Profilbild von Fornika

Fornika

Lesejury Star
offline

Fornika ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Fornika über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

Großartige Idee, ausgezeichnet umgesetzt!

Die Unvollendete
0

„Die weiche Dunkelheit lockte sie mit dem Versprechen von Schlaf, endlosem Schlaf, und sachte begann der Schnee zu fallen, bis sie ganz davon bedeckt und alles dunkel war.“

So endet das Leben von Ursula ...

„Die weiche Dunkelheit lockte sie mit dem Versprechen von Schlaf, endlosem Schlaf, und sachte begann der Schnee zu fallen, bis sie ganz davon bedeckt und alles dunkel war.“

So endet das Leben von Ursula Todd. Eines zumindest. Denn jedesmal, wenn sie stirbt, springt die Geschichte zurück, z.B. zum Tag ihrer Geburt. Allein bis sie ihren sechzehnten Geburtstag erlebt, stirbt sie acht Mal um wieder- und wiedergeboren zu werden. Mit der Chance, das Leben anders zu leben und vermeintlich bessere Entscheidungen zu treffen. Doch man darf nicht vergessen, dass auch äußere Umstände und das Verhalten der Mitmenschen eine große Rolle spielen…

Eine großartige Buchidee, ausgezeichnet umgesetzt. Kate Atkinson hat mit Die Unvollendete einen eindringlichen, nachdenklichen, gefühlvollen Roman geschrieben, der sich aber auch nicht scheut, die Grauen und das Elend des zweiten Weltkriegs schonungslos darzustellen, das Ursula so oft hautnah miterlebt.

Die Figur der Ursula ist sehr tiefgründig, sie macht sich Gedanken um das Weltgeschehen, ist außerdem sehr belesen und findet für jede Situation ein entsprechendes Zitat. An ihrem Charakter kann man sehr gut ablesen, dass auch dieser durch Lebensumstände und Mitmenschen geprägt wird, mal ist Ursula eine toughe Frau, in einem anderen Leben völlig eingeschüchtert von ihrem Ehemann. Auch die anderen Protagonisten sind sehr plastisch, mit jedem neuen Leben lernt man auch die Familie und Mitmenschen von Ursula von einer neuen Seite kennen. Das Mutter-Tochter-Verhältnis beispielsweise zeigt alle Facetten von Liebe bis Verachtung und Hass.

Obwohl manche Tage in den verschiedenen Leben von Ursula immer wieder gelebt werden (beispielsweise der Tag ihrer Geburt), ist das keineswegs langweilig; denn jedes Mal wird eine andere Facette des Tages beleuchtet und jedes Mal ist ein Detail anders und man überlegt sich als Leser, welche Auswirkungen einen wohl erwarten werden. Wer ein Buch sucht, um mal schnell ein paar Seiten vor dem Einschlafen zu lesen, für den ist die Unvollendete nicht das Richtige. Um den Überblick über das aktuelle Leben zu behalten, muss man schon aufmerksam lesen, denn sonst geht es einem wie Ursula: „Die Vergangenheit war ein großes Durcheinander in ihrem Kopf“.

Dieses Buch spielt mit der Frage: was wäre wenn? Wenn dieses und jenes anders gelaufen wäre, welche Folgen hätte das? Und man erkennt: manche Zusammenhänge lassen sich nicht vorhersagen; kleine Dinge haben oft Konsequenzen, die man einfach nicht überblicken kann. Und das ist auch gut so.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Intrige – der Name ist Programm

Intrige
0

Frankreich, 5. Januar 1895: Marie-Georges Picquart, Major der französischen Armee wird als Beobachter des Prozesses und der öffentlichen Demütigung des mutmaßlichen, jüdischen Landesverräter Alfred Dreyfus ...

Frankreich, 5. Januar 1895: Marie-Georges Picquart, Major der französischen Armee wird als Beobachter des Prozesses und der öffentlichen Demütigung des mutmaßlichen, jüdischen Landesverräter Alfred Dreyfus eingesetzt. Picquart ist ein integrer Mann, überzeugt von Anstand, Moral und Ehre, entsetzt von den Taten Dreyfus‘ und überzeugt von dessen Schuld. Dreyfus wird auf der Teufelsinsel in Südamerika inhaftiert; Picquart steigt auf zum Chef der Spionageabteilung. In dieser Funktion geraten ihm einige Schriftstücke in die Hände, die Zweifel wecken: nicht Dreyfus ist der Schuldige, sondern ein gewisser Esterházy. Picquart sammelt Beweise und stellt eigenmächtig Nachforschungen an, doch dieser Umstand in seinen Vorgesetzten ein Dorn im Augen, sodass Picquart bald selbst ins Schussfeld gerät…

Ein sehr interessantes und vor allem brisantes Thema hat sich Robert Harris für sein Buch Intrige ausgesucht: die Dreyfus-Affäre, „die größte Verschwörung der Moderne“. Erzählt wird die Geschichte von Major Picquart selbst, der zudem die Ereignisse vor dem 5.1.1895 in Rückblicken Revue passieren lässt. Der Schreibstil ist sehr flüssig, immer wieder werden kunstvoll eindrucksvolle Originalbriefe und Schriften eingeflochten; darunter auch der berühmte offene Brief von Émile Zola „J’accuse“. Besonders dieser Umstand lässt den Leser nie vergessen, dass es sich zwar um einen Roman handelt, dieser jedoch auf Tatsachen beruht, die der Autor hervorragend recherchiert hat.

