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Veröffentlicht am 01.01.2024

Tolle Grundidee, aber etwas linear

Die Chroniken der Meerjungfrau - Der Fluch der Wellen
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Bücher von Christina Henry habe ich mittlerweile ja schon so einige gelesen und auch wenn ich manche besser, als andere fand, freue ich mich immer noch jedes Mal, wenn ein neues erscheint. Die Chroniken ...

Bücher von Christina Henry habe ich mittlerweile ja schon so einige gelesen und auch wenn ich manche besser, als andere fand, freue ich mich immer noch jedes Mal, wenn ein neues erscheint. Die Chroniken der Meerjungfrau stand etwas länger auf der Wuli, durfte aber nun endlich einziehen und nachdem ich ein anderes Buch abgebrochen hatte, weil es mir nicht gefiel, dachte ich Henry könnte mich wieder aus diesem Lesetief ziehen. Ob das geklappt hat?

Die Meerjungfrau und der Showmaster
Die Chroniken der Meerjungfrau ist ein Buch, das aus der Vielzahl an Romanen, die Christina Henry bereits veröffentlicht hat, ein bisschen aus der Reihe tanzt. Statt Horror, bekommen wir eher einen Historischen Roman mit phantastischen Elementen, dass sollte man meiner Meinung nach als LeserIn wissen, bevor man zum Buch greift, sonst könnte es Enttäuschungen geben. Ich selbst wusste von BloggerkollegInnen schon, was mich erwartet, daher war es für mich keine böse Überraschung.
Stattdessen freute ich mich auf eine märchenhafte Erzählung und wurde da auch vom Beginn des Buches nicht enttäuscht. Wie die Meerjungfrau erst die Weiten des Ozeans erkundete und sich dann verliebte, erzählt Henry wirklich schön. Mir war Amelie (Die Meerjungfrau) auch gleich sympathisch. Ich mochte ihre Art zu denken und wie sie die Welt und die Menschen sah. Hier sah ich großes Potenzial für die weitere Geschichte mit dem Kontrast zu dem egozentrischen und geld- und prestigehungrigen Barnum zu spielen und hoffte auf eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den Themen Machtverhältnisse Mann/Frau, Kolonialismus und Ausbreitung und Kapitalismus, sowie auf einen sich zuspitzenden Konflikt zwischen diesen so unterschiedlichen Charakteren.
Und bekommen habe ich das auch irgendwie, allerdings in der Light Variante. Wie es mir auch schon bei Der Geisterbaum aufgefallen ist, schneidet Christina Henry zwar oft gesellschaftskritische Themen an, bringt die Sache aber nicht so richtig zu Ende bez. setzt sich für meinen Geschmack nicht intensiv genug damit auseinander.

Nun erwarte ich nicht von jedem Buch, dass es erhellende kritische Auseinandersetzungen führen muss. Wäre Die Chronik der Meerjungfrau zumindest sehr unterhaltsam gewesen, wäre mein eben genannter Kritikpunkt nicht allzu schwer ins Gewicht gefallen (wobei ich es aufgrund des Potenzials, dass definitiv da ist, trotzdem sehr bedauert hätte).
Doch leider muss ich sagen, dass auch vom Unterhaltungswert dies eins der schwächeren Bücher von Henry ist. Das liegt nicht etwa an dem ruhigen Erzähltempo, nein, das war völlig in Ordnung, vielmehr ist es die absolute Vorhersehbarkeit der Handlung. Sobald alle Charaktere im Spiel war, wusste ich sofort wie die Handlung verlaufen, und worauf sie hinauslaufen würde und so kam es dann auch. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Story sehr linear und ja auch ein bisschen zu simpel gestrickt wurde. Das macht die Handlung und das Buch nicht völlig schlecht, es hat trotzdem viele gute Momente und beschert angenehme Lesestunden, doch jemanden mitreißen kann es so nicht. Zumal ich eben weiß, dass es die Autorin auch besser kann

Fazit:


Wie immer kann Christina Henry mit ihrem Konzept und der Grundidee des Romans punkten, trotzdem ist Die Chroniken der Meerjungfrau für mich einer ihrer schwächeren Romane, da das vorhandene Potenzial einfach nicht voll ausgeschöpft wird und die Handlung zu vorhersehbar ist.

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Veröffentlicht am 23.12.2023

Ein Zeitzeugenbericht als Graphic Novel

Die Geschichte von Francine R.
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Diese Graphic Novel habe ich durch Zufall in meiner Bibliothek gefunden. Da mich solche Comic, die die NS-Zeit aufarbeiten, immer ansprechen und ich sie für ein wichtiges Medium der Geschichtsvermittlung ...

Diese Graphic Novel habe ich durch Zufall in meiner Bibliothek gefunden. Da mich solche Comic, die die NS-Zeit aufarbeiten, immer ansprechen und ich sie für ein wichtiges Medium der Geschichtsvermittlung halte, kam die Graphic Novel direkt mit nach Hause.

Ein Zeitzeugenbericht
Die Graphic Novel beginnt mit einer kurzen Einführung, in der Boris Golzio erzählt, wie Francine R. ihn eines Tages auf der Suche nach Verwandten überraschend anrief und wie er die ältere Dame dann kennenlernte. Und dann beginnt Francine zu erzählen. Von ihrer Verhaftung durch die Gestapo, ihrer Mitwirkung in der Résistance, von der Zeit im KZ Ravensbrück, dessen Befreiung und die Zeit danach. Es ist ohne Frage ein bewegtes Leben und Francines Schicksal hallt nach der Lektüre in einem nach. Da ich selbst vor einigen Jahren die Gedenkstätte Ravensbrück besucht habe, fand ich den Bericht umso eindringlicher.

Das Besondere an dieser Graphic Novel ist, dass sie aus den Gesprächen des Autors mit Francine R entstanden sind, die Texte sind alle direkte Zitate aus diesen Gesprächen, wir haben also hier im Grunde einen bebilderten Zeitzeugenbericht vor uns liegen. An manchen Stellen finden sich noch Kommentare von Golzio, in denen er Dinge ergänzt, an die sich Francine nicht mehr erinnert, wie z. B. Namen von Leute und Orte oder genaue Datumsangaben. Hin und wieder finden sich auch Ergänzungen, die die Situation erklären und besser verständlich machen sollen, aber insgesamt hält sich Golzio sehr zurück und lässt die Worte der Zeitzeugin auf den/die Leser/in wirken. Was ich an sich einen interessanten Ansatz finde, wurde jedoch dann für mich zum Problem, als sich zeigte, dass Francine R. einige rassistische Ansichten, insbesondere gegenüber Polen und Polinnen hat. Der Kommentar Golzios, dass dies eben Francines Gedanken sind, reicht mir nicht aus, um das so stehenzulassen und ich finde es gerade bei diesem Thema sehr schade, dass sich hier nicht mehr damit auseinandergesetzt wurde. Damit meine ich nicht, dass Francines Aussagen gestrichen werden sollten, auf keinen Fall, aber ein umfangreicherer Kommentar oder besser noch ein gezieltes Nachwort dazu wären meiner Meinung nach angebracht gewesen. Es ist meiner Meinung nach wichtig, dass solche Äußerungen in einem historischen Kontext kritisch betrachtet und diskutiert werden. Hier hätte die Graphic Novel stärker aufklären und reflektieren können. Das Fehlen dieser Reflektion war der Grund für den ersten Punkt Abzug in meiner Bewertung.

Tristesse in Sepia
Kommen wir zum künstlerischen Aspekt. Die monotone Farbpalette der Graphic Novel, die erst nach der Befreiung wirklich Farbe zulässt, trägt effektiv zur Darstellung der Trostlosigkeit und des Leids in den Konzentrationslagern bei. Die Entscheidung, fast nur Sepiatöne zu verwenden, verstärkt die düstere Atmosphäre und lässt den Leser die Hoffnungslosigkeit und Brutalität der Situation besser nachempfinden. Durch den bewussten Einsatz von Farbe nach der Befreiung wird dann im Kontrast dazu die Bedeutung von Freiheit und Lebensfreude hervorgehoben. Daher hat mir die Kolorierung sehr gut gefallen.
Weniger mochte ich die Zeichnungen. Diese sind nämlich gerade in den Gesichtern sehr detailarm. Sehr häufig bestehen die Gesichter nur aus zwei Kullern als Augen und Striche für die Augenbrauen, sonst nichts und wirken oft ziemlich kindlich. Nun mag mach einer das als interessante Ambivalenz zu den grausamen Geschehnissen, oder als eine bewusste Anonymisierung, um zu verdeutlichen, dass Francine eine von vielen war, deuten und vielleicht hat diese Person auch recht, ich mochte es aber trotzdem nicht. Mir gehen dadurch zu viele Emotionen und Nuancen verloren, die die Geschichte noch stärker hätten vermitteln können. Der Bericht wirkt nüchtern, aber nicht auf eine Art, die die Geschehnisse eindringlicher werden lassen, so wie es zum Beispiel Anna Seghers vermochte, sondern einfach nur unbeteiligt, gleichzeitig duch die kindlichen Zeichnungen aber auch naiv, eine seltsame Mischung. Das war der zweite Punkt Abzug.

Trotz meiner Kritikpunkte schätze ich dennoch Boris Golzios Bemühen, diese Erinnerung einer Zeitzeugin zu bewahren und zu vermitteln. Besonders in Zeiten des Erstarkens rechter Ideen ist es wichtiger denn je, solche Geschichten zu erzählen. Die Graphic Novel bez. das Medium Comic allgemein ist eine gute Art, um ein breites Publikum anzusprechen und auf eine emotionale und eindringliche Weise zu informieren. Comics haben die einzigartige Fähigkeit, komplexe Themen auf visuelle Weise zu vermitteln und eine Verbindung zum Leser herzustellen. Diese Methode kann Menschen erreichen, die möglicherweise nicht so leicht Zugang zu traditionellen historischen Berichten finden.

Fazit:


In Zeiten, in denen rechte Parteien Aufwind haben und Rassismus wieder salonfähig wird, werden Comics wie Die Geschichte von Francine R. umso dringender gebraucht. Es mag nicht die beste Graphic Novel sein, die sich mit dem Holocaust beschäftigt, dennoch ist sie lesenswert.

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Veröffentlicht am 01.07.2023

Tolle Ideen und Ansätze, aber Schwächen im Schreibhandwerk

Der mexikanische Fluch
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Mexican Gothic (wenn ihr mich fragt, der treffendere Titel) hat mich schon neugierig gemacht, als es 2020 im Original erschien und ich hatte mir sehnlichst gewünscht, dass es übersetzt werden würde. Als ...

Mexican Gothic (wenn ihr mich fragt, der treffendere Titel) hat mich schon neugierig gemacht, als es 2020 im Original erschien und ich hatte mir sehnlichst gewünscht, dass es übersetzt werden würde. Als dann die Ankündigung von Limes kam, war ich Feuer und Flamme und hatte dementsprechend hohe Erwartungen, als ich das Buch endlich in den Händen hielt. Vielleicht zu hohe Erwartungen?

Viktorianische Gothic Vibes in den Bergen Mexikos
Das Buch startet vielversprechend. Protagonistin Noemi, eine junge Frau aus der Oberschicht von Mexiko-City, die Partys liebt und ihre Unabhängigkeit mit einem Studium sichern will, wird von ihrem Vater im Austausch für die Erlaubnis studieren zu dürfen zu ihrer Cousine Catalina geschickt. Diese hat den Erben einer Familie von ehemaligen britischen Kolonisten geheiratet und lebt nun in deren Landhaus irgendwo in den Bergen Mexikos. Noemi soll untersuchen, was es mit dem seltsamen und beunruhigenden Brief auf sich hat, den Catalina ihnen schickte und in dem sie von Vergiftungen und einer bösen Präsens im Haus berichtet.

Wir haben hier also ein klassisches Setting der Gothic Literatur: Ein altehrwürdiges Herrenhaus, das schon bessere Jahre gesehen hat, in dem etwas Unheilvolles vor sich geht und eine junge Frau, die diesem Spuk auf den Grund geht. Besonders wird diese auf den ersten Blick klassische Schauergeschichte durch zwei Aspekte.
Zum einen das Setting. Wir befinden uns in Mexiko der 50er Jahre. Die blutigen Kämpfe der Revolution sind erst seit ca. 20 Jahre vorbei und die Folgen der Revolution noch deutlich spürbar. Diese werden auch in diesem Buch thematisiert, wenn auch nicht mit Fokus darauf, denn dadurch, dass das Herrenhaus und seine Bewohner, von der eingeheirateten Catalina abgesehen) britisch sind, hat das Buch doch sehr viele viktorianische Vibes, trotzdem ist Mexiko in vielen Details und in der Denk- und Lebeweise der Protagonistin präsent und ist Teil des Konflikts auf den das Buch hinausläuft.

Neuinterpretation der Schauerliteratur-Heldin
Der zweite Unterschied zur klassischen Gothic Literatur ist Protagonistin Noemi selbst. Waren Heldinnen früherer Schauerromane, der Zeit bedingt, in denen sie entstanden sind, Frauen, die dem Gesellschaftsbild des 19. Jahrhundert entsprachen und zumeist einen Mann an ihrer Seite benötigten um das Rätsel des Spukhauses zu lüften, kommt Noemi sehr gut alleine zurecht. Zwar bekommt auch sie Hilfe von einem männlichen Charakter, trotzdem ist das Machtverhältnis in dieser Freundschaft ganz anders, als in den großen Gothicromanen. Das ist insoweit wichtig, da Emanzipation ein zentrales Thema des Buches ist und dem/der Leser/in immer wieder in verschiedenen Formen begegnet. Sei es durch Noemi, die statt zu heiraten lieber studieren möchte, oder dem Kampf gegen die Doyles, die frauenunterdrückenden Zustände des 19. Jahrhundert und zuvor am liebsten in Stein gemeißelt auf ewig sähen. Dieser Aspekt des Romans hat mir sehr gut gefallen, auch weil Silvia Moreno-Garcia ein gutes Gespür dafür hat, dieses leider weiterhin hochaktuelle Theme so mit ihrer Geschichte zu verknüpfen, dass es allzeit präsent ist, aber trotzdem nicht im historischen Setting irritierend wirkt. Man kann nämlich zu jeder historischen Epoche feministische Romane schreiben, ohne dass es weit hergeholt oder unrealistisch wirkt, man muss es nur, wie hier, geschickt anstellen.

Es wirkt, wie ein Debütwerk*
Während Setting und Themen des Romans mich also überzeugen konnten, muss ich leider auch anmerken, dass der Plot und manche Figuren schwächeln. So bekommen wir zwar ein gutes Bild von den Antagonisten, dem gegenüber bleiben aber Noemi selbst, Catalina, Francis und auch andere Nebenfiguren etwas blass. Ein Umstand, der besonders aufgrund der Tatsache, dass wir ohnehin nur eine überschaubare Anzahl an Figuren haben, schade ist. Wenn ich schon meinen Roman, einem Kammerspiel ähnlich, auf wenige Orte und Figuren begrenze, müssen letztere einfach besser ausgearbeitet sein.
Auch dramaturgisch ist noch Luft nach oben. So dauert es zum Beispiel ziemlich lange, bevor die ersten unheimlichen Ereignisse im Haus beginnen und auch Noemis “Ermittlungen” drehen sich ein Großteil des Buches im Kreis. Im letzten Drittel hingegen wird dann so viel an Informationen und Ereignisse gestopft, dass man kaum hinterherkommt. Der Spannungsbogen und das Erzähltempo sind hier also nicht ausgeglichen. Dies mag auch mit ein Grund sein, warum die Auflösung in meinen Augen etwas wirr war. Ich mochte die kreative Idee, doch sie wirkte nicht in allen Punkten ausgereift und lässt am Ende Fragen offen, die ich als eher unbefriedigend, denn als “Offenes Ende” empfand.
Insgesamt wirkte das ganze Buch mehr wie ein Debütwerk, als wie der sechste Roman der Autorin auf mich. Das Schreibtalent und die kreativen Ideen sind da, keine Frage. Im Schreibhandwerk ist aber noch Raum für Verbesserungen.

Fazit:


Der mexikanische Fluch bietet eine interessante Mischung aus viktorianischen Gothic-Vibes und mexikanischer Geschichte. Silvia Moreno-Garcia gelingt es geschickt, Themen wie Emanzipation in die Schauerromantik einzubinden und präsent zu halten. Das Buch punktet mit einem atmosphärischen Setting und einer interessanten Neuinterpretation der Schauerliteratur-Heldin. Allerdings offenbart es auch Schwächen in Bezug auf den Plot und die Ausarbeitung einiger Figuren, was das Gesamtwerk mehr wie ein vielversprechendes Debüt denn wie das Werk einer erfahrenen Autorin wirken lässt. Trotzdem bleibt “Der mexikanische Fluch” ein lesenswertes Buch und ich werde bestimmt auch noch weitere Bücher der Autorin lesen.

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Veröffentlicht am 26.05.2023

Aus dem Leben eines Uhus

Strix
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Auf dieses Buch wurde ich durch Zufall aufmerksam, als ich durch die Randomhouse Vorschau stöberte. Die simple, aber doch irgendwie fesselnde Darstellung der Eule machte mich neugierig und als ich erfuhr, ...

Auf dieses Buch wurde ich durch Zufall aufmerksam, als ich durch die Randomhouse Vorschau stöberte. Die simple, aber doch irgendwie fesselnde Darstellung der Eule machte mich neugierig und als ich erfuhr, dass dieses Buch ein “wiederentdeckter” Klassiker von 1920 ist, war meine Neugierde endgültig geweckt.

Leben und Kampf eines Uhus
Der dänische Autor Sven Fleuron erzählt in diesem Buch die Lebensgeschichte, der großen und mächtigen Eule Strix Bubo. Ein Uhu Weibchen, das in den Wäldern der Fjorde ihr Revier hat. Die Geschichte beginnt, als Strix gerade auf dem Höhepunkt ihrer Kraft ist und ihn ihrem Wald gefürchtet und geachtet ist. Der Autor nimmt uns mit auf eine Reise in das Leben der Eule Strix und zeigt uns die Welt aus ihrer Sicht.

"Sein Kopf ist größer als der einer Wildkatze, vorne flach abgeschnitten, so daß er das schönste Gesicht bildet. Der Schnabel ist stark und gekrümmt, und die Schneiden sind so scharf wie eine Rosenschere. Sie behandeln einen Braten meisterhaft, zerlegen ein Stück Wild im Handumdrehen. Ritsch, ratsch. […] Sie ist so groß, daß sie im Morgen- und Abendlicht, wenn sie über die Waldeswipfel herangleitet, einer kleinen Wolke gleicht – einer schwarzen und an den Rändern sonderbar zerfransten Wolke. Ihr Körper ist wie der einer Gans, und ihre Stärke gibt einen Königsadler in nichts nach. […] Die Dämmerung hat sie mit ihrem Pfeffer und Salz überstreut und die Nacht hat ihr mit schwarzem Pinsel über Flügel und Rücken gestrichen. Über die Mitte der dicken breiten Brust läuft ein weißlicher Strich […] Das ist das einzige, was wirklich hell ist an ihr, so etwas wie eine Erinnerung an den Glanz des Tages, an das Licht der Sonne – ganz willl sie sie doch nicht lassen."
(Strix: Die Geschichte eines Uhus von Svend Fleuron, Diederichs, 2023, S.8ff.)


Was an dieser Textpassage direkt auffällt, ist der Stil Fleurons, der dieses Buch seine ganz eigene Stimmung verleiht. Auf der einen Seite haben wir diese metaphernreiche, fast schon lyrische Sprache, in der alles Natürliche, sei es der Wald, der Wind, die Nacht oder die Dämmerung eine Seele und ein Wesen hat. Eine Sprache, in der die Natur und die Wildnis stark romantisiert wird. Auf der anderen Seite haben wir hart dazu im Kontrast stehend einen ungeschönten Realismus, was den Überlebenskampf und das Jagdverhalten von Raubtieren, zu denen Strix ohne Zweifel gehört, angeht. Die Beschreibungen von Jagd und Tötung sind pathoshaft und stellenweise auch brutal. Eine Jägerin zu sein und Beute zu ergreifen wird nicht simpel als Strix Art der Nahrungsbeschaffung geschildert, nein, es ist ihr ganzes Wesen.

Interessant ist, dass sich diese Glorifizierung des Rechts des Stärkeren jedoch strikt auf die Wildnis und Natur beschränkt. Svend Fleuron macht überdeutlich, dass der Mensch nicht in diese Rechnung gehört. Seine Überlegenheit wird nicht als naturgegeben, sondern als zerstörerisches Eindringen in die natürliche Ordnung dargestellt. Während der Autor Strix eine gewisse Freude an der Jagd zuspricht, weil es ihrer Natur entspräche, wird die Jagd des Menschen als eigennützige und im Sinne der Trophäenjagd sinnlose Brutalität dargestellt. Ich möchte an dieser Stelle jetzt kein Essay über die Jagd an sich schreiben, finde aber, dass dieser Punkt das Buch sehr interessant und ambivalent macht. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Svend Fleuron selbst leidenschaftlicher Jäger war.

