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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.03.2024

Überall und nirgends daheim

Daheim
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Früher wohnte sie in der Stadt und war in der Zigarettenfabrik beschäftigt, jetzt lebt die Mittfünfzigerin am Rande eines kleinen Dorfes an der Küste und arbeitet für ihren älteren Bruder in dessen Kneipe. ...

Früher wohnte sie in der Stadt und war in der Zigarettenfabrik beschäftigt, jetzt lebt die Mittfünfzigerin am Rande eines kleinen Dorfes an der Küste und arbeitet für ihren älteren Bruder in dessen Kneipe. Sie hat viel Zeit und denkt über Vergangenes nach, über ihre Tochter, die als 19Jährige ausgezogen ist, über ihre müssglückte Ehe und über ihre lieblose Kindheit. Es ist recht einsam um die namenlose Erzählerin, bis in der Nähe eine neue Nachbarin einzieht. Mimi ist Künstlerin und nach drei gescheiterten Ehen in ihre Heimat zurückgekehrt, wo auch ihr Bruder Arild einen Bauernhof mit Schweinezucht betreibt. Die beiden einsamen Frauen freunden sich an und bald beginnt unsere Protagonistin eine leidenschaftslose Affäre mit Arild. Ihr beinahe 60jähriger Bruder hat sich unsterblich in Nike, eine zwanzigjährige Kellnerin, verliebt, die seine Vernarrtheit gründlich ausnützt.

Judith Hermann, geb. 1970 in West-Berlin, ist eine deutsche Schriftstellerin. Sie besuchte nach dem Abitur die Berliner Journalistenschule, die sie mit einem Diplom abschloss. Danach folgte ein Praktikum in New York, bevor sie 1998 ihren ersten Band mit Kurzgeschichten veröffentlichte, 2003 folgte ein zweiter Band mit Erzählungen. Ihr erster Roman erschien 2014 – „Daheim“ aus dem Jahr 2021 ist ihr zweiter Roman.

Altes hinter sich lassen, Neues erkunden und annehmen, Nähe zu anderen zulassen und Distanz wahren, das sind wohl die Grundgedanken dieses Romans. Die Autorin lässt die Protagonistin selbst erzählen und springt immer wieder zwischen der Gegenwart und den Erinnerungen der Erzählerin hin und her. In knappen Worten skizziert sie die Handlung, deutet vieles nur an. Auch die Dialoge sind kurz und einsilbig, so redet doch kein Mensch, und Emotionen sucht man dabei vergeblich. Zu all dem bleibt auch das Ende offen, richtig offen, wie abgehackt – ärgerlich.

Fazit: Wenig Handlung aber vieles angedeutet – nicht mein Lesegeschmack.

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Veröffentlicht am 11.02.2024

Joseph Roth, ein Schriftsteller als Romanfigur

Im Schatten zweier Sommer
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Im Frühjahr 1914 zieht in Wien in der Rembrandtstraße bei der jüdischen Familie des Schuhmachers Fischler ein neuer Untermieter ein. Es ist ein etwas unsicherer, schüchterner Student aus Galizien, sein ...

Im Frühjahr 1914 zieht in Wien in der Rembrandtstraße bei der jüdischen Familie des Schuhmachers Fischler ein neuer Untermieter ein. Es ist ein etwas unsicherer, schüchterner Student aus Galizien, sein Name ist Joseph Roth. Rasch verliebt er sich in Fanny, die älteste Tochter der Familie. Die beiden erleben einen verliebten Sommer voller Vertrautheit und gleichzeitig voller Heimlichkeiten, bis der Erste Weltkrieg ausbricht und sie sich in den Wirren aus den Augen verlieren. - 1938 flieht Fanny vor den Nazis ins vermeintlich sichere Paris, wo sie durch Zufall ihre Jugendliebe, den inzwischen berühmt gewordenen Schriftsteller Joseph Roth wieder trifft, der dort im Exil lebt. Nun könnten sie ihre damals versäumte Liebe nachholen, doch Roth ist Alkoholiker mit ständigen Geldsorgen, cholerisch, mit sich und der Welt unzufrieden und dazu noch krankhaft eifersüchtig …

Jan Koneffke, geb. 1960 in Darmstadt, ist ein deutscher Schriftsteller, Übersetzer und Autor zahlreicher Erzählungen und Romane. Nach der Schulzeit studierte er Philosophie und Germanistik an der FU Berlin, wo er 1987 den Magistergrad erlangte. Danach lebte er als freier Schriftsteller in Berlin. 1994 heiratete er seine langjährige Jugendfreundin. Aus dieser Ehe ging eine gemeinsame Tochter hervor. Nachdem er ein Stipendium erhalten hatte, ging er 1995 nach Rom, wo er bis 2003 seinen Wohnsitz hatte. Seither lebt er in Wien und in Bukarest, der Heimat seiner zweiten Frau.

Die Idee zu dem Roman „Im Schatten zweier Sommer“ kam dem Autor durch seinen neuen Wohnort in Wien, als er zufällig entdeckte, dass er im selben Haus in der Rembrandtstraße 35 wohnte, wie einst der junge Joseph Roth. Während dessen spätere Jahre recht gut dokumentiert sind, weiß man über seine frühe Zeit nur wenig. Es könnte also durchaus so oder so ähnlich gewesen sein, wie es sich der Autor ausdachte. Dennoch ist es eine fiktive Biografie, denn die Figuren der Fanny und der anderen Mitwirkenden sind frei erfunden.

Der Roman ist in drei Erzählebenen unterteilt. Im ersten Teil erleben wir die Protagonistin Fanny als alte Dame, die ihrem Enkel, dem Ich-Erzähler, kurz vor ihrem Tod noch aus ihrem Leben berichtet. Dabei erfährt er, dass sie eine Beziehung mit dem Schriftsteller Joseph Roth hatte. Sie hinterlässt dem Erzähler ein Tagebuch und zehn Kassetten. Die Tagebuchaufzeichnungen von Februar bis August 1914, in denen Fanny das Verliebtsein und die Unbeschwertheit des Wiener Sommers schildert, ist der Inhalt des zweiten Teils. Dem dritten Teil schließlich liegt der Inhalt der zehn Kassetten zugrunde, in denen sie ihr Wiedersehen mit Roth im Exil in Paris schildert. Wir erfahren, dass das Paar zunächst ein paar glückliche Wochen verlebte, bis …

Der Roman ist eine Mischung zwischen Fiktion und tatsächlichen Begebenheiten, unterlegt mit Zeitgeschehen, kulturellem und literaturhistorischem Material, wobei die Zeit von 1938 bis zu Roths Tod 1939 der Wirklichkeit wohl am nächsten kommt.

Fazit: Interessante Interpretation vom Leben und Wirken des berühmten Schriftstellers Joseph Roth.

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Veröffentlicht am 30.01.2024

Leben im Rückblick, wie verstreute Lichtungen im Wald

Lichtungen
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Sechs Wochen waren sie unterwegs in der Schweiz und in Frankreich, nun sind sie auf der Rückreise in die Heimat, zurück nach Rumänien, Lev und Kato. Sie kennen sich seit ihrer Schulzeit, seit Kato während ...

Sechs Wochen waren sie unterwegs in der Schweiz und in Frankreich, nun sind sie auf der Rückreise in die Heimat, zurück nach Rumänien, Lev und Kato. Sie kennen sich seit ihrer Schulzeit, seit Kato während Levs Krankheit ihm die Hausaufgaben bringen musste, seither sind sie enge Freunde. Nun sind beide Mitte Dreißig. Während Kato die letzten Jahre als Pflastermalerin mit Freund Tom in ganz Europa unterwegs war, blieb Lev zurück in der Heimat und arbeitete im dortigen Sägewerk – bis er aus Zürich eine Einladung von Kato bekam. „Wann kommst Du?“ stand auf der Postkarte, mehr nicht, aber Lev verstand …

Iris Wolff, geb. 1977 in Hermannstadt/Siebenbürgen, ist eine deutsche Schriftstellerin die ihre Kindheit im Banat verbrachte, bis sie 1985 mit ihrer Familie nach Deutschland auswanderte. Sie studierte Deutsche Sprache, Literatur, Religionswissenschaft sowie Grafik und Malerei an der Universität in Marburg. Seit 2018 ist sie als freie Schriftstellerin tätig und lebt heute in Freiburg/Brsg.

Der Roman „Lichtungen“ (2024) ist die rückwärts erzählte Geschichte einer Freundschaft, aus der später Liebe wird. Man beginnt bei Kapitel neun und arbeitet sich zurück bis zu Kapitel eins. Da die einzelnen Kapitel jedoch chronologisch erzählt werden, springt man in der Zeit ständig vor und zurück. Hinzu kommen immer wieder neue Personen, die aber später (vorher im Buch) keine Rolle mehr spielen. Das ist sehr verwirrend und tut der Geschichte nicht gut, da sie auseinander gerissen wird und ein roter Faden fehlt. Man erfährt zwar einiges über die rumänische Geschichte und den Wandel in Europa, doch das ist zeitlich schwierig einzuordnen. Die Öffnung der Grenzen verändert das Leben der Protagonisten und ihre Beziehung zueinander, was man aber bereits ein Kapitel zuvor bereits erfahren hat. Dadurch wirken auch die Protagonisten ziemlich blass, obwohl der Schreibstil der Autorin recht gut und facettenreich ist.

Fazit: Inhaltlich und sprachlich nicht schlecht, doch die Erzählweise konnte mich nicht überzeugen.

(Eine wunderbar rückwärts erzählte Geschichte ist z.B. „Die Überlebenden“ (2022) von Alex Schulman. Da stimmt alles und am Schluss schließt sich Anfang und Ende harmonisch zum Kreis.)

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Veröffentlicht am 27.12.2023

Gedanken und Reflektionen

Die Verletzlichen
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Die nicht namentlich genannte 65jährige Erzählerin kümmert sich im Frühling des Jahres 2020 in New York, während der Corona-Pandemie, um die Wohnung und den Papagei einer guten Freundin, die sich währenddessen ...

Die nicht namentlich genannte 65jährige Erzählerin kümmert sich im Frühling des Jahres 2020 in New York, während der Corona-Pandemie, um die Wohnung und den Papagei einer guten Freundin, die sich währenddessen in Kalifornien aufhält. Jeden Morgen spaziert sie ziellos durch die menschenleeren Straßen von Manhattan und erinnert sich dabei an Ereignisse und Episoden von früher, noch vor dem Lock Down, und vermischt sie mit aktuellen Ereignissen. Sie hinterfragt ihr Leben, ihre Arbeit als Schriftstellerin, erinnert sich an die Schulzeit und an die Beerdigung ihrer guten Freundin Lilly. Sie sinniert über Gegenwärtiges und Vergangenes, über Politik und das Wetter. Als dann noch ein Bekannter der Freundin, ein psychisch angeknackster junger Mann, in die Wohnung einzieht, findet ein gegenseitiger Gedanken- und Meinungsaustausch statt zwischen zwei Menschen, die gegensätzlicher nicht sein könnten …

Die US-amerikanische Schriftstellerin Sigrid Nunez wurde 1951 in New York City als Tochter eines chinesisch-panamaischen Vaters und einer deutschen Mutter geboren. Schon früh wollte sie Schriftstellerin werden, veröffentlichte ihren ersten Roman aber erst, als sie schon Mitte 40 war. Einige weitere folgten, für die sie in den USA Auszeichnungen erhielt. „Die Verletzlichen“ (Original „The Vulnerables“) erschien 2023 in der deutschen Übersetzung von Anette Grube im Aufbau-Verlag in Berlin.

