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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.01.2023

Aktuelles und emotionales Buch

Rote Sirenen
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Victoria Belim ist in der Ukraine geboren, zieht als Teenager mit ihren Eltern in die USA und später mit ihrem Ehemann nach Belgien. Als 2014 Russland die Krim annektiert, reist Victoria für einen längeren ...

Victoria Belim ist in der Ukraine geboren, zieht als Teenager mit ihren Eltern in die USA und später mit ihrem Ehemann nach Belgien. Als 2014 Russland die Krim annektiert, reist Victoria für einen längeren Aufenthalt in die Ukraine und macht sich auf die Suche nach ihren Wurzeln.

Im Zentrum ihrer familiären Spurensuche steht die Suche nach ihrem Urgroßonkel Nikodim, der in den 1930er Jahren spurlos verschwan - keine Seltenheit im damaligen politischen System. Dabei zeigt sich immer wieder der Konflikt zwischen den Generationen: Victoria möchte wissen, was mit ihren Vorfahren geschehen ist, sieht die Sowjetunion kritisch. Ihre Großmutter Valentina und ihr Onkel Vladimir sehen die Sowjetunion auch teils positiv (etwas, das Victoria nicht nachvollziehen kann), Valentina hat aber gleichzeitig eine solche Angst vor dem System, dass sie die Suche nach Nikodim eigentlich unterbinden möchte.

Durch Victorias Suche erfährt man viel von der Geschichte des Landes - mir ist (mal wieder) bewusst geworden, wie wenig ich da eigentlich weiß. Zugegebenermaßen, das Buch hatte für mich persönlich im Mittelteil einige Längen, diese wurden allerdings durch die Einblicke wieder wettgemacht.

“Rote Sirenen” hat sehr emotional aufgezeigt, welche Auswirkungen ein solches politisches System hat und wie lange es sich noch ausgewirkt hat beziehungsweise immer noch auswirkt. An der Stelle im Buch, als Victoria Belim aufgedeckt hat, was mit Nikodim geschehen ist und vor allem, wie es seiner Familie danach ging, hatte ich beim lesen Tränen in den Augen. “Sogar nach dem Ende der Sowjetunion wurden die Kinder für die vermeintlichen Verbrechen ihrer Väter verantwortlich gemacht.” (S. 265)

Besonders berührt hat mich dann nochmal das im August 2022 geschriebene Nachwort, in dem die Autorin auf ihre Suche und die aktuelle Situation in der Ukraine zurückblickt: “Ich habe mich manchmal bitter gefragt, ob wir 2022 in diese Situation geraten wären, wenn sich die Welt 2014 mehr um mein Land geschert hätte.” (S. 346)

Empfehlung für alle, die mehr über die Geschichte der Ukraine und die Auswirkungen der Sowjetunion erfahren möchten, und/oder gerne persönliche Erzählungen über Familie/Herkunft/Identität lesen!

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Veröffentlicht am 13.01.2023

Aktuelles Thema

Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?
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Unter dem grandiosen Titel “Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?” hat Sara Weber ein für mich - und ich glaube auch für viele andere - sehr aktuelles Buch geschrieben.

Vom ersten Teil ...

Unter dem grandiosen Titel “Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?” hat Sara Weber ein für mich - und ich glaube auch für viele andere - sehr aktuelles Buch geschrieben.

Vom ersten Teil des Buches war ich wahnsinnig begeistert. Der Gedanke “Wie will ich eigentlich in Zukunft arbeiten und leben?” ist bei mir momentan sehr präsent - quasi nur fürs Wochenende leben ist etwas, das mir sehr widerstrebt. Gerade Vertreter*innen der “Gen Z” wird immer wieder vorgeworfen, einfach nur zu faul zum arbeiten zu sein, wenn sie den Status Quo der Arbeitswelt nicht akzeptieren wollen. Mit diesem Mythos räumt Sara Weber im ersten Teil aber gewaltig auf. Ich habe mein Lesen regelmäßig mit dem Kopf genickt und mich sehr verstanden gefühlt.

Den zweiten Teil des Buches fand ich zwar gut, aber er konnte mich nicht mehr ganz so sehr begeistern. Das lag nicht per se am Buch selbst - Sara Weber hat einen sehr angenehm zu lesenden Schreibstil (besonders für ein Sachbuch!), das Buch ist gut recherchiert und die Argumente schlüssig. Aber wirklich viel Neues war für mich persönlich nicht mehr dabei.

