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Veröffentlicht am 04.06.2023

Eindrucksvoller Roman über Fankultur

Idol in Flammen
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Die Schülerin Akari ist besessen von Masaki, Mitglied einer erfolgreichen J-Pop Band. Doch eines Tages machen Gerüchte in den sozialen Medien die Runde: Masaki soll einen weiblichen Fan geschlagen haben. ...

Die Schülerin Akari ist besessen von Masaki, Mitglied einer erfolgreichen J-Pop Band. Doch eines Tages machen Gerüchte in den sozialen Medien die Runde: Masaki soll einen weiblichen Fan geschlagen haben. Akari beschließt, dass sie dennoch weiterhin treu hinter ihrem Idol stehen will, doch dessen Karriere scheint in Flammen aufzugehen – und damit auch Akaris eigenes Leben.

„Idol in Flammen“ ist der zweite Roman (und der erste, der bisher ins Deutsche übersetzt wurde) der japanischen Autorin Rin Usami. Mit 19 Jahren verfasste sie ihr preisgekröntes Debüt; inzwischen ist sie 24 Jahre alt und damit eine junge Stimme im japanischen Literaturbetrieb. Das merkt man dem Roman auch an, denn es gelingt ihr gut, den Ton und die Gedankenwelt der Protagonistin einzufangen. Aus ihrer Sicht wird die Handlung in der Ich- und Gegenwartsform erzählt und mit ihr geraten wir in einen wahren Strudel aus Emotionen und Obsession.

Ausgangspunkt der Geschichte ist sicherlich der Skandal rund um Sänger Masaki. Doch wo ich eher eine Antwort auf die Frage, ob und wie man die Kunst vom Künstler trennen kann, erwartet hatte, entwickelt sich stattdessen eine Charakterstudie zu Besessenheit. Ihr Idol bestimmt Akaris ganzes Leben. Sie kauft alle CDs mehrfach, geht auf Konzerte und führt einen Blog mit ihren Gedanken zu Masaki. Der Skandal an sich scheint sie nicht allzu sehr zu beunruhigen, auch wenn es dabei um Gewalt geht. Stattdessen bedrückt es sie, wie sehr sein Ansehen unter dem Vorfall leidet.

Von diesem Punkt an rast Akari geradezu einem Abgrund entgegen. Sie vernachlässigt die Schule, der Lernstoff will einfach nicht in ihrem Kopf bleiben. Auch in ihrem Nebenjob kann sie sich nicht mehr konzentrieren; ihre Eltern sind ratlos und überfordert, nur ihre große Schwester Hikari versucht zumindest, Verständnis aufzubringen. Doch ist für Akari ein Leben ohne ihre Obsession für Masaki überhaupt möglich?

Eine kurzer, aber eindrucksvoller Roman über Fankultur, die Maschinerie hinter den Idols, aber auch über die japanische Leistungsgesellschaft, die für junge Frauen wie Akari keinen Platz hat.

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Veröffentlicht am 29.05.2023

Liebeserklärung ans Essen

Das Restaurant der verlorenen Rezepte (Die Food Detectives von Kyoto 1)
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In einer Seitenstraße in Kyoto, ganz versteckt und ohne Schild an der Tür, betreiben Nagare Kamogawa und seine Tochter Koishi ein kleines Restaurant. Hier bieten sie nicht einfach nur normale Speisen an, ...

In einer Seitenstraße in Kyoto, ganz versteckt und ohne Schild an der Tür, betreiben Nagare Kamogawa und seine Tochter Koishi ein kleines Restaurant. Hier bieten sie nicht einfach nur normale Speisen an, sondern betreiben auch eine Detektei, die sich auf die Suche nach verlorenen Rezepten macht. Damit stillen die beiden nicht nur den Hunger ihrer Gäste, sondern auch deren Sehnsucht nach einer ganz bestimmten Erinnerung.

„Das Restaurant der verlorenen Rezepte“ ist der 1. Band der Reihe um Vater und Tochter Kamogawa und ihre Detektei. Im Original erschienen bereits 7 Bände, der erste 2015. Die deutsche Ausgabe besticht durch eine kleinformatige gebundene Ausgabe, klimaneutrale Produktion und vor allem die niedlichen Katzenillustrationen der Kapitelanfänge. Schauplatz des Romans ist ausschließlich das Restaurant der Familie und der Aufbau der kurzen Episoden ist stets derselbe – nur die Hintergrundgeschichte der Kunden und ihr Wunschgericht ändert sich. Im Prinzip haben wir also eine Sammlung von Kurzgeschichten vor uns.

Das zentrale Themas ist sicherlich das Essen und was wir mit ihm verbinden. Ein Geschmack kann sich fest in unser Gedächtnis eingraben, uns als Anker dienen zu einer Zeit, die längst vergangen ist, zu Menschen, die nicht mehr am Leben sind oder zu denen wir keinen Kontakt mehr haben. Diese Botschaft transportiert der Roman gelungen über die Lebensgeschichten der einzelnen Kunden. Durch die Kürze der Kapitel ist allerdings der Aufbau einer tieferen Beziehung zu ihnen nicht möglich.

