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Veröffentlicht am 29.04.2024

Ein Buch gegen das Vergessen, dem es durch den Schwerpunkt auf der Aneinanderreihung von Gewalttaten an einer lebendigen und abwechslungsreichen Handlung fehlt.

Wären wir Vögel am Himmel
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In Europa herrscht Krieg. Die Deutschen marschieren im Rahmen ihrer Osteroberungen Richtung Ukraine. Nachdem die Menschen dort bereits schreckliches Leid durch die Sowjets erfahren mussten, hungerten und ...

In Europa herrscht Krieg. Die Deutschen marschieren im Rahmen ihrer Osteroberungen Richtung Ukraine. Nachdem die Menschen dort bereits schreckliches Leid durch die Sowjets erfahren mussten, hungerten und zahlreiche Familienangehörige verloren haben, hoffen sie, dass die Deutschen sie von der Roten Armee schützen. Tatsächlich bringen die Deutschen keine Sicherheit - ganz im Gegenteil. Sie rekrutieren Zwangsarbeiter und verbringen bereits Kinder in den Westen, um dort zu arbeiten und die Kriegsmaschinerie zu unterstützen.

Vika lebt um Angst um ihre Kinder und muss zusehen, wie ihr ältester Sohn Slavko und ihre Nichte Lilija verschleppt werden. Lilija hat bereits so viele Verluste erlebt, dass sie hofft, wenigstens auf Slavko aufpassen zu können. Auf ihrem Transport nach Deutschland lernen die beiden die 11-jährige Halya kennen. Die drei freunden sich an und versuchen sich gegenseitig, Trost zu spenden und Halt zu geben, ist die Situation und das Ausgeliefertsein an das deutsche Regime auch noch so zermürbend und gefährlich.

"Wären wir Vögel am Himmel" ist eine Geschichte über Krieg und Verlust, über Angst und Gewalt und wie die Menschen in dunkelsten Zeiten zusammenhalten und Liebe und Freundschaft finden können.

Der Roman, in dem die Autorin Teile ihrer eigenen Familiengeschichte verarbeitet, handelt von 1941 bis 1949 und wird aus wechselnden Perspektiven der drei weiblichen Hauptfiguren erzählt. Vor dem Hintergrund des andauernden Konflikts in der Ukraine ist es erschütternd zu lesen, wie viel Leid das ukrainische Volk bereits erfahren musste. Es ist ein umkämpftes Land, in dem sich die Zivilbevölkerung nie wirklich sicher sein konnte. Russen, Polen, Deutsche - alle wollten ein Teil des Kuchens haben und sind mit unfassbarer Gewalt gegen die Menschen vorgegangen. Durch den Roman erhält man den Eindruck, dass keine Familie verschont geblieben ist und dass die Überlebenden über die Jahre hinweg mit so vielen Verlusten umgehen mussten und andauernd in Angst und Schrecken um sich und ihre Angehörigen leben mussten.

Das Buch beschreibt die Gräueltaten nicht im Detail, aber zwischen den Zeilen kann man die Folter begreifen. Neben dem körperlichen Leid ist auch das seelische Leid kaum zu begreifen.

In den Roman wird so ziemlich alles hineingepackt, was ein Osteuropäer während des Zweiten Weltkriegs hatte erleben können. In der Geschichte reiht sich eine Gewalttat an die andere. Die Wege sind von Leichen gepflastert. Das ist mit der Zeit etwas ermüdend, auch wenn Mitgefühl geschürt wird. Die Charakterzeichnung und die Rahmenhandlung bleiben damit oberflächlich. Den Figuren - auch wenn man noch so viel mit ihnen leidet und sich über jeden Funken Hoffnung freut - wird zu wenig Leben eingehaucht. Sie bleiben Statisten in einer Geschichte über Gewalt und Verlust.

Politische Zusammenhänge werden nicht erläutert, wer aus welchem Grund an der Ukraine zerrt bleibt genauso unerwähnt, wie das politische System und etwaige Machthaber in der Ukraine selbst. Dass es einen Widerstand wird eingangs erwähnt, aber keine Ausführungen dazu gemacht, was dadurch bewirkt wird. In die Handlung wurden insgesamt zu viele Aspekte integriert, aber nicht weitergehend ausgeführt.

