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Veröffentlicht am 05.05.2023

Bilder von Ferragosto

Sonntags am Strand
1

Wie jeden Tag öffnet Enzo seine sechs Quadratmeter enge Verkaufshütte am Strand, verleiht Sonnenschirme und Liegestühle, kocht Pasta, zapft Bier und holt eisgekühlte Limonade aus dem Schrank. Ein Tag wie ...

Wie jeden Tag öffnet Enzo seine sechs Quadratmeter enge Verkaufshütte am Strand, verleiht Sonnenschirme und Liegestühle, kocht Pasta, zapft Bier und holt eisgekühlte Limonade aus dem Schrank. Ein Tag wie jeder andere, aber doch ist etwas anders an diesem Ferragosto.

Nüchtern, schnörkellos, wertfrei – so erzählt Alexander Oetker, was sich an diesem besonderen Sonntag am Strand abspielt, und doch fließt ganz viel Empathie und Liebe mit ein in seine Zeilen. Oetker ist ein Meister der Beobachtung, zeichnet raffinierte Bilder in federleichten Strichen in seine Kapitel, gleicht einem Fotografen, der im richtigen Moment auf den Auslöser drückt. Wer anfangs meint, „Sonntags am Strand“ ist eine langweilige Abhandlung, wird bald eines besseren belehrt. Feinsinnig und raffiniert wählt der Autor seine Worte und spinnt eine wunderschöne Geschichte über die Menschen und die Liebe. Einmal begonnen, kann man sich dem Sog nicht mehr entziehen, muss die knapp zweihundert Seiten in sich aufsaugen wie die wärmende Augustsonne, wie den Geschmack von Salz in der Meeresluft.

Es ist müßig, passende Worte zu finden, welche diesem Buch auch nur annähernd gerecht werden. Man sollte es einfach selbst gelesen haben, ebenso wie „Mittwochs am Meer“. In größter Vorfreude auf „Stille Nacht im Schnee“ empfehle ich jedenfalls die beiden ersten Bücher dieser losen Reihe sehr, sehr gerne weiter!

Titel Sonntags am Strand
Autor Alexander Oetker
ASIN B0BKLVX4J4
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Gebundenes Buch (176 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 4. Mai 2023
Verlag Atlantik

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 02.05.2023

Operation (Little) Vittles

Die Kinder der Luftbrücke
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Im Jahre 1948, als der Berliner Westsektor durch die Russen plötzlich komplett von der Versorgung abgeschnitten wird, entschließen sich die US-amerikanischen Besatzer, eine Flugbrücke einzurichten, um ...

Im Jahre 1948, als der Berliner Westsektor durch die Russen plötzlich komplett von der Versorgung abgeschnitten wird, entschließen sich die US-amerikanischen Besatzer, eine Flugbrücke einzurichten, um wenigstens das Notwendigste zu liefern. Nora, die seit fünf Jahren auf ihren im Krieg vermissten Ehemann wartet und kaum ihre beiden Kinder sowie ihre Mutter versorgen kann, findet Anstellung im Übersetzungsbüro am Flughafen Tempelhof. Dort trifft sie auf den jungen Piloten Matthew, der unerwartet heftige Gefühle in ihr auslöst. Zwischen Schuldgefühlen ihrem verschollenen Ehemann gegenüber, familiären Verpflichtungen und Hoffnung auf eine bessere Zukunft hin- und hergerissen, trifft die 30jährige eine folgenschwere Entscheidung.

Bestens recherchiert und sehr lebendig lässt Juliana Weinberg Bilder von der schwierigen Nachkriegszeit vor dem geistigen Auge des Lesers entstehen. Trotz Lebensmittelmarken bleiben die Einkaufskörbe oft fast leer, selbst Kinder werden hungrig zu Bett geschickt. Dass es so nicht weitergehen kann, ist Nora klar, aber freie Stellen sind rar. Im Juni 1948 hat sie Glück, aufgrund ihrer sehr guten Englischkenntnisse kann sie eine der heiß begehrten Stellen als Übersetzerin bei den US-Alliierten ergattern.

