Profilbild von kati-katharinenhof

kati-katharinenhof

Lesejury Star
offline

kati-katharinenhof ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit kati-katharinenhof über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.12.2023

Wo bin ich zuhaus‘, wo gehör‘ ich hin`? (Betina Graf)

Das versunkene Dorf
0

Wo bin ich zuhaus‘, wo gehör‘ ich hin`?
Wo such‘ ich ihn, wo find‘ ich ihn,
den Ort, wo ich aufgehoben bin? (Betina Graf)


Für viele von uns ist er ein Wegweiser Richtung Süden, ein Hotspot für Motorradfahrer:innen ...

Wo bin ich zuhaus‘, wo gehör‘ ich hin`?
Wo such‘ ich ihn, wo find‘ ich ihn,
den Ort, wo ich aufgehoben bin? (Betina Graf)


Für viele von uns ist er ein Wegweiser Richtung Süden, ein Hotspot für Motorradfahrer:innen und ein bekanntes Postkarten-Motiv - der Kirchturm im Reschensee. Die wenigsten kennen die emotionale und grausame Geschichte, die dahinter steckt.

"Das versunkene Dorf" mit seinem stummen Zeitzeugen mitten im See ist ein Tourist:innen-Magnet und zugleich ein Mahnmal, erzählt von Heimat- & Identitätsverlust, Macht- & Geldgier, Zwangsenteignung und dem verzweifelten Versuch, zu retten, was noch zu retten ist. Ein Buch, das nicht nur Zahlen und Fakten bietet, sondern viel tiefer geht - nämlich unter die Haut, mitten ins Herz und es berührt die Seele.

Stimmen von Zeitzeug:innen, die miterleben mussten, wie alles, was sie sich mühsam aufgebaut haben, teilweise über Generationen hinweg, dem Untergang geweiht ist. Mitspracherecht - Fehlanzeige ! Anspruch auf Entschädigung - nur nach großen Protestaktionen ! Und wofür das alles ? Für Macht, Einfluss und ein Prestigeobjekt, das die Bewohner:innen der Dörfer nicht gewollt haben.

Doch Geld kann die Heimat nicht ersetzen, gibt den Toten nicht ihr Leben zurück und trocknet nicht die Tränen, die die Hinterblieben weinen. Das Autoren-Duo geht sehr einfühlsam und mit viel Fingerspitzengefühl vor, um nicht Wunden aufzureißen, die sowieso nie ganz verheilt sind. Spätestens dann, wenn der See wieder trocken fällt und die Überreste von Alt-Graun und Alt-Reschen wie Atlantis aus den Tiefen auftauchen, werden Ungerechtigkeit und das traurige Schicksal wieder greifbar.

Ein Buch, das von Leid und Rücksichtslosigkeit erzählt, von der Sehnsucht nach einem Ankommen und dem Gefühl, doch nie ganz Zuhause zu sein. Die Zeitzeug:innenberichte und viele Schwarz-Weiß-Fotografien machen Geschichte lebendig, wirken wie ein stummer Schrei, der nie ganz verhallt und geben denjenigen ein Gesicht, die bis heute nicht mit dem Schiff über den See fahren - aus Respekt und Ehrfurcht vor dem, was war. Für sie gibt es keine Zeit des Loslassens, sondern immer wieder nur den Versuch, sich mit der Tragödie auseinanderzusetzen und die Lücke im Herzen mit Erinnerungen zu füllen.

Ein sehr eindringliches Zeitdokument, das zum Nachdenken und Diskutieren anregt - sehr lesenswert !

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.12.2023

Zauber vergessener und vergangener Schönheit

Verlassenes Italien
0

Einst waren sie prunkvolle Pallazi, Orte der Ruhe und Entspannung oder auch Heimstätten für eher unschöne Ereignisse, die in der Geschichte Italiens eher einen dunklen Fleck in der Erinnerung hinterlassen. ...

