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Veröffentlicht am 28.09.2023

Flucht ins Ungewisse

Die Kinder des Don Arrigo
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Natan ist 11 Jahre alt, als sein Vater nachts von den Braunhemden abgeholt wird. Es ist für Juden sehr gefährlich geworden in Berlin, deshalb versucht eine Organisation um Frau Recha Freier wenigstens ...

Natan ist 11 Jahre alt, als sein Vater nachts von den Braunhemden abgeholt wird. Es ist für Juden sehr gefährlich geworden in Berlin, deshalb versucht eine Organisation um Frau Recha Freier wenigstens die Kinder in Sicherheit zu bringen. In kleinen Gruppen geht’s mit dem Zug nach Wien, dann nach Graz und von dort auf einem LKW zur Grenze nach Jugoslawien, wo sie im Schneetreiben vergeblich auf einen Schleuser warten. Ein hilfsbereiter Bauer bringt sie über die Grenze ins nächste Polizeirevier, von wo aus man sie weiter nach Zagreb schickt. Aber auch dort tauchen bald die Häscher in den braunen Hemden auf. Mit falschen Papieren kommen die Kinder weiter nach Slowenien, wo sie in einem alten Schloss für etwa ein Jahr in Sicherheit sind. Danach geht‘s mit dem Zug weiter nach Italien, zunächst nach Modena und dann weiter in den kleinen Ort Nonantola, wo sie in der alten verlassenen Villa Emma Unterschlupf finden. Hier können sie bleiben und zur Ruhe kommen, obwohl ihr Ziel eigentlich Israel ist. Die Dorfgemeinschaft unter Pfarrer Don Arrigo tut alles, dass sich die Kinder wohlfühlen. Doch dann tauchen auch hier die ersten Nazi-Soldaten auf …

Der italienische Schriftsteller Ivan Sciapeconi, geb. 1969, ist Grundschullehrer und schrieb bisher Kinder- und Jugendbücher. Seine Begeisterung für Geschichte brachte ihn zur Recherche für seinen ersten Roman für Erwachsene „Die Kinder des Don Arrigo“ (2023). Der Autor lebt mit seiner Frau in Modena.

Seine akribischen Recherchen veranlassten Sciapeconi, diesen Roman nach einer wahren Geschichte zu schreiben. Der Protagonist und Erzähler des Geschehens, Natan, ein zu Beginn elfjähriger jüdischer Junge, ist eine ausgedachte Figur. Es sind hauptsächlich seine Gedanken, seine Gefühle, seine Erlebnisse und seine Ängste, die uns so berühren. Alle anderen Charaktere, auch die Betreuer der Gruppe, sind sehr authentisch und ihre Handlungsweisen gut nachvollziehbar. Der Schreibstil ist dabei eher ruhig gehalten. Der Roman ist eine Hommage an den Mut der vielen, teils unbekannten, Retter und an die Bevölkerung des Dorfes Nonantola, die die jüdischen Kinder vor den Nazis schützten und versteckten. Am Ende des Buches sind die 85 Namen der Kinder, Jugendlichen und ihrer Begleiter, die dort in der Villa Emma Unterschlupf fanden, aufgeführt. Im Nachwort des Autors berichtet er über das weitere Schicksal einiger Helfer, damit ihre Namen nie in Vergessenheit geraten werden.

Fazit: Roman nach einer wahren Geschichte über eine schier unglaubliche Flucht – ein Stück Zeitgeschichte. Sehr lesenswert!

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Veröffentlicht am 26.09.2023

Erinnere dich nicht, sonst musst du sterben

Ein Fluss so rot und schwarz
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Ein Mann erwacht auf einem Schiff und kann sich an nichts erinnern, er kennt nicht mal seinen Namen. Auf seinem Arm entdeckt er eine Tätowierung, »Huxley«. Mit ihm sind noch fünf weitere Menschen an Bord, ...

