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Veröffentlicht am 21.08.2023

Ein Leben für die Kinder

Wie ein Stern in mondloser Nacht
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Zwei Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges lebt die junge Henriette Bartholdy, genannt Henni, im zerbombten Berlin mit ihrer Mutter und ihrem kranken Bruder in bitterer Armut. Als sie ihre Mutter auf deren ...

Zwei Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges lebt die junge Henriette Bartholdy, genannt Henni, im zerbombten Berlin mit ihrer Mutter und ihrem kranken Bruder in bitterer Armut. Als sie ihre Mutter auf deren Putzstelle im Haus der reichen von Rothenburgs vertritt, lernt sie den Sohn des Hauses, Ed, kennen. Die beiden verlieben sich ineinander, doch das Ganze geht nicht gut aus, denn Eds Eltern haben für ihren Sohn einen anderen Lebensweg vorgesehen. Als Henni schwanger wird, bestechen die von Rothenburgs Hennis Mutter und gemeinsam zwingen sie Henni zu einem folgenschweren Schritt.

Immer nach vorn, nie zurück: Das ist das Motto von Henni. Eine wundervolle Protagonistin hat die Autorin da erschaffen, eine, die das Leben trotz aller Widerstände liebt, die trotz aller Schicksalsschläge immer nach vorn schaut und ihren Prinzipien treu bleibt. Henni reift im Laufe des Buches, wird vom gebeutelten, von allen verlassenen Kriegskind zu einer Kämpferin ihrer Sache, eine, die erst für sich und dann für ihre Überzeugungen einsteht. Die Entscheidung, Hebamme zu werden, entsteht, nachdem sie ihren fruchtbarsten Moment erlebt und überstanden hat, und Henni verfolgt ihre Ziele mit aller gebotenen Hartnäckigkeit.

Dies ist ein wundervoller Roman über eine starke Frau in schwierigen Zeiten, die ihren Weg geht und dafür einiges in Kauf nimmt. Der Aufbau des Buches, der Stil, die Schreibe und die Figuren sind allesamt stimmig und sehr gut herausgearbeitet, es liest sich unheimlich flüssig, man ist sofort in der Geschichte drin und kann nicht mehr aufhören. Perspektivisch wechselt die Geschichte zwischen Henni in der Nachkriegszeit und Liv im Jahr 2000. Während Livs Erzählung sich über einen kurzen Zeitraum erstreckt, wird Hennis Leben fast komplett erzählt.
Die Wechsel zwischen den beiden Zeitebenen erhöhen die Spannung, auch wenn man irgendwann ahnt, wie beides zusammenhängt. Beide Frauen machen eine Entwicklung durch, sind tief emotional verbunden mit ihrer Vergangenheit und emanzipieren sich doch von ihr, streifen ab, was sie schwächt, und sehen schlussendlich nach vorn in eine hoffnungsvolle Zukunft.

Alle Charaktere haben sehr eigenständige, vielschichtige und gut dargestellte Persönlichkeiten, wenn auch Henni für mich der stärkste Charakter ist. Liv blieb mir in manchem fremd und zu Ed hatte ich ein sehr gespaltenes Verhältnis. Seine Liebe zu Henni ist wohl echt, jedoch egoistisch und feige, das legt er auch in späteren Jahren nicht ab. Er steht nicht zu Henni und lässt sich von seinen Eltern leiten. Seine Eifersucht und sein Selbstmitleid machten ihn nicht sympathischer, auch wenn er mit seinen Mitteln vieles für Geburtenkontrolle und Aufklärung tut.

Gut fand ich, wie die Schere zwischen arm und reicht sichtbar gemacht wurde und was Armut mit Menschen machen kann, wie sie sie zum Beispiel korrumpiert, hier in der Figur von Hennis Mutter dargestellt. Diese ist durch den Krieg und den Tod ihres Mannes bitterarm geworden und der kranke Sohn zehrt ebenfalls an ihr. Der Kampf ums Überleben hat sie hart gemacht und blind gegenüber den Bedürfnissen ihrer Tochter, die sie als Arbeitskraft und Geldquelle ausnutzt. In ihrer schwersten Stunde wird Henni nicht nur von Ed, sondern auch von ihrer Mutter verlassen. Umso bemerkenswerter, dass Henni sich selbst aus diesem Tal der Tränen herauszieht, ihr Leben in die Hand nimmt und die Kraft findet, anderen zu helfen.