Einst waren sie prunkvolle Pallazi, Orte der Ruhe und Entspannung oder auch Heimstätten für eher unschöne Ereignisse, die in der Geschichte Italiens eher einen dunklen Fleck in der Erinnerung hinterlassen. Doch was sie alle eint ist die Melancholie des Verfalls und der Zauber der Vergänglichkeit, die aus jedem Winkel, aus jeder Ritze hervordringen.

Es ist ein prunkvoller Spaziergang auf zugewucherten Wegen und staubbenetzten Treppen, der hinter jeder Tür, die schief in den Angeln hängt ein neues Geheimnis offenbart. Die Farbe an den Wände blättert ab und wirkt, als würden sich die nackten Grundmauern dahinter dagegen wehren, dass diese Narben entstehen.

Die Staubpartikel tanzen fröhlich in der Luft, begleitet von magischen Farbspielen aus Sonnenlicht und Buntglasfenstern, die die einst imposanten Eingangshallen mit ihren stuckverzierten Decken und schmiedeeisernen Treppengeländern in fast surreale Welten verwandeln.

Leerstehende Villen, Kirchen, Fabrikhallen oder Hotels wispern leise ihren Geschichten, erzählen Episoden aus einer längst vergangenen Zeit und doch wirken manche Lost Places so, als seien ihre Besitzer gerade erst aus der Tür gegangen, um nur mal kurz eine Besorgung zu machen. Traumhafte Ausblicke von den weitläufigen Terrassen auf das Meer, weitläufige Gartenanlagen oder brei geschwungene Treppen, die nur darauf warten, dass die Dame des Hauses in einer festlichen Abendrobe feierlich die Stufen hinab schreitet, um ihre Gäste zu begrüßen.

Und doch holt sich die Natur Stück für Stück wieder, was ihr einst genommen wurde. Robin Brinaert lässt daraus Fotos entstehen, die Licht und Schatten der verlassenen Bauten widerspiegeln und die Betrachtenden vollkommen für sich einnehmen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
Veröffentlicht am 30.11.2023

Es gab nur wenige Denunzianten, aber ihre Zahl genügte, um unbeschreibliches Unglück über die Menschen zu bringen.“ Fritz Wöss

Die Freiheit so nah
0

Kay muss 2016 Abschied nehmen von einer lieben Freundin und ihr die letzte Ehre erweisen. Das Zusammentreffen mit seiner alten Clique reißt alte Wunden auf, weckt Erinnerungen und lässt seine Gedanken ...

Kay muss 2016 Abschied nehmen von einer lieben Freundin und ihr die letzte Ehre erweisen. Das Zusammentreffen mit seiner alten Clique reißt alte Wunden auf, weckt Erinnerungen und lässt seine Gedanken immer wieder zurück schweifen. Aus der unbeschwerten Kinderclique ist im Verlauf der Jahre eine eingeschworene Gemeinschaft geworden, die sich zwar mit den Umständen in der DDR nie wirklich ganz arrangiert, aber trotzdem zusammengehalten hat wie Pech und Schwefel. Erst als die Zeichen immer deutlich werden, die Repressalien der Stasi um sich greifen und die Clique direkt betroffen ist, macht sich Kay seine Gedanken. Kann es wirklich sein, dass einer aus den eigenen Reihen ein Verräter ist ? Als Kay seine Flucht plant, kommt alles anders....


"Die Freiheit so nah" erzählt in sehr eindringlichen Worten aus der Sicht von Kay, wie sich ein Leben als junger Mensch in der DDR angefühlt hat. Der Staat hat seine Augen und Ohren überall und der Machtapparat Stasi tut alles dafür, schon in der Schule die Grundsteine zum Denunziantentum zu legen. Eine Machtausübung, die im Kreis der "indischen Reisegruppe" unvorstellbar ist und doch trifft sie zu.

