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Veröffentlicht am 16.03.2024

Wenn die Ereignisse der Vergangenheit eine Versöhnung unmöglich machen

Ein falsches Wort
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Bergjlot hat zwei jüngere Schwestern und einen älteren Bruder. Ihre eigenen Kinder sind schon erwachsen, da bricht unter ihren Geschwistern ein Streit ums Erbe der Eltern aus. Einst wurde ihnen versprochen, ...

Bergjlot hat zwei jüngere Schwestern und einen älteren Bruder. Ihre eigenen Kinder sind schon erwachsen, da bricht unter ihren Geschwistern ein Streit ums Erbe der Eltern aus. Einst wurde ihnen versprochen, dass sie alle gleich viel erben sollen. Doch nun haben die Eltern den jüngeren Schwestern Astrid und Åsa je eine der beiden Hütten in Hvaler überschrieben und dabei einen sehr niedrigen Wert angesetzt. Ihr Bruder Bård fühlt sich ungerecht behandelt und möchte Bergjlot auf seiner Seite wissen. Die ist erstaunt, dass sie überhaupt noch etwas erben soll, hat sie doch Jahre zuvor den Kontakt zur Familie gänzlich abgebrochen. Auf Bårds Drängen hin äußert sie sich schließlich doch dazu. Aber je mehr sie sich dadurch wieder mit ihrer Familie beschäftigen muss, desto stärker dringen alte, schmerzhafte Erinnerungen an die Oberfläche.

Auf der ersten Seite der Geschichte informierte die Ich-Erzählerin Bergjlot mich, dass ihr Vater seit fünf Monaten tot ist. Danach beginnt sie ihren Bericht, was sich in den Wochen davor und danach zugetragen hat. Zunächst dreht sich alles um den Streit ums Erbe: Die beiden jüngeren Schwestern möchten Auseinandersetzungen verhindern, finden die Überschreibung der Hütten an sie aber auch fair, da sie seit Jahren viel mehr Zeit mit den Eltern verbringen haben als Bård und Bergjlot. Aus Sicht der beiden älteren Geschwister gab es gute Gründe für ihr Fernbleiben, doch diese werden zunächst nicht ausgeführt.

Der ganze Roman ist aus der Perspektive der Ich-Erzählerin Bergljot geschrieben. Selbst die Briefe und Mails, die sie mit ihren Geschwistern austauscht, fasst sie mit eigenen Worten zusammen. Dadurch entsteht ein einseitiger Blick auf die Ereignisse. Es wird immer deutlicher, dass Bergjlot das Erbe tatsächlich relativ egal ist und ich fragte mich, warum sie den Kontakt zur Familie abgebrochen hat. Ihre Gedanken kreisen, aber immer, wenn sie sich den Gründen nähert drehen sie ab. Sie erwähnt, dass sie viele Jahre Therapie in Anspruch genommen hat wegen Dingen, die ihr als Kind widerfahren sind. In der zweiten Buchhälfte gelingt es ihr schließlich besser, das Unaussprechliche zumindest grob in Worte zu fassen.

Wie reagiert eine Familie auf schwerwiegende Anschuldigungen aus ihrer Mitte, an denen sie eigentlich zerbrechen müsste? In diesem Fall entscheidet sie sich für Verleugnung zugunsten von Harmonie. Bergjlot ist eine unzuverlässige Erzählerin, doch mit der Zeit konnte ich immer besser nachvollziehen, wie sehr sie unter den Reaktionen ihrer Familie leidet. Ihre ganze Wut, Enttäuschung und Trauer bricht hervor, die alten Wunden werden durch den Erbstreit aufgerissen, während ihre Familie auf Versöhnung drängt. Doch den dafür aufgestellten Regeln, die besagen, dass sie dafür von ihrer Wahrheit abrücken muss, kann sich Bergjlot nicht fügen.

Die Rückblicke in die Vergangenheit, wie es der Erzählerin als junge Erwachsene ergangen ist, brachten für mich nur wenig Erkenntnisgewinn und ich erlebte während der Lektüre durch sich wiederholende Kommunikationsmuster einige Längen. Aus meiner Sicht ist es aber letztendlich die mangelnde Figurenentwicklung, die den Roman ausmacht und zu der schmerzaften Erkenntnis führt, dass manche Wunden nicht heilen können, wenn niemand seine Sicht auf die Dinge überdenken möchte. Eine eindrückliche Lektüre, die nachhallt.

Veröffentlicht am 09.03.2024

Die neue Graphic Novel zur Geschichte von A und Rhiannon

Every Day. Letztendlich sind wir dem Universum egal. Die Graphic Novel
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A wacht jeden Tag in einem neuen Körper auf. Die Regeln sind immer dieselben: Es sind Körper von Jungen und Mädchen in einem ähnlichen Alter und geographisch nicht zu weit voneinander entfernt. A wacht ...