Fazit: Wunderschöner, zu Herzen gehender Roman über eine starke, sensible und loyale Frau. Mit Henni habe ich sehr mitgelitten und mitgelebt und ich fand es interessant, einiges über Findelkinder und die Motive der Mütter zu erfahren. Auch heute noch sind Babyklappen umstritten und das Nichtanzeigen eines Neugeborenen strafbar. Ein Buch, das ein schwieriges Thema sensibel und einfühlsam aufgreift und die Motive nachvollziehbar macht.

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Veröffentlicht am 02.08.2023

Mütter und Töchter und andere Begebenheiten – eine Familiengeschichte

Bei euch ist es immer so unheimlich still
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Berlin, 1989: Silvia Borowski lebt in einer WG und hält sich mehr schlecht als recht über Wasser. Mit ihrer neu geborenen Tochter Hannah wird das nicht einfacher. Überstürzt klaut sie den Polo ihres Mitbewohners ...

Berlin, 1989: Silvia Borowski lebt in einer WG und hält sich mehr schlecht als recht über Wasser. Mit ihrer neu geborenen Tochter Hannah wird das nicht einfacher. Überstürzt klaut sie den Polo ihres Mitbewohners Dirk und fährt in ihre alte Heimat Ildingen in der schwäbischen Provinz, um zu ihrer Mutter zu fahren, obwohl sie mit ihr schon viele Jahre keinen Kontakt mehr hat. Wie wird Evelyn Borowski sie aufnehmen? Mit ihrer Fahrt ins Ungewisse rührt Silvia viele alte Wunden und Geschichten wieder auf und es kommt so manches Familiengeheimnis ans Licht.

Wunderbarer Familienroman über Mütter und Töchter, den Zweifel, alles richtig zu machen, über Umbrüche und Aufbrüche, aber auch über das Ankommen und Annähern und das Ende der Stille. Fast schon ein wenig nebenbei erfährt der geneigte Leser auch einiges über Dorfgemeinschaften, über unerwartete Freundschaften und verhaltenes Aufbegehren gegen gesellschaftliche Normen. Das fiktive Dorf Ildingen spiegelt dabei das ganze Spektrum eines engen Mikrokosmos, in dem Tradition und alte Werte großgeschrieben werden. Ein Dorf, wie es Tausende gibt, in dem jeder jeden kennt, wo jeder die Geheimnisse des anderen zu kennen glaubt und wo es doch ständig unter der Oberfläche brodelt. Der Gegensatz zum überschäumenden Berlin zur Wendezeit, wo sich gerade alles verändert, ist deutlich zu spüren.

Auf zwei Zeitebenen erzählt die Autorin sehr gekonnt und mit viel Sympathie für ihre Figuren die Geschichte der beiden Frauen Evelyn und ihrer Tochter Silvia. Ihrer beider Suche nach einem vertrauten Miteinander, die Verzweiflung, keinen Draht zueinander zu haben und die Hoffnung, dass es doch einmal so sein wird, dies zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Man erfährt viel über Evelyns und Silvias Charakter, der die Motive erklärt und ihre Reaktionen nachvollziehbar macht. Zumindest für den Leser, die beiden selbst bleiben lange stumm und so sind Missverständnisse vorprogrammiert. Sehr geschickt verknüpft die Autorin zudem weitere Perspektiven, etwa der Bettis oder Georgs, mit der Haupthandlung. So werden Geschehnisse verdeutlicht, aus einer anderen Perspektive beleuchtet und noch mehr Hintergründe ans Licht gebracht.

Alle Charaktere werden gut und vielschichtig dargestellt und keiner ist oberflächlich. Die Tiefe der Figuren und ihrer Interaktion machen die Spannung der Geschichte aus. Silvia und Evelyn sind dabei im Fokus, sowohl im Jahr 1957 als auch 1989. Während in der Gegenwart die Zeitspanne der Geschichte nur ein paar Monate dauert, in der Silvia bei ihrer Mutter ist, spannt sich die Rückblende über mehrere Jahre und bringt chronologisch die wahren Ereignisse ans Licht.