A.A.Kästner schildert in ihrem Roman die Ereignisse nach wahren Begebenheiten so authentisch und überzeugend, dass sie Leser;innen das Gefühl erhalten, direkt an Kays Seite zu stehen und alles hautnah mitzuerleben. Der Gruß der FdJ "Freundschaft" wird zum Sinnbild für die Clique und so steht auch einer für den anderen ein, kämpft gemeinsam mit den Jungs für die Verwirklichung von Träumen und Wünschen und doch stoßen sie immer wieder an Grenzen. Sei es politisch, persönlich, physisch oder psychisch.

Mit der Erzählstimme Kay wird das Buch unglaublich intensiv und es sind seine ganz persönlichen Erinnerungen und Eindrücke, die sich manchmal bleischwer auf die Seele legen. Es fällt, auch 34 Jahre nach Grenzöffnung, wohl den meisten nicht leicht, all das zu begreifen, was im Namen der Stasi an Verbrechen, Verrat und Verunsicherung geschehen ist.

Der Roman beleuchtet eine fast unerschütterliche Freundschaft, die auch die guten Seiten eines Lebens in der DDR aufzeigt, aber dennoch immer wieder deutliche Worte in Bezug auf Misswirtschaft, Unzufriedenheit und Verrat enthält. Ein Stück deutscher Geschichte, die zum Nachdenken, Diskutieren und Innehalten anregt und aufzeigt, dass Freundschaft nicht alles verzeihen kann, da das persönliche Unglück einfach zu schwer wiegt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.11.2023

Kannst du malen, wie das Farbenspiel des Winds? (Pocahontas)

Das Leuchten der Blätter
0

Ava fühlt sich ganz und gar nicht wohl in ihrer Haut, denn das geerbte Antiquitätengeschäft lastet zentnerschwer auf ihrer Seele. Tand und Trödel sind nicht das, was ihr vorschwebt, aber den letzten Schritt ...

Ava fühlt sich ganz und gar nicht wohl in ihrer Haut, denn das geerbte Antiquitätengeschäft lastet zentnerschwer auf ihrer Seele. Tand und Trödel sind nicht das, was ihr vorschwebt, aber den letzten Schritt gehen, um endlich etwas Neues zu beginnen, dazu fehlt ihr der Mut. Der Ostseewind weht ihr Solvie in den Laden und damit beginnt eine abenteuerliche Reise. Eine Reise auf der Suche nach einem geheimnisvollen Symbol, eine Reise in die Vergangenheit und eine Reise zum eigenen Ich....


Patricia Koelle greift erneut zur Märchenfeder und lässt daraus eine seelenvolle, romantische und ermutigende Geschichte fließen, die über die Kraft der Bäume und ihre heilende Energie erzählt. Ava ist es gewohnt, dass sie sich den Wünschen anderer fügt und hat dabei vollkommen vergessen, auf ihr Herz und ihre Seele zu hören. In ihr schlummert ein verborgenes Talent, das Licht zum Tanzen bringt und daraus wunderschöne Illuminationen entstehen. Ihre Lampen sind magische Laternen, die mit warmen weichen Licht und einem einzigartigen Farbenspiel an Wand und Decke den Zauber der Natur einfangen und direkt ins Herz leuchten.Mit jedem handgefertigen Unikat wächst Ava ein Stückchen mehr über sich selbst hinaus, findet ihr eigenes Ich und bekommt mehr Selbstvertrauen.

Solvie sprudelt geradezu über vor Tatendrang und auch für sie ist es eine eine heilsame Erfahrung, an den Ort ihrer Kindheit zurückzukehren. Koelles Beschreibungen der Lost Places lässt mein mein Urbexerinnenherzchen höher schlagen und der morbide Charme, der Zauber der Vergangenheit und die leise gewisperten Erinnerungen zwischen verstaubten Möbeln, bröckeligen Ruinen und wucherndem Grün umhüllen die Szenerie mit einer geheimnisvollen Aura.

