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Veröffentlicht am 27.05.2023

Ein Krimi in den Weiten des Weltraums

Fern vom Licht des Himmels
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Tade Thompson, ein nigerianischer Psychiater und Schriftsteller, versucht sich in seinem neuen Buch „Fern vom Licht des Himmels“ an einem wilden Genre-Mix im Weltall. So handelt es sich hierbei meines ...

Tade Thompson, ein nigerianischer Psychiater und Schriftsteller, versucht sich in seinem neuen Buch „Fern vom Licht des Himmels“ an einem wilden Genre-Mix im Weltall. So handelt es sich hierbei meines Erachtens hauptsächlich um einen Science-Fiction-Roman, der eine Krimi-Geschichte erzählt und sowohl afrofuturistische, schaurige als auch mystische Elemente einbaut. Das ist ziemlich viel auf einmal und die Frage ist, ob Thompson dieses Jonglierkunststück auch hinbekommt.

Ein sogenanntes Siedlungsschiff namens Ragtime macht sich von der Umlaufbahn der Erde auf den Weg in ein fernes Sonnensystem, um den Kolonie-Planeten Bloodroot zu erreichen. Rund 1500 Passagiere befinden sich an Bord des von einer KI gesteuerten Raumschiffs in einem Schlafzustand, um die zehn Jahre Reisezeit unbeschadet zu überstehen. Eigentlich geht nie etwas schief, wenn eine KI ein Raumschiff befehligt, aber zur Sicherheit fliegt immer auch ein:e menschliche:r erste:r Maat mit, um im Fall der Fälle das Ruder übernehmen zu können. So wird Michelle „Shell“ Campion vor allen anderen aus dem Schlaf geholt und entdeckt, dass ca. 30 ihrer Passagiere ermordet wurden, während sie „schlief“. Der KI des Schiffs kann sie scheinbar auch nicht mehr trauen, so holt sie sich Hilfe von Bloodroot. Es wird der Ermittler Fin mit seinem Partner einem „Künstlichen“ auf die Ragtime geschickt, um herauszufinden, was dort los ist und ob weiterhin eine Gefahr besteht. Es gesellen sich noch weitere zusätzliche Passagiere zu der Truppe und es beginnt eine actionreiche Geschichte um dieses zusammengewürfelte Team, welches im Raumschiff nicht nur versucht den oder die Mörder:in zu finden, sondern auch zu überleben.

Der Roman ist ganz nach Tade Thompson Manier aufgebaut. Wie man es schon von der Wormwood-Trilogie kennt, nimmt der Autor seine Leserschaft an die Hand und begleitet in den Kapiteln durch eine personale Erzählweise wechselnde Charaktere. Damit niemand durcheinander kommt, sind die Kapitel mit dem Namen der beobachteten Person versehen. Durch kleinere Rückblenden erfährt man nach und nach mehr von den Personen und gleichzeitig erhöht sich von Kapitel zu Kapitel die Geschwindigkeit der Geschehnisse in der Erzähl-Gegenwart. Die Figuren erhalten durch die Rückblicke und Einblicke in ihre Gedankenwelt eine gewisse psychologische Tiefe, die mir aber im Vergleich zu den Figuren der Wormwood-Reihe etwas zu wenig ausgeprägt ist. Dieser Eindruck plus noch andere Faktoren lassen bei mir die Vermutung aufkommen, dass sich Thompson beim vorliegenden Roman während des Schreibens noch nicht so richtig klar darüber war, ob dies der Start zu einer weiteren Reihe werden sollte. Das wird meines Erachtens zusätzlich deutlich durch den Plot und die Aufklärung im Roman aufgeworfener Fragen. Gerade im letzten Drittel des Buches zieht der Autor die Erzählgeschwindigkeit massiv an, die Ereignisse überschlagen sich, man kommt kaum noch mit, sich das alles während des Lesens heranzuimaginieren, nur um dann auf wenigen Seiten den Sack zuzumachen, schnell jedem Charakter eine Abschlusssequenz zusammenzuschreiben und dann das Buch zu beenden. Mich hat das Buch irgendwie unbefriedigt zurückgelassen. Es wirkt wie ein Zwischending zwischen einem Stand Alone und dem Auftakt einer Serie. Man könnte sich sowohl mit ersterem abfinden, wäre aber auch nicht überrascht, wenn in einem Jahr der nächste Teil veröffentlicht werden würde.