Es ist auch eine Geschichte des Weglaufens und wieder Zurückkommens, der Abnabelung und der Annäherung. Beide Frauen sind voller Selbstzweifel, der anderen nicht zu genügen, und das Nicht-miteinander-sprechen-können macht ein großes Stück der Tragik dieser Geschichte aus. Evelyn mit ihrem analytischen Verstand, ihrer Selbstdisziplin und ihrem Perfektionismus steht dabei zunächst in krassem Gegensatz zu ihrer emotionalen Tochter. Das Bindeglied zwischen beiden ist Hannah, sie bringt die beiden aneinander näher und bewirkt, dass sie aufeinander zugehen und sich ihren Ängsten stellen.

Auch andere Figuren haben stark herausgearbeitete Persönlichkeiten, so fand ich etwa Silvias Vater Karl oder ihren Kumpel Rüdiger wunderbar und auch überraschenderweise Monika. Fast alle Protagonisten machen auf die eine oder andere Art eine Entkoppelung durch, man trennt sich von alten Zöpfen und emanzipiert sich, sodass neue Bündnisse entstehen. Menschen wachsen zusammen, formieren sich neu und sind schließlich bereit zu neuen Ufern aufzubrechen. Ein schönes Pendant zur deutschen Wende: Das, was im Großen mit einem ganzen Volk passiert, geschieht ebenso in der kleinen Parallelwelt.

Fazit: Ein wunderbares, emotionales und zu Herzen gehendes Buch, das sich gut lesen lässt und viel Empathie für die Figuren weckt. Das gebundene Buch kommt mit schön gestaltetem Schutzumschlag und Lesezeichenband daher. Im Anschluss an die Geschichte findet sich eine Leseprobe des Vorgängerbandes, der interessanterweise zeitlich NACH diesem spielt. Meines Erachtens lassen sich aber beide unabhängig voneinander lesen. Diese Geschichte hier macht jedenfalls Lust, mehr von der Autorin zu lesen, und ist vor allem für Fans von Frauen- und Familiengeschichten der leisen, aber intensiven Töne sehr gut geeignet.

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Veröffentlicht am 27.07.2023

Mystisch und intelligent - außergewöhnlicher Thriller, der in fremde Dimensionen vordringt

Ingenium
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Mike Brink hat eine ungewöhnliche Gabe: Nach einem Schädel-Hirn-Trauma hat er eine Inselbegabung und kann spielend leicht Rätsel aller Art lösen. Außerdem hat er dadurch ein fotografisches Gedächtnis und ...

Mike Brink hat eine ungewöhnliche Gabe: Nach einem Schädel-Hirn-Trauma hat er eine Inselbegabung und kann spielend leicht Rätsel aller Art lösen. Außerdem hat er dadurch ein fotografisches Gedächtnis und ungewöhnliches mathematisches Verständnis. Sein Ruf eilt ihm voraus, und so wird er ins Gefängnis von Ray Brook gerufen, wo eine Insassin eine rätselhafte Zeichnung angefertigt hat, die er lösen soll. Diese erweist sich als unvollständig und komplex und für Mike nicht auf Anhieb lösbar. Da aufgeben für ihn keine Option ist, ist er bald tief in etwas verstrickt, das größer ist als alles, was er je kennengelernt hat.

Mystisch, intelligent, rätselhaft – ein unheimlich komplexer Thriller, der alle Elemente des Genres vereint und den Leser bis zur letzten Zeile fesselt. Die Autorin versteht es hervorragend, die komplexen Rätsel und wissenschaftlichen Hintergründe anschaulich darzustellen und in einen rasanten Thriller einzuweben, ohne dass der Lesefluss gebremst wird oder die Spannung leidet. Dabei sind ihre Figuren trotz außergewöhnlicher Fähigkeiten und Intelligenz alle sehr menschlich – Opfer wie Täter. Alle haben tiefe Gefühle und Ängste und zweifeln oft an ihrer Mission. Daher kommt man als Leser auch nicht umhin, Sympathie für die Gegenseite zu entwickeln. Man hat einfach viel Verständnis für die Motive. Das Bedürfnis nach der Unsterblichkeit der Seele ist ein Urwunsch der Menschheit, die Beschäftigung mit der Frage, was nach dem Tod kommt und die Überwindung dessen ist so alt wie die Menschheit selbst. Hier wird dies verbunden mit uralten mystisch-religiösen Überlieferungen und hochmoderner künstlicher Intelligenz. Deren Zusammenspiel ist eines der großartigen und spannenden Elemente der Geschichte. Diese Gegensätzlichkeit zieht sich durch die gesamte Geschichte. Gut und Böse, Glaube und Wissenschaft, Traum und Wirklichkeit, all das verschwimmt miteinander und mir fiel es mitunter schwer zu unterscheiden, was wirklich ist und was nicht.

