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Veröffentlicht am 18.10.2023

Unterhaltsamer Kriminalroman

Der Botaniker
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Einmal mehr muss man sich über die seltsame Veröffentlichungspraxis der deutschen Verlage wundern, denn M. W. Cravens „Der Botaniker“ ist bereits Band 5 der 2019 mit dem CWA Gold Dagger ausgezeichneten ...

Einmal mehr muss man sich über die seltsame Veröffentlichungspraxis der deutschen Verlage wundern, denn M. W. Cravens „Der Botaniker“ ist bereits Band 5 der 2019 mit dem CWA Gold Dagger ausgezeichneten Reihe mit Detective Sergeant Washington Poe und seiner Partnerin Tilly Bradshaw. Und es wäre in der Tat schade, wenn man uns die anderen Bände vorenthielte.

Worum geht es? Die Frage lässt sich leicht beantworten. Das Team um DS Poe bekommt es mit einer Mordserie zu tun, in der der Täter den zukünftigen Opfern Gedichte und Trockenblumen zusendet, weshalb er in der Berichterstattung der Presse als Botaniker bezeichnet wird (Fall 1). Die Öffentlichkeit beklatscht seine Taten, hat mit den Opfern wenig Mitleid, waren es doch allesamt zwielichtige Unsympathen, die in der Vergangenheit vor allem durch ihr abstoßendes Verhalten auffielen.

Die Reihe lebt von dem Zusammenspiel des Teams um DS Poe, den knorrigen Zyniker, der für die Serious Crime Analysis Section arbeitet, einer Unterabteilung innerhalb der britischen National Crime Agency, die die schwierigen Fälle auf den Tisch bekommt. Unterstützt wird er von Tilly Bradshaw, einer hochbegabten externen Analystin, die aber außerhalb ihrer Arbeit kaum in der Lage ist, den Alltag zu meistern. Dann wäre da noch die in diesem Band unter Mordverdacht stehende, scharfzüngige Pathologin Estelle Doyle, deren Unschuld es zu beweisen gilt (Fall 2). Nicht zu vergessen DI Stephanie Flynn, die Chefin im Ring. Und keine/r dieser Vier schleppt ein unbewältigtes Trauma mit sich herum.

Sympathische Protagonisten, trockene, humorvolle Dialoge, zwei raffiniert konstruierte Locked-Room-Fällen mit überraschenden Wendungen, eine rasch voranschreitende Handlung, ein fesselnder, cleverer Kriminalroman, der ohne Einschränkung unterhält.

Veröffentlicht am 15.10.2023

Von einer, die den Tod ungeduldig macht

Wie Sterben geht
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Wie bereits in „Operation Rubikon“ und „Ritchie Girl“ legt Andreas Pflüger mit „Wie sterben geht“ einen spannenden Politthriller vor, dessen komplexe Handlung eng mit realen Vorkommnissen der internationalen ...

Wie bereits in „Operation Rubikon“ und „Ritchie Girl“ legt Andreas Pflüger mit „Wie sterben geht“ einen spannenden Politthriller vor, dessen komplexe Handlung eng mit realen Vorkommnissen der internationalen Politik verwoben ist. Und einmal mehr steht mit Nina Winter nach Sophie Wolf, Jenny Aaron und Paula Bloom eine beeindruckende Frauenfigur im Mittelpunkt (übrigens werden sowohl Jenny als auch Sophie in einem Nebensatz kurz erwähnt).

Hier also Nina Winter, nach einem Zwischenstopp im Kulturreferat des Auswärtigen Amtes vom BND als Analystin angeworben. Eine Langstreckenläuferin, die gewohnt ist, über die Schmerzgrenze zu gehen und von Rem Kukura, dem russischen Top-Agenten des BND, Deckname Pilger, als Führungsoffizier angefordert wird. Nina, die in Moskau zwischen die Mühlsteine der Geheimdienste gerät und mehr als einmal dem Tod ins Auge blickt, in Augenblicken der Gefahr über sich hinauswächst, um diejenigen, die ihr am Herzen liegen zu beschützen.

Die Weltlage ist angespannt, hinter den Kulissen bringen sich die Kalten Krieger in Stellung. Nichts Neues im Osten und Westen. Schmutzigen Spielchen sind an der Tagesordnung. Opfer? Zählen nicht. CIA, KGB, HVA. Und mittendrin der BND.

Berlin, 1983. Der Anfang ist das Ende. Fast. Als die Glienicker Brücke in die Luft, scheint es, als wären alle ihre Anstrengungen vergebens gewesen. Bleibt die Frage, wer und warum ist dafür verantwortlich. Um diese Frage zu beantworten, ist eine Reise in die Vergangenheit unumgänglich. Und so begleiten wir Nina auf ihrem Weg zurück zu den Anfängen. Beobachten ihre Ausbildung durch Thräne (neben Nina meine Lieblingsfigur), folgen ihr nach Moskau, bewegen uns auf Schüttelstrecken und Reinigungsschleusen durch die dunklen Gassen der russischen Hauptstadt auf dem Weg zu Treffpunkten und toten Briefkästen. Immer auf der Hut und bereit, den Berserkergang zu gehen. Koste es, was es wolle. Und wenn es das eigene Leben ist.