Aktueller denn je
Neben dem Eingreifen des Menschen ins Leben der Tiere in Form der Jagd spielt noch ein weiteres Thema eine wichtige Rolle: die Bedrohung des Lebensraums durch die Ausbreitung der menschlichen Bevölkerung. Der Autor zeigt, wie Strix Lebensraum immer wieder durch Abholzung, Landwirtschaft und Städtebau bedroht ist und wie schwer es für urtümliche Tiere, wie Strix es ist, sich an diese Veränderungen anzupassen. Immer wieder muss Strix vor den Menschen fliehen und sich neue Reviere suchen, doch der Mensch dringt unaufhaltsam auch in den hintersten Fjord vor. Diese Botschaft, die in Form von Strix beständiger Suche nach der letzten Wildnis ein zentrales Thema des Buches ist, ist aktueller denn je, da die Ausbreitung der bald acht Milliarden Menschen weiterhin in nahezu ungebremsten Tempo den Lebensraum zahlreicher Tiere zerstört. So liest man zwar ein hundert Jahre altes Buch, aber trotzdem werden Leserinnen und Leser dazu gebracht, über die Bedeutung von Umwelt- und Naturschutz nachzudenken. Die Geschichte von Strix ist ein Sinnbild für den Kampf, den viele Tiere tagtäglich führen, um in einer sich verändernden Welt zu überleben.

Letztendlich habe ich abgesehen, von den zuvor bereits erwähnten manchmal übertriebenen Glorifizierung des Jagdverhaltens von Strix nur einen weiteren Kritikpunkt: Einige Passagen, insbesondere die Beschreibung des “Alltagslebens” von Strix, sind zu langatmig und wiederholend. An manchen Stellen scheint der Autor zu sehr in die Beschreibung der Handlung vertieft zu sein, anstatt die Spannung aufrechtzuerhalten.

Fazit:


Insgesamt ist “Strix” ein faszinierendes Buch, das aufzeigt, wie wichtig es ist, den Lebensraum der Tiere zu erhalten und zu schützen. Der Kontrast zwischen der poetischen Sprache und des ungeschönten Überlebenskampfes der (Raub)tiere macht das Buch auf mehrere Ebenen interessant, wenngleich der Pathos an manchen Stellen zurückgeschraubt werden könnte und andere Passagen wiederum etwas mehr Schwung vertragen hätten.

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Veröffentlicht am 22.04.2023

Gut, aber nicht Diana Wynne Jones bestes Werk

Die verborgene Geschichte des Tom Lynn
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Auf dieses Buch habe ich mich schon seit der Ankündigung gefreut, ich kann einfach nicht genug von Diana Wynne Jones bekommen und freue mich tierisch über jede Neuauflage ihrer Bücher, die ich im Knaur ...

Auf dieses Buch habe ich mich schon seit der Ankündigung gefreut, ich kann einfach nicht genug von Diana Wynne Jones bekommen und freue mich tierisch über jede Neuauflage ihrer Bücher, die ich im Knaur Programm entdecken kann. Daher wanderte das Buch direkt nach Erhalt auf meine Leseliste.