Trotz des sehr guten Stils muss man schon gründlich lesen und am Ball bleiben, die Rätsel, die Mystik und die historischen Hintergründe sind zu komplex, um die Geschichte einfach so herunterzulesen. Dennoch war ich als Leser sofort gebannt von Mikes Fähigkeiten und dass es so etwas wirklich gibt. Die Geschichte ist in der Hauptsache zwar auf ihn als Charakter fokussiert, die anderen Figuren kommen aber nicht zu kurz. Auch das macht die Autorin geschickt: Die Perspektive wechselt von Mike und seinen Aktionen häufig zu seinem Gegenspieler Sedge und dessen Handlanger Cam. Außerdem werden Perspektivwechsel in Form von Tagebucheinträgen und Briefen durchgeführt. Das Ganze ist sehr abwechslungsreich und spannend, und nach und nach erhält der Leser in dem Maße Informationen, wie sie Hauptfigur Mike gewinnt. Wobei wie oben erwähnt manchmal nicht klar ist, in welcher Dimension sich Mike gerade befindet. Auch das muss man mögen: Offen sein für ungewöhnliche Sichtweisen, für mystische Geheimnisse und dem Verwischen von Zeit und Raum. Es ist eben kein gewöhnlicher Thriller und schon gar kein klassischer Krimi, bei dem es nur eine Lösung gibt. Das Ende der Geschichte ist demgemäß zwar nachvollziehbar und durchaus befriedigend, aber dennoch offen und eigentlich eher ein Anfang.

Fazit: Ein rasanter Thriller und ein sehr intelligent konstruierter Plot, bei dem man ständig mit allem rechnen muss und immer wieder überrascht wird. Erinnert phasenweise sehr an Dan Brown und Mike an den Symbolforscher Robert Langdon, entwickelt aber seinen eignen Stil. Rätselhaft, mystisch und wissenschaftlich, die Geschichte vereint viele gegensätzliche Elemente und verwebt diese auf ungewöhnliche Art und Weise miteinander. Den geneigten Leser erwartet Spannung pur und wer sich auf mehr einlassen möchte, wird in fremde Dimensionen vorstoßen.

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Veröffentlicht am 09.06.2023

Das Böse ist im Netz – und folgt Dir!

Der Follower (Tom-Bachmann-Serie 3)
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Tom Bachmann ist Kriminalpsychologe beim BKA und man nennt ihn nicht ohne Grund den Seelenleser. Niemand kann sich so gut in die Welt von Psychopathen, Serienmördern und anderen Kriminellen hineinversetzen ...

Tom Bachmann ist Kriminalpsychologe beim BKA und man nennt ihn nicht ohne Grund den Seelenleser. Niemand kann sich so gut in die Welt von Psychopathen, Serienmördern und anderen Kriminellen hineinversetzen wie er. Und niemand weiß um seine Vergangenheit, die er aus gutem Grund geheim hält. Als ihn eine sehr gute Bekannte von früher um Hilfe bittet, ihre verschwundene Freundin zu finden, kann er trotzdem nicht nein sagen. Bald geht es um mehr als nur eine verschwundene junge Frau, und ehe er sich‘s versieht, ist Tom einem perfiden Serienmörder auf der Spur.

Mega-Thriller der Extraklasse! Blutig, gruselig, schockierend – und erschreckend real. Dieser Thriller fesselt von der ersten Seite und lässt kein Detail aus. Falls man Zweifel hatte, in welche Richtung es geht, werden diese gleich in Kapitel eins zerstreut. Dieser Mörder ist detailverliebt und perfektionistisch, absolut unempathisch mit seinen Opfern und interessiert sich nur für eines: die perfekten Beine.