Ein Mann erwacht auf einem Schiff und kann sich an nichts erinnern, er kennt nicht mal seinen Namen. Auf seinem Arm entdeckt er eine Tätowierung, »Huxley«. Mit ihm sind noch fünf weitere Menschen an Bord, alle ohne Erinnerung – und ein Toter. Das Schiff, ein militärisch ausgerüstetes Patrouillenboot, wird von einem Autopiloten gesteuert, auf den sie keinen Einfluss haben. Auf einem plötzlich aufleuchtenden Monitor erkennen sie, dass sie sich offenbar auf der Themse befinden. Im dichten Nebel hören sie vom Ufer her unmenschliche Schreie. Was ist hier nur geschehen? Welche Gefahren lauern auf sie? Da taucht in der Ferne die Themse-Sperre auf, die London vor Überflutung schützen soll. Über ein Satelliten-Telefon erhalten sie nun ihre Anweisungen und während die Schreie immer lauter werden, werden sie unaufhaltsam in ein zerstörtes London gesteuert …

Anthony Ryan, geb. 1970, ist ein schottischer Fantasy- und Science-Fiction-Autor. Er hat einen Abschluss in mittelalterlicher Geschichte und arbeitete als Forscher, bevor er 2013 mit dem Schreiben begann. Inzwischen schrieb er mehrere Serien und Kurzgeschichten, die auch in Deutsch erhältlich sind. Derzeit lebt er in London.

Der Autor präsentiert uns hier einen Horror-Thriller voller Action und Spannung. Schon der Anfang von „Ein Fluss so rot und schwarz“ fesselt und sofort setzt das Kopfkino ein, denn allein die Vorstellung dieser postapokalyptischen Welt ist beängstigend und verstörend. Ohne durchzuatmen fliegt man über die Seiten und hetzt in rasendem Tempo mit den Protagonisten den Fluss entlang. Fragen über die Hintergründe tun sich auf, und ganz allmählich werden die Vermutungen zur Gewissheit. Eine bedrohliche Situation jagt die nächste, ein kleiner Fehler bedeutet den sicheren Tod. Einige extrem brutale, ja ekelerregende Szenen verlangen vom Leser starke Nerven und der äußerst unerwartete, aber sehr passende, Schluss trägt auch nicht zur Beruhigung bei.

Fazit: Ein Horror-Schocker mit interessanten Charakteren, der Gänsehaut-Feeling garantiert.

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Veröffentlicht am 25.09.2023

„Das Fastenmädchen“

Das Wunder
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Wir befinden uns in Irland in der Mitte des 19. Jahrhunderts, wo die katholische Bevölkerung noch tief gläubig ist. Die englische Krankenschwester Lib (Elizabeth) Wright ist auf dem Weg nach Athlone, ...

Wir befinden uns in Irland in der Mitte des 19. Jahrhunderts, wo die katholische Bevölkerung noch tief gläubig ist. Die englische Krankenschwester Lib (Elizabeth) Wright ist auf dem Weg nach Athlone, einem Dorf, in dem sich angeblich ein Wunder ereignet. Die elfjährige Anna O’Donnell soll seit dem Tag ihrer Firmung vor vier Monaten keine Nahrung mehr zu sich genommen haben, mit Gottes Hilfe aber immer noch gesund und munter sein. Zusammen mit einer Nonne hat Lib den Auftrag, das Mädchen zwei Wochen lang zu überwachen und danach einem Komitee Bericht zu erstatten. Als sie aber nach einigen Tagen die Bewachung abbrechen will, da sie nicht länger zusehen kann, wie sich ein kleines Mädchen unter den Augen des Priesters, des Arztes und der bigotten Eltern zu Tode hungert, findet sie nirgendwo Gehör. Doch dann bekommt sie unverhofft Hilfe von William Byrne, einem ebenfalls angereisten Journalisten …

„Das Wunder“ (2016 The Wonder) ist der neunte Roman der kanadischen Schriftstellerin irischer Herkunft Emma Donoghue. Sie wurde 1969 in Dublin geboren, verlegte nach ihrem Studium in Dublin und Cambridge ihren Wohnsitz 1998 nach Kanada. 2004 erwarb sie die kanadische Staatsangehörigkeit und wohnt heute mit ihrer Lebensgefährtin und ihren Kindern in London/Ontario.