Mir hat dieses Buch wirklich ausnehmend gut gefallen, dieser widerliche Sumpf aus vertuschten oder manipulierten Beweisen, Falschaussagen, Medienhetze und totgeschwiegenen Zeugen hat mich allerdings manchmal schier ins Buch beißen lassen wollen. Auch der allgegenwärtige, fast schon selbstverständliche Antisemitismus bricht sich immer wieder seine Bahn und sorgt für ein sehr flaues Gefühl in der Magengegend. Wer sein Wissen über die Dreyfus-Affäre auffrischen und erweitern will ist hier richtig; oder wer einen spannenden Spionagethriller sucht; oder wer Bücher über einsame Kämpfer sucht, die gegen alle Widrigkeiten für die Gerechtigkeit einstehen. Einfach ein klasse Buch!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Eine Hommage an die Literatur… und die Queen

The Uncommon Reader
0

Königin Elisabeth II hat einen taffen Job und keine Zeit für Hobbies. Erst recht nicht für die Leserei. Doch eines Tages entdeckt sie zufällig die mobile Leihbücherei im Hof und muss, höflich wie sie ist, ...

Königin Elisabeth II hat einen taffen Job und keine Zeit für Hobbies. Erst recht nicht für die Leserei. Doch eines Tages entdeckt sie zufällig die mobile Leihbücherei im Hof und muss, höflich wie sie ist, ein bisschen Smalltalk machen und ein Buch ausleihen. Obwohl Lesen nicht ihre Sache ist, wird sie vom Buchvirus infiziert und ist mit der Hilfe von Norman, dem einzig anderen Leser im Buckingham Palace immer auf der Suche nach neuem Stoff. Sehr zum Missfallen ihrer Umgebung, denn die sind wahrlich not amused, dass Ihre Majestät ständig mit der Nase im Buch unterwegs ist…

Alan Bennett hat mit The Uncommon Reader ein köstliches Buch geschaffen, witzig und charmant, mit einer gehörigen Portion echten englischen Humors. Obwohl die Ereignisse reine Fiktion sind, nimmt man dem Autor jede Handlung der Queen ab. Trotz ihres gesetzten Alters weiß diese durchaus noch gehörig auszuteilen und die z.T. herrlich bissigen Kommentare von Ihrer Majestät sind einfach nur großartig. Das steife Hofzeremoniell wird gehörig durcheinander gewirbelt und es kommt zu einigen urkomischen Szenen, die hier natürlich nicht verraten werden. Der gemeine Bücherwurm wird sich so manches Mal in der Queen wiederfinden: wer kennt es nicht, das Entsetzen über vergessene Lektüre, die Enttäuschung beim ersten Treffen des liebgewordenen und so hochgeschätzten Autors und nicht zuletzt die fruchtlosen Bekehrungsversuche des Nicht-Lesers… Die Queen macht so Manches durch, entdeckt die alten und neuen Klassiker der Literatur und zeigt im Buch eine erstaunliche Entwicklung, die in einem doch recht unerwarteten Ende gipfelt.

Dem Kenner der Roten Reihe von Reclam sind die Vokabeln und Infos am jeweiligen Seitenende bekannt und auch hier dürfen sie natürlich nicht fehlen. Wie viele der Vokabeln man selbst zum Textverständnis braucht, ist natürlich vom eigenen Wissensstand abhängig, die kleinen Erläuterungen zu genannten Schriftstellern und Werken fand ich in jedem Fall hilfreich. Wer die Angewohnheit hat, das Nachwort zur Einstimmung auf das Buch zu lesen, sollte das bei diesem hier unterlassen, denn die Handlung wird grob zusammengefasst und man nimmt sich so Einiges vorweg.

Fazit: Ein kleines feines Buch, welches man an einem Nachmittag gemütlich bei einer Tasse Tee (englischem natürlich) mit großem Genuss lesen kann.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm

Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm
0

Anna Lehtonen leidet an zunehmendem Gedächtnisverlust und wohnt deswegen in einem Pflegeheim. Obwohl sie schon nicht mehr alleine leben kann, hat sie auch noch einige klare Erinnerungen an glücklichere ...