Während mir die ersten zwei Drittel des Romans sehr gut gefallen haben, besonders die erneut eingewebten Themen, die heutzutage noch als gesellschaftskritisch vor allem im Bezug auf nigerianische Zustände einzuordnen sind, wie Homosexualität, Geschlechtsidentität und Kolonisation. Mir gefiel auch sehr, dass als Transitstation zwischen zwei Einstein-Rosen-Brücken eine vollständig von Nachkommen nigerianischer Raumfahrer:innen gegründete Raumstation mit mehreren Millionen Einwohnern eingeführt wurde. Dort wird auch noch Yoruba gesprochen und die Verwaltung liegt vollständig in der Hand dieser nigerianischen Nachfahren. Das Konzept erinnert an „The Expanse“-Ideen und könnte noch viel stärker thematisiert und ausgebaut werden, wird aber nur angeschnitten. Auch die psychologische Tiefe rückt mir ob der zunehmenden Action zum Ende hin etwas zu stark in den Hintergrund.

Der Autor schreibt selbst in seinem Nachwort, dass es sich nicht um eine Space Opera handelt und vorerst (!) als Stand Alone angelegt ist. Somit muss ich damit arbeiten, was mir der Autor in diesem Buch erzählt und das ist mir insgesamt etwas zu wenig, wenn auch gleichzeitig auf der Plotebene sehr – vielleicht zu – viel.

Insgesamt konnte mich der Roman über weite Strecken sehr gut unterhalten und ist einfach durch die kurzen, gut strukturierten Kapitel ein absoluter Pageturner. Mir wurde es zum Ende hin einfach etwas zu viel von allem, weshalb ich dem Buch sehr gute 3 Sterne gebe und es durchaus für eine kurzweilige (Hard) Science-Fiction-Lektüre empfehlen kann.

3,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 27.05.2023

Kurzweilige Geschichten in einer Genre-Potpourri-Sammlung

Menschen und andere seltsame Wesen
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In ihrer Anthologie versammeln Monika Loerchner (geb. 1983)und Leveret Pale aka Nikodem Skrobisz (geb. 1999) 22 Kurzgeschichten aus zwei Jahren kreativer Zusammenarbeit. Dabei entstand eine Geschichte, ...

In ihrer Anthologie versammeln Monika Loerchner (geb. 1983)und Leveret Pale aka Nikodem Skrobisz (geb. 1999) 22 Kurzgeschichten aus zwei Jahren kreativer Zusammenarbeit. Dabei entstand eine Geschichte, an der beide Autor:innen mitgewirkt haben, die restlichen teilen sich in Geschichte von der einen und der anderen Person auf. Inhaltlich rangieren die Geschichten zwischen verschiedensten Genres. So gibt es viele phantastische Geschichten, einige skurrile, aber auch richtig böse und blutrünstige. Auf mich machten dabei die meisten den Eindruck, dass sie mit einem Augenzwinkern zu lesen sind. Zwei meines Erachtens tiefgründigere, ernstere Geschichten tauchen ebenso auf.

Es ist schwer diese wilde Sammlung an Kurzgeschichten der beiden Autor:innen zusammenzufassen, da man hier viele Topoi in einen Topf werfen müsste. So tauchen in einer Geschichte scheinbar durch eine Ansteckung psychotisch und damit gewalttätig gewordene Menschen auf, in einer anderen Zombies, in einer weiteren sprachfähige Tiere, Aliens oder Drachen. Aber auch die Geschichten mit „nicht-phantastischen“ Menschen sind skurril und abwegig. Menschen zeigen hier ungewöhnliche Verhaltensweisen, die häufig gegen andere Menschen gerichtet sind.