"Wären wir Vögel am Himmel" ist ein Buch gegen das Vergessen, dem es durch die Aneinanderreihung von Gewalttaten an einer lebendigen und abwechslungsreichen Handlung fehlt. Trotz einiger positiver Aspekte wie dem Zusammenhalt der Figuren, ihrem Mut, ihrer Fähigkeit, nicht aufzugeben und der Hilfsbereitschaft, denen ihnen immer wieder zuteil wird, ermüdet das Buch mit seiner Einseitigkeit, mangelnder Tiefe und kann nicht so berühren und mitreißen, wie erhofft. Das Ende ist dann fast schon ein wenig kitschig und von sehr viel Glück und Zufällen geprägt.

Durch das Nachwort der Autorin ist sehr gut nachvollziehbar, dass es ihr ein Anliegen war, ihre Familiengeschichte niederzuschreiben bzw. sich von ihr zu diesem Roman inspirieren zu lassen und ihren starken Vorfahren ein Denkmal zu setzen. Man kann der Ukraine nur wünschen, dass sie bald Frieden finden wird und die Menschen dort dauerhaft ohne Angst in Freiheit leben können.

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Veröffentlicht am 16.04.2024

Stille Revolte, Zusammenschluss von Frauen, schonungsloser Blick auf Care-Arbeit - ehrlich, aber wenig unterhaltsame feministische Utopie

Und alle so still
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Elin ist Influencerin, die sich mit Hasskommentaren im Netz konfrontiert sieht. Willkürlich schläft sie mit fremden Männern, um ihre innere Leere zu füllen, für die schnelle Befriedigung, aber ohne Liebe.
Nuri ...

Elin ist Influencerin, die sich mit Hasskommentaren im Netz konfrontiert sieht. Willkürlich schläft sie mit fremden Männern, um ihre innere Leere zu füllen, für die schnelle Befriedigung, aber ohne Liebe.
Nuri stammt aus einer Arbeiterfamilie von Migranten, hat rebelliert und die Schule abgebrochen und kämpft sich Tag und Nacht mit diversen schlecht bezahlten, oft entwürdigenden, Jobs durchs Leben, um genügen Geld zu verdienen, um Freiheit zu erlangen.
Ruth arbeitet als Pflegekraft in einem Krankenhaus, leistet unzählige Überstunden und ist trotz körperlicher Erschöpfung mit ihrem Herzen dabei.
Die drei begegnen sich an einem Sonntag im Juni, als eine Vielzahl von Frauen aufhört, die von ihnen als selbstverständlich erachtete Arbeit zu leisten und sich still vor ein Krankenhaus auf den Boden legen.
Kann dieser Akt der Rebellion etwas ändern? Werden Frauen endlich gehört werden? Wird Arbeit in sozialen Berufen und Care-Arbeit endlich gerecht vergütet werden? Wird endlich etwas gegen die Gewalt gegen Frauen getan werden?

Der Roman wirft wichtige Fragen nach der Wertschätzung von sozialer Arbeit auf, die naturgemäß mehrheitlich von Frauen geleistet wird. Die einzelnen Kapitel aus Sicht der drei Hauptfiguren sind unterbrochen durch
interessante Einschübe aus Sicht der Pistole, der Gebärmutter und der Berichterstattung, die personalisiert werden. Diese Ansichten sind pointiert und bitterböse, aber einfach nur ehrlich formuliert.

Die Geschichte handelt von einem spontanen Stillstand. Frauen sind von ihrer Arbeit und sind es leid für ihre Rechte zu kämpfen, die selbstverständlich sein sollten. Es ist ein stiller Protest ohne Forderungen, ohne Plakate und Parolen. Die Frauen machen nicht mehr das, was sie immer machen und stürzen damit die Gesellschaft in Chaos.

Neben der Situation in der Pflege, geht es auch um die Undurchlässigkeit sozialer Schichten auch mit noch so großer Anstrengung und um die (sexuelle) Gewalt an Frauen.

Die prekäre Situation im Gesundheitswesen nimmt dabei eine große Rolle ein. Sehr detailliert werden die Aufgaben von Ruth als Krankenschwester beschrieben, dass phasenweise das Gefühl aufkommt, ein Sachbuch über die Vielzahl an Missständen in Krankenhäusern zu lesen.
Im Gegensatz dazu werden die Auswirkungen der Frauenrevolte auf Politik, Wirtschaft und Medien nur rudimentär thematisiert.

Es fällt mir schwer das Buch zu bewerten, denn ich mag den Schreibstil und die schonungslos ehrlichen Worte. Auch ist die Idee eines stillen Protests und was Frauen bewirken können, wenn sie sich zusammenschließen und in ihrer Gesamtheit gewichtig sind und gehört werden müssen, ist im Vergleich zu einem feministischen Kampf neuartig.
Dass der Roman keine Wohlfühlgeschichte werden würde, ist auch klar. Mir fehlte trotzdem ein wenig Leichtigkeit und ein Ziel, wo die Geschichte hinführen sollte. Chaos und dann?
Darüber hinaus fand ich die Geschichte mit einer Verteufelung aller Männer zu einseitig schwarz-weiß gefärbt.
In dem Buch werden viele Probleme treffend und zurecht angeprangert. Mir fehlte dabei jedoch die für eine Roman nötige Unterhaltung und Spannung und nahbare Charaktere, die die Geschichte lebendiger gemacht hätten. Die Umsetzung ist anstrengend, fast schon aggressiv und endet unbefriedigend ohne einen Ausblick auf eine Lösung, geschweige denn Besserung.

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Veröffentlicht am 14.04.2024

Originelle Idee, aber eine enttäuschende Umsetzung der Geschichte ohne Logik und Spannung

Die Anomalie
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Ein und dasselbe Flugzeug mit den selben Passagieren und der selben Besatzung landet nach Turbulenzen zweimal in New York - im März 2021 und im Juni 2021. Während die Betroffenen zunächst noch ahnungslos ...

Ein und dasselbe Flugzeug mit den selben Passagieren und der selben Besatzung landet nach Turbulenzen zweimal in New York - im März 2021 und im Juni 2021. Während die Betroffenen zunächst noch ahnungslos sind, versucht die amerikanische Regierung zusammen mit hinzugezogenen Wissenschaftlern eine Erklärung für das Phänomen zu finden. Ist die Welt nur eine Simulation? Handelt es sich um einen Programmierfehler? Hat Gott seine Hand im Spiel? Und was passiert, wenn die Doppelgänger sich begegnen? Wo ist Platz für den zweiten von ihnen?

Ein interessanter Plot, der jedoch wenig spannend aufgebaut ist. Da schon durch den Klappentext von Anbeginn klar ist, worauf was die Geschichte hinausläuft, ist gerade der Anfang der Geschichte recht zäh. Man erhält Einblicke in die Leben verschiedener Personen in unterschiedlichen Ländern: ein Auftragskiller aus Frankreich, ein Musiker aus Nigeria, ein alternder Architekt und seine Geliebte, ein französischer Schriftsteller und eine junge, amerikanische Schauspielerin. Am Ende steht in allen Episoden das FBI bei ihnen und ihren Familien vor der Tür. Bei den Personen, die scheinbar nichts miteinander verbindet, handelt es sich um die Passagiere des Flugs von Paris nach New York, die es nach der zweiten Landung im Juni doppelt gibt.

Durch die nur kurzen Einblicke in die jeweiligen Leben bleiben die Charaktere unnahbar und austauschbar. Selbst deren Lebensumstände, die durch Verbrechen, Erkrankung oder gar Kindesmissbrauch, Potenzial für bewegende Geschichten geben, werden halbherzig und oberflächlich ausgeführt, was auch der Vielzahl der Personen geschildert ist.
Die Suche nach einer Erklärung ist nicht einmal annähernd spannend wie ein Kriminalroman. Es folgen Diskussionen von Wissenschaftlern, dem FBI, Regierungsvertretern und Vertretern der (Welt-)religionen, in denen verschiedene Theorien ausgeführt werden. Wissenschaftliche, philosophische und religiöse Thesen werden unterbreitet, aber letztlich ist das Resultat mit zwei Landungen und entsprechenden Doppelgängern so unglaublich, dass es schwer ist eine befriedigende, logische Lösung zu finden - und die kann auch der Autor nicht präsentieren.
Interessanter sind die Begegnungen der Doppelgänger, wie unterschiedlich die Reaktionen sind und was die Doubles mit ihren Leben zukünftig anstellen wollen.

"Die Anomalie" klingt vielversprechend und originell, verliert aber durch den Klappentext, der bereits die gesamte Handlung offenbart, schnell ihren Reiz. Die Geschichte ist zudem zu fragmentarisch erzählt und kann weder in der Art der Darstellung noch bei dem Versuch einer Erklärung des Phänomens Spannung erzeugen oder Emotionen wecken. Während man sich mehr oder minder damit abfinden muss, seine eigene Theorie zu bilden, wie es zur Dopplung kommen konnte, wird die Geschichte am Ende einzig durch die Begegnungen der Doppelgänger und wie sie ihr persönliches Debakel lösen, lebendiger und unterhaltsamer.

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Veröffentlicht am 26.03.2024

Sehr gefühlsbetonter Roman mit einer Familiengeschichte, die einzig auf Lügen basiert, so dass wenig Verständnis für die Protagonisten aufgebracht werden kann

Wort für Wort zurück ins Leben
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Pearl Flowers lebt zusammen mit ihrem Mann Denny in einem Cottage im Wald bei Sévérac-le-Chateau in Frankreich. Sie sind zufrieden mit ihrem gleichförmigen Leben zu zweit, als ein Anruf von Pearls älterem ...

Pearl Flowers lebt zusammen mit ihrem Mann Denny in einem Cottage im Wald bei Sévérac-le-Chateau in Frankreich. Sie sind zufrieden mit ihrem gleichförmigen Leben zu zweit, als ein Anruf von Pearls älterem Bruder Greg die Routine durchbricht und ihr mitteilt, dass ihr Vater Francis im Sterben liegt. Pearl hat ihren Vater, der die Familie verlassen hatte, um eine andere Frau zu heiraten, seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Dennoch beschließt sie, nach England zu fahren.
Pearl hat nicht mehr die Gelegenheit mit ihrem Vater zu sprechen, erbt neben einem kleinen Geldbetrag jedoch seine Tagebücher, die er seit über 30 Jahren geschrieben hat. Auch wenn ihre Brüder und ihr Mann sich Sorgen um die zerbrechliche Pearl Sorgen machen und Francis neue Familie das Erbe anfechtet, beginnt Pearl die Aufzeichnungen in Kurzschrift zu lesen und kommt zu Gewissheiten - auch über sich selbst.

"Wort für Wort" zurück ins Leben ist eine sanft erzählte Geschichte, in deren Mittelpunkt eine Frau steht, die sich in die Einsamkeit zurückgezogen hat, um sich vor Verletzungen zu schützen. An ihrer Seite ist ein treuer Ehemann, der vereinnahmend überbehütend und bevormundend ist, woran Pearl sich gewöhnt hat.
Nach der Testamentseröffnung setzt sich Pearl über alle Einmischungen hinweg und widmet sich den Tagebüchern ihres Vaters - ein Vermächtnis über sein Leben - das überraschend auch Details über Pearls Leben beinhaltet, was sie gleichzeitig schockiert und berührt.

Ein weiterer Erzählstrang, der im Klappentext nicht erwähnt ist, handelt von Caroline Haskett aus Bristol, einer jungen Frau, die ihrer Mutter auf dem Sterbebett versprechen musste, Pearl zu kontaktieren.
Auch wenn Carrie durch ihre todkranke Mutter und die Trennung vom Vater ihres Kindes das Glück auch nicht gepachtet zu haben scheint, ist diese Perspektive weit weniger schwermütig zu lesen, als die Sicht von Pearl. Carrie ist ein Mensch, der mit beiden Beinen im Leben steht und sich nicht so leicht unterkriegen lässt. Ihr Geplänkel mit ihrer kleinen Tochter Emmie und selbst ihrem Exfreund Ian sind erfrischend und herzlich.

