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Veröffentlicht am 25.07.2023

Traum und Wirklichkeit …

Die Kieferninseln
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… kann Gilbert, Dozent und Bartforscher, nicht so genau auseinander halten. In der Nacht hat er geträumt dass seine Frau Matilda ihn betrügt, also, glaubt er, betrügt sie ihn auch. Hals über Kopf verlässt ...

… kann Gilbert, Dozent und Bartforscher, nicht so genau auseinander halten. In der Nacht hat er geträumt dass seine Frau Matilda ihn betrügt, also, glaubt er, betrügt sie ihn auch. Hals über Kopf verlässt er sie, will Abstand von ihr, und nimmt den nächstmöglichen Flug – nach Tokio. Dort angekommen redet er sich ein, die Reise dienen seinen beruflichen Forschungen über Bärte, bis er die Beschreibung einer Pilgerreise des Dichters Basho entdeckt. Nun will er plötzlich zu den Kieferninseln, um dort den Mond aufgehen zu sehen. Noch bevor er seine Pläne in die Tat umsetzen kann erregt ein junger Mann mit Ziegenbärtchen seine Aufmerksamkeit. Es ist der Student Yosa, der sich mit Selbstmordplänen befasst. Jetzt muss er Yosa unbedingt davon überzeugen, dass sein Tod noch warten kann und sie zuerst gemeinsam die Pilgerreise unternehmen sollten …

Marion Poschmann, geb. 1969 in Essen, ist eine deutsche Schriftstellerin und Autorin von Prosa und Lyrik. Sie studierte Germanistik, Philosophie, Slawistik und Szenisches Schreiben, zunächst in Bonn und später in Berlin. Von 1997 bis 2003 unterrichtete sie im Rahmen eines deutsch-polnischen Grundschulprojekts das Fach Deutsch. Ihr Roman „Die Kieferninseln“ war nominiert zum Deutschen Buchpreis 2017 und stand auf der Shortlist. Heute lebt sie als freie Schriftstellerin in Berlin.

Beeindruckend, wie leicht und humorvoll die Autorin dieses tiefschürfende Thema zu Papier bringt und welche Ironie in den Zeilen steckt. Von einigen Überraschungen abgesehen besteht die Geschichte eigentlich nur aus den Gedanken und den daraus resultierenden Handlungen des Protagonisten Gilbert, der beharrlich versucht seinem Begleiter, dem japanischen Studenten Yosa, die Kultur und Schönheit seines eigenen Landes zu erklären. Sehr poetisch und beinahe märchenhaft sind dabei die Naturbeschreibungen, auch wenn diese nicht immer Gilberts Erwartungen entsprechen. Als dann Yosa gegen Ende der Geschichte verloren geht fragt man sich, war das alles real oder nur Gilberts Traum? Die Wirklichkeit verschwimmt wie die Kieferninseln im Meeresdunst. War der junge Japaner real oder war er nur Gilberts Kopie, ein Spiegelbild seiner lebensmüden Gedanken und Wünsche? Wie dem auch sei, nun hat er sich davon befreit und kann seine Gedanken wieder seiner Ehe mit Mathilda zuwenden.

Fazit: Ein wunderbares Buch, das man mit Aufmerksamkeit lesen sollte und aus dem man viel über Japan und seine Kultur erfahren kann.

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Veröffentlicht am 06.07.2023

Cannery Row

Die Straße der Ölsardinen
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Wir befinden uns in Monterey, einer kleinen Stadt südlich von San Francisco, in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. In der Cannery Row, die Straße der Sardinen-Fabriken, ist das Leben für die Menschen ...

