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Veröffentlicht am 05.01.2024

Freud und Leid liegen nah beieinander

Kontur eines Lebens
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Bisher kam die leicht demente über 80jährige Frieda, dank der fürsorglichen Hilfe ihres geliebten Mannes, ganz gut zurecht. Doch nun ist Louis ganz plötzlich verstorben und Frieda musste ins Pflegeheim ...

Bisher kam die leicht demente über 80jährige Frieda, dank der fürsorglichen Hilfe ihres geliebten Mannes, ganz gut zurecht. Doch nun ist Louis ganz plötzlich verstorben und Frieda musste ins Pflegeheim umsiedeln. Alles ist neu und ungewohnt. Zum ersten Mal hilft ihr nicht Louis morgens beim Duschen und Windelwechseln, sondern ein junger Pfleger. Plötzlich hat Frieda viel Zeit ihre Gedanken schweifen zu lassen, wenn sie alleine in ihrem Sessel am Fenster sitzt. Es kommen Erinnerungen über Ereignisse, die sie jahrzehntelang verdrängt und von denen selbst Louis nichts geahnt hatte. Es gab vor ihm schon einen Mann, Otto, der bereits verheiratet war, als sie ihn mit 21 Jahren kennen und lieben lernte. Von ihm wurde sie schwanger – eine Katastrophe und ein Albtraum für ein Fräulein in der damaligen Zeit. Von ihren Eltern wurde sie verstoßen, verlor ihre Arbeitsstelle und fand in einer zwielichtigen Absteige einen Unterschlupf, da kein Zimmervermieter eine schwangere unverheiratete Frau aufnehmen wollte. Als das Kind zur Welt kommt wird es ihr sofort weggenommen, sie darf nicht Mutter sein - und Otto war auch verschwunden. Das Leben ging weiter, sie lernte Louis kennen, heiratete ihn, bekam Sohn Tobias und vergrub ihren Schmerz tief im Innern. Erst jetzt im Pflegeheim beginnt sie allmählich, sich der Vergangenheit und dem widerfahrenem Leid zu stellen. Mit Hilfe von Pfleger Jamie und Sohn Tobias wagt sie die Suche nach dem, was sie einst verloren hat …

Jaap Robben, geb. 1984, ist ein niederländischer Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer, der seit 2004 publiziert. Seine Werke wurden vielfach ausgezeichnet, die Romane verfilmt und in mittlerweile fünfzehn Sprachen übersetzt. Für seinen Roman „Birk“ (2015) erhielt er den niederländischen Buchhandelspreis und sein Roman „Summer Brother“ (2021) stand auf der Longlist des International Booker Prize. Der Autor lebt in Deutschland.

In „Kontur eines Lebens“ führt uns der Autor zurück in die 1960er Jahre, einer Zeit, in der noch ganz andere Moralvorstellungen herrschten. Er bedient sich dabei der Erinnerungen der im Pflegeheim untergebrachten Protagonistin und bewirkt somit, dass der Leser ihren Schmerz, ihre Demütigungen und das ihr zugefügte Leid äußerst intensiv erlebt. Unglaublich einfühlsam und rücksichtsvoll dringt Jaap Robben in die Gefühls- und Gedankenwelt der heute über 80jährigen, schon leicht dementen Frau ein. In einem wunderbar warmherzigen Ton erfahren wir, dass die Geburt eines Kindes zu der damaligen Zeit für eine unverheiratete Frau einer Tragödie gleichkam. Er scheut sich auch nicht, die Schattenseiten des Alters und der Heimunterbringung in klare Worte zu fassen. Friedas Scham, sich nackt und schutzlos von fremden Menschen pflegen zu lassen, fasst er in sehr sensible und taktvolle Worte. Ein ganz besonderer, wunderbar erzählter Roman, der unausgesprochene Empfindungen spürbar macht und noch lange nachwirken wird.

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Veröffentlicht am 20.12.2023

Leben und Sterben

Dieses schöne Leben
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Nach dem Tod ihrer Eltern hatte Clover eine wunderschöne, liebevolle Kindheit bei ihrem Großvater. Als dieser, während einer Auslandsreise seiner inzwischen erwachsenen Enkelin unerwartet stirbt, einsam ...