Wie die Autorin in einem Nachwort erwähnt ist die Geschichte frei erfunden, wirkte jedoch auf mich beim Lesen sehr realistisch. Die damalige Zeit in Irland, die nach der großen Hungersnot noch immer vom Elend geprägt war und in der sich Glaube, Aberglaube und religiöser Wahn ausbreiten konnte, ist ausgezeichnet beschrieben und sehr anschaulich geschildert. Unvorhersehbare Wendungen verleihen dem manchmal beunruhigend realen Geschehen seine Spannung und lassen den Leser seine eigenen Vermutungen anstellen. Warum verweigert Anna die Nahrung? Täuscht sie vielleicht ihre Umgebung? Steckt ihr jemand heimlich Essen zu? Wird das Mädchen vom Arzt oder gar vom Priester beeinflusst? Oder ist es vielleicht doch ein Wunder?

Die einzelnen Charaktere sind sehr lebensecht dargestellt, besonders die Beziehung zwischen Lib und Anna ist berührend in ihrer allmählichen Entwicklung. Anfangs bezeichnet die Krankenschwester das Kind noch als Betrügerin, doch nach und nach wächst Anna ihr immer mehr ans Herz und sie sorgt sich um ihr Wohlergehen. Es machen sich auch andere Emotionen breit, besonders Hass auf die gleichgültige Mutter und Ärger auf die Umgebung des Kindes, die sich offenbar keiner Schuld bewusst sind. Man ist als Leser ganz bei Lib und ihren Gefühlen und hofft ständig, dass sich alles noch zum Guten wenden wird. Sprachlich ist das Buch ganz dem Geschehen angepasst, anfangs ist der Schreibstil noch recht nüchtern, mit Fortschreiten der Geschichte wird er mehr und mehr emotional.

Fazit: Ein außergewöhnliches Thema ist hier mitreißend und spannend umgesetzt worden. Schwer verdaulich, dennoch kann ich das Buch wärmstens empfehlen!

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Veröffentlicht am 21.09.2023

Faszination Raumfahrt

Höllenritt durch Raum und Zeit
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Der Astronaut und Autor dieses Buches, der in München lebende und an der TU lehrende Inhaber des Bundesverdienstkreuzes Prof. Dr. Ulrich Walter, Jahrgang 1954, ist studierter Physiker und einer von elf ...

Der Astronaut und Autor dieses Buches, der in München lebende und an der TU lehrende Inhaber des Bundesverdienstkreuzes Prof. Dr. Ulrich Walter, Jahrgang 1954, ist studierter Physiker und einer von elf Deutschen, die bereits im Weltall waren. 1993 umrundete er im europäischen Raumlabor Spacelab an Bord der Raumfähre Columbia zehn Tage lang die Erde und berichtet hier von seinen Erlebnissen. Bereits die Schilderung vom Start lässt uns erahnen, welchen Höllenritt die Astronauten dabei durchmachen und wie gefährlich besonders die Minuten nach dem Start sind. Er erzählt uns, wie sie mit der Angst umgehen, wie sie in der Schwerelosigkeit essen, trinken und schlafen und wie dort oben ein Toilettengang vonstattengeht. Alles ist für den Laien gut erklärt und wird durch Fotos näher verdeutlicht.

„Höllenritt durch Raum und Zeit“ ist jedoch nicht nur für den Laien aufschlussreich, sondern auch für begeisterte Fans der Raumfahrt und der Erforschung des Weltalls generell. Wir erfahren mehr über die verschiedenen Möglichkeiten der Raketenantriebe, über den Warp-Antrieb, über Zeitreisen und über eventuelle zukünftige Missionen. Auch vergangenes wird zum Thema, so die Entwicklung von Wernher von Braun bis zu Elon Musk und SpaceX. Die Gefährlichkeit von Weltraummüll für die ISS und für stationäre Satelliten wird ebenso erläutert, wie auch künftige Pläne der NASA, der ESA und die Aktivitäten diverser anderer Nationen. Ein Kapitel über die Zukunft der Astronautik und einige von Ulrich Walter gesammelte Aphorismen über Raumfahrt runden das Werk gekonnt ab.