Wir befinden uns in Monterey, einer kleinen Stadt südlich von San Francisco, in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. In der Cannery Row, die Straße der Sardinen-Fabriken, ist das Leben für die Menschen die wir dort kennenlernen mühsam und hart, dennoch sind sie mit ihrem Los zufrieden. Da sind Mack und seine Jungs, eine Clique von Faulenzern, die auch gerne mal dies oder jenes mitgehen lassen, ansonsten aber immer hilfsbereit sind. Sie hausen in einem alten Schuppen, den sie sich von dem Chinesen Lee Chong, dem Besitzer eines Kramladens, „ausgeliehen“ haben. Nebenan ist auch das „Restaurant Flotte Flagge“, ein Bordell, das von Dora Flood geführt wird. Sie ist sehr geschäftstüchtig, aber äußerst weichherzig und liebevoll zu ihren Mädchen. Dann ist da noch Henri, der schon jahrelang an seinem Hausboot baut, das aber nie fertig wird, weil er Angst vor dem Wasser und den Wellen hat. Der arbeitslose Sam Malloy mit seiner Frau lebt ebenfalls hier. Die beiden wohnen in einem alten Dampfkessel, der in der Fischfabrik ausgedient hat und jetzt auf einem verkommenen Lagerplatz abgestellt ist. Die Seele der Canney Row aber ist der Doc, ein Biologe, dessen Laboratorium, das „Western Biological“, zugleich seine Wohnung ist. Er ist beliebt bei den sozialen Außenseitern, hilft stets in Notfällen und bei Krankheiten, dennoch ist er ein einsamer Einzelgänger. Das ändert sich, als seine Freunde beschließen, ein Fest für ihn zu veranstalten …

John Steinbeck lebte von 1902 bis 1968. Er war US-amerikanischer Schriftsteller und einer der meistgelesenen Autoren des 20. Jahrhunderts. Er schrieb zahlreiche Romane, Novellen und Kurzgeschichten, verfasste Drehbücher, arbeitete zeitweilig als Journalist und war Kriegsberichterstatter im Zweiten Weltkrieg. 1940 erhielt er den Pulitzer-Preis für seinen Roman „Früchte des Zorns“ und 1962 den Nobelpreis für Literatur.

Die Fischfabrik existiert nicht mehr, dafür steht an deren Stelle jetzt das weltbekannte Monterey Bay Aquarium. Dennoch kann man sich beim bummeln in der Cannery Row die von John Steinbeck in seinem wunderbaren Roman „Die Straße der Ölsardinen“ geschilderten Ereignisse lebhaft vorstellen. Leider hatte ich bei meinem Besuch in Monterey vor etlichen Jahren das Buch noch nicht gelesen, was ich im Nachhinein sehr bedauere.

In 32 Kapitel berichtet der Autor über tragische, komische und erheiternde Begebenheiten, die sich gelegentlich ins Groteske steigern. Dass Steinbeck ein Meister der Erzählkunst ist, merkt man schon nach wenigen Zeilen. Man taucht ein in seine beschriebene Welt, fühlt sich plötzlich als Nachbar, denkt man gehört dazu und trifft auf alte Freunde. Es gelingt ihm, selbst aus Gaunern, Ganoven und Vagabunden die liebenswerte Seite hervorzuholen, so dass sie einem am Ende regelrecht ans Herz gewachsen sind. Man freut sich, wenn ihnen ein guter Coup gelungen ist und sie dabei nicht erwischt wurden. Gewiss handelt es sich um einen romantisch verklärten Roman, der sich aber wunderschön liest und ein wohliges Gefühl hinterlässt.

Fazit: „Die Straße der Ölsardinen“ zu lesen war für mich ein angenehmes Erlebnis – ich empfehle das Buch deshalb gerne weiter!

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Veröffentlicht am 21.06.2023

Es gibt nur einen Ausweg, ausbrechen!

Unorthodox
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1986 geboren, wächst Deborah bei ihren Großeltern in der jüdisch-ultraorthodoxen Glaubensgemeinschaft der Chassiden in Williamsburg im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf. Die Regeln und Traditionen, besonders ...

1986 geboren, wächst Deborah bei ihren Großeltern in der jüdisch-ultraorthodoxen Glaubensgemeinschaft der Chassiden in Williamsburg im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf. Die Regeln und Traditionen, besonders für die Frauen, sind sehr streng. Es darf nur Jiddisch gesprochen werden, Haar und Körper muss von der Kleidung vollständig bedeckt sein, die Farbe Rot ist verboten, Kontakt zu Nicht-Juden ist untersagt. Ein Ehemann wird ihnen vom Erziehungsberechtigten ausgesucht, bei der Hochzeit werden sie kahlrasiert und Empfängnisverhütung ist strikt verboten. Oberstes Gebot der Gemeinschaft ist die Fortpflanzung, um die während des Zweiten Weltkriegs durch das Nazi-Regime in den Konzentrationslagern umgekommenen Juden zu ersetzen. Schon früh rebelliert Deborah gegen die geltenden Regeln, beginnt diese zu hinterfragen und liest heimlich Bücher, die sie gut zu verstecken weiß. Mit 17 wird sie verheiratet und bringt zwei Jahre später einen Sohn zur Welt. Als der Junge drei Jahre alt ist entflieht sie mit ihm der Gemeinschaft in eine ihr bis dahin ihr fremde und unbekannte Welt.