Nach dem Tod ihrer Eltern hatte Clover eine wunderschöne, liebevolle Kindheit bei ihrem Großvater. Als dieser, während einer Auslandsreise seiner inzwischen erwachsenen Enkelin unerwartet stirbt, einsam und alleine, entschließt sich diese, zukünftig als Sterbebegleiterin für einsame Menschen da zu sein. Sie tröstet diese in ihrer letzten Stunde, sodass sie friedlich ins Jenseits übergleiten können. Durch ihre liebevolle und empathische Zuwendung wird sie zu einer der Besten in diesem Beruf. Doch so gut Clover auch Sterbende begleitet, ihr Privatleben ist trostlos. Außer ihrem Nachbarn, einem alten Freund ihres Großvaters, hat sie keinerlei soziale Kontakte. Das ändert sich etwas als Sylvie, eine lebhafte junge Frau, als neue Nachbarin einzieht. Doch erst als sie Claudia, eine resolute alte Dame, als neue Klientin bekommt, wird sich ihr Leben grundlegend ändern …

Mikki Brammer ist eine australische Journalistin und Schriftstellerin, die derzeit in New York City lebt. Sie wuchs in Tasmanien auf und lebte danach in verschiedenen Teilen Australiens, Frankreich und Spanien. Sie schreibt über Architektur, Kunst und Design für verschiedene Publikationen. „Dieses schöne Leben“ Original („The Collected Regrets of Clover“ - 2023) ist ihr erster Roman.

Mit diesem Roman beweist die Autorin, dass man auch mit dem Thema Sterben ein wunderbares Buch über das Schöne und Positive im Leben schreiben kann. Herausgekommen ist eine warmherzige Geschichte über Liebe, Vertrauen und Hoffnung im Leben und gleichzeitig eine tröstliche Geschichte über den Tod, der nun mal zu jedem Leben dazu gehört. Das Buch ist wie eine warme Umarmung von einem lieben Menschen, so tröstlich und beruhigend und Clover, die Protagonistin, eine liebenswerte Persönlichkeit. Sie versteht es ausgezeichnet Sterbende zu begleiten, sie zu trösten, in den Arm zu nehmen, die Hand zu halten und einfach da zu sein.

Fazit: Trotz des oft tabuisierten Themas Tod und Sterben ist dieses Buch voller Leichtigkeit, macht glücklich und stimmt optimistisch. Jeder Satz ist eine Offenbarung von Liebe und Hoffnung. Ich habe es wirklich gerne gelesen und kann es wärmstens empfehlen!

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Veröffentlicht am 20.12.2023

Ein erbarmungsloser Wettbewerb

Hand aufs Herz
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Um sein Geschäft vor dem Ruin zu retten schreibt Autohändler „Hatch“ einen Ausdauerwettbewerb aus, von dem er sich allgemeines Interesse und neue Kunden erhofft. Es werden 40 Personen ausgelost, die ständig ...

Um sein Geschäft vor dem Ruin zu retten schreibt Autohändler „Hatch“ einen Ausdauerwettbewerb aus, von dem er sich allgemeines Interesse und neue Kunden erhofft. Es werden 40 Personen ausgelost, die ständig mindestens mit einer Hand einen Wagen berühren müssen – wer am längsten durchhält, der gewinnt ihn und kommt zudem ins Guinnessbuch der Rekorde. Es sind völlig verschiedene Typen von Menschen, die am Tag des Starts dabei sind und die aus unterschiedlichen Gründen gewinnen wollen. Da ist Jess, die das Auto braucht um ihre behinderte Tochter zur Schule fahren zu können, Tom, ein ehemaliger Unternehmer der jetzt arbeitslos ist, Matt, ein reicher Sohn der aus Langeweile mitmacht, Walter, der Rentner, Tayshawn, ein dicker Junge der auf der Straße lebt, Roy, ein Exsoldat, ein Mann aus Zaire, ein Schlafloser, ein Rumäne, ein Schriftsteller aus Neuseeland, ein Schlagzeuger, ein Autodieb, ein ehemaliger Fußballer, eine Hebamme, ein Elektriker, ein arbeitsloser Vater von vier Kindern und noch einige mehr. Stunden, Tage und Nächte vergehen, Regen setzt ein – die Reihen lichten sich. Die noch verbliebenen Teilnehmer sind völlig am Ende, durchnässt und todmüde. Wer wird am Ende gewinnen und lohnt sich die Strapaze?

