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Veröffentlicht am 23.11.2023

Von allem etwas zu viel

Die mörderischen Cunninghams. Irgendwen haben wir doch alle auf dem Gewissen (Die mörderischen Cunninghams 1)
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Es ist das erste Familientreffen seit Jahren für Sachbuchautor Ernest Cunningham, doch dieses Mal ist alles anders: Sein Zwillingsbruder Michael soll an diesem Wochenende aus dem Gefängnis entlassen werden, ...

Es ist das erste Familientreffen seit Jahren für Sachbuchautor Ernest Cunningham, doch dieses Mal ist alles anders: Sein Zwillingsbruder Michael soll an diesem Wochenende aus dem Gefängnis entlassen werden, in welchem er wegen Mordes eingesessen hat – eine Begegnung, die Ernest sich nicht unbedingt herbeiwünscht, denn er hat Michael überhaupt erst dorthin gebracht. Als dann das gebuchte Skiressort eingeschneit und vor der Tür eine Leiche gefunden wird, droht die Situation zu eskalieren.

„Irgendwen haben wir doch alle auf dem Gewissen“ ist der erste Band der Reihe um „Die mörderischen Cunninghams“ aus der Feder des Stand-up-Comedians Benjamin Stevenson. Die Fortsetzung erscheint bereits im August 2024 auf Deutsch, beide Teile wurden von Robert Brack übersetzt. Die Handlung erzählt Protagonist Ernest selbst und wendet sich dabei immer wieder an seine Leserschaft. Er mache humorige Kommentare, springt zwischen unterschiedlichen Zeitebenen und deutet auch immer wieder voraus. Das geht so weit, dass er sogar verrät, auf welcher Seite des Buches jemand sterben wird.

Die Cunninghams sind eine durch und durch seltsame Familie. Ernests Vater, ein Kleinkrimineller, ist verstorben, die Mutter hat kein freundliches Wort für ihren Sohn übrig. Das liegt zuerst einmal daran, dass er vor Gericht gegen seinen Bruder ausgesagt hat; im Verlauf der Handlung wird jedoch deutlich, dass hier noch mehr im Argen liegt. Ernest selbst ist Autor von Ratgebern, wie man einen guten Krimi schreibt und in dieser Manier macht er sich auch an die Auflösung des Falls. Der Rest der Familie hat ebenfalls schwerwiegende Probleme und benimmt sich zunehmend verdächtig, denn jeder von ihnen – so deutet Ernest das an – hat mindestens eine andere Person auf dem Gewissen.

Die eigentliche Kriminalgeschichte hat gute, klassische Elemente (zum Beispiel den abgeschlossenen Tatort und den Amateurdetektiv), aber an vielen Stellen übertreibt Benjamin Stevenson es auch. Vielleicht eine Berufskrankheit? Die ständigen Wendungen an ein Publikum, die Verwicklungen, in die wirkliches jedes Familienmitglied geraten ist und dann noch ein grausamer Serienmörder – das ist einfach zu viel.

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Veröffentlicht am 25.10.2023

Einige Geschichten bleiben blass

Send Nudes
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Eine junge Frau lässt sich mit einem deutlich älteren Mann ein und liebt irgendwann seinen Hund mehr als ihn selbst. Die Pflegekinder Kite und Sage haben endlich einen Platz gefunden, an dem sie sich wohl ...

Eine junge Frau lässt sich mit einem deutlich älteren Mann ein und liebt irgendwann seinen Hund mehr als ihn selbst. Die Pflegekinder Kite und Sage haben endlich einen Platz gefunden, an dem sie sich wohl und sicher fühlen, doch dann will Kites Mutter ihren Sohn zurück. Mutter und Tochter möchten endlich den lang ersehnten Urlaub auf Teneriffa antreten, doch dann kommt die Corona-Pandemie dazwischen und sorgt für Enttäuschung.

Das sind nur drei aus insgesamt zehn Geschichten in „Send Nudes“, der mehrfach ausgezeichneten Kurzgeschichtensammlung der britischen Schriftstellerin Saba Sams. Momentan arbeitet diese an ihrem ersten Roman. Die einzelnen Stories begleiten die unterschiedlichsten Frauen und Mädchen: mal Mütter und Töchter, mal single oder in einer Beziehung, mal Teenager oder schon etwas älter. Dabei verwendet die Autorin auch diverse Perspektiven, Zeit- und Erzählformen.

Die Texte sind von unterschiedlicher Länge. Einige sind kurz und knapp in einer Art Berichtsstil verfasst, andere hingegen sind länger, detaillierter und mit deutlich mehr wörtlicher Rede. Thematisch gesehen spricht Saba Sams dabei viel Wichtiges an: Abtreibung, sexuelle Gewalt, Körperbilder sowie Dynamiken in Freundschaften, Familien oder Beziehungen. Leider plätschern dabei einige der Geschichten nur dahin, präsentieren zwar gute Ideen, setzen sie dann aber – meiner Meinung nach – nicht stark genug um. Es gibt kaum Aha-Momente oder überraschende Wendungen.