Wunderbar in die erdachte Handlung verwoben wird die Entstehung der Luftbrücke, Operation Vittles genannt, bei der alsbald auch Taschentuchfallschirme mit Süßigkeiten für die Berliner Kinder vor der Landung abgeworfen werden – Operation Little Vittles. Auch historische Persönlichkeiten aus der damaligen Zeit finden Erwähnung und sorgen für optimale Authentizität dieses bewegenden Romans. So ist es nicht verwunderlich, dass die persönliche Familiengeschichte rund um Nora vor dem realen Hintergrund des isolierten Berliner Westsektors den Leser fesselt und an seine Seiten heftet. Weinbergs Schreibstil berührt emotional und lässt einen mitfiebern mit den unterschiedlichsten, bestens charakterisierten Figuren. Sogar vermeintlich boshaften Personen kann ein gewisses Maß an Verständnis entgegengebracht werden, sind die Zeiten wohl für jeden Einzelnen nicht einfach, schließlich hat der Krieg kaum jemanden vor Verlust und Schmerz verschont.

Liebevoll und mit einer großen Portion Empathie schildert die Autorin aufwühlende Szenen, Momente, die sich wohl auch in der Realität des Öfteren so abgespielt haben und nichts mit Oberflächlichkeit oder billiger Unterhaltung zu tun haben. Im Gegenteil, versucht Juliana Weinberg alle Facetten und Gedanken einer jungen Mutter abzubilden, um ihren Aufgaben im Leben bestmöglich gerecht zu werden. Aber ist es so einfach, dass rationale Überlegungen das Beste auch tatsächlich abbilden? Juliana Weinberg wirft Fragen auf – und findet auch sehr überraschende Antworten.

Ein weiteres wunderbares und unbedingt lesenswertes Buch von Juliana Weinberg, das ich sehr, sehr gerne weiterempfehle!


Titel Die Kinder der Luftbrücke
Autor Juliana Weinberg
ASIN B0BJW2HJYF
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (448 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 27. April 2023
Verlag Ullstein

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.04.2023

Mord ohne Motiv

Mörderfinder – Die Macht des Täters
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Katharina Baumann, Polizistin in Max Bischoffs ehemaliger Dienststelle KK11, sucht einen Privatermittler, da ihr Neffe des brutalen Mordes an einer jungen Frau beschuldigt wird. Tatsächlich sprechen alle ...

Katharina Baumann, Polizistin in Max Bischoffs ehemaliger Dienststelle KK11, sucht einen Privatermittler, da ihr Neffe des brutalen Mordes an einer jungen Frau beschuldigt wird. Tatsächlich sprechen alle Indizien gegen den 22jährigen, während Baumann von seiner Unschuld überzeugt ist. Noch bevor Bischoff sich in den Fall einarbeiten kann, nimmt sich der mutmaßliche Täter das Leben, ob als Eingeständnis seiner Schuld oder aus Verzweiflung, ist unklar.

Mit einem packenden Prolog eröffnet Arno Strobel Max Bischoffs zweiten Fall als privater Analytiker und Ermittler. Die Umstände des Mordes sind rätselhaft, die Fakten scheinen klar und doch passt nichts zusammen, ein Motiv ist schon gar nicht zu finden. Noch bevor Bischoff irgendwelche Informationen zusammentragen kann, stößt er auf Widerstand bei der neuen Leiterin des KK11, Kriminalrätin Eslem Keskin, die keinesfalls mit einem Zivilisten zusammenarbeiten will. Allein Ex-Kollege Horst Böhmer lässt ihm so manches Wissen zukommen, aber auch mit diesen Angaben gibt es kaum ein Fortkommen.