Sprachlich variieren die Geschichten recht stark. Sind manche stilistisch sehr einfach gehalten, können andere durch tolle Beschreibungen und Tiefe glänzen. Meines Erachtens merkt man den Unterschied in Schreib-/Lese- und eventuell auch Lebenserfahrung den unterschiedlichen Generationen an, denen die beiden Autor:innen angehören. So konnten mich meist die Texte von Loerchner sprachlich mehr überzeugen, besser ins das Geschehen ziehen und die Atmosphäre entsprechend vermitteln. Nichtsdestotrotz zeigt auch Pale in der ein oder anderen Geschichte seine Stärken und kann mit den entsprechenden Geschichten herausstechen.

Mit einer abschließenden Bewertung dieser Sammlung tue ich mich jedoch schwer, da die einzelnen Geschichten so stark in stilistischer Qualität, Genre und Inhalt variieren. Ich bin ganz ehrlich, mir hat zum Beispiel die erste Geschichte eher weniger gefallen. Hätte ich diese als Leseprobe vorab gelesen, hätte ich wohl das Buch nicht im Gesamten weiterlesen wollen. Im Gesamtpaket habe ich sie aber für mich als reine trashige Splatter-Geschichte verbucht. Andere mitunter sehr blutrünstige und einfach übertrieben gewalttätige Geschichte, musste ich lesen, weil sie nun einmal im Buch dazugehören, habe sie aber nicht sonderlich gern gelesen. Das ist einfach nicht das, was ich gern lese. Da haben mir die unerwarteten Szenarien und so manch eine unvorhersehbare Wendung am Ende der ein oder anderen Geschichte schon besser gefallen. Ich habe auch das Gefühl, dass das Cover des Buches mich nicht ausreichend auf die gewalttätigen Inhalte vorbereitet hat. Das Cover sieht dafür viel zu ausgeglichen, lieb, gewöhnlich aus. Erst nach der Lektüre erkennt man, dass sich so einige Protagonisten auf das Cover verirrt haben.

Was mich nachdenklich gestimmt hat während der Leserunde, an der ich zusammen mit Loerchner und Pale teilnehmen durfte, dass ich bei zwei Geschichten von Loerchner mit sehr ernsten, tiefgründigen Themen (Vergewaltigung und Selbstmordgedanken) diese beim Lesen nicht als solche erkannt habe. Bei der Geschichte, in welcher die Vergewaltigung implizit erwähnt wird, habe ich diese nicht einmal als solche identifizieren können. Auch anderen Teilnehmer:innen ist dies so ergangen. Meine Vermutung ist, dass diese Geschichten zwischen den vielen skurrilen, unterhaltsamen Geschichten untergegangen sind. Sie würden vielleicht besser in eine andere Geschichtensammlung passen, um dort besser im Kontext verstanden zu werden.

So schwanke ich abschließend sehr bezüglich der Sternebewertung. Mein persönlicher Leseeindruck bewegt sich eher im 3-Sterne-Bereich. Da ich jedoch wenig Leseerfahrung mit Krimi-, Thriller-, oder blutrünstigen Geschichten (Horror?) habe, kann ich diese nur schwer im Kontext der Genre einschätzen. Mir fehlen hier die Vergleichsmöglichkeiten. Manche Geschichten waren für mich eher banal in ihrer Aussage und andererseits gab es aber auch die ein oder andere Perle (z.B. „Delphys Mobil-Reisen“, „Im Wald“, „Gülen hat es satt“) in der Sammlung. Man sollte sich jedenfalls eher auf Geschichten aus dem kurzweiligen Unterhaltungssektor einstellen und am besten selbst ein Bild machen. Unter diesem Gesichtspunkt und weil ich es grundsätzlich toll finde, dass sich diese beiden Menschen zusammengetan haben, um gemeinsam ein Buch zu veröffentlichen, runde ich meine 3,5 Sterne jetzt einfach auf die ganze Bewertungszahl 4 auf.