Anna Lehtonen leidet an zunehmendem Gedächtnisverlust und wohnt deswegen in einem Pflegeheim. Obwohl sie schon nicht mehr alleine leben kann, hat sie auch noch einige klare Erinnerungen an glücklichere Zeiten: das Leben auf ihrer kleinen finnischen Insel mit ihrem Verlobten Antti. Was mit Antti passiert ist und wie sie schließlich in dem Pflegeheim gelandet ist, erfährt man erst durch das Zusammensetzen mehrerer Erinnerungsfetzen.

„Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm“ hat es wirklich in sich. Auch wenn es nicht direkt bestätigt wird, scheint Anna an Demenz zu leiden und der Leser erlebt ihre Entwicklung von einem relativ normalen Geisteszustand zu völliger Verwirrung hin mit. In Erinnerungsfetzen und unklar umrissenen Rückblenden kehrt man mit Anna zurück nach Finnland und zu ihrem späteren Wohnsitz London. Die zunehmende Verwirrung von Anna macht es nicht einfach ihr Leben chronologisch nachzuvollziehen, die einzelnen Lebensabschnitte verschwimmen manchmal ineinander; zwischenzeitlich ist der Leser schon fast genau so verwirrt wie sie und kann nicht mehr zwischen Realität, Erinnerung und Wahnvorstellung unterscheiden. Hinzu kommt noch, dass manche Ereignisse im Laufe der Geschichte unterschiedlich dargestellt werden, Anna kann nicht mehr genau sagen was wie abgelaufen ist und füllt diese Lücken mit ihrer außergewöhnlichen Phantasie bzw. mit ihren Wunschvorstellungen. Nicht alle aufgeworfenen Fragen und Gegebenheiten werden am Ende aufgeklärt, einfach weil Anna diese Dinge selbst nicht (mehr) beantworten kann.

Selja Ahava erzählt diese besondere Geschichte in ganz leisen, fast poetischen Tönen. Klare und ausdrucksstarke Beschreibungen der Natur und von Annas Umgebung zeichnen ein deutliches Bild und gerade durch seine wunderschöne Sprache wird „Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm“ ganz intensiv und wirkt noch lange nach.

Mich hat dieses Buch wirklich sehr beeindruckt und ich würde es jedem, der Interesse an etwas außergewöhnlicher Literatur hat empfehlen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Der Kupfersternträger

Der Teufel von New York
0

Timothy Wilde lebt im New York des Jahres 1845. Er ist Mitglied der frisch gegründeten Polizei, ein "Träger des Kupfersterns" wie er es gerne bezeichnet. Bei einem nächtlichen Kontrollgang findet er ein ...

Timothy Wilde lebt im New York des Jahres 1845. Er ist Mitglied der frisch gegründeten Polizei, ein "Träger des Kupfersterns" wie er es gerne bezeichnet. Bei einem nächtlichen Kontrollgang findet er ein kleines Mädchen, das nur im Nachthemd bekleidet und mit Blut besudelt durch die Straßen irrt. Auf der Flucht vor - ja vor wem eigentlich? Timothy ermittelt und stößt auf ein fürchterliches Verbrechen, bei dessen Aufklärung er nicht nur gegen die üblichen Widrigkeiten zu kämpfen hat, sondern sich auch mit dem allgegenwärtigen Hass gegen irische Einwanderer und das Papsttum beschäftigen muss.

Lyndsay Faye hat hier einen tollen Serienauftakt abgeliefert, ihre Geschichte ist sehr anschaulich und flüssig geschrieben und ließ sich nur schwer aus den Händen legen. Die New Yorker Szenerie ist sehr bildhaft beschrieben, man sieht Timothy vor dem geistigen Auge durch den städtischen Sumpf waten. Wilde ist ein vielschichtiger Charakter, den man auch durch die Verwendung der erzählerischen Ich-Perspektive sehr gut kennen und schätzen lernt. Zunächst etwas naiv und planlos nimmt er seine Rolle als Polizist immer mehr an und der Leser kann diese Entwicklung gut nachvollziehen.

Neben der Spannung kommt aber auch der historische Aspekt nicht zu kurz. Jedem Kapitel sind kurze Ausschnitte aus Zeitungen, Briefen o.ä. vorangestellt, die die aufgeheizte Stimmung zur damaligen Zeit mehr als deutlich machen. Authentisch ist auch die verwendete Gaunersprache „Flash“, die von zwielichtigen Gestalten gesprochen wurde und deren Übersetzung man im Anhang des Buches finden kann. Die Entstehung des ersten Flash-Wörterbuches wird gekonnt in die Story eingearbeitet.

Mir hat „Der Teufel von New York“ wirklich sehr gut gefallen und ich warte jetzt sehnsüchtig auf den zweiten Teil dieser vielversprechenden Reihe um die ersten Kupfersternträger des Big Apple.