanntesten chinesischen Dichter der Moderne ist, ist sein Werk in Deutschland fast völlig unbekannt. Als Vertreter der Neuen Lyrik, schrieb er in einer verständlichen ...

Obwohl Ai Qing (1910-1996) einer der bekanntesten chinesischen Dichter der Moderne ist, ist sein Werk in Deutschland fast völlig unbekannt. Als Vertreter der Neuen Lyrik, schrieb er in einer verständlichen Sprache gegen das Monopol der Gelehrten an, denen das Verfassen und Lesen von Lyrik vorbehalten war. Themen wie Armut und das Elend der Landbevölkerung stehen in den Werken der Neuen Lyrik außerdem zum ersten Mal im Zentrum von chinesischen Gedichten.

Nun ist eine Auswahl seiner Gedichte in der Übersetzung von Susanne Hornfeck unter dem Titel "Schnee fällt auf Chinas Erde" erschienen. Begleitet werden die Gedichte von einem Vorwort Ai Weiweis, dem berühmten Künstler und Sohn des Dichters, von Anmerkungen und einem Nachwort der Übersetzerin, sowie von Auszügen aus den Notizbüchern Ai Qings, die Einblicke in sein dichterisches Selbstverständnis geben.

Die Gedichte sind eine Zeitreise in das letzte Jahrhundert, in die Geschichte und Kultur Chinas und nicht zuletzt in das Leben Ai Qings. Ein Leben, das geprägt war von jahrzehntelangen Schreibverboten, von Aufenthalten in Straflagern und Gefängnissen. Verse wie “Aus der Dunkelheit/ blicke ich sehnsuchtsvoll/ auf ein Universum” oder “Ich sehne mich nach einem fernen Horizont” führen dem Leser “das Grauweiß” des persönlichen Unglücks vor Augen.

Ai Qings Gedichte werden stets von sprachlicher Schönheit, Prägnanz und Tiefe getragen. Vor den Augen des Lesers entstehen Bilder, die durch ihre Farbkraft und Klarheit bestechen. Es gelingt Ai Qing, Landschaften zum Leben zu erwecken und den Alltag und die Armut der Bauern Nordchinas aus der Nähe darzustellen. Motivisch ziehen sich Krieg, Elend, aber auch Hoffnung und Frühling wie ein roter Faden durch den Gedichtband.

Die Gedichte sind Spiegelbild eines Landes, eines Lebens, von persönlichen Entwicklungen und einer Weltsicht, die zeitweise von der Ideologie der kommunistischen Partei beeinflusst ist, aber sich später auch nicht davor scheut, sie zu kritisieren.

Der Band ist eine Bereicherung für jeden Leser. Er erweitert den persönlichen Horizont, gräbt sich ins Gedächtnis ein und muss deshalb empfohlen werden.

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Zu Unrecht vergessen

Sodom und Berlin
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Yvan Golls Roman „Sodom und Berlin” ist eine rasante Stadtrundfahrt, ein faszinierendes, groteskes und surreales Porträt eines Ortes und seiner Menschen. Berlin wird schon zu Beginn mit dem Tod, mit Finsternis, ...

Yvan Golls Roman „Sodom und Berlin” ist eine rasante Stadtrundfahrt, ein faszinierendes, groteskes und surreales Porträt eines Ortes und seiner Menschen. Berlin wird schon zu Beginn mit dem Tod, mit Finsternis, Wahnsinn und Dekadenz gleichgesetzt. Die Pflastersteine der Stadt klaffen auf und die Assoziation mit der mythologischen Unterwelt drängt sich dem Leser auf.

Der Hochstapler Odemar Müller ist die Hauptfigur dieser Geschichte, den es zuerst nach Bonn in eine Studentenverbindung schlägt, der dann an der Front kämpft, in Berlin landet und als Redakteur arbeitet, kurz darauf eine mystische Gesellschaft gründet und schließlich der wohl einzige Träger eines Bazillus ist, der Europa zugrunde richten wird.

Golls Roman spiegelt das Wesen der Zwischenkriegszeit wider. Sie wird als apokalyptisch, dekadent und „vermodernd” dargestellt. Ihre Menschen sind Wracks, sind „innerlich bereits völlig ausgehöhlt”. Hunger, Elend und Armut prägen das Stadtbild: „Draußen fror und hungerte Berlin. Das deutsche Elend nahm katastrophale Ausmaße an.” Es ist in dieser Zeit, in der sich Menschen nach Liebe, Freiheit, Idealen und nach Sinn sehnen. Die Figuren des Romans verkörpern diese Sehnsüchte auf anschauliche Weise.

Die editorische Notiz des Verlags am Ende des Buches weist den Leser darauf hin, dass die Anspielungen im Roman so zahlreich sind, dass Kommentare insgesamt länger als der Text selbst werden würden. Und das macht sich schon früh während des Lesens bemerkbar. Der Text funktioniert auf mehreren Ebenen, ist so vielschichtig und bildreich, dass eine einmalige Lektüre sicherlich nicht ausreicht, um ihn in seiner Gänze erfassen zu können.

Gleichzeitig überfordert der Roman nicht, sondern macht Spaß und lässt den Leser fast durchgängig vergessen, dass er vor etwa einem Jahrhundert entstanden ist. Zu Unrecht hat die Nachwelt Golls Werk so wenig Aufmerksamkeit geschenkt und deshalb rate ich euch, euch schleunigst ein Exemplar dieser wunderschönen Ausgabe aus dem Manesse Verlag zu sichern. Es lohnt sich!