In Bezug auf die Protagonisten funktioniert dieser aber schon besser. Wir erfahren, dass Nagare früher Kriminalpolizist war und ihm daher das Aufspüren im Blut liegt. Koichi hat auch mit ihren 30 Jahren kein Interesse zu heiraten, findet aber Stammkunde Hiroshi recht attraktiv. Beide vermissen die verstorbene Ehefrau und Mutter, Kikuko. Ich gehe davon aus, dass wir dieses Kennenlernen in den weiteren Bänden noch vertiefen und auch alte Bekannte wiedertreffen würden – daher bitte weiter übersetzen!

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Veröffentlicht am 18.04.2023

Sehr gute Kolumnensammlung

Habibitus
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Von 2016 bis 2022 war Hengameh Yaghoobifarahs Kolumne „Habibitus“ in der taz zu lesen. Nun ist bei Blumenbar eine Ausgabe von über 120 dieser Texte erschienen. „Habibitus“, das ist zunächst eine Zusammensetzung ...

Von 2016 bis 2022 war Hengameh Yaghoobifarahs Kolumne „Habibitus“ in der taz zu lesen. Nun ist bei Blumenbar eine Ausgabe von über 120 dieser Texte erschienen. „Habibitus“, das ist zunächst eine Zusammensetzung aus dem Habitus-Begriff von Bourdieu (Habitus als Auftreten einer Person aufgrund bestimmter Einflüsse und Faktoren) und dem arabischen „habibi“, was „Liebling“ bedeutet. Und dieser Kolumnenname ist eigentlich schon Programm, aber dazu später.

Die Sammlung beginnt mit einem Vorwort von Fatma Aydemir. Mit ihr gab Hengameh Yaghoobifarah übrigens den Essayband „Eure Heimat ist unser Albtraum“ heraus, den ich in diesem Kontext sehr als ergänzende Lektüre empfehlen kann. (Ebenso wie Yaghoobifarahs Debütroman „Ministerium der Träume“.) Aydemir beschreibt treffend den Witz der Kolumne, eine Art liebevollen Spott, der jedoch immer auch einen ernsten Hintergrund hat; sie nennt als Kontext der Kolumnen die Allgegenwärtigkeit rechter Gewalt, seien es die Anschläge von Halle und Hanau, der Einzug der AfD in den Bundestag oder die NSU-Prozesse. Yaghoobifarahs Humor dient also auch als Bewältigungsstrategie.

Das Buch ist in insgesamt 9 Unterthemen eingeteilt, zum Beispiel über das Leben in Deutschland, Astrologie oder Körperbilder, immer wieder verwischen aber auch die Grenzen. Es ist besonders der Rassismus, den Yaghoobifarah hier entlarvt. Wenn Menschen beispielsweise mehr Anteil daran nehmen, wenn NS-Symbole von einer Kirchenglocke entfernt werden, als es befremdlich zu finden, wenn eine rechtsextremistische Mordserie als „Dönermorde“ bezeichnet wird. Oder wenn Anschläge nur furchtbar zu sein scheinen, wenn sie auf Weihnachtsmärkten geschehen, nicht aber, wenn der Tatort ein Kiosk oder eine Shisha Bar ist. Hier legt Yaghoobifarah den Finger tief in die Wunde. Auf andere Kolumnen, z.B. zu Polizeigewalt, folgten sogar Strafanzeigen, Morddrohungen und Stalking. Dabei werden hier keine Einzelpersonen, sondern ein ganzes System kritisiert; stets nach oben getreten, nicht nach unten.

Es ist nicht einfach, in Deutschland witzig zu sein, sagt Fatma Aydemir in ihrem Vorwort. Hengameh Yaghoobifarah gelingt es dennoch vortrefflich. Deutsche Eigenheiten werden so herrlich eingefangen, Patriarchat und Kapitalismus auf die Schippe genommen. Und manchmal spricht Yaghoobifarah einem selbst mitten aus der Seele. Im Nachwort folgt dann auch noch einmal ein kritischer Blick: auf die eigenen Texte, die erhaltenen Reaktionen und die Grenzen der Kolumne an sich. Und das wäre auch mein kleiner Kritikpunkt: Als einzelner Text wirken diese umso stärker und stehen für sich allein. Als thematische Aneinanderreihung ergeben sich oft Wiederholungen und der Effekt der Kolumnen nutzt sich ab. Dennoch: Unbedingt lesen!

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Veröffentlicht am 17.04.2023

Die finanzielle (Un-)Abhängigkeit von Frauen

3000 Yen fürs Glück
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Wie jemand 3000 Yen (ca. 20 Euro) verwendet, das sei entscheidend für das ganze Leben; zumindest Mihos Großmutter Kotoko zufolge. Von ihr lernt sie den Grundgedanken des Sparens, aber seitdem hat sie nicht ...

