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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.04.2024

Authentisch, glaubwürdig und berührend

Kontur eines Lebens
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Nach dieser Lektüre muss ich erst einmal tief durchatmen und mich sammeln.
Jaap Robben erzählt die Geschichte von Ida, einer alten Dame, die nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes die gemeinsame Wohnung ...

Nach dieser Lektüre muss ich erst einmal tief durchatmen und mich sammeln.
Jaap Robben erzählt die Geschichte von Ida, einer alten Dame, die nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes die gemeinsame Wohnung aufgeben muss und ins betreute Wohnen zieht. Ihr Sohn Tobias hilft ihr dabei und erfährt das lang gehütete Geheimnis seiner Mutter.
Abwechselnd folgen wir Ida als junge Frau, die sich auf einen älteren verheirateten Mann einlässt und als alte pflegebedürftige Frau, die sich mit der neuen Lebenssituation vertraut machen muss und gleichzeitig ihre Vergangenheit aufarbeitet.
Diese Geschichte hat mich tief berührt, Robben schafft es nicht nur authentisch aus der Sicht einer Frau zu schreiben, er schafft es sogar absolut glaubwürdig aus der Sicht einer alten Frau zu schreiben - keine Szene, kein Gedanke wirkt aufgesetzt oder unglaubwürdig: Ida ist eine lebendige Person aus Fleisch und Blut.
Ich habe sehr mit ihr mitgefühlt, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart (mit Ü 55 ist man näher am Altersheim dran, als an seiner Teenagerzeit), ich war wütend auf die Gesellschaft der frühen 60er Jahre, ich war entsetzt über die Kirche, ich war frustriert als Frau... ich habe so ziemlich alle Emotionen durchlebt, die man im Laufe eines Buches durchleben kann.
Jaap Robben ist ein guter Beobachter und ein einfühlsamer Erzähler, sein Schreibstil ist geradlinig und klar, aber auch stellenweise sehr bildgewaltig. Bravo - genau so geht Literatur!
Ein nicht einfach zu verdauendes Buch, aber äußerst empfehlenswert - Birgit Erdmann hat für uns das Ganze aus dem Niederländischen übersetzt.

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Veröffentlicht am 01.04.2024

Ein literarischer Schatz

Die Frauen der Familie Carbonaro
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Auf dieses Buch habe ich mich bereits gefreut, als ich die letzten Seiten des Vorgängers "Terra die Sicilia" gelesen hatte.
Schon der erste Band, der die Familiengeschichte der Carbonaros aus der Sicht ...

Auf dieses Buch habe ich mich bereits gefreut, als ich die letzten Seiten des Vorgängers "Terra die Sicilia" gelesen hatte.
Schon der erste Band, der die Familiengeschichte der Carbonaros aus der Sicht der Männer erzählt, war für mich ein absolutes Highlight - sprachlich genauso wie inhaltlich.
Nun kommen die Frauen aus drei Generationen der Familie zu Wort. Und hier wird nicht etwa einfach die gleiche Geschichte nochmal erzählt, sondern gewisse Begebenheiten werden in ein anderes Licht gerückt und Lücken gefüllt. Wer den ersten Band nicht gelesen hat, kann diesen trotzdem geniessen (allerdings verpasst man ein gutes Buch).

Sprachlich war es wieder ein Hochgenuss: Giordano erzählt plastisch und eindrucksvoll, man meint zu riechen, zu schmecken und zu sehen was man da liest. Wieder nehmen Aberglaube und Familiengeister ihren Platz in der Geschichte ein, was unglaublich gut passt und nicht befremdlich wirkt.

Fasziniert hat mich die Tatsache, dass ich irgendwann aufgehört habe zu denken, dass das ein Mann geschrieben hat - es waren wirklich Frauen, denen ich zugehört habe.

Ich werde La Familia, die Carbonaros, stark vermissen.
Danke Mario Giordano für diese ganz wunderbare Familiengeschichte, die sich fest in mein Herz gebrannt hat.

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Veröffentlicht am 25.03.2024

Absolut großartig und herzzerreißend

So weit der Fluss uns trägt
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Whoa! Dieses Buch hat mich fertig gemacht - im positiven Sinne.
Grad eben noch die letzte Seite verschlungen, versuche ich meine Emotionen zu sortieren.
Erst einmal vorne weg: Nein, dieser aufwühlende ...

Whoa! Dieses Buch hat mich fertig gemacht - im positiven Sinne.
Grad eben noch die letzte Seite verschlungen, versuche ich meine Emotionen zu sortieren.
Erst einmal vorne weg: Nein, dieser aufwühlende und wunderschöne Roman hat nichts, absolut gar nichts, mit irgendwelchen singenden Flußkrebsen zu tun. Sollte also irgendwo ein Vergleich auftauchen, gleich vergessen und abhaken, dieses Buch ist so viel besser.

Ich schließe mich einigen Rezensenten vor mir an: die Naturbeschreibungen sind wirklich gelungen und kein Satz zu viel. Ich schwöre, stellenweise kann man den Fluß und das Gras riechen!
Der Plot ist tragisch, extrem zu Herzen gehend und dennoch glaubwürdig - ja, die eine oder andere Szene ist vielleicht ein wenig konstruiert, aber durchaus stimmig. Und es gab sowieso irgendwann einen Punkt, da habe ich nicht weiter nachgedacht, ich war mittendrin und wollte nicht mehr aufhören zu lesen.
Der Schreibstil ist sehr einnehmend und die einzelnen Figuren gut porträtiert, ich hatte jeden Protagonisten bildlich vor meinem geistigen Auge. Auch das Setting ist, neben den Naturschauplätzen, sehr atmosphärisch - ich liebe ja Geschichten, die im ländlichen Amerika spielen. Die Hauptprotagonistin ist glaubwürdig und es war toll, sie von ihrem siebzehnten Lebensjahr an bis zur reifen Frau begleiten zu können, zu sehen wie sie innerlich wächst.
Trotz aller Tragik ist die Geschichte auch hoffnungsvoll und streicht hervor, wie stark Frauen sein können,
Die Übersetzung kommt von Wibke Kuhn, die Leseempfehlung von mir!

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Veröffentlicht am 24.03.2024

Authentisch und atmosphärisch dicht

Im Schatten zweier Sommer
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Ganz viel Liebe für dieses Buch! Das und nichts anderes empfinde ich für das absolut großartige Meisterwerk aus der Feder Jan Koneffkes.
Ein bissl fürchte ich mich ja immer, wenn ich ein Buch lese, das ...

Ganz viel Liebe für dieses Buch! Das und nichts anderes empfinde ich für das absolut großartige Meisterwerk aus der Feder Jan Koneffkes.
Ein bissl fürchte ich mich ja immer, wenn ich ein Buch lese, das in Wien spielt aber von einem Nichtwiener geschrieben wurde. Da bin ich empfindlich, wenn meine Heimatstadt touristenmäßig beschrieben wird oder ein gequälter Wiener Dialekt rausgehauen wird, wenn's also nicht authentisch ist. Aber diese Angst war absolut unbegründet, Koneffke hat nicht nur eine perfekte Wiener Atmosphäre geschaffen, sondern auch nostalgisch glaubhaft das alte Wien präsentiert - nicht allein durch die fiktive Figur der Fanny Fischler, die in ihren Tagebüchern so wunderbar alte Wiener Begriffe verwendet, die mich wehmütig schmunzeln haben lassen.
Geschickt verwebt der Autor Fakten mit Fiktion und ich habe schnell beim Lesen einfach vergessen, dass die Geschichte um Joseph Roth und Fanny erfunden ist. Genauso hätte es gewesen sein können. Die wichtigsten Eckdaten um Joseph Roth stimmen (ein bisschen gegoogelt hab ich schon) und die Lücken in seiner Biografie füllt Koneffke stimmig und schlüssig auf.
Fanny ist eine tolle Protagonistin, eine gescheite junge Frau, die trotz ihrer manchmal nicht nachvollziehbaren Liebe zu Roth, eine starke Persönlichkeit ist. Sie ist liebenswert gezeichnet, eine absolut lebendige Figur; dass man sie zu Beginn des Buches als alte sehr vitale Frau kennenlernt, rundet das Gesamtbild stimmig ab.
Nachdem ich nun einige Stunden im nostalgischen Wien verweilen konnte, habe ich richtig Lust auf Joseph Roths Bücher bekommen - ist schon wieder zu lange her, dass ich was von ihm gelesen habe.
Von mir gibt es eine hundert prozentige Leseempfehlung, ein Highlight in diesem noch jungen Jahr, vielen Dank dafür Herr Koneffke!

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Veröffentlicht am 21.03.2024

Der Leidensweg einer Frau

Muna oder Die Hälfte des Lebens -
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Terezia Mora schildert in diesem Buch das Leben (zumindest die erste Hälfte) von Muna, einer Frau, die in der DDR aufwuchs mit einem viel zu früh verstorbenen Vater und einer alkoholkranken Mutter. Kurz ...

Terezia Mora schildert in diesem Buch das Leben (zumindest die erste Hälfte) von Muna, einer Frau, die in der DDR aufwuchs mit einem viel zu früh verstorbenen Vater und einer alkoholkranken Mutter. Kurz nach ihrem Abitur fällt die Mauer und der Mann, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hat ist spurlos verschwunden. Sie selbst nutzt ihre guten Zensuren und versucht die Welt für sich zu entdecken und trifft einfach schlechte Entscheidungen.
Ein packender und unter die Haut gehender Roman über eine ungesunde Beziehung aus der Sicht der Protagonistin. Ohne Pathos plaudert sie aus ihrem Leben und das läßt mich als Leserin mit Gänsehaut zurück, denn Muna jammert und klagt nicht, sie stellt fest und wird dabei immer kleiner und unbedeutender (aus ihrer Sicht).
Gleich das erste Kapitel schleuderte mich komplett in die Handlung, dramatische Szenen ohne Übertreibung ohne kitschige Schnörksel, sogar mit etwas Sarkasmus. Ich kann das Buch nicht mehr aus der Hand legen, leide mit Muna mit, möchte sie an die Hand nehmen und ihr sagen:"Nein, das ist nicht gut, gehen wir!" Und so beobachte ich, wie sie sich selbst in dieser Beziehung verliert. Das ist schmerzhaft zu lesen und ich ertappe mich dabei, darüber nachzudenken, warum sie so geworden ist.
Der Schreibstil ist toll und leicht zu lesen, Mora nutzt Stilmittel, die genial sind... aber so leicht es auch zu lesen ist, die Thematik ist es nicht und hinterläßt ein beklemmendes Gefühl. Irgendwie hätte ich jetzt gerne einen Diskussionkreis darüber!
Wer schwere Kost lesen kann, dem sei dieses Buch allerwärmstens empfohlen.

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