A wacht jeden Tag in einem neuen Körper auf. Die Regeln sind immer dieselben: Es sind Körper von Jungen und Mädchen in einem ähnlichen Alter und geographisch nicht zu weit voneinander entfernt. A wacht nie zweimal im selben Körper auf. An Tag 5994 ist A im Körper von Justin, dessen Freundin Rhiannon niedergeschlagen wird. Um sie aufzuheitern, überredet A sie, die Schule zu schwänzen und einen Tag am Meer zu verbringen. In den darauffolgenden Tagen geht Rhiannon A nicht mehr aus dem Kopf. Im Körper eines Mädchens taucht A als künftige Mitschülerin in der Schule auf, im Körper eines Jungen bei einer Party, auf der sie eingeladen ist. Noch nie hat sich A jemandem anvertraut - wie würde Rhiannon darauf reagieren? Und wohin soll all das führen?

Ich habe den Roman "Letztendlich sind wir dem Universum egal" von David Levithan kurz nach seinem Erscheinen im Jahr 2015 gelesen und sehr gemocht. Auch die Verfilmung aus dem Jahr 2018 habe ich gesehen. Nun ist die Graphic Novel zum Buch erschienen, die von Dion MBD illustriert wurde. Meine Erinnerung an die Handlung war noch recht gut und so war ich gespannt, wie die Umsetzung im neuen Format gelungen ist.

Wie unterschiedlich die Körper sind, in denen A erwacht, lässt sich visuell gelungen darstellen. So wurde noch deutlicher, welcher Herausforderung sich A Tag für Tag stellen muss. Während im Roman immer genau beschrieben wird, welche Identität A für den Tag übernommen hat, sprechen hier die Bilder für sich, sodass die Geschichte mit wenigen Worten auskommt und an einigen Tagen überhaupt kein Text abgedruckt ist. Dadurch bleibt noch mehr Raum für die Fantasie des Lesenden.

Der Illustrator arbeitet gelungen mit verschiedenen Farbschemata, welche die Welt jeden Tag auch auf diese Weise ganz anders erscheinen lassen. Mein einziger Kritikpunkt an den Illustrationen ist, dass Dion MBD eine merkwürdige Art hat, Nasen zu zeichnen. Rhiannon hat wie fast alle weiblichen Charaktere im Profil eine übertriebene Stupsnase, männliche Nasen sind lang und gerade. Werden Gesichter von vorn gezeigt, dann sind die Nasen fast gar nicht zu erkennen, wodurch die Gesichter irritierend leer wirken.

Die wachsenden Gefühle von A für Rhiannon werden auch ohne viele Worte gelungen transportiert. Eine gewisse Orientierung bieten die Mails und Textnachrichten zwischen den beiden. So nimmt die mir bereits bekannte Geschichte ihren Lauf und zog mich abermals in ihren Bann. Das bittersüße, melancholische Ende lässt mich auch nach dem wiederholten Eintauchen in die Geschichte nicht kalt. Sehr gerne empfehle ich die Graphic Novel weiter.

Veröffentlicht am 02.03.2024

Ein berührender Roman auf drei Zeitebenen

Die Halbwertszeit von Glück
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Mylène ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die 2019 in Paris lebt und in Kürze ihren Verlobten Frédéric heiraten will. Als ein Anwalt auftaucht und ihr berichtet, dass sie eine Wohnung in Amsterdam von ...

Mylène ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die 2019 in Paris lebt und in Kürze ihren Verlobten Frédéric heiraten will. Als ein Anwalt auftaucht und ihr berichtet, dass sie eine Wohnung in Amsterdam von einer ihr völlig unbekannten Frau geerbt hat, gerät ihr Leben aus den Fugen. Auch in Hollys Leben in Los Angeles ist 2003 plötzlich alles anders, als ihre Arbeitskollegin Jay bei einer Explosion stirbt, nachdem sie für Holly eingesprungen ist. Ihre Schuldgefühle führen dazu, dass sie ihren Traum von der Karriere als Drehbuchautorin begräbt und beginnt, sich um Jays Familie zu kümmern. In der DDR im Jahr 1987 findet die Einsiedlerin Johanna im Wald ein Mädchen, das bei ihrem Fluchtversuch angeschossen wurde. Eigentlich wollte sie sich aus solchen Geschichten heraushalten, doch nun muss sie entscheiden, ob sie der jungen Frau hilft und sich dami selbst in Gefahr bringt.