Fazit: Spannend und faszinierend - sowohl für Laien, als auch für Interessenten und Fans der Raumfahrt sehr empfehlenswert!

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Veröffentlicht am 19.09.2023

Sieg der Wissenschaft über eine Geisel der Menschheit

Die Formel der Hoffnung
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In bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen und in den 1940er Jahren unter erschwerten Bedingungen ihr Medizinstudium in San Francisco abgeschlossen, hat es Dr. Dorothy Horstmann schwer, in der dominanten ...

In bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen und in den 1940er Jahren unter erschwerten Bedingungen ihr Medizinstudium in San Francisco abgeschlossen, hat es Dr. Dorothy Horstmann schwer, in der dominanten Männerwelt eine ihrer Ausbildung angemessene Stelle zu finden. Durch einen glücklichen Zufall, man hält sie für einen Mann, wird sie im Vanderbilt-Hospital in Nashville als Assistenzärztin angestellt. Dort wird sie hautnah mit dem Elend der weltweit grassierenden Polio-Pandemie konfrontiert, die überwiegend Kinder befällt und sie zeitlebens in den Rollstuhl oder gar in die Eiserne Lunge zwingt. Dorothy beschließt einen Impfstoff zu entwickeln, um diese heimtückische Krankheit zu besiegen. Dafür opfert sie ihre ganze Kraft und setzt dabei sogar ihr Leben und ihr privates Glück aufs Spiel …

Die US-amerikanische Schriftstellerin Lynn Cullen wuchs in Fort Wayne/Indiana in einer kinderreichen Familie auf. Nach dem Besuch der Indiana University in Bloomington und in Fort Wayne belegte sie Schreibkurse an der Georgia State University. Sie begann mit dem Schreiben von Kinderbüchern und veröffentlichte danach mehrere historische Romane, die in den USA zu Bestsellern wurden. Heute lebt die Autorin mit ihrer Familie in Atlanta.

Wie die Autorin im Nachwort ausführt, handelt es sich hier um einen Roman und nicht um eine Biografie. Das Leben der Dorothy Horstmann (1911-2001) wie es hier geschildert wird beruht auf dem, was sie aus Artikeln, Briefen, Büchern, Erzählungen und mündlichen Quellen zusammentragen konnte – die anderen Charaktere beruhen teils auf realen Vorbildern >Dr. Jonas Edward Salk (1914-1995) und Dr. Albert Bruce Sabin (1906-1993)<, oder sie sind teils komplett erfunden. Jedenfalls könnte der Kampf gegen die Kinderlähmung so oder so ähnlich passiert sein. Man darf daher keine wissenschaftliche Abhandlung erwarten, sondern eine gefühlsbetonte Geschichte über 20 Jahre im Leben einer Ärztin und Wissenschaftlerin, die maßgeblich an der Entwicklung des Impfstoffes gegen Polio beteiligt war.

Der Schreibstil ist flüssig und angenehm zu lesen, die Suche nach einem Impfstoff ist sehr spannend und auch für den medizinischen Laien gut verständlich beschrieben. Es wird klar hervorgehoben, dass wir Frau Dr. Dorothy Horstmann sehr viel zu verdanken haben, auch wenn die männliche Ärzteschaft letztendlich die Lorbeeren ihrer Arbeit einsammeln konnte. Eine Auflistung am Ende des Buches über die in der Geschichte handelnden Personen ist sehr hilfreich und trägt zum guten Verständnis bei.

Fazit: Spannender Roman über das Leben der Ärztin Dr. Dorothy Horstmann, ohne die es den Impfstoff gegen Polio nicht gegeben hätte. Interessant und sehr empfehlenswert!

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