Tom Bachmanns dritter Fall hat es in sich. Auch wenn man die Vorgängerbände nicht gelesen hat, wie es bei mir der Fall ist, kommt man sofort in die Geschichte hinein und findet auch Zugang zu den Protagonisten. Der Autor versteht es hervorragend, Sympathie mit den Opfern zu wecken und die Spannung permanent hochzuhalten. Seine Figuren haben sehr eigenständige Persönlichkeiten und agieren menschlich nachvollziehbar. Die knallharte Ermittlerarbeit steht im Vordergrund, dennoch kommen das Seelenleben und die Gedankenwelt einiger Handelnder nicht zu kurz. Die Perspektiven wechseln zwischen der des Täters, der Opfer, Bachmanns Bekannten aus der Vergangenheit und natürlich der Bachmanns selbst. Auf diese Weise ist der Leser allwissend, was der Spannung aber keineswegs einen Abbruch tut. Im Gegenteil ruft es ein ziemliches Gänsehaut-Gefühl hervor, wenn man auch nur ahnt, was gleich passieren wird.

Tom Bachmann selbst ist ein außerordentlich faszinierender Charakter, dessen traumatische Kindheit, die das verbindende Element mit seinen Bekannten aus der Vergangenheit ist, in Rückblenden beleuchtet wird. Dass er nicht komplett durchgedreht ist, grenzt wahrlich an ein Wunder. Nichtsdestotrotz trägt er schwer an ihr und kann sich ihr auch in der Gegenwart nicht entziehen. Dass diese Vergangenheit in der Gegenwart in einem blutigen Finale ihre Erwiderung findet, ist der zweite Handlungsstrang in dieser Geschichte. Und doch ist es genau seine Erziehung, die Bachmann zu einem genialen Seelenleser und Versteher der psychisch kranken Kriminellen macht. Tief versetzt er sich in deren Psyche hinein und nähert sich so sukzessive auch seinem aktuellen Gegenspieler. Dieser ahnt nicht, wie dicht Bachmann ihm auf den Fersen ist. Mich begeisterte diese Annäherung an den Täter sehr, wie immer mehr Puzzle-Teile ans Licht kommen, wie alle Rädchen im Getriebe, sprich im Team, zusammenarbeiten. So gesehen ist es weder ein Katz-und-Maus-Spiel noch ein klassischer Whodunnit-Krimi. Wer gerne mitermittelt, ist hier falsch. Stattdessen erwartet den Leser ein nach allen Regeln der Kunst gestrickter Thriller, der trotz aller blutigen Details weder reißerisch noch platt ist, sondern unglaublich packend.

Fazit: Ein Muss für Thriller-Fans, die psychologische Abgründe und knallharte Ermittlungsarbeit lieben. Der faszinierende Protagonist Bachmann ist kein reiner Sympathieträger, sondern ein traumatisierter Mensch, der in seiner eigenen Hölle lebt und gerade deshalb seine Fälle so genial zu lösen vermag. Der dritte Band kann in meinen Augen unabhängig von den anderen gelesen werden, macht aber Lust, sich mit den Vorgängerbänden an einen ruhigen Ort zurückzuziehen. Ein echter Pageturner!

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Veröffentlicht am 31.03.2023

Deutsche Zurückhaltung trifft portugiesisches Temperament – ein Krimi im Herzen Portugals

Südlich von Porto lauert der Tod
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Die Deutsch-Portugiesin Ria lebt als Polizistin in Deutschland, fährt aber anlässlich des Todes ihres Großvaters zurück in die Heimat, um an dessen Beerdigung teilzunehmen. Nach Problemen im Job und einer ...