„Unorthodox“ ist eine autobiographische Erzählung, wie die Autorin und Ich-Erzählerin Deborah Feldman in einem Vorwort anmerkt, bei der die Namen und charakteristischen Identifikationsmerkmale aller involvierten Personen geändert wurden um deren Identität zu schützen, die beschriebenen Vorkommnisse jedoch der Wahrheit entsprechen. Ihr Schreibstil ist gradlinig und sachlich, ohne Effekthascherei und falscher Eitelkeit. Vielmehr gewährt sie uns einen tiefen Einblick in das Leben und die Gebräuche dieser ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde und erzählt wie es ihr gelang, sich aus den Fesseln dieser religiösen Extremisten zu befreien. Dabei sollte man sich beim Lesen immer wieder in Erinnerung rufen, dass diese Art zu leben in der heutigen Zeit, im 21. Jahrhundert, mitten in New York, stattfindet. Etwas störend für den Lesefluss sind leider die häufig vorkommenden jiddischen Ausdrücke, zu deren Erklärung man immer das hinten angefügte Glossar aufsuchen muss – Fußnoten wären wohl eine bessere Lösung gewesen.

Fazit: Ein interessantes, lehrreiches und spannendes Buch über ein brisantes Thema, eine Emanzipationsgeschichte die ermutigt und zeigt, dass man sich auch aus vermeintlich ausweglosen Situationen noch befreien kann.

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Veröffentlicht am 12.06.2023

Ein Leben in Müh‘ und Plag‘

Das Band, das uns hält
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Edith Goodnough ist jetzt achtzig Jahre alt, liegt im Krankenhaus und soll des Mordes angeklagt werden. Sie war siebzehn und ihr Bruder Lyman fünfzehn, als ihre Mutter starb und sie alleine mit ihrem stets ...

Edith Goodnough ist jetzt achtzig Jahre alt, liegt im Krankenhaus und soll des Mordes angeklagt werden. Sie war siebzehn und ihr Bruder Lyman fünfzehn, als ihre Mutter starb und sie alleine mit ihrem stets übellaunigen und reizbaren Vater auf dem Hof zurückblieben. Roy Goodnough lässt seine Kinder im Haus, bei der Feldarbeit und bei der Viehzucht ordentlich zupacken und verhindert auch erfolgreich, dass Edith den Nachbarn John Roscoe heiratet. Sie resigniert und fühlt sich verpflichtet, fortan nur noch für Vater und Bruder zu sorgen. Als Lyman eines Tages das Weite sucht, ist Edith allein der Brutalität des durch einen Unfall nun vor ihr abhängigen Vaters ausgeliefert. Einzig John Roscoe, der inzwischen geheiratet und einen Sohn hat, verfolgt argwöhnisch die Zustände auf den Goodnough-Hof und sieht Ediths physischer und psychischer Verfall. Dann, nach zwanzig Jahren Abwesenheit, ist eines Tages Lyman wieder da. Wird sich jetzt Ediths tragisches Leben zum Besseren wenden? …

Der Roman „Das Band, das uns hält“ des US-Schriftstellers Kent Haruf (1943-2014) erschien erstmals 1984 unter dem Originaltitel „The Tie That Binds“ in New York und wurde nun, 2023, in deutscher Sprache vom Diogenes-Verlag herausgebracht. Der in Colorado beheimatete Lehrer schrieb insgesamt sechs Romane, die alle in der fiktiven Kleinstadt Holt spielen und für die er einige Preise und Auszeichnungen erhielt.