3,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 27.05.2023

Der fröhliche Wahnsinn des Hungers

Hunger
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Der Manesse Verlag hat dieser Tage eine Neuauflage des Klassikers „Hunger“ des norwegischen Literaturnobelpreisträgers Knut Hamsun herausgebracht, auf welche es sich lohnt, einen genaueren Blick darauf ...

Der Manesse Verlag hat dieser Tage eine Neuauflage des Klassikers „Hunger“ des norwegischen Literaturnobelpreisträgers Knut Hamsun herausgebracht, auf welche es sich lohnt, einen genaueren Blick darauf zu werfen. Es handelt sich dabei um die 1890 erschienene Urfassung des Romans, welcher bis 1934 insgesamt viermal in immer wieder geänderten Ausgaben neu vom Autor veröffentlicht wurde. Denn Hamsun wurde, wie aus der ausführlichen editorischen Notiz zu erfahren ist, im Alter immer reaktionärer, nationalchauvinistischer und duldete sein progressives Frühwerk zunehmend nicht mehr. Die aktuelle Ausgabe wurde außerdem von Ulrich Sonnenberg neu übersetzt und mit einem Nachwort der Autorin Felicitas Hoppe versehen.

Im Roman selbst geht es um einen mittlerweile mittellosen Ich-Erzähler und Schriftsteller, der sich im Oslo des ausgehenden 19. Jahrhundert, damals noch Kristiania genannt, die Tage und Nächte auf der Straße um die Ohren schlug, unter ständigem Geld und vor allem Nahrungsmangel. Dieser titelgebende Hunger wirkt sich nun auf den Bewusstseinsstrom und die geschilderten Handlungen des Erzählers signifikant aus. Er schwankt zwischen Hochmut, Stolz und Ehrgefühl und Selbstzweifeln, Selbstmitleid sowie im wahrsten Sinne des Wortes verrückten Ideen. Immer wieder bringt er sich selbst um Möglichkeiten an eine Mahlzeit zu kommen, kann nicht mit Geld umgehen und irritiert die Menschen in seiner Umwelt.

So wandert man „in vier Stücken“, den vier Teilen des Romans, mit dem Erzähler durch Kristiania, bangt mit ihm um seine nächste Mahlzeit und verflucht ihn genervt ob seiner Unfähigkeit rational zu denken und zu handeln. Die Ungeduld mit dem Protagonisten wird durch die ständigen Wiederholungen seiner Gedanken, Handlungen und Situationen, in welche er sich selbst katapultiert, im Verlaufe des Romans zunehmend gesteigert. Erwartet man immer das Schlimmste, kommt es wieder zu einer kurzfristigen glücklichen Fügung. Nur wenig Veränderungspotential gesteht der Autor seinem psychisch auffälligen Protagonisten zu. Denn der Erzähler scheint bereits vor seiner Hungerphase eine prämorbide Persönlichkeitsakzentuierung gehabt zu haben, welche ihn zum einen in seine missliche Lage gebracht zu haben scheint und sich nun - durch den Nährstoffmangel und den daraus resultierenden physischen aber eben auch psychischen Symptomen, die Hamsun sehr gut beschreibt – in besonders starken Ausprägungen äußert. Schwankt er doch stets zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt.

Sprachlich, in der aktuellen Übersetzung von Ulrich Sonnenberg, kann Hamsun definitv überzeugen. Man sieht den Erzähler vor sich, wie er durch die Straßen Kristianias flaniert, rennt, schwankt, oder fast kriecht; wie er vor Erschöpfung kaum mehr die Augen offen halten kann und dann schon wieder einem Passanten hoch erregt eine Lügengeschichte auftischt. Oft fragt man sich, was davon der Erzähler tatsächlich erlebt und bei was es sich um Halluzinationen handeln könnte. Da weiß der Autor zu fesseln.

Letztlich hätte mir der Roman allerdings ohne die vielen Wiederholungen bzw. Variationen ähnlicher Situationen etwas mehr gefallen. Das Format einer Novelle hätte dem Inhalt des Textes durchaus auch gut zu Gesicht gestanden. Quasi etwas abgespeckt. Eine Formulierung, die einem nach der Lektüre von „Hunger“ allerdings doch ein wenig im Halse stecken bleibt.

Im noch einmal zur aktuellen Ausgabe zurückzukommen: Das Gesamtpaket der vorliegenden Veröffentlichung vom Manesse Verlag finde ich wirklich sehr gut gelungen. Endlich gab es, die von mir immer so schmerzlich vermissten, durchnummerierten und im Text gekennzeichneten Anmerkungen. Diese haben geholfen nicht nur das Romangeschehen aber auch die nachträglichen Abänderungen durch den Autor besser zu verfolgen bzw. zu verstehen. Die editorische Notiz ist ausführlich und erhellend, ebenso wie das Nachwort von Felicitas Hoppe. Es hat mir sehr gefallen, dass sich das Nachwort auch wirklich ausführlich mit dem vorliegenden Werk beschäftigt und gut verständlich ist. So war ich erleichtert zu lesen, "die Geschichte von Hunger hat keinen Kern, genauso wenig, wie man von einem bündigen Plot sprechen könnte". Tatsächlich ist dies nämlich schwer greifbar beim vorliegenden Roman. Toll finde ich, dass das Nachwort mit einer Quellenangabe unterfüttert ist, die eine vertiefende Beschäftigung mit dem Werk anregt und leicht nachvollziehbar macht. Meines Erachtens hat hier der Verlag in der Zusammenstellung dieser Ausgabe wirklich alles richtig gemacht.

Den Roman an sich würde ich insgesamt mit 3,5 Sternen bezüglich meiner Lektüre bewerten. Da mir die Ausgabe des Manesse Verlags in ihrer Ausstattung sehr gut gefällt, runde ich auf 4 Sterne auf.

3,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 27.04.2023

Kleiner Roman über das Leben einer Schwarzen Frau Anfang des 20. Jh.

Maud Martha
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„Maud Martha“ ist der 1953 erstmals veröffentlichte und einzige Roman der Pulitzer Preisträgerin aus dem Jahre 1950, der Lyrikerin Gwendolyn Brooks. Mittlerweile kann er als moderner Klassiker eingeordnet ...

„Maud Martha“ ist der 1953 erstmals veröffentlichte und einzige Roman der Pulitzer Preisträgerin aus dem Jahre 1950, der Lyrikerin Gwendolyn Brooks. Mittlerweile kann er als moderner Klassiker eingeordnet werden und ist nun glücklicherweise auch erstmals auf Deutsch erschienen.

Der Roman, welcher in kurzen Vignetten verfasst ist, beschreibt das Aufwachsen und Leben einer jungen Schwarzen Frau, besagte Maud Martha, in der South Side von Chicago. Die Handlung setzt Anfang der 1920er Jahre ein, Maud Martha ist, wie auch die Autorin selbst, 1917 geboren. Schon ihre Eltern hatten nicht viel Geld, jedoch ein kleines Haus, mit ihrer Heirat zieht sie mit ihrem Mann in eine heruntergekommene Kleinstwohnung, eine sogenannte „Kitchenette“, und wir begleiten sie nun durch ihr Leben, welches geprägt ist von den drei großen, soziologischen Variablen für Verarmung und Ausgrenzung: Rasse, Klasse und Geschlecht. Wir lernen aber auch die Wohngegend kennen, das soziale Umfeld der Protagonistin, ebenso zwischendurch auch kleine alltägliche Szenarien ihres Lebens. Klar wird: Maud Martha hat ganz andere intellektuelle Ambitionen als ihr Ehemann, steckt allerdings fest ist den determinierenden Gegebenheiten der Zeit.