Anthony McCarten wurde 1961 in New Plymouth/NZL geboren und ist ein neuseeländischer Schriftsteller, Dramatiker, Drehbuchautor und Filmproduzent. Er schrieb zahlreiche Romane, Theaterstücke, Drehbücher und Kurzgeschichten für die er mehrfach Auszeichnungen erhielt. Der Autor hat drei Kinder und pendelt abwechselnd zwischen Los Angeles, Wellington und London.

Mit dem Roman „Hand aufs Herz“ (Original „Show of Hands“) ist es Anthony McCarten wieder einmal gelungen, tief in die Psyche seiner Protagonisten einzutauchen und sie dem Leser auf unterhaltsame Weise nahe zu bringen. Sein unaufdringlicher, humorvoller Schreibstil ist wie geschaffen für diese Geschichte. Was sich zunächst wie eine leichte Komödie liest, entpuppt sich bald als tiefgründiges, schicksalhaftes Drama. Zu Beginn des Wettbewerbs werden zwischen den Teilnehmern sogar einige Freundschaften geschlossen und man hilft sich gegenseitig, doch je länger er andauert, desto angespannter und reizbarer werden die Probanden. Sie werden zu Konkurrenten, jeder kämpft ohne Rücksicht auf andere für sich selbst, bis sich zum Schluss nur noch zwei im Wettkampf befinden.

McCarten versteht es großartig, die Personen lebendig darzustellen. Sie sind so anschaulich beschrieben, dass man sie kennen lernt als wäre man selbst dabei. Einige unerwartete Wendungen erhöhen die Spannung und mit dem nicht vorhersehbaren Ende konnte mich der Autor angenehm überraschen.

Fazit: Geschickt inszenierte Schicksale verbunden mit einem spannenden Szenario, launig und humorvoll zu Papier gebracht – ergibt ein Buch, das zu lesen Spaß macht und das ich gerne weiter empfehle!

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Veröffentlicht am 11.12.2023

Die Rache der Natur

Acqua alta
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2021: Venedig ist zerstört, den letzten Sturm und das Acqua Alta hat sie Stadt nicht überstanden. Das hochgelobte Sturmflutsperrwerk M.O.S.E. hat nicht funktioniert. Guido Malegatti irrt in einem Boot ...

2021: Venedig ist zerstört, den letzten Sturm und das Acqua Alta hat sie Stadt nicht überstanden. Das hochgelobte Sturmflutsperrwerk M.O.S.E. hat nicht funktioniert. Guido Malegatti irrt in einem Boot durch die zerstörten Kanäle. Auf der Suche nach Frau und Tochter erinnert er sich zurück, wie es zu dem Unglück kommen konnte. Als Wirtschaftsrat von Venedig waren ihm die Touristenmassen in der Stadt und die großen Kreuzfahrtschiffe auf dem Kanal willkommen, brachten sie doch Geld und sicherten Arbeitsplätze. Während seine Frau Maria Alba von einem prachtvollen Venedig früherer Zeit träumte, stellte sich Tochter Lea gegen ihren Vater und schloss sich einer Gruppe an, die für die Rettung der Stadt und ihrer Kanäle demonstrierte. Doch es war zu spät …

Isabelle Autissier, 1956 in Paris geboren und dort aufgewachsen, ist eine französische Autorin. Sie ist die erste Frau, die im Rahmen einer Segelregatta 1991 alleine die Welt umsegelte. Von 2009 bis 2021 war sie Präsidentin des WWF Frankreich. Ihren ersten Roman „Herz auf Eis“ veröffentlichte sie 2015, es folgte „Klara vergessen“ 2019 – „Acqua Alta“ (2024) ist ihr dritter Roman. Die Autorin lebt heute in La Rochelle.

Äußerst drastisch und fesselnd bringt uns die Autorin das Szenario der Zerstörung Venedigs nahe. Anhand einer venezianischen Familie, die die verschiedenen Gesichtspunkte aller Venezianer repräsentiert, erfahren wir, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte. Für Umsatz und Gewinn sind viele bereit, die Massen an Touristen willkommen zu heißen und die Kreuzfahrtkolosse zu akzeptieren - und bereiten so selbst den Untergang der Serenissima vor. Proteste der Naturschützer zeigen bis jetzt wenig Wirkung, zu groß sind Gewinnstreben und Korruption in der Stadt.