„Wie Sterben geht“ ist ein actionreicher Spionagethriller der Superlative, in dem einfach alles stimmt: Sprachlich auf höchstem Niveau, wobei der trockene Humor des Autors immer wieder für leises Schmunzeln sorgt. Hervorragend geplottet, hier merkt man den langjährigen Drehbuchautor und Filmliebhaber. Sehr gut recherchiert und mit realistischem Zeitkolorit durch die Verbindung von Zeitgeschichte und Fiktion, aber auch der beiläufigen Erwähnung von Musik und Filmen. Bitte mehr davon!

Veröffentlicht am 12.10.2023

Im Auge des Sturms

Alles schweigt
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Mit „Alles schweigt“ hat der ehemalige Drehbuchautor und Lead Writer Jordan Harper ein düsteres Epos geschrieben, dessen spannender Handlung reale Ereignisse zugrunde liegen. In einander abwechselnden ...

Mit „Alles schweigt“ hat der ehemalige Drehbuchautor und Lead Writer Jordan Harper ein düsteres Epos geschrieben, dessen spannender Handlung reale Ereignisse zugrunde liegen. In einander abwechselnden Kapiteln nehmen uns die beiden Protagonisten mit auf einen wilden Ritt ins Auge des Sturms. Wesentlich interessanter ist allerdings die persönliche Veränderung, die sie gemeinsam durchlaufen. Während sie anfangs eher mit zynischem Blick auf das schauen, was um sie herum passiert, sich nur ihrem Job und ihrer jeweiligen Aufgabe verpflichtet fühlen, leisten sie Abbitte, finden zu ihrer Menschlichkeit zurück. Übernehmen, je tiefer der Morast wird, in dem sie waten, Verantwortung. Lassen zu, dass ihre persönliche Moral, ihre Ethik die Oberhand gewinnt und ihr Handeln bestimmt. Auch wenn sie dafür einen hohen Preis zahlen müssen.

Wenn bei den Reichen, Schönen und Einflussreichen in Los Angeles ein Skandal darauf lauert, es in die Schlagzeilen zu schaffen, ist Mae Pruett zur Stelle. Angestellt bei einer Agentur für Krisenmanagement ist sie damit beauftragt, deren Dreck wegzuschaufeln.

Chris Tamburro, Ex-Bulle und ihr ehemaliger Lover, arbeitet für eine Sicherheitsfirma, „das Ungeheuer“, ein Konglomerat aus PR-Agenturen, Anwälten und Investoren. Er ist kein Feingeist, setzt lieber die Fäuste ein, wenn es gilt, der gleichen Klientel persönlichen Schutz zu bieten.

Maes Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber kommt an ihre Grenzen, als ihr Kollege ermordet wird, und sie setzt alles daran, den oder die Täter dingfest zu machen. Dafür benötigt sie Unterstützung, denn diejenigen, die dafür verantwortlich sind, setzen alles daran, dass ihre schmutzigen Geheimnisse nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Der einzige Mensch in ihrem Umfeld ist Chris. Ihm vertraut sie, kann sich hundertprozentig auf ihn verlassen. Und so kommt er wieder zurück in dieses Spiel, in dem alle schweigen, doch alle flüstern.

Auch wenn dieser Roman in Los Angeles verortet ist und wir spätestens seit dem Harry-Weinstein-Skandal wissen, was in Hollywood im Hinblick auf die Vergabe von Filmrollen gang und gäbe ist, spielt dies in Jordan Harpers Roman „Alles schweigt“ nur eine Nebenrolle. Wesentlich interessanter sind hier die Bezüge, die zu den skandalösen Vorfällen rund um Jeffrey Epstein und dessen elitärer Freundesclique hergestellt werden. Dabei ist es aber kein #metoo Roman, sondern eine Verbeugung vor James Ellroy, dem großen Sohn der Metropole, der in seinen Werken immer wieder, aber insbesondere in seinem L.A.-Quartett, nicht nur die hässlichen Auswüchse der Metropole sondern auch die hässlichen Seiten des „Land of the Free and Home of the Brave“ thematisiert hat.

Lesen. Unbedingt!

Veröffentlicht am 11.10.2023

Ein vergessenes Kapitel der Zeitgeschichte

Blinde Tunnel
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Historische Romane, so sie sich auf konkrete Ereignisse beziehen, sollten gut recherchiert sein. Das gilt insbesondere dann, wenn sie in Unterhaltungsliteratur verpackt sind. Tove Alsterdals „Blinde Tunnel“ ...