Spannend und mysteriös sind die Details, die nach und nach aufkommen, Bischoff selbst wird aufgrund seiner kruden Theorien von kaum jemandem mehr ernst genommen und schlittert in einen gefährlichen Zustand, scheint unter Erfolgsdruck und Schlafmangel zu leiden. Interessante neue Figuren und ein fesselndes Hintergrundthema lassen auch diesen zweiten Fall wieder zu einem tollen Leseerlebnis werden und Vorfreude aufkommen auf einen weiteren Teil der Mörderfinderreihe.

Titel Mörderfinder, Die Macht des Täters
Autor Arno Strobel
ASIN B09JVSTHCB
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (368 Seiten)
Erscheinungsdatum 9. März 2022
Reihe Mörderfinder
Verlag Fischer

Veröffentlicht am 13.04.2023

Mörderisches Holzhausen

Diabolisch
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Nach dem Sporttraining warten Lotte und Alex vergeblich auf ihren Vater, der sie abholen soll. Als die Februarkälte unerträglich wird, begeben sich die Geschwister zu Fuß auf den Heimweg über die dunkle ...

Nach dem Sporttraining warten Lotte und Alex vergeblich auf ihren Vater, der sie abholen soll. Als die Februarkälte unerträglich wird, begeben sich die Geschwister zu Fuß auf den Heimweg über die dunkle Landstraße. Allerdings kommt nur Lotte daheim an, Alex ist unterwegs zurückgeblieben und erreicht nie sein Elternhaus.

Siebenundzwanzig Jahre später müssen gleich mehrere Todesfälle in Holzhausen aufgeklärt werden. Oberkommissarin Larissa Flaucher sucht nach einem Zusammenhang mit dem Jahre 1995 und stößt auf ungeahnte Geheimnisse im langweilig wirkenden Dorf.

Erschütternde Tagebucheinträge einer Volksschülerin begleiten die Geschehnisse in Holzhausen, welche auf zwei Zeitebenen spielen. Fesselnd und atmosphärisch schildert Autor Jonas Wagner die einzelnen Szenen. Auch wenn anfangs die Vielzahl an Personen verwirrend ist, so fügt sich doch irgendwann alles zu einem gesamten Bild zusammen, wer damals und heute welche Rolle spielt. Das Dorf ist klein, jeder kennt jeden und doch gibt es gut gehütete Heimlichkeiten, über die niemand spricht. Für die Ermittler ist es also kein Leichtes, Zusammenhänge zu erkennen und richtig zu deuten. Auch den Leser vermag Jonas Wagner hinters Licht zu führen mit geschickten Andeutungen.

Ein angenehmer Schreibstil mit flüssig zu lesenden Sätzen und abwechslungsreichen Kapiteln zieht einen sofort in seinen Bann. Die Spannung wird durch etliche Details hoch gehalten, sodass man das Buch kaum aus der Hand legen möchte. Warum häufen sich im Jahre 2022 Mord und unglückliche Todesfälle? Ist es Zufall oder sollen die Polizisten einen Zusammenhang suchen? Und der kleine Alex aus dem Jahre 1995 – spielt sein Schicksal heute noch eine Rolle oder ist Larissa Flaucher da auf dem Holzweg? Etliche Fragen werden aufgeworfen, nur langsam gelingt es dem großen Ermittlungsteam, Licht ins Dunkel zu bringen. Nach etlichen spannenden Tagen voller akribischer Polizeiarbeit erwartet den Leser eine überraschende und vor allem stimmige Auflösung, welche nichts offen lässt.

Jonas Wagner überzeugt durch Sprachgefühl und authentische Figuren, die Raum für Spekulationen offen lassen. Die Handlung schreitet gut voran, eingestreute Hinweise erlauben es dem Leser, eigene Interpretationen und Lösungsansätze gedanklich durchzuspielen. Somit sorgt „Diabolisch“ von der ersten bis zur letzten Seite für Spannung und perfekte Lesestunden im gar nicht so langweiligen „Killerkaff“. Ich bin jedenfalls begeistert von diesem Thriller und empfehle ihn sehr gerne weiter!