Am besten gefiel mir persönlich „Blue 4 Eva“, ein sehr gelungener Text über Stiefschwestern, die durch die Affäre, Beziehung und schließlich Ehe des jeweiligen Elternteils in eine neue Familie gezwungen werden und gemeinsam auf einer Insel Urlaub machen müssen. Stella ist 12 und sehnt sich nach Zusammenhalt, Jasmine ist 18 und rebelliert – verkompliziert wird das Verhältnis noch durch die Anwesenheit von Jasmines Freundin Blue. Die Geschichte erinnert mich stark an die Atmosphäre in „Bonjour Tristesse“ von Françoise Sagan und hier habe ich mir auch zum ersten Mal gewünscht, Saba Sams hätte mich noch länger bei diesen Figuren bleiben lassen. Das macht neugierig auf ihren Roman.

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Veröffentlicht am 27.09.2023

Ein Podcast über die Wahrheit?

Ich hätte da ein paar Fragen an Sie
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Als Bodie Kane noch am College war, wurde ihre Mitbewohnerin Thalia ermordet und der Täter nach einem Geständnis verhaftet. Heute, mehr als 20 Jahre später, hat sie zwei Kinder, lebt von ihrem Ehemann ...

Als Bodie Kane noch am College war, wurde ihre Mitbewohnerin Thalia ermordet und der Täter nach einem Geständnis verhaftet. Heute, mehr als 20 Jahre später, hat sie zwei Kinder, lebt von ihrem Ehemann getrennt und hostet einen True Crime-Podcast. Doch dann wird sie als Dozentin an ihr altes College eingeladen und eine ihrer Studentinnen will sich im Kurs unbedingt mit Thalias Mord beschäftigen. Denn sie ist überzeugt, dass der falsche Täter verurteilt wurde und so setzt sich eine ganze Lawine an Ermittlungen und Verdächtigungen in Bewegung.

„Ich hätte da ein paar Fragen an Sie“ ist der vierte Roman der US-Autorin Rebecca Makkai. Erzählt wird aus Bodies Perspektive in der Ich- und Vergangenheitsform. Besonders ist dabei, dass sie sich dabei an eine bestimmte Person wendet, nämlich Mr. Bloch, ihren damaligen Lieblingslehrer. Außerdem spielt die Protagonistin im Verlauf der Handlung die unterschiedlichsten Szenarien durch, wer Thalia getötet haben könnte und nähert sich so nach und nach der Wahrheit an.

Was die Verurteilung von Thalias Mörder so problematisch macht, ist die Tatsache, dass damals eigentlich immer nur in eine Richtung ermittelt wurde: die des Schwarzen Sportlehrers Omar Evans. Sein Geständnis, scheinbar erzwungen, nahm er nach einigen Tagen zurück, doch es war schon zu spät. Das alles hat Bodie bisher eigentlich nur wenig interessiert, aber als sie gemeinsam mit ihren Student*innen recherchiert, wird sie immer tiefer in den Fall hineingezogen. Doch haben ihre Ermittlungen überhaupt einen Nutzen oder reißen sie nur alte Wunden wieder auf?

Bodie Kane ist eine ungemein unsympathische Hauptfigur. Sie und Thalia waren nie wirklich Freundinnen und wären da nicht gewisse Schuldgefühle, die sie in sich trägt, hätte sie den Fall wohl gar nicht wieder aufgenommen. Zudem präsentiert sie sich oft moralisch überlegen – was jedoch entlarvt wird, als ihr eigener (Noch-)Ehemann in einen Skandal verwickelt wird. Grundsätzlich eine gute Geschichte mit wichtigen Ansätzen (Rassismus, Vorverurteilung, Kritik am True Crime-Format), aber im Ganzen etwas zu lang und konstruiert.

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Veröffentlicht am 07.08.2023

Guter zweiter Band der Reihe

Mord auf der Insel Gokumon
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Japan, 1946. Privatdetektiv Kosuke Kindaichi kehrt gerade aus dem Krieg zurück. Nun soll er auf die Insel Gokumon reisen, um der Familie Kito mitzuteilen, dass der letzten verbliebene Erbe der Hauptlinie ...

Japan, 1946. Privatdetektiv Kosuke Kindaichi kehrt gerade aus dem Krieg zurück. Nun soll er auf die Insel Gokumon reisen, um der Familie Kito mitzuteilen, dass der letzten verbliebene Erbe der Hauptlinie – und sein Kriegskamerad – auf der Heimreise von der Front verstorben ist. Chimata bat Kosuke vor seinem Tod darum, weil er befürchtete, dass nach seinem Ableben seine drei Schwestern in Gefahr seien. Der Privatermittler hält natürlich sein Versprechen und mischt sich auf Gokumon unter die Dorfbewohner.

„Mord auf der Insel Gokumon“ ist der 2. Band der Reihe um Kosuke Kindaichi, der ins Deutsche übersetzt wurde. Im Original erschien das Werk schon im Jahr 1971, übertragen wurde es nun von Ursula Gräfe. Erzählt wird wie in einer Art Chronik, mit Anmerkungen zu Lage und Geschichte des Ortes, was allem einen sehr nüchternen, sachlichen Anstrich gibt. Dabei folgen wir zumeist Kindaichi bei seinen Ermittlungen, hin und wieder werden aber auch Situationen geschildert, die parallel ohne sein Wissen stattfinden.

Dieser Fall beschäftigt sich konkret mit der Familie Kito, deren Haupt- und Seitenzweig miteinander verfeindet sind. Der Tod des Erben Chimata bringt das sowieso schon instabile Gefüge noch mehr ins Wanken und dann erschüttern auch noch mehrere Mordfälle die Insel. Das Setting an einem abgeschlossenen Ort mit begrenzten Verdächtigen erinnert ein wenig an Agatha Christies Romane (z.B. „Und dann gab‘s keines mehr“), während der Ermittler in der Tradition Sherlock Holmes‘ steht. Der eigentliche Fall ist durchaus spannend und mysteriös, weil hier zum schon erwähnten Schauplatz noch seltsame verdächtige Figuren, ein Familienstreit und eine Nebenhandlung mit Piraten hinzukommen.

Was auch bereits schon an Band 1 auffiel, ist die sehr sachliche Erzählweise. Es wird eigentlich nur geschildert, was nacheinander passiert, aber auf die Emotionen der Charaktere wird kaum eingegangen. Dadurch bleiben sie für uns flach und gerade auch die Frauen sind sehr klischeehaft, entweder als albern oder als berechnend, geschildert – was sicherlich auch dem zeitlichen Kontext geschuldet sein mag.

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Veröffentlicht am 03.08.2023

Queere Liebesgeschichte mit Schwächen

Girls like girls – Sag mir nicht, wie ich mich fühle
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Die 17-jährige Coley hat ihre Mutter verloren und muss nun bei ihrem Vater leben, der die Familie vor Jahren verlassen hat. An ihrem ersten Tag in der neuen Stadt begegnet sie Sonya und ist sofort wie ...

Die 17-jährige Coley hat ihre Mutter verloren und muss nun bei ihrem Vater leben, der die Familie vor Jahren verlassen hat. An ihrem ersten Tag in der neuen Stadt begegnet sie Sonya und ist sofort wie elektrisiert. Auch diese fühlt sich von Coley angezogen, doch 1. hat sie einen Freund – oder zumindest eine On-/Off-Beziehung – und 2. steht sie gar nicht auf Frauen, oder etwa doch? Für die beiden beginnt ein Sommer voller Emotionen, aber auch komplizierter Entscheidungen.

„Girls like Girls“ ist der erste Roman der Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin Hayley Kiyoko und basiert auf ihrer gleichnamigen Single. Erzählt wird aus Coleys Perspektive in der Ich- und Gegenwartsform, was uns unmittelbar an ihrer Innensicht teilhaben lässt. Sonyas Blickwinkel erfahren wir hingegen aus ihrem Online-Tagebuch, also in bearbeiteter, literarisierter Form. Das bildet einen interessanten Kontrast zwischen Coleys entwaffnender Ehrlichkeit und Sonyas verzweifeltem Versuch, sich an einem Leben festzuhalten, das sie nicht einmal besonders mag.

Mit Coley und Sonya treffen Welten aufeinander. Sonyas Familie ist reich, die von Coleys musste sich immer irgendwie durchschlagen. Sonya hat zwei Väter, einen leiblichen und einen Stiefvater, während Coley lange Zeit auf ihren verzichten musste. Die jeweiligen Mütter spielen eine große Rolle im Leben der beiden und beeinflussen es massiv. Und auch wenn Coley es zuhause nicht immer einfach hatte, vermisst sie ihre Mutter in jeder Sekunde und lässt die Bemühungen ihres Vaters an sich abprallen.

Im Fokus steht aber die Liebesgeschichte, an der ich leider Kritik äußern muss. Zum einem wird nicht deutlich, woher die plötzliche Anziehung zwischen beiden kommt. Sonya bewundert vielleicht Coleys Haltung und ihre starke Meinung zu den unterschiedlichsten Themen; was sie jedoch umgekehrt an Sonya findet, ist unklar oder rein äußerlicher Natur. Zudem sind die beiden über ein Drittel des Buches getrennt und ihre Charaktere bleiben farblos. So wird am Anfang zwar erwähnt, dass Coley das Gefühl hat, nicht asiatisch, aber auch nicht weiß genug zu sein, danach wird das Thema ihrer Identität aber nicht mehr aufgegriffen. Und das ist nur ein Beispiel von vielen, an denen der Roman Potenzial verschenkt – schade!

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