Gwendolyn Brooks Schreibstil merkt man an, dass sie eigentlich eine Dichterin gewesen ist. Die Beschreibungen von Natur als Parabel auf Empfindungen Maud Marthas können direkt von der ersten Seite an überzeugen. Weiterhin weisen die sehr kurzen Kapitel, die eigentlich viel besser „Geschichten“ genannt werden könnten, auf die lyrische Form hin, welche hier in eine prosaische Form gebracht wurde. Mit einigen wirklich perfekten Sätzen formt sie Ereignisse zu mitunter brillanten Betrachtungen. Ihre Beschreibung der Geburt von Maud Marthas Tochter ist so lebendig und unmittelbar beschrieben, wie auch ein Vorfall, bei dem das N-Wort in einem von Schwarzen geführten Schönheitssalon verwendet wird. Diese Szenen gehen definitiv unter die Haut. Trotzdem konnten mich mitunter diese einzelnen Momentaufnahmen/Vignetten nicht unbedingt der konkreten Person Maud Martha näher bringen. Als Figur wirkte sie immer recht fern auf mich, ich hätte mir ihr noch mehr psychologische Tiefe gewünscht. Das Buch fängt zwar quasi die Essenz des Lebens als Schwarze Frau ein, aber als Roman hat es mich nicht so richtig hineinziehen können. Mir fehlte ein wenig die emotionale Bindung an die Figur Maud Martha sowie ihrer Konflikte. Manchmal konnte ich den Vignetten in ihrem Sprung von einer Szenerie in die nächste nicht ganz folgen und fragte mich auch ab und an, warum jetzt gerade diese Momentaufnahme im Roman auftaucht.

Ich muss zugeben, dass diese ganz besondere Kürze der Kapitel sowohl inhaltlich als auch sprachlich, sowie die Sprünge zwischen ihnen doch sehr gefordert haben. Ich hätte mich gern Maud Martha näher gefühlt, dafür hätte der Roman eben auch gern noch umfangreicher sein dürfen.

Sehr gut hat mir beim (Be-)Greifen des Werkes und seiner Relevanz das Nachwort von Daniel Schreiber geholfen, welches noch einmal die Entwicklung der nach außen hin vertretenen Ansichten Gwendolyn Brooks zum Thema Bürgerrechtsbewegung, die Parallelen zwischen Maud Marthas und ihrem eigenen Leben als auch auf soziologischer Seite die Entstehung von Ghettos in den Großstädten der USA und einige andere, wichtige Punkte herausarbeitet. Die Übersetzung von Andrea Ott hat mir über weite Strecken gefallen, wenngleich sie gleich auf Seite 10 aus der Frisur „pompadour“ im Deutschen eine „Elvis-Tolle“ macht, die Handlung in dem Moment aber Anfang der 1920er Jahre angesiedelt ist. Nicht nur zum Handlungszeitpunkt war Elvis noch gar kein Thema, sondern selbst bei Verfassen des Romans 1953 konnte er Brooks noch nicht einmal bekannt gewesen sein, begann er seine Karriere doch erst im darauffolgenden Jahr. ;)

Insgesamt finde ich die Aufmachung des Buches wirklich sehr gelungen. Ein ganz großes Lob an den Verlag, dass er sich bei diesem Buch dafür entschieden hat, die Anmerkung direkt als Fußnoten auf die entsprechenden Seiten im Roman zu drucken. Kein Blättern, kein Suchen. Die Gestaltung finde ich auch sehr schön und stimmig. Bis hin zum Vorsatzpapier, welches im Aussehen der beschriebenen Tapete aus Maud Marthas Kitchenette gleicht und damit den Rahmen um das Erwachsenenleben der Protagonistin widerspiegelt, stimmt hier alles und gibt auch den perfekten optischen Rahmen für den Roman vor.

Es ist wichtig und richtig, dass dieses Buch nun auch den deutschsprachigen Leser:innen zugänglich gemacht wird. Es handelt sich, wie besonders durch das Nachwort klar wird, um einen zu unrecht vergessenen, modernen Klassiker und relevanten Roman von einer äußerst interessanten Autorin. Eine Lektüre des Gesamtpakets des Manesse Verlags lohnt sich auf jeden Fall.