Im Verlauf der Handlung werden Ava und Solvie nicht nur im Buch gute Freundinnen, sie sichern sich auch einen festen Platz im Herzen der Leser;innen und es ist eine Freude, gemeinsam mit ihnen die einzelnen Stadien ihrer Entwicklung mitzuerleben. Es geht um Loslassen und Zulassen, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und natürlich um die Geschichte der Windharfe, die die Autorin hier weiterspinnt. Koelle schreibt Märchen für Erwachsene, verpackt sie dieses Mal in die flammenden Orange-Rot- und Gelbtöne des Herbstes und offenbart mit jedem gefallenen bunten Blatt Weisheiten und Erkenntnisse, die nicht nur in ihren Protas schlummern.

Mit ein wenig Magie und Zauberkraft lädt die Schreibende dazu ein, in ihre lebendige Welt der Seelenbilder einzutauchen und ihre Botschaften an- und aufzunehmen, um vielleicht selbst den einen fehlenden Schritt zu gehen, um bei sich selbst anzukommen.

Wieder sehr lesenswert und genau das richtige Buch für nasskalte oder gar verschneite Tage. Ein Mind-Spa in Buchform.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.11.2023

Würde ist kein Konjunktiv

Die Violinistin von Auschwitz
0

Es sind Töne, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen, die Alma Rosé ihrer Geige entlockt. Aber ist diese Welt überhaupt noch jene, die wir alle kennen ? Alma wird nach Auschwitz deportiert und hat ...

Es sind Töne, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen, die Alma Rosé ihrer Geige entlockt. Aber ist diese Welt überhaupt noch jene, die wir alle kennen ? Alma wird nach Auschwitz deportiert und hat schon fast mit ihrem Dasein abgeschlossen, als ein Wink des Schicksals ihr noch einmal Aufschub gewährt. Sie darf als Leiterin des Mädchenorchesters mit leisen, aber kraftvollen Tönen gegen Hass und Hetze aufspielen und spendet dadurch anderen Häftlingen Trost und Halt. Aber ist Alma stark genug, diesen Kampf auch bis zum Ende auszufechten ?


"Die Violinistin von Auschwitz" geht vom ersten bis zum letzten Buchstaben unter die Haut und klingt lange nach, denn das, was Ellie Midwood mit ihrem eindringlichen und aufwühlenden Schreibstil zu Papier bringt, ist eine Geschichte, die uns alle angeht und leider an Aktualität nichts eingebüßt hat. Während in Israel die Bomben fallen, die Welt von einem deutlichen Rechtsruck erschüttert wird, erzählt die Autorin die wahre Geschichte der Alma Rosé, die mit ihrer tiefen Verbundenheit zur Musik in den dunkelsten Momenten des letzten Jahrhunderts den Häftlingen von Auschwitz Trost, Zuwendung und ein wenig Licht spendet.

Es sind Szenen, die bis in Mark erschüttern, so grausam, barbarisch und menschenverachtend, dass die Tränen beim Lesen einfach nicht versiegen wollen. Und trotzdem gibt es Menschen mit Herz und Rückgrat, Menschen wie Alma, Miklos und von Volkmann, die inmitten einer zischelnden Grube aus braunen und schwarzen Schlangen wie Hoffnungslichter scheinen.

Almas Geschichte tut weh, zerreißt das Herz und gerade deshalb ist es so wichtig, dass ihre Botschaft gehört wird. Es darf sich niemand über einen anderen Menschen stellen und über ihn/sie richten. Die Würde eines Menschen, sein Leben, sein Sein ist unantastbar. Es bleibt zu hoffen, dass beim Lesen des Buches das ein oder andere Licht in den Köpfen der Menschen angeht, die Blick- & Denkrichtung geändert wird und sich aus denen, die sich jetzt noch wegducken, Sehende werden, um der vergifteten Atmosphäre aus Hass, Hetze und Antisemitismus endlich ein Ende zu setzen.

Geschichte darf sich nicht Wiederholen und Ellie Midwood setzt mit ihrem Roman ein deutliches Zeichen gegen das Vergessen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere