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Veröffentlicht am 12.11.2023

Epische Familiengeschichte

Die Gebärmutter
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Qi Nianci ist die Matriarchin der Familie Chu, eine kleine Frau mit gebundenen Füßen und einem starken Willen, alle(s) um sie herum zusammenzuhalten. Dinge, die für sie selbstverständlich waren, wie die ...

Qi Nianci ist die Matriarchin der Familie Chu, eine kleine Frau mit gebundenen Füßen und einem starken Willen, alle(s) um sie herum zusammenzuhalten. Dinge, die für sie selbstverständlich waren, wie die Rolle der Frau und die Ein-Kind-Politik, entwickeln sich in der Generation ihrer Tochter Wu Aixiang und vor allem der ihrer Enkelkinder ganz anders. Fünf Mädchen sind es und ein Junge, deren Leben sich in völlig unterschiedliche Richtungen entwickelt: mal hin zur traditionellen Familie auf dem Land, mal zum Großstadtleben ohne Kinder.

„Die Gebärmutter“ ist der neuste Roman der chinesischen Schriftstellerin Sheng Keyi. Sie verfügt international über ein sehr anerkanntes Werk, im Deutschen liegt bisher nur diese Übersetzung von Frank Meinshausen vor. Erzählt wird hier auf eine sehr komplexe Weise über mehrere Jahrzehnte hinweg. Die Handlung folgt dabei keinem strikten Ablauf, sondern springt zwischen Figuren und Zeitebenen hin und her, so als würde jemand unmittelbar die Lebensgeschichte der Familie schildern und dabei immer wieder abschweifen. Zum Glück hilft ein Familienstammbaum bei der Orientierung.

Die Handlung beginnt mit der Kastration eines Hahns – einer der späteren Ehemänner der Enkelinnen Qi Niancis tut dies beruflich – damit ist auch das grundlegende Thema das Romans gesetzt: Ehe, Fruchtbarkeit, Reproduktion. Und natürlich haben die Frauen dabei nicht allzu viel mitzureden. Ihre Körper sind fremdbestimmt. Von ihren Müttern oder Schwiegermüttern, ihren Männern oder dem Staat, der sie wahlweise zur Abtreibung oder Sterilisationen zwingt. Manche von ihnen fügen sich, finden Erfüllung in der Rolle als (Gebär-)Mutter, manche kämpfen für ein anderes, selbstbestimmtes Leben.

Es ist eine großartige, geradezu epische Familiengeschichte, die Sheng Keyi hier erzählt und mit der sie einen kritischen Blick auf die chinesische, aber durchaus auch unsere Gesellschaft wirft. Männer kommen hier, bis auf einige Ausnahmen, nicht gut weg, aber ich bin der Meinung, dass diese Geschichte genau so erzählt werden muss. Na gut, vielleicht etwas weniger verwirrend und dafür stringenter.

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Veröffentlicht am 02.11.2023

Solider zweiter Band

Mrs Potts' Mordclub und der tote Bräutigam
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Rentnerin Judith Potts hat sich immer noch nicht recht von den Erlebnissen im letzten Sommer erholt, als sie von ihrem Nachbarn Sir Peter Bailey zu einem Empfang auf seinem Anwesen eingeladen wird. Dieser ...

Rentnerin Judith Potts hat sich immer noch nicht recht von den Erlebnissen im letzten Sommer erholt, als sie von ihrem Nachbarn Sir Peter Bailey zu einem Empfang auf seinem Anwesen eingeladen wird. Dieser möchte nämlich am nächsten Tag seine ehemalige Krankenschwester Jenny Page heiraten. Auf der Feier gerät der Hausherr dann erst in einen Streit mit seinem Sohn Tristram und wird dann von einem Schrank erschlagen. Die Polizei glaubt an einen Unfall, doch Judith und ihre Freundinnen Becks und Suzie wissen es besser und nehmen die Ermittlungen auf.

„Mrs Potts Mordclub und der tote Bräutigam“ ist der zweite Band der Reihe um die Hobbydetektivin und ihre beiden Freundinnen. Robert Thorogood ist darüber hinaus als Autor der „Death in Paradise“-Romane bekannt, auf denen die gleichnamige TV-Serie basiert. Erzählt wird die Handlung erneut aus Judiths Blickwinkel in der dritten Person und Vergangenheitsform. So begleiten wir die Protagonistin hautnah bei ihren Nachforschungen und teilen ihre Gedanken und Rückschlüsse.