Die Deutsch-Portugiesin Ria lebt als Polizistin in Deutschland, fährt aber anlässlich des Todes ihres Großvaters zurück in die Heimat, um an dessen Beerdigung teilzunehmen. Nach Problemen im Job und einer Trennung will sie sich gleichzeitig eine Auszeit nehmen, zu sich selbst finden und von Polizeiarbeit erst einmal nichts hören und sehen. Als in einem Ferienhaus eine tote Frau gefunden wird, spricht zunächst alles für einen tragischen Unfall. Einzig deren Schwester glaubt nicht daran und macht Rias Schwager, dem örtlichen Polizisten, gehörig Druck, den Leichnam obduzieren zu lassen. Als die Leiche vor der Obduktion aus dem Bestattungsinstitut verschwindet, glaubt keiner mehr an einen Zufall. Der angereiste Kommissar aus der Stadt übernimmt die Leitung und hält Ria irrtümlicherweise für eine Kollegin, und obwohl Ria sich heraushalten wollte, ist sie bald tiefer involviert als ihr lieb ist.

Sehr unterhaltsamer Portugal-Krimi vor traumhafter Kulisse mit viel Lokalkolorit. Dank des wunderbar eingängigen Stils und der bildhaften Erzählweise der Autorin ist man sofort drin in der Geschichte und Umgebung und Menschen ziehen einen direkt in den Bann. Der Fall selbst ist durchaus spannend, zeichnet sich aber weniger durch verzwickte Winkelzüge und überraschende Wendungen aus als vielmehr durch die Interaktion der Ermittler untereinander, das Leben im Dorf und das Zurückfinden Rias in die Gemeinschaft und in den Job. Dies wird besonders betont durch das Voranstellen eines typischen portugiesischen Ausdrucks und dessen Erklärung, der sich dann auch im Kapitel selbst wiederfindet. Die Geschichte ist reichlich gespickt mit portugiesischen Wörtern, Traditionen und das, was den Portugiesen wichtig ist, nämlich Familie und Freunde und gutes Essen und Trinken. Mir persönlich hat das sehr gut gefallen und ich habe viel davon aufgesogen. Gerade in Bezug auf Ria war dies interessant, ist sie doch einigermaßen hin und her gerissen zwischen ihrem Leben in Deutschland und ihren portugiesischen Verwandten, die sie sehr vermisst.

Die Figuren sind in meinen Augen alle sehr gut herausgearbeitet und haben starke eigenständige Persönlichkeiten. Der Mikrokosmos der überschaubaren Kleinstadt, in dem sich jeder kennt und hilft, kommt liebevoll rüber und machte mir viel Spaß. Mit gefielen aber Ria, auf die sich ja erst einmal der größte Fokus richtet, und Baptista, der Ermittler aus der übergeordneten Dienststelle, am besten. Mit der besonnenen und klugen Ermittlerin und dem aufbrausenden, mit südländischem Temperament ausgestatten Baptista prallen Welten aufeinander, da knallt es ganz gewaltig, zumal beide Seiten mit ziemlichen Vorurteilen behaftet sind. Ria, gebeutelt von ihren Kollegen in Deutschland, schiebt Baptista genauso in die Schublade des Chauvis wie er die vermeintlichen Dorfpolizisten zunächst als unfähig abtut. Aber nach und nach nähern sie sich einander und erkennen auch die Fähigkeiten des anderen an. Schön finde ich auch, wie Rias Freunde und Verwandte mithelfen und zur Lösung beitragen und manch einer mit einem überraschend wachen Geist aufwartet.

Die Geschichte ist als klassische Detektivgeschichte aufgebaut, ein Whodunnit-Krimi, mit Ermittlungsarbeit und einigen Verdächtigen, die viele Geheimnisse haben. Spannung wird dadurch aufgebaut, dass hinter die Fassade geblickt wird, immer mehr Abgründe ans Tageslicht kommen und durch die Tatsache, dass Ria eigentlich gar nicht ermitteln dürfte und sie und Joao immer kurz vor dem Rausschmiss stehen. Ich fand es jedenfalls herrlich, wie Baptista jedes Mal kurz vor einem Brüllanfall steht und dann aber doch begeistert ist von den Ermittlungsergebnissen und über seinen Schatten springt. Die Auflösung des Falls ist denn auch gut nachvollziehbar und schlüssig.

Fazit: Schöner Einstieg in eine neue Reihe um eine ungewöhnliche Ermittlerin. Wer knallharte Krimis oder blutige Thriller liebt, ist hier falsch, die Geschichte lebt zum großen Teil vom Lokalkolorit, der Natur und den Menschen. Ich kann mir weitere Fälle sehr gut vorstellen und hoffe auf ein Wiedersehen mit spannenden Figuren.

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