Wie jemand 3000 Yen (ca. 20 Euro) verwendet, das sei entscheidend für das ganze Leben; zumindest Mihos Großmutter Kotoko zufolge. Von ihr lernt sie den Grundgedanken des Sparens, aber seitdem hat sie nicht allzu sehr auf ihre Finanzen geachtet. Ähnlich geht es ihrer Mutter Tomoko, Mihos Schwester Maho hingegen scheint eine wahre Expertin zu sein. Doch ganz unterschiedliche Ereignisse zwingen die vier Frauen dazu, ihr Verhältnis zum Geld und auch ihren Platz in der Gesellschaft zu überdenken.

In „3000 Yen fürs Glück“ erzählt Hika Harada die Geschichte von vier unterschiedlichen Frauen aus drei Generationen. Im Fokus steht immer eine von ihnen, in der dritten Person und der Vergangenheitsform. Nur einmal kommt noch eine andere Person zu Wort, aber dazu später mehr. Übersetzt wurde der Roman gekonnt von Cheyenne Dreißigacker, der es gelingt, den unterschiedlichen Ton der Charaktere einzufangen.

Zunächst steht natürlich das Sparen im Mittelpunkt. Jede der Frauen hat ihre eigene Motivation, damit zu beginnen. Rentnerin Tomoko hat Angst, ihre Ersparnisse aufzubrauchen und ihre Kinder irgendwann nicht mehr unterstützen zu können. Ihre Schwiegertochter Tomoko verwaltet zwar die Finanzen der Familie, ist aber ansonsten völlig von ihrem Ehemann abhängig. Miho lebt im Moment über ihre Verhältnisse, während ihre Schwester Maho versucht, mit ihren reichen Freundinnen mitzuhalten. Es geht also neben dem Thema Altersarmut auch um die Stellung der Frau in der japanischen Gesellschaft, ihrer Abhängigkeit vom Gehalt des Ehemanns, dem Umgang mit ihr in der Arbeitswelt und dem immer noch starren Bild von der klassischen Rollenverteilung.

In Bezug auf die genannten Themen erscheint es umso unverständlicher, dass die Autorin in einer der Perspektiven auch einen Mann zu Wort kommen lässt. Dieser ist kein Familienmitglied, sondern nur ein flüchtiger Bekannter der Großmutter. Sein Handlungsstrang trägt nichts Neues bei, er verstärkt nur noch bereits bestehende Konflikte und Klischees. Warum dann nicht eine bereits eingeführte männliche Figur zu Wort kommen lassen? Ansonsten ein gelungener Roman über ein wichtiges Thema.

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Veröffentlicht am 06.04.2023

Der Kanon als Gewohnheitstier

Muss ich das gelesen haben?
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Alles fing mit YouTube-Videos über Literatur an – verständlich, witzig und so für alle zugänglich. Warum ist der Kanon eigentlich so männlich, weiß, hetero, christlich und able-bodied? Und weshalb soll ...

Alles fing mit YouTube-Videos über Literatur an – verständlich, witzig und so für alle zugänglich. Warum ist der Kanon eigentlich so männlich, weiß, hetero, christlich und able-bodied? Und weshalb soll ich überhaupt (Klassiker) lesen? Diese und viele andere Fragen beantwortet Kabarettistin und Autorin Teresa Reichl nun in ihrem Buch „Muss ich das gelesen haben?“ Dabei berichtet sie auch von den eigenen Erfahrungen im Germanistikstudium, wenn sie Lehrende mit einer von diesen Fragen konfrontierte und spricht so sicherlich vielen Jugendlichen aus der Seele, die mit der Auswahl der Literatur in der Schule hadern.

Nach einem Vorwort gibt es zunächst eine kurze Einführung in den Literaturbegriff. Anschließend beantwortet die Autorin die Frage, warum wir überhaupt lesen sollten; neben den positiven Auswirkungen auf unser Gehirn, steht hier die Entwicklung von Empathie für andere Perspektiven im Vordergrund. Zudem zeigt, so Reichl, klassische Literatur uns auf, wo wir als Gesellschaft herkommen und wie bestimmte -ismen (Rassismus, Sexismus, Klassismus etc.) immer weitertransportiert werden.

Das zweite Kapitel ist dann eine konsequente Fortsetzung, in dem sich Teresa Reichl damit beschäftigt, warum wir lesen, was wir lesen, warum bspw. Goethe und Schiller dabei so im Fokus stehen und warum der Kanon ein „Gewohnheitstier“ ist. Im letzten Abschnitt folgt schließlich der interessanteste Teil: Was sollen wir stattdessen lesen? Hier schlägt die Autorin Komödien, Literatur marginalisierter Autor*innen und neue Literaturformen vor.

„Muss ich das gelesen haben?“ ist in sehr lockerem Ton verfasst. Die Autorin, und eben auch Kabarettistin, schreibt, wie sie spricht und ergänzt ihren Text mit zahlreichen witzigen Fußnoten, die ich persönlich nicht gebraucht hätte. Zudem ist die Frage, welche Zielgruppe sich hier angesprochen fühlen soll. Jugendliche, die nicht lesen, erwartet hier eine wahre Textwand, die kaum Abschnitte und nur eine einzige Grafik hat. Geübte Leser und Lehrkräfte schreckt möglicherweise der Stil des Buches ab. Dennoch: ein wichtiges Thema, kurz und knackig präsentiert.

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