Das Buch beginnt mit einem Prolog im Jahr 1938, dessen Bedeutung sich mir im Laufe der Geschichte erschloss. Danach lernte ich auf drei verschiedenen Zeitebenen Mylène, Holly und Johanna kennen. Ihre Leben werden allesamt durch einscheidende, überraschende Ereignisse durcheinander gewirbelt. In der Folge stehen sie vor der Entscheidung, wie sie weitermachen wollen. Eine Rückkehr zu ihrem bisherigen Leben scheint für alle drei zumindest für den Moment undenkbar zu sein.

Es gibt drei Handlungsstränge auf drei Zeitebenen, die immer abwechselnd erzählt werden und deren Zusammenhang zunächst nicht klar ist. Stattdessen sprang ich beim Lesen zwischen den Geschichten hin und her und wurde dadurch immer wieder aus dem Lesefluss gerissen. Da die Kapitel oft mit einem spannenden Cliffhanger enden, wurde ich auf der anderen Seite zum zügigen Weiterlesen animiert, da ich wissen wollte, wie es weitergeht.

Mit der Zeit wird deutlich, dass die Geschichten der drei Frauen, so unterschiedlich sie auch sind, gewisse Parallelen aufweisen. Sie alle haben Unglück erlebt und feststellen müssen, wie flüchtig Momente des Glücks sein können. Die Ereignisse fand ich berührend und habe mitgehofft, dass sich für die Protagonistinnen alles zum Guten wenden wird. Nachdem ich lange gerätselt habe, wie die Handlungsstränge zusammenhängen, wird schließlich fast alles innerhalb eines Absatzes gelüftet. Das hätte man für meinen Geschmack noch geschickter einfädeln können. Insgesamt hat mir der Roman trotz der kleinen technischen Schwächen aber sehr gut gefallen. Begebt euch mit Mylène, Holly und Johanna auf eine Reise voller Höhen und Tiefen!

Veröffentlicht am 02.03.2024

Eine folgenschwere Entscheidung

Schwestern in einem anderen Leben
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Die Sommerferien des Jahres 1976 verbringt die sechzehnjährige Rebecca die meiste Zeit mit ihrer Clique an Waldsee. Zu dieser gehört auch der Musiker Ulf, der ihr Freund ist und den sie ihren Eltern verheimlicht. ...

Die Sommerferien des Jahres 1976 verbringt die sechzehnjährige Rebecca die meiste Zeit mit ihrer Clique an Waldsee. Zu dieser gehört auch der Musiker Ulf, der ihr Freund ist und den sie ihren Eltern verheimlicht. Die unbeschwerte Zeit findet für Rebecca kurz nach Ferien ein jähres Ende. Als sie sich von ihren Eltern im Hinblick auf ihre Zukunft in die Enge gedrängt fühlt, trifft sie eine folgenschwere Entscheidung.

Im Jahr 2023 führt Rosi ein ruhiges Leben mit vielen Freunden und Bekannten. Ihre Familie sieht sie jedoch als unerreichbar an und verbietet sich die Gedanken an diese. Eine Meldung im Fernsehen treibt die alten Erinnerungen schließlich an die Oberfläche und sie erinnert sich zurück, welchen Verlauf ihr Leben in den letzten Jahrzehnten genommen hat.

Der Roman beginnt mit einem Prolog, in dem eine grauhaarige Frau nach langer Zeit in ein Dorf zurückkehrt, in dem sie sich einst gut auskannte. Danach lernte ich Rebecca und ihre Familie im Jahr 1976 sowie Rosi im Jahr 2023 kennen. Aufgrund vieler Andeutungen war mir der Zusammenhang zwischen den Erzählsträngen schnell klar, dennoch hatte ich zahlreiche Fragen im Hinblick auf das Warum und Wieso.

In den Kapiteln, die in der Vergangenheit spielen, gibt es nicht nur Erzählabschnitte aus der Sicht von Rebeca, sondern auch aus der Sicht von ihrer Schwester Miriam und ihrer Mutter Hilde. So erhielt ich umfassende Einblicke in die Familiendynamik und welche Konsequenzen Rebeccas Handeln nicht nur für sie selbst, sondern auch für die anderen Mitglieder der Familie hat. Das emotionale Chaos, das in Rebecca tobt, wurde mir begreiflich gemacht und ich konnte nachvollziehen, wie sie zu ihrer Entscheidung gekommen ist.

Im Laufe der Geschichte fiel es mir allerdings zunehmend schwer, weiterhin Verständnis für Rebecca aufzubringen. Nachdem sie Abstand zu der ganzen Situation gewonnen hat und sich in Ruhe Gedanken über ihre Zukunft machen kann, handelt sie im Hinblick auf ihre Familie immer wieder kaltherzig. Das Leid der Familienmitglieder äußert sich auf ganz unterschiedliche Weise und ich erlebte dieses auf beklemmende Weise mit.