Der Fall an sich ist ein klassisches Locked in-Rätsel, denn Sir Peter wird in seinem verschlossenen Arbeitszimmer gefunden, den einzigen Schlüssel in der Tasche. Verdächtige gibt es einige, zumal der Verstorbene erst vor kurzem noch sein Testament geändert hat. Doch neben der Frage, wie der Mord in einem abgeschlossenen Zimmer verübt werden konnte, ergibt sich ein weiteres Problem: alle haben ein hieb- und stichfestes Alibi. Und auch unsere Ermittlerinnen haben alle drei ihre privaten Schwierigkeiten: Judith kämpft mit den Erinnerungen an den letzten Mord und den Tod ihres Mannes, Suzie hat finanzielle Probleme und Becks scheint ein Geheimnis zu verbergen.

„Mrs Potts Mordclub und der tote Bräutigam“ ist ein solider zweiter Band, der eine gute Balance zwischen dem Privatleben der Detektivinnen und dem Kriminalfall bietet. Dieser kommt sehr klassisch daher, am Ende erscheint jedoch die Auflösung des Mords im verschlossenen Raum etwas konstruiert, was ein Mitraten leider erschwert. Dennoch mag ich die Reihe und ihre Figuren gerne und werde sie auch weiterhin begleiten.

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Veröffentlicht am 11.09.2023

Solider Krimi mit modernen Elementen

Mord im Christmas Express
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Es ist der Abend vor Weihnachten und die pensionierte Polizeibeamtin Roz ist auf dem Weg zu ihrer Tochter, die kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes steht. Sie hat den Nachtzug gebucht, der von London ...

Es ist der Abend vor Weihnachten und die pensionierte Polizeibeamtin Roz ist auf dem Weg zu ihrer Tochter, die kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes steht. Sie hat den Nachtzug gebucht, der von London durch die schottischen Highlands nach Fort William fährt. An Bord sind die unterschiedlichsten Fahrgäste: eine Familie mit Kindern, eine Gruppe Student*innen, Mutter und Sohn, einige Einzelpersonen, ein Influencerpärchen und ein blinder Passagier. Doch dann bleibt der Zug unterwegs im Schnee liegen und ein Mord geschieht.

„Mord im Christmas Express“ ist der erste, ins Deutsche übersetzte Roman der Schriftstellerin und Drehbuchautorin Alexandra Benedict. Erzählt wird hauptsächlich aus der Perspektive der Protagonistin (und unfreiwilligen Ermittlerin) Roz in der dritten Person und der Vergangenheitsform; diese wechselt aber auch zu Influencerin Meg und einer weiteren unbekannten Person unter den Reisenden. Die Sprache ist klar und modern, was sich auch in den behandelten Themen widerspiegelt.

Das Buch wird als moderne Version eines Agatha Christie-Romans beschrieben und das kann man durchaus so stehen lassen - wenn auch die Konstruktion des Falls weniger raffiniert ist. Die Autorin präsentiert uns ein klassisches Locked-In-Rätsel, denn das Opfer wurde bei geschlossener Tür im eigenen Abteil getötet, kurz bevor es etwas Wichtiges öffentlich machen konnte. Im Verlauf der Ermittlungen muss Roz außerdem feststellen, dass einige der Anwesenden Geheimnisse und Verbindungen untereinander haben – und am Ende trägt sie auch in guter Poirot-Manier die Auflösung vor.

Thematisch gesehen hätte „Mord im Christmas Express“ durchaus eine Triggerwarnung nötig, denn hier liegt keinesfalls ein Cozy Krimi vor. Roz selbst kämpft seit vielen Jahren mit einer traumatische Erfahrung, die sie von Tochter Heather entfremdet hat und auch einige der Reisenden tragen die unterschiedlichsten „Päckchen“ mit sich herum. Andererseits verleihen gerade diese Hintergrundinformationen und kleinen Nebenstränge der Handlung eine gewisse Tiefe, aber natürlich auch Schwere. Ein solider Krimi mit modernen Elementen.

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Veröffentlicht am 18.07.2023

Nette Geschichte(n) mit großem Kritikpunkt

Frau Komachi empfiehlt ein Buch
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Sayuri Komachi arbeitet in der Gemeindebibliothek und gibt mit ihren Empfehlungen nicht nur Hilfestellung für die Suche nach Literatur, sondern auch den Anstoß, im eigenen Leben etwas zu verändern. So ...

Sayuri Komachi arbeitet in der Gemeindebibliothek und gibt mit ihren Empfehlungen nicht nur Hilfestellung für die Suche nach Literatur, sondern auch den Anstoß, im eigenen Leben etwas zu verändern. So berät sie beispielsweise die 21-jährige Verkäuferin Tomoka, die in ihrem Beruf keine Freude findet oder den 65-jährigen Rentner Masao, der herausfinden muss, wer er jenseits der Arbeit überhaupt ist.