Wer sich beispielsweise schon etwas ausführlicher mit intersektionalem Feminismus auseinander gesetzt hat, wird im Kapitel “Was, wenn Arbeit wirklich gleichberechtigt wäre?” kaum etwas lesen, was man nicht schon kannte.

So erging es mir auch mit den anderen Kapiteln in Teil 2. Ich bin beispielsweise relativ aktiv auf LinkedIn und lese dort gerne Beiträge zum Thema “Zukunft der Arbeit” (weshalb mich dieses Buch auch so sehr interessiert hat) und ab und an auch mal Artikel dazu in Zeitungen. Dadurch kannte ich persönlich schon die Problembeschreibungen, die dann auch in den einzelnen Kapiteln ausgeführt wurden. Die Lösungsvorschläge der Autorin fand ich interessant, haben aber für mich zu wenig Raum eingenommen, um mich mit diesem Teil nochmal so richtig begeistern zu können.

Trotzdem habe ich das Buch gerne gelesen und einiges markiert - auch wenn ich vieles schon kannte, fand ich es trotzdem gut, diese noch einmal gesammelt in einem Buch zu haben, statt in diversen Online-Artikeln. Eine absolute Kaufempfehlung würde ich an diejenigen aussprechen, die sich mit dem Thema noch nicht auseinander gesetzt haben. Dem Rest empfehle ich, mal in der Buchhandlung reinzulesen.

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Veröffentlicht am 02.08.2022

Dünnes Buch mit viel Inhalt!

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Kayleigh arbeitete für HEXA, einer Sub-Firma einer Social-Media-Plattform. Als Content-Moderatorin war sie dafür verantwortlich, den hochgeladenen Content zu prüfen, und das unter prekären Bedingungen: ...

Kayleigh arbeitete für HEXA, einer Sub-Firma einer Social-Media-Plattform. Als Content-Moderatorin war sie dafür verantwortlich, den hochgeladenen Content zu prüfen, und das unter prekären Bedingungen: verstörende Bilder, kaum Pause, beim Gang zur Toilette läuft die Stoppuhr. Ihre ehemaligen Kolleginnen verklagen HEXA, der Roman ist Brief der Protagonistin an den Anwalt der Klägerinnen, in dem sie erklärt, warum sie sich der Klage nicht anschließen wird.

Vor dem Hintergrund einer Beziehung mit einer anderen Content-Moderatorin und der Freundschaft mit einer Gruppe von Kollegen zeigen sich die Auswirkungen davon, wenn Menschen tagein tagaus verstörenden, gewaltvollen Content sehen müssen. Hier wäre auch mein Kritikpunkt: Ich mochte, dass das Buch so kurz und knackig war und trotzdem so viel drin gesteckt hat, trotzdem hätte ich mir zu diesem Aspekt noch ein paar Seiten mehr, etwas mehr Tiefe gewünscht.

Ansonsten war es ein super „Snack-Buch“: etwas über 100 Seiten lang, mit viel Gesellschaftskritik und einer Storyline, die mich ziemlich gefesselt hat – kann definitiv empfehlen, genug Zeit einzuplanen, es in einem Rutsch „wegzusnacken“. Lediglich das Ende, als die letzten 5 Seiten, haben mir nicht ganz so gut gefallen, obwohl sie mich gleichermaßen auch ziemlich zum nachdenken angeregt haben. Insgesamt bin ich (aufrgund der eher durchschnittlichen Bewertungen auf Goodreads) doch sehr positiv überrascht und mochte es echt gern!

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Veröffentlicht am 19.08.2023

Zwiegespalten

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
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Eine Frau, alleinerziehend, deren nun volljährige Kinder ausziehen, weshalb sie sich ihre Wohnung nicht mehr leisten kann und sich verkleinern muss, die versucht herauszufinden, wer sie eigentlich ist ...