Rosis Erinnerungen an die Vergangenheit sind abwechslungsreich und nahmen mich mit durch mehrere Jahrzehnte deutsche Geschichte. Themen wie das Leben in Kommunen, die Suche nach den verbleibenden Mitgliedern der RAF, die Punkszene und das aufkommende Interesse für Bio-Produkte werden im Roman auf interessante Weise behandelt. Für mich als Düsseldorferin war es schön, dass weite Teile der Geschichte in der Umgebung spielen und mich an viele bekannte Orte führten. Das Ende des Romans stimmte mich schließlich auch im Hinblick auf Rebecca ein wenig versöhnlich. Gerne empfehle ich "Schwestern in einem anderen Leben" an alle weiter, die Lust auf eine berührende Familiengeschichte haben.

Veröffentlicht am 24.02.2024

Zwischen Glamour und Geheimnissen

Tahara
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Marcel Klein arbeitet seit vielen Jahren als Filmkritiker für das Kinomagazin "Hollywood" - zuerst in L.A., inzwischen als freier Mitarbeiter in Berlin. Auf den Filmfestspielen in Cannes hat er ein volles ...

Marcel Klein arbeitet seit vielen Jahren als Filmkritiker für das Kinomagazin "Hollywood" - zuerst in L.A., inzwischen als freier Mitarbeiter in Berlin. Auf den Filmfestspielen in Cannes hat er ein volles Programm mit Pressekonferenzen, Vorführungen und Partys am Abend. Dabei macht sich bei ihm ein gewisser Verdruss bemerkbar, er erlebt die immergleichen unoriginellen Fragen und Platitüden. Eine willkommene Abwechslung ist da Héloïse, die er am ersten Festivalmorgen auf der Hotelterrasse kennenlernt. Die Lehrerin aus Metz hat keine Verbindung zur Filmbranche und ist aus Neugier nach Cannes gekommen. Nach einem holprigen Start sehen die beiden sich zufällig immer wieder und fühlen sich zunehmend zueinander hingezogen. Doch Héloïse ist nicht ganz ehrlich zu Marcel. Als dieser sich in eine heikle Situation bringt, verlassen die beiden überstürzt gemeinsam die Stadt.

Ich werde im Mai einige Tage an der Côte d'Azur verbringen und habe das Buch als frühe Einstimmung auf den Urlaub gelesen. Der Roman beginnt mit Marcel Kleins Eintreffen in Cannes und seiner ersten Begegnung mit Héloïse. Für ihn ist ist das Filmfestival ein Ereignis, das er seit Jahren besucht und das nichts besonderes mehr für ihn ist. Beiläufig erzählt er Héloïse von den anstehenden Pressekonferenzen und Interviews mit den großen Stars der Filmindustrie. Während er seine Termine mit wenig Motivation wahrnimmt, genießt er die luxuriöse Unterbringung, das gute Essen und die exklusiven Partys auf Kosten der Zeitschrift, denn er selbst ist tief verschuldet.

Héloïse übt von Beginn an eine Faszination auf Marcel aus, doch die ersten Gespräche verlaufen unglücklich, da stets einer den anderen in irgendeiner Weise brüskiert. Dennoch verbringen die beiden zunehmend Zeit miteinander. Héloïse hat jedoch von Beginn an klargestellt, das sie verheiratet ist - wohin also soll all das führen? Durch einige Kapitel aus ihrer Sicht lernte ich, sie und ihr Handeln besser zu verstehen.

Die erste Buchhälte verläuft in ruhigen Bahnen und ich wartete auf die im Klappentext angekündigten Geheimnisse und die Flucht aus Cannes. Nach einer besonders wilden Party mit Alkohol und Drogen offenbart Marcel am nächsten Tag bei einem Interview die schlechteste Version seiner selbst und bringt sich selbst in eine heikle Situation. Das bringt endlich Schwung in die Handlung und die Ereignisse nehmen ihren Lauf.

Marcels und Héloïses Ausbruch aus ihren in vorgegebenen Bahnen verlaufendem Leben schwankte ich zwischen einer Bewunderung für die wilde Romantik der Situation und einer gewissen Abgeklärtheit, dass sich beide sehenden Auges ins Unglück stürzen und Marcel die Konsequenzen seines Handelns auch redlich verdient hat. Doch wer dachte, dass alle Geheimnisse gelüftet wurden, wird zum Ende hin noch mal eines besseren belehrt und erlebt eine Überraschung, welche die gemeinsamen Tage von Marcel und Héloïse noch mal in ein anderes Licht rücken. Ein Buch für alle, die Lust auf eine bewegende Lektüre rund um eine amour fou an der Küste Südfrankreichs haben.