Um einen Roman, wie der Klappentext vermitteln soll, handelt es sich hier nicht - vielmehr ist es eine Ansammlung willkürlicher Gedanken. Die Handlung ist eher spärlich und entspricht nur ab und zu dem angekündigten Inhalt, einen roten Faden konnte ich nicht feststellen. Oft werden Zitate aus Romanen und Gedichten der Weltliteratur angeführt, die eigentlich bedeutende Themen ansprechen, mich jedoch nicht berühren konnten - die erwähnte Komik und den Witz suchte ich ebenfalls vergeblich. Ich grüble noch immer, was uns die Autorin mit dieser Geschichte eigentlich sagen will!

Fazit: Da der Klappentext etwas völlig anderes vermitteln will als man tatsächlich geboten bekommt, kann ich dieses Buch nur bedingt empfehlen.

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Veröffentlicht am 02.12.2023

Herrmann, ein ganz gewöhnlicher Mann

Herrmann
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Herrmann ist ledig, Mitte vierzig, und lebt nach einer gescheiterten Beziehung noch immer im Dorf auf dem elterlichen Hof, wo er die von seinem verstorbenen Vater geführte Hundezucht weiter betreibt. Er ...

Herrmann ist ledig, Mitte vierzig, und lebt nach einer gescheiterten Beziehung noch immer im Dorf auf dem elterlichen Hof, wo er die von seinem verstorbenen Vater geführte Hundezucht weiter betreibt. Er hat einen festen Job in der Hauptstadt, wohin er täglich pendelt. In der Firma gehört er inzwischen zu den „Unkündbaren“, was ihm in seinem langweiligen Büroalltag eine gewisse Sicherheit gibt. Diese Sicherheit wird jedoch gleich zweimal erschüttert. Plötzlich taucht sein ehemaliger Schulkamerad Orban nach 30jährigem Auslandsaufenthalt wieder auf, und außerdem steht Herrmann wegen seines angeschlagenen Herzens ein Besuch bei der Betriebsärztin bevor …

Bettina Gärtner, die Autorin des im Literaturverlag Droschl 2020 in Wien erschienenen Romans „Herrmann“ wurde 1962 in Frankfurt/Main geboren und lebt seit 1969 in Wien. Dort studierte sie Jura und Geschichte, jedoch nicht zu Ende. Danach arbeitete sie als Grafikerin und veröffentlicht seit 2008 in Literaturzeitschriften - zuletzt reduziert auf Home Office, damit ihr möglichst viel frei einteilbare Zeit für ihren zweiten Roman bleibt.

Die Geschichte wird aus der Sicht Herrmanns erzählt. Wir erfahren von der Banalität seines Alltags im Büro und von der Eintönigkeit des Pendelns morgens und abends. Dabei sinniert er des Öfteren über seine in die Brüche gegangene Beziehung zu seiner ehemaligen Freundin Rieke nach und überlegt, warum er seinen Jugendfreund Orban heute nicht mehr so gut leiden kann. Er versinkt in Tagträume und wird von Angstzuständen und Depressionen geplagt. Als Leser wartet man vergebens auf einen Höhepunkt. Herrmanns ständige Gedanken über seinen Blutdruck nerven und sein ewiges Gejammer darüber, was ihm alles widerfährt, ist mehr als ärgerlich. Besonders vermisste ich dabei etwas Humor oder Sprachwitz, was die Geschichte erträglicher gemacht hätte. Herrmann bewegt sich ziel- und planlos – als Leser hofft man, dass da noch etwas mehr kommen könnte. Zwischen den einzelnen Kapiteln sind Internetrecherchen zu verschiedenen, im Geschehen erwähnten Themen, eingestreut, auf die ich gerne verzichtet hätte. Ein „Lichtblick“ (wenn man es so nennen kann) war dann der Schluss, der wirklich logisch und im Nachhinein folgerichtig gestaltet ist.

Fazit: Die banale Geschichte eines einfachen, langweiligen Mannes, mit einem gut durchdachten, folgerichtigen Ende.

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