Eine Frau, alleinerziehend, deren nun volljährige Kinder ausziehen, weshalb sie sich ihre Wohnung nicht mehr leisten kann und sich verkleinern muss, die versucht herauszufinden, wer sie eigentlich ist und dafür in Fotos, Erinnerungen und Familiengeschichten wühlt. Ein Roman, geschrieben im Stil von Autofiktion, als Hauptthema weibliche Selbstfindung – eigentlich genau mein Ding. Trotzdem lässt mich der Roman zwiegespalten zurück.
Zum einen ist da dieser grandiose Einstieg: „Der Hund hat schon wieder ins Auto gekotzt. Er hielt durch, bis ich auf den Parkplatz bei der Hundewiese einbog, dann brach es aus ihm heraus.“ (S. 7). Bin ja ein Fan von guten ersten Sätzen und der hier hatte mich sofort. Und auch sonst waren da wirklich einige Stellen drin, bei denen ich sofort meinen Bleistift gezückt und unterstrichen habe, beispielsweise dieses schöne Zitat: „Die Frau, über die ich schreibe, gibt es nicht. Sie ist ein Konstrukt, zusammengesetzt aus Erinnerungen, viele davon fehlerhaft, aus Selbstüberhöhung und Selbsthass, aus Erzählungen von anderen, aus Bildern in Fotoalben.“ (S. 88)
Dann gab es aber auch die andere Seite, denn immer wieder kamen dann Stellen, die mich so gar nicht erreicht haben und mittendrin hatte ich einen so richtigen Durchhänger, dass ich kurz – trotz der vielen Unterstreichungen – überlegt habe, das Buch abzubrechen, weil ich nicht so ganz wusste, wo es eigentlich noch hinwill und dadurch auch irgendwie das Interesse verloren habe. Das lag zum Teil auch an der Protagonistin: Einen großen Teil der Erzählung nehmen ihre finanziellen Sorgen ein und der Wunsch, ihre Wohnung nicht verlassen zu müssen und auf Wohnungssuche festzustellen, dass sie sich ihre Wunschwohnungen nicht leisten kann (alles absolut verständlich!). Zwischen den Wiederholungen zu ihren finanziellen Nöten erfährt man allerdings, dass sie zwei Immobilien besitzt: Ein Haus auf dem Land, ein kleines Apartment in der Stadt - in beide möchte sie aber nicht ziehen. Konnte ich persönlich (zumindest für eine Übergangslösung) nicht so ganz nachvollziehen.
3,5/5

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Veröffentlicht am 27.02.2023

Schöner, etwas seichter Familienroman

Als Großmutter im Regen tanzte
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[TW: Häusliche Gewalt, Vergewaltigung]
“Als Großmutter im Regen tanzte” erzählt eingebettet in eine Familienerzählung um drei Generationen von Frauen eine norwegische Erfahrung des zweiten Weltkrieges. ...

[TW: Häusliche Gewalt, Vergewaltigung]
“Als Großmutter im Regen tanzte” erzählt eingebettet in eine Familienerzählung um drei Generationen von Frauen eine norwegische Erfahrung des zweiten Weltkrieges. Die Großmutter Thekla verliebte sich in Norwegen in einen deutschen Soldaten, wurde in der norwegischen Bevölkerung (und der eigenen Familie) als “Deutschenh*re” verächtet und ist mit ihm zurück ins zerstörte Nachkriegsdeutschland gegangen. Otto’s Familie wohnt in Demmin - und wer mit der (in Deutschland tatsächlich eher unbekannten) Tragödie von Demmin vertraut ist, kann schon erahnen, was Thekla erleben wird. Enkeltochter Juni möchte nach dem Tod von ihrer Mutter und Großmutter herausfinden, wer sie eigentlich ist und was damals mit ihrerer Großmutter geschehen ist, erzählt wird auf zwei Zeitebenen und aus zwei Perspektiven, der von Thekla und der von Juni.

Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, es lässt sich flott wegschmökern und zu historischen Themen lese ich generell ziemlich gerne. Obwohl ich es mochte, muss ich aber auch sagen, dass es leider für mich ein bisschen zu seicht und oberflächlich geblieben ist.

Da war für mich einfach viel komplett vorhersehbar. Auch sprachlich habe ich es eher als oberflächlich empfunden. Gerade bei den Teilen, die in Deutschland spielen, hatte ich mehr Tiefgang erwartet in den Beschreibungen und auch den Emotionen.

Auch wenn das jetzt sehr meckrig klingt: Gelesen habe ich das Buch trotzdem gern. Es war nur dadurch kein Highlight, auch wenn da thematisch das Potenzial dagwesen wäre. Ich denke es kommt letztenendes darauf an, mit welchem Anspruch man an dieses Buch herangeht. Wer einen detaillierten, krass recherchierten historischen Roman sucht, wird hiermit nicht glücklich werden, wer (wie ich im Moment des lesens) einen Schmöker für’s Wochenende oder einen Unterhaltungsroman mit etwas Tiefgang aufgrund des geschichtlichen Themas sucht und über leicht vorhersehbare Elemente hinweggucken kann, für den könnte das hier was sein!

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