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Ein Denkmal fur die Frauen vom Land

Land der Frauen
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Nach dem Tod ihres Großvaters beginnt die Schriftstellerin und Tierärztin María Sánchez über ihre Familie, ihre Vorfahren und über das Leben auf dem Land nachzudenken. Sie stellt fest, dass sie sich stets ...

Nach dem Tod ihres Großvaters beginnt die Schriftstellerin und Tierärztin María Sánchez über ihre Familie, ihre Vorfahren und über das Leben auf dem Land nachzudenken. Sie stellt fest, dass sie sich stets ihren Großvater und Vater zum Vorbild genommen hat, weil sie Tierärzte waren. Ihre Mutter war ihr hingegen lange Zeit kein Vorbild und über ihre Großmutter väterlicherseits weiß sie fast gar nichts. Sie erkennt, dass die Frauen auf dem Land „im Schatten bleiben und ohne Stimme”. Dabei sind sie es, die häufig härter arbeiten, die sich nicht nur um die Feldarbeit kümmern müssen, sondern auch noch um den Haushalt, die Kinder und die Tiere.

„Land der Frauen” will diese Frauen aus der Verbannung des Schweigens befreien, sie aus dem Schatten ins Licht stellen. Sánchez gibt ihnen eine Stimme und erschafft einen literarischen Raum, in dem ihre Geschichten erzählt werden können.

Sie schreibt gegen die Verherrlichung der männlichen Landbevölkerung und ihrer Arbeit an, gegen die Tatsache, dass Frauen den Boden nicht besitzen, dass sie keinen Lohn erhalten, ihre Arbeit als selbstverständlich betrachtet wird, sie keinen Arbeitsvertrag haben und doch jeden Tag hart arbeiten, etwas entgegen. Auch die Arbeitsbedingungen von Erntehelferinnen, die ständig der Gewalt von Männern ausgesetzt sind, bleiben nicht unerwähnt.

Ihr Buch ist der Versuch, das Bild einer ländlichen Welt, die männlich geprägt ist, geradezurücken. Es ist ein Plädoyer für die Gleichberechtigung von Frauen, für die Wertschätzung ihrer Geschichten, ihrer Arbeit und auch für ein selbstbestimmtes Erzählen. Denn oft ist der Blick auf das Landleben nicht nur ein männlicher, sondern auch noch ein städtischer.
María Sánchez setzt ihrer Mutter, ihren Großmüttern und den Frauen auf dem Land ein Denkmal und appelliert gleichzeitig auf eine kluge und überzeugende Art an den Leser, den eigenen Blick zu ändern. Es ist längst überfällig!

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Bewegend und mitreißend

Kaukasische Tage
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Banine, die in eine der reichsten aserbaidschanischen Familien geboren wurde, erzählt in “Kaukasische Tage” von ihrer Kindheit und Jugend in Baku zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Baku ist zu jener Zeit ...

Banine, die in eine der reichsten aserbaidschanischen Familien geboren wurde, erzählt in “Kaukasische Tage” von ihrer Kindheit und Jugend in Baku zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Baku ist zu jener Zeit ein Schmelztiegel der Kulturen, ist sowohl europäisch geprägt als auch orientalisch.

Banines Großmutter ist streng islamisch und hängt alten Traditionen nach. Doch ihre Gouvernante ist deutsch und spätere Erzieherinnen sind französisch und englisch. Ihr Vater reist durch die Welt, heiratet nach dem Tod der Mutter eine junge Russin aus Moskau, die eine Affinität für Frankreich hat und die Banine sich zum Vorbild erkürt. Sie bewegt sich in einer modernen Welt, in der die Frauen sich von Religion und Patriarchat zu befreien verstehen.

Es ist eine schillernde, flirrende und verrückte Kindheit, die zwischen Hammam-Partys, Sommerurlauben am Kaspischen Meer, lauten Familienzusammenkünften, die oft in Streitereien ausarten und unzähligen Streichen stattfindet.
Banine lebt leidenschaftlich, hat viel Fantasie, träumt und liest schon als Kind heimlich französische und russische Autoren. Sie verliebt sich - meistens gemeinsam mit ihren Schwestern - in Offiziere und Gärtner. Doch es ist die Liebe zu Andrei Masarin, einem russischen Revolutionär, die ihre große Liebe ist und unerfüllt bleiben muss. Denn mit fünfzehn wird Banine mit einem viel älteren Mann verheiratet.

Aber es ist auch eine Kindheit, die vor dem Hintergrund politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen stattfindet. Die Familie muss zeitweise aus Angst vor Pogromen nach Persien fliehen. Die Freude über die Republiksgründung ist nur von kurzer Dauer und der Einmarsch der Roten Armee führt nicht nur zur Beschlagnahmung des Vermögens und Eigentums der Familie, sondern auch zur Inhaftierung des Vaters.

Die Autorin erzählt ihre eigene Lebensgeschichte auf eine bewegende, mitreißende und eindrückliche Art und Weise. Wüsste man es nicht besser, so würde man denken, man hält einen Roman zwischen den Händen, so bunt, laut und unbändig ist dieses Leben.

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