Historische Romane, so sie sich auf konkrete Ereignisse beziehen, sollten gut recherchiert sein. Das gilt insbesondere dann, wenn sie in Unterhaltungsliteratur verpackt sind. Tove Alsterdals „Blinde Tunnel“ erfüllt diese Vorgabe und noch viel mehr, rückt sie doch in diesem als Krimi vermarkteten Roman Geschehnisse in den Vordergrund , die wahrscheinlich zumindest im Bewusstsein der jüngeren Generation wohl nicht mehr bekannt sind.

Noch ahnen Sonja und Daniel nicht, was sie erwartet, als sie beschließen, einen Neuanfang zu wagen und ein stark renovierungsbedürftiges Weingut in Tschechien kaufen. Bei der Renovierung zeigt sich, dass das Anwesen Geheimnisse birgt, die niemals ans Tageslicht kommen sollten.

„Blinde Tunnel“ beeindruckt durch seine Themenvielfalt. Natürlich kann man dieses Buch als Krimi lesen, denn das ist ja bereits durch den Fund in den Gewölben vorgegeben. Aber schon allein durch die Verankerung im historischen Kontext hat es weit mehr zu bieten.

Ein kurzer Blick zurück: Nach dem Münchner Abkommen 1938 annektiert Hitler das Sudetenland, ein Gebiet im heutigen Tschechien, in dem viele Deutsche leben. Es gibt Spannungen unter der Bevölkerung, denn die einen sympathisieren mit den Nationalsozialisten, die anderen nicht. Nach Kriegsende gibt kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Tschechen und Deutschen, schließlich werden letztere, legitimiert durch die Dekrete der Siegermächte vertrieben und ihre Besitztümer den tschechischen Nachbarn übereignet. Ein historisches Ereignis der Zeitgeschichte, dessen tiefe Wunden bis in die Gegenwart sichtbar sind und nachwirken.

Tove Alsterdal hat eine gut recherchierte Geschichte über Vertreibung und Flucht geschrieben, heute aktueller denn je. Über Heimat und deren Verlust, über Schuld, Schweigen und Verdrängung, über Traumata und deren Weitergabe an die nachfolgende Generation und nicht zuletzt über einer Region im Wandel, die sich ihrer Vergangenheit nicht stellen will. Ein sehr empfehlenswertes Buch, dem ich viele Leser wünsche!

Veröffentlicht am 05.10.2023

Intelligente Spannung auf höchstem Niveau

Joe Country
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Mick Herrons Slow-Horses-Reihe ist für mich das Unterhaltsamste, was momentan auf dem Buchmarkt zur Verfügung steht. Warum? Zum einen sind es die schwarz-humorigen Dialoge und die ihnen innewohnenden entlarvenden ...

Mick Herrons Slow-Horses-Reihe ist für mich das Unterhaltsamste, was momentan auf dem Buchmarkt zur Verfügung steht. Warum? Zum einen sind es die schwarz-humorigen Dialoge und die ihnen innewohnenden entlarvenden Kommentare zum politischen Tagesgeschehen in Großbritannien, zum anderen ist es aber auch das Personenensemble der in Ungnade gefallenen Spione des MI5, auf man auf das Abstellgleis im Slough House verbannt hat. Und dann ist da noch deren unausstehlicher Doyen Jackson Lamb, ein Unsympath erster Güte mit schlechten Manieren, dessen Fürsorge für seine „Joes“ erst auf den zweiten Blick zu erkennen ist.

Apropos Personen, in „Joe Country“, Band 6 der Reihe, wird bereits zu Beginn in einem Nebensatz erwähnt, dass drei der Beteiligten nicht überleben werden. Die Alarmglocken schrillen und man hofft, dass es keine/n der Stammbesetzung trifft. Aber bei Herron weiß man ja nie…

Okay, worum geht’s? Wie immer gibt sich Herron nicht mit einem Handlungsstrang zufrieden, sondern hält verschiedene Eisen ins Feuer. Wie immer beharken sich Peter Judd und Lady Di, letzere damit beschäftigt, nicht nur Emma Flyte sondern auch Lech Wicinski in Richtung Slough House zu entsorgen. Dann taucht bei der Beerdigung von David Cartwright Rivers verhasster Vater Frank Harkness auf, mit dem Lamb noch eine Rechnung offen hat. Und zu guter Letzt muss Louisa ihre Trauer um Min Harper zurückdrängen und sich auf eine lebensgefährliche Mission machen, um gemeinsam mit ihren Kollegen dessen verschwundenen Sohn in Wales ausfindig zu machen. Natürlich belässt es Herron nicht dabei, diese Fäden zu verknoten sondern wärmt damit in bewährter Art auch ein Thema auf, dass nicht nur in GB in jüngster Vergangenheit für Schlagzeilen gesorgt hat.

Kritisch, entlarvend und intelligent, eine spannende Reihe mit sympathischen und unsympathischen Protagonisten, die sich wohltuend von dem üblichen Krimi-Einerlei abhebt und die ich deshalb nachdrücklich empfehle.