Zwei Träumende, die sich finden
Schon der Beginn der Geschichte hielt ein paar Überraschungen für mich bereit: Zum einen war ich überrascht, dass das Buch in der gegenart (naja, zumindest die Gegenwart der 80er, als es erschien) und unsere Welt spielt. Irgendwie hatte ich angenommen, es würde wie die Howl Saga in einer fiktiven Welt spielen. Die zweite Überraschung war, dass die Polly der Gegenwart zwar 19 ist, sie ihre Geschichte aber 9 Jahre früher beginnt zu erzählen. Wir begleiten also zunächst die zehnjährige Polly und sehen damit die Welt durch die Augen eines Kindes. Daran musste ich mich zunächst gewöhnen, doch schnell zeigt sich, dass diese Perspektive gerade erwachsenen LeserInnen viel bietet, denn die zehnjährige Polly nimmt die Welt auf eine Art und Weise war, wie es viele Erwachsene vergessen haben, nämlich mit Lebensfreude und einer sprudelnden Fantasie. In Tom Lynn findet Polly dann durch Zufall einen Seelenverwandten, der ihre Freude an Geschichten und dem Träumen teilt. Und der ihr ein Freund und eine Stütze ist, wo es ihr Vater, der jede Verantwortung scheut und ihre Mutter, die nur das eigene Glück sucht, nicht sind.
In manchen Rezensionen habe ich gelesen, dass manche die Beziehung, der beiden seltsam bis unangemessen fanden, kann das aber nicht wirklich nachvollziehen. Klar, der Altersunterschied ist groß, aber die Beziehung zwischen Tom Lynn und der jungen Polly bleibt zu aller Zeit platonisch freundlich. Es sind zwei Menschen, die eine Leidenschaft zur Fantasie, Literatur und dem Träumen teilen und einander halt geben, da es ihr jeweiliges Umfeld es nicht tut.

Vom Älterwerden und der Macht der Fantasie
Doch auch wenn Tom Lynn und Pollys Verbindung zu ihm eine zentrale Rolle in diesem Roman spielen, ist dieses Buch doch eigentlich entgegen dem Titel nicht Tom Lynns Geschichte, sondern Pollys. Sie schildert und ihre Erinnerungen von dem Tag an, an dem sie als zehnjähriges Mädchen Tom das erste Mal traf, bis hin zu ihrem gegenwärtigen neunzehnjährigen Selbst, das auf dem Rückweg nach Oxford ist. Der Roman umfasst also eine Zeitspanne von fast zehn Jahren, in der wir Pollys Leben mitverfolgen. Wir erleben als LeserIn, wie sie von einem Kind, zum Teenager, zur jungen Frau aufwächst. In vielerlei Hinsicht ist das Buch daher eine klassische Coming-of-Age Geschichte, die vor allem deswegen überzeugt, weil Jones es meisterlich versteht, das Älterwerden und die damit einhergehende Entwicklung, die Polly durchlebt, spürbar und doch subtil zu schildern. Manche typische Dinge, die mit dem Älterwerden einhergehen, wie sich ändernde Interessen oder Freundschaften, sie sich auseinanderleben sind offensichtlich, andere Entwicklungen Pollys sind subtiler, wie zum Beispiel die Art, wie sie ihre Umwelt wahrnimmt, wie sie Menschen begegnet oder auch wie sie sich selbst reflektiert.

Vor diesem Hintergrund rücken tatsächlich die fantastischen Elemente des Romans in den Hintergrund, was ich ein bisschen schade fand, da Jones in Das wandelnde Schloss bereits gezeigt hat, dass sie eine großartige Coming-of-Age Geschichte auch mit allerhand Magie schreiben kann. Auch muss ich zugeben, dass ich zwar objektiv betrachtet diese Coming-of-Age Geschichte literarisch gut gemacht finde, der Funke bei mir aber trotzdem nicht ganz übersprang. Ein paar Passagen aus Pollys Alltag hätte man meiner Meinung nach kürzen können und an der ein oder anderen Stelle hätte ich mir einfach etwas mehr gewünscht. “Was mehr?”, fragt ihr euch jetzt vielleicht, aber eine genaue Antwort kann ich darauf gar nicht geben, da ich es schwerlich in Worte fassen kann. Etwas mehr Pepp, etwas mehr wow, ein Funken, der die Geschichte mit noch mehr Leben füllt. Ich weiß, das ist alles ziemlich schwammig, aber besser kann ich mein Gefühl, nach der Lektüre nicht ausdrücken.

Fazit:


In Die verborgene Geschichte des Tom Lynn zeigt Autorin Diana Wynne Jones wieder, was für ein Quell der fantastischen Ideen sie ist und was für ein Händchen sie für Coming-of-Age Geschichten hat. Trotzdem ist das Buch im direkten Vergleich mit z. B. der Howl Saga etwas schwächer, denn es hat kleine Längen und es fehlt ihm der letzte Pepp, damit der Funke wirklich überspringt. Nichtsdestotrotz kann ich schon jetzt das hoffentlich nächste kommende Buch von ihr im Knaur Programm kaum abwarten.

Hinweis: In meinem eigenen Bewertungsystem auf meinem Blog hat das Buch 4/6 bekommen.

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