„Frau Komachi empfiehlt ein Buch“ ist der erste Roman der japanischen Schriftstellerin Michiko Aoyama, ins Deutsche übertragen wurde er von Sabine Mangold, die bereits Haruki Murakami oder Yoko Ogawa übersetzte. Erzählt wird im Prinzip in fünf Kurzgeschichten, die durch Parallelverweise immer wieder miteinander verwoben werden. In jedem Kapitel kommt eine der Figuren in der Ich-Perspektive, aber unterschiedlichen Zeitformen zu Wort.

Obwohl die einzelnen Charaktere sehr unterschiedlich sind, dreht sich doch alles um dasselbe Thema: die Arbeit. Unzufriedenheit, ein missglückter Wiedereinstieg nach der Schwangerschaft, die Suche nach dem Traumjob oder überhaupt einer Anstellung und die Leere nach der Pensionierung – hier hätte ich mir mehr Varianz gewünscht. Einzig eine Geschichte beschäftigt sich noch mit ungleich verteilter Care-Arbeit zwischen Mann und Frau. Gut gelungen ist hingegen, dass bereits bekannte Figuren in späteren Kapiteln wieder auftauchen und wir so erfahren, wie es mit ihnen weitergeht.

Negativ aufgefallen ist mir die Darstellung der Bibliothekarin Frau Komachi. Sie wird von allen Charakteren als dick beschrieben, ja geradezu als gigantisch. Diese Eigenschaft trägt nichts weiter zur Handlung bei und man fragt sich, wozu diese Beschreibung dienen soll – zumal sich alle Kund*innen überrascht zeigen, dass Frau Komachi trotz ihrer Körperfülle sanftmütig und intelligent ist, so als gäbe es da einen Zusammenhang. Dieser Blick auf weibliche Körper ist mir in anderen japanischen Romanen, vor allem von Frauen, schon begegnet und wenn das Gesellschaftskritik sein soll, müssen die stets gleichen Vorurteile gegenüber dicken Frauen auch in der Handlung herausgefordert werden. Daher leider nur 3 Sterne von mir.

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Veröffentlicht am 28.06.2023

Auftakt einer charmanten Cozy Fantasy-Reihe

Emily Wildes Enzyklopädie der Feen
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Professorin Emily Wilde ist DIE Expertin der Feenforschung. Um endlich ihre Enzyklopädie über die faszinierenden Wesen fertigstellen zu können, macht sie sich auf eine Forschungsreise in das verschneite ...

Professorin Emily Wilde ist DIE Expertin der Feenforschung. Um endlich ihre Enzyklopädie über die faszinierenden Wesen fertigstellen zu können, macht sie sich auf eine Forschungsreise in das verschneite Dorf Hrafnsvik. Von den Bewohnern wird sie mit Misstrauen aufgenommen, was zum einen an ihrem riesigen Hund Shadow liegt, aber auch daran, dass Emily Menschen nicht besonders leiden kann. Dann taucht auch noch ihr Rivale Wendell Bambleby auf und bringt ihre Forschung und ihr Leben durcheinander.

„Emily Wildes Enyzyklopädie der Feen“ ist der erste Fantasyroman für Erwachsene der kanadischen Autorin Heather Fawcett. Geschildert wird die Handlung aus der Sicht der Protagonistin in der Ich- und Vergangenheitsform, manchmal werden aber auch Tagebucheinträge mit eingewoben. Emily ist dabei eine äußerst charmante Erzählerin, die ihre Emotionen nicht versteckt und auch mit Humor und Selbstironie nicht geizt. Vor allem ihr Blick auf ihren Konkurrenten Wendell ist herrlich und die ständigen Streitgespräche zwischen den beiden machen einfach Spaß.

Ich muss zugeben, dass sich die Ereignisse hier nicht unbedingt überschlagen. Den Großteil des Buch machen Emilys Forschung und ihre Begegnungen mit dem Feenvolk und den Menschen im Dorf aus. Für mich ist aber genau das ein Plus, denn die Autorin verwendet dadurch deutlich mehr Aufmerksamkeit auf die feinen zwischenmenschlichen Beziehungen und ihre Besonderheiten. Während Emily über die Feen gut Bescheid weiß, muss sie erst nach und nach lernen, wie die einzelnen Dorfbewohner ticken, was sie brauchen und was sie sich wünschen.

Gut gefallen hat mir außerdem, dass mit Emily eine Frau aus dem akademischen Bereich im Fokus steht. Als solche hat sie immer noch Nachteile gegenüber ihren männlichen Kollegen; so ist Wendell beliebter und wird beruflich bevorzugt – doch Emily kämpft um den Platz, der ihr dank ihrer Forschung zusteht. Einziger Kritikpunkt? In der Handlung wiederholen sich einige Elemente, so wird bspw. 3 mal aufgebrochen, um jemanden zu retten, es geht immer wieder um Wendells Faulheit usw. Dennoch ist Band 2 ein Muss!

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