Wie Pearl und Carrie zusammenhängen, erfährt man nach der Hälfte des Romans. Die Offenbarung ist überraschend und nur ein weiteres Puzzlestück, das neugierig macht, die gesamte Geschichte von Pearl zu erfahren.

Der Roman handelt von einer Entfremdung und einer späten Annäherung, von Reue und Vergebung, von Trauer und Einsamkeit, von zweiten Chancen und Selbstbehauptung.
Die Aufzeichnungen in den Tagebüchern von Francis werden nicht im Detail dargestellt und spielen eine geringere Rolle, als erwartet. In den Fokus rücken die Charaktere und ihre verletzten Gefühle, ihr emotionaler Ballast und ihre Täuschungen, Lügen und Geheimnisse, die die langsam erzählte Geschichte allmählich vorantreiben.
Allerdings überwiegt so viel Ungesagtes und Misstrauen untereinander und die Handlungen der Charaktere sind wenig nachvollziehbar, dass die Geschichte holprig wirkt und von zu vielen Dramen und Geheimnissen dominiert ist, dass die Familienkonstellation schon fast toxisch wirkt. In der Vergangenheit wurde viel falsch gemacht und in der Gegenwart ist das Verhalten der Figuren ähnlich (ent)täuschend. Weder der schwache Francis noch das "graue Mäuschen" Pearl sind Identifikationsfiguren, die übrigen Familienmitglieder bleiben Statisten.

Anders als in der Beschreibung des Verlags erfährt man fast nichts über die Vater-Tochter-Beziehung und auch bleiben Wärme und Witz in der Geschichte weitgehend aus. Die Familiengeschichte basiert einzig auf Lügen, was ihr den Charme nimmt. Zudem entwickelt sich die Geschichte nach einem altbekannten Schema, in dem erst jemand sterben muss, bevor ein Stein ins Rollen gebracht wird. Hier sind es direkt drei Annäherungen zwischen den Generationen, wovon mindestens eine zu viel ist.

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Veröffentlicht am 24.03.2024

Ein Kindheitstrauma und die Entzweiung einer Familie - aus Sicht des Opfers anstrengend zu lesen

Ein falsches Wort
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Bergljot hat vor Jahren mit ihrer Familie gebrochen und den Kontakt zu ihren Eltern eingestellt. Mit einer ihrer jüngeren Schwestern steht sie sporadisch in Verbindung, ihre Kinder treffen zu Feiertagen ...

Bergljot hat vor Jahren mit ihrer Familie gebrochen und den Kontakt zu ihren Eltern eingestellt. Mit einer ihrer jüngeren Schwestern steht sie sporadisch in Verbindung, ihre Kinder treffen zu Feiertagen die Großeltern und Tanten.
Das Erbe unter den Kindern sollte in den Augen der Eltern gerecht aufgeteilt werden: die jüngeren Töchter, zu denen eine enge Bindung besteht, erben jeweils eine Ferienhütte, während Bergljot und ihr Bruder Bård dafür ausgezahlt werden. Als Bård jedoch erfährt, dass der Schätzpreis der Hütten zu niedrig angesetzt wurde, bricht ein erbitterter Erbstreit aus, in den Bergljot unfreiwillig hineingezogen wird. Sie wird damit wieder an den Grund ihres Bruches erinnert und dass dieser innerhalb der Familie nicht anerkannt und totgeschwiegen wird. Nach Jahren von Alpträumen und Therapie ist Bergljot bereit, ihr Schweigen zu brechen und die Familie mit der ungeschönten Wahrheit zu konfrontieren.

Auch wenn Bergljots Trauma anfangs nicht direkt benannt wird, wird durch ihr Verhalten und die angsterfüllten Gedanken deutlich, was zwischen ihr und ihrem Vater in der Kindheit vorgefallen ist, was die Mutter ignoriert und was die jüngeren