Zum Glück ist die Geschichte (bis heute noch) eine Fiktion. Ob das Milliarden teure und jährlich rund 100 Millionen Euro an Unterhaltskosten verschlingende Sperrwerk Modulo Sperimentale Elettromeccanico (kurz MO.S.E.) dies verhindern kann, wird die Zukunft zeigen.

Fazit: Von der Autorin meisterhaft beschriebenes Katastrophenszenario das dazu anregt, sein eigenes Umweltverhalten zu hinterfragen. Meine Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 28.11.2023

Drei Loser und das große Geld

Grün ist die Hoffnung
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Felix Nasmyth ist 31 Jahre alt, geschieden, arbeitslos und lebt in einem kleinen Appartement in San Francisco von seinen geringen Ersparnissen. Eines Abends bekommt er Besuch, sein Freund Vogelsang bietet ...

Felix Nasmyth ist 31 Jahre alt, geschieden, arbeitslos und lebt in einem kleinen Appartement in San Francisco von seinen geringen Ersparnissen. Eines Abends bekommt er Besuch, sein Freund Vogelsang bietet ihm an, auf seinem Grundstück in der Wildnis der Kalifornischen Berge heimlich Marihuana anzubauen – als Lohn winken bei Erfolg 500.000 Dollar. Felix nimmt an und zusammen mit zwei Freunden, Phil und Gesh, ziehen sie für neun Monate ins Sommerlager, wie sie es scherzhaft nennen. Doch das Lachen sollte ihnen bald vergehen, denn das Unternehmen gestaltet sich schwieriger als gedacht. Die Unterkunft ist baufällig, die Arbeit beschwerlich, die Nachbarn neugierig, das Wetter spielt nicht mit, ein großer Teil der Pflanzen verkümmert und zu allem Unglück ist ihnen auch noch Officer Jerpbak auf den Fersen. Doch die drei geben nicht auf, ständig bekifft und besoffen hoffen sie noch immer auf das große Geld. Nebenbei ist für Felix noch etwas ganz anderes verlockend – er hat Petra kennen gelernt …

T.C. Boyle ist ein amerikanischer Schriftsteller, der 1949 in Peekskill / New York geboren wurde. Seine Eltern waren Alkoholiker, was seine Kindheit und Jugend maßgeblich bestimmte. Er galt als Herumtreiber und schaffte nur knapp den High-School-Abschluss. Danach studierte er Englisch und Geschichte, schloss 1968 mit dem Bachelor of Arts ab, begann zu schreiben und unterrichtete parallel dazu als Lehrer an der High School. 1977 nahm er an der University of Iowa das Studium wieder auf und erwarb einen Doktorgrad. Sein Mentor war John Irving. Seit 1978 lehrte er an der University of Southern California, seit 1986 als ordentlicher Professor. Boyle schrieb über 100 Kurzgeschichten und 18 Romane, die alle erfolgreich waren und in vielen Sprachen übersetzt wurden. Seit 1974 ist der Autor verheiratet, hat drei Kinder und lebt heute in Montecito bei Santa Barbara in Californien.

Der Roman „Grün ist die Hoffnung“ (Originaltitel Budding Prospects) ist Boyles zweiter Roman. Er erschien bereits 1984, handelt von drei Marihuana-Pflanzern in Kalifornien, die den Widrigkeiten des Wetters ausgesetzt verzweifelt bemüht sind unentdeckt zu bleiben, und ist heute aktueller denn je. Schon früh offenbarte Boyle seine komische Seite und seinen außergewöhnlicher Humor. Wir lesen eine ausgesprochen unterhaltsame, sprachlich brillant und lebendig geschriebene Geschichte über drei frustrierte Alt-Hippies, die von einem listigen Geschäftsmann hereingelegt und ausgebeutet werden. Den schnellen Wohlstand immer im Blickfeld erleben die Freunde einen Alptraum nach dem anderen. Während man sich als Leser über ihre Missgeschicke amüsiert wird ihnen nach und nach klar, dass die Dollars nicht vom Himmel fallen und das Unternehmen mühsamer ist, als sie dachten. Hier zeigt sich sehr gut die satirische Seite des Autors und sein Spaß am Fabulieren.

Fazit: Eine witzige, nicht ganz ernst zu nehmende Geschichte, spannend zu lesen – ein typischer Boyle.

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