Schon zu Beginn ist deutlich zu merken, dass „Das Band, das uns hält“ (2023) >The Tie That Binds< (1984) das erste Buch des Autors ist. Sein Schreibstil ist noch etwas sperrig, hat noch nicht die Routine und die einfühlsame Ausdrucksweise seiner späteren Bücher. Dennoch entführt uns der Autor schon hier in bewegenden und eindringlichen Worten nach Colorado in das kleine Städtchen Holt zu einem Leben von äußerster Kargheit, das von reiner Nächstenliebe und absoluter Pflichterfüllung erfüllt ist. Bereits hier ist schon seine Liebe zum Land, zu Colorado, und zu dem fiktiven Ort Holt mit seinen teils schrulligen, teils aber auch liebenswerten Bewohnern zu spüren. Der Ort ist noch deutlich kleiner und die Gegend dünner besiedelt, als in seinen späteren Romanen. Nichtsdestotrotz, für alle Leser, die Kent Harufs Romane kennen und lieben und die Holt und seine Bewohner ins Herz geschlossen haben, ein absolutes Muss!

Fazit: Mich hat auch dieser erste Roman von Haruf begeistert, und ich kann ihn, wie auch seine anderen Romane über Holt und seine Bewohner, nur wärmstens empfehlen!

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Veröffentlicht am 06.06.2023

Schuld und Sühne

Der Vorleser
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Michael Berg war gerade 15 Jahre alt, als er von Hanna Schmitz, einer 36jährigen Straßenbahnschaffnerin, verführt wird. Es beginnt ein Liebesverhältnis, bei dem er ihr hörig ist und sie ihn für ihre Zwecke ...

Michael Berg war gerade 15 Jahre alt, als er von Hanna Schmitz, einer 36jährigen Straßenbahnschaffnerin, verführt wird. Es beginnt ein Liebesverhältnis, bei dem er ihr hörig ist und sie ihn für ihre Zwecke ausnutzt – er muss ihr stets vorlesen, bevor es zum Sex kommt. Dann, eines Tages, ist Hanna plötzlich spurlos verschwunden, kein Abschied, keine neue Adresse, nichts. – Jahre später, als er während seines Jurastudiums einen KZ-Prozess verfolgt, sieht er sie wieder. Eine der fünf angeklagten Frauen, die Aufseherinnen in Auschwitz waren und an Selektionen beteiligt gewesen sein sollen, ist Hanna …

Der Autor Bernhard Schlink wurde 1944 in Bielefeld geboren, wuchs in Heidelberg auf, studierte in Heidelberg und Berlin Jura, promovierte 1975 in Heidelberg zum Dr. jur. und habilitierte in Freiburg/Brsg. zum Professor für Öffentliches Recht. Er lehrte an den Universitäten in Bonn, Frankfurt/Main und Berlin und war von 1987 bis 2006 Richter am Verfassungsgerichtshof. Seinen Erfolg als Schriftsteller hatte er ab 1987 - inzwischen veröffentlichte er einige Sachbücher und vierzehn Romane, für die er zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhielt. "Der Vorleser" (1995) wurde zu einem internationalen Bestseller. Heute lebt Schlink in New York und Berlin.

Gleich mehrere brisante Themen behandelt der Autor in diesem Roman. Es geht einerseits um die Liebesbeziehung mit einem Minderjährigen, der es danach nie mehr schafft, eine normale Beziehung einzugehen, andererseits um die Verbrechen in den Konzentrationslagern während der NS-Zeit, deren Aufarbeitung und Bewältigung äußerst schmerzlich ist und wohl nie ganz abgeschlossen sein wird, und ein drittes nicht minder wichtiges Thema ist Analphabetismus mit seinen Auswirkungen auf die Psyche der Betroffenen.

Die Geschichte ist in drei Teilen aufgebaut. Wir verfolgen die Entwicklung des Protagonisten vom 15jährigen Schüler zum Jurastudenten und schließlich zum Rechtswissenschaftler. Der Schreibstil ist klar, präzise und von großer Intensität. Der Autor lässt Michael Berg selbst erzählen, so dass man als Leser sich in seine Gedanken und Gefühle hinein versetzen kann. In der Figur von Hanna Schmitz wird dem Leser klar, dass es verschiedene Gründe geben kann, einen Menschen dazu zu bringen, andere zu töten, was ihn jedoch nicht von Schuld und Verantwortung für sein Handeln freispricht. Mehr als einmal stellt sich während des Lesens die Frage: Wie hätte ich gehandelt? Was hätte ich getan? Man denkt darüber nach und stellt fest, dass das Thema Schuld von mehreren Seiten beleuchtet werden kann und jeder für sich selbst entscheiden muss.

Fazit:Ein gutes und wichtiges Buch, das in keinem Bücherschrank fehlen sollte.

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