3,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 11.03.2023

Lichte Tage - leichte Lektüre?

Lichte Tage
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Um über diesen Roman reden zu können, muss man mehr offenbaren, als es der sehr grob gezeichnete Klappentext vermag. Wer darüber hinaus also nichts erfahren möchte, überspringe diese Rezension.

Vieles ...

Um über diesen Roman reden zu können, muss man mehr offenbaren, als es der sehr grob gezeichnete Klappentext vermag. Wer darüber hinaus also nichts erfahren möchte, überspringe diese Rezension.

Vieles dreht sich in „Lichte Tage“, um eine erste Liebe und die große Liebe, was nicht für jeden immer zusammenfällt, aber auch die Freundschaft und alles, was dazwischen liegt und vielleicht nicht definiert werden kann. Wir begleiten die Jungen aus einem Arbeiterviertel Ellis und Michael und sehen Annie später zu ihnen stoßen. Wir begleiten Kinder und Jugendliche aus ihrem trostlosen, gewalttätigen Alltag hinein in die Möglichkeit einer besseren Zukunft. Und wir begleiten aber auch homosexuelle Männer in ihr Leben und Leiden mit AIDS, denn der vorliegende Roman spielt in einem Zeitraum zwischen den 1950ern und Mitte der 1990er.

Für mich kamen diese Themen recht überraschend in der Geschichte auf, weshalb ich den Roman durchgängig mit Interesse gelesen habe. Es handelt sich eben nicht um eine „konventionelle“ Dreiecksbeziehung, sondern um eine, in der homo-, bi- und heterosexuelle und/oder platonische Liebe vorkommt. Es handelt sich nicht um einen Wohlfühlroman, denn wir werden mit einigen Schicksalsschlägen der Protagonisten konfrontiert und erleben hautnah die Scheußlichkeit der AIDS-Erkrankung mit. Das macht meines Erachtens den Roman erst so richtig interessant. Denn die Schreibe an sich ist eher einfach gehalten und weist mitunter Schwächen auf. Dazwischen blitzen immer wieder poetische Gedanken auf, die sehr schön sind und so für sich stehend herausstechen. Was die Autorin auf jeden Fall kann, ist das atmosphärische Beschreiben und damit auch Herausarbeiten der Unterschiede zwischen einem britischen Arbeiterquartier innerhalb der Universitätsstadt Oxford und der Wärme, dem Licht und der Natur Südfrankreichs. Denn dorthin zieht es immer wieder die Protagonisten des Romans, zu unterschiedlichen Zeiten und unter unterschiedlichen Vorzeichen.

So richtig greifen kann man letztlich aber sowohl die Geschichte als auch die Gefühle der Protagonisten zueinander nicht. So schreibt auch Winman: „Wer waren wir, Ellis, ich, und Annie? So oft habe ich versucht, uns zu erklären, aber jedes Mal bin ich gescheitert. Wir waren alles, und dann zerbrachen wir.“

Man möchte gern diese außergewöhnliche Beziehung verstehen können. Im Verlauf des Buches gibt es immer mehr Hinweise darauf, wer diese Menschen sind und waren und was sie zusammen oder auseinandergebracht hat. Das ist gut gemacht. Nur leider blieben mir mitunter die Figuren trotzdem noch zu fern. Ich hätte mir hier einen Roman mit etwas mehr Volumen gewünscht, um tiefgründigere Beschreibungen der Figuren zu bekommen, um in gewisse Themen tiefer eintauchen zu können. Manches wirkt noch wie ein Entwurf einer viel facettenreicheren, umfangreicheren Geschichte.

Da ich den Roman trotz seiner kleinen Makel sehr gern gelesen habe, entscheide ich mich bei 3,5 Sternen als Bewertung zu einem Aufrunden auf die 4 Sterne. Leicht ist also die Lektüre aufgrund der Sprache schon, aber man sollte keinen inhaltlich „leichten“ Roman erwarten. Hier werden knallharte Themen angeschnitten.

3,5/5 Sterne

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