Titel Diabolisch
Autor Jonas Wagner
ASIN B0BHTQDTD1
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (321 Seiten)
Erscheinungsdatum 25. April 2023
Verlag HarperCollins

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Veröffentlicht am 10.04.2023

Wie das wahre Leben so spielt

Die Töchter der Kornmühle
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„Manchmal spielte das Leben eine seltsame Melodie, die man erst später begriff.“ (kindle, Pos. 4185)

Hilka ist bereits fünfundneunzig und liegt nach einem Herzinfarkt im Krankenhaus. Sie merkt, dass sie ...

„Manchmal spielte das Leben eine seltsame Melodie, die man erst später begriff.“ (kindle, Pos. 4185)

Hilka ist bereits fünfundneunzig und liegt nach einem Herzinfarkt im Krankenhaus. Sie merkt, dass sie nicht mehr viel Zeit hat, ihren beiden Töchtern ein lange gehütetes Geheimnis zu offenbaren. Da sie nach der ärztlichen Behandlung nur Ruhe braucht, wird sie nach Hause, in ihre Kornmühle, entlassen und sammelt hier ihre zwei so unterschiedlichen Kinder Rena und Viktoria um sich. Rena, die sich zeitlebens um die Mühle der Familie gekümmert hat und Viktoria, die sich in der kleinen Gemeinde an der Nordsee nie so richtig heimisch gefühlt hat und schon früh die weite Welt kennen lernen wollte.

Mit unterhaltsamen Szenen von Hilka im Krankenhaus beginnt dieser wunderbare Roman, für den Regine Kölpin perfekt recherchiert und alles gefühlvoll in Worte gefasst hat. Die Handlung spielt im Jahre 2018, schweift aber immer wieder ab in die 1940er-Jahre, sodass die selbst schon über siebzigjährigen Töchter verstehen können, warum ihr Leben so und nicht anders abgelaufen ist. Von schwierigen Zeiten während des Zweiten Weltkriegs ist hier zu erfahren, von Zwangsarbeitern und der immer noch verhältnismäßig guten Zeit in der Mühle, wo man zwar schwer zupacken musste, aber immerhin regelmäßige Mahlzeiten auf den Tisch bekommen hat.

Liebevoll charakterisiert Kölpin ihre Personen, die der Geschichte Leben einhauchen und wahre Schicksale ihr Vorbild nennen können. Voller Einfühlungsvermögen für Taten, die später vielleicht nicht so recht nachvollziehbar sind, schildert sie Szenen, die sich während der grausamen Kriegsjahre zugetragen haben und plädiert für Verständnis bei den Nachkommen. Dem Leser stellt sich bald die Frage, ob der Bruch zwischen Rena und Viktoria gekittet werden kann und was überhaupt dazu geführt hat, dass die Zwei kaum Kontakt zueinander haben. Mit bildreichen Worten weckt die Autorin Emotionen vor dem malerischen Hintergrund der alten Kornmühle und der Nordsee, einige mundartlich eingestreute Redewendungen lassen das Ganze umso authentischer wirken. Perfekt gelungen sind auch die Übergänge von einer Zeitebene zur anderen, oft ist die Vergangenheit eingebettet in Hulkas Erinnerungen und Erzählungen, sodass die Familiengeschichte trotz schwerwiegender Inhalte locker und leicht dahinfließt. Verstehen und Verzeihen rückt Regine Kölpin in den Mittelpunkt ihres bewegenden Romans, der von der ersten bis zur letzten Seite hält, was er verspricht.

Sprachgewandt und historisch detailgetreu, samt interessanten Einzelheiten zum Müllern, präsentiert sich dieses Buch, sodass man sofort Lust bekommt auf Mehr von Regine Kölpin. Von mir gibt es auf alle Fälle eine klare Leseempfehlung!


Titel Die Töchter der Kornmühle
Autor Regine Kölpin
ASIN B09X61S5GN
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenso erhältlich als Taschenbuch (400 Seiten)
Erscheinungsdatum 23. Februar 2023
Verlag Piper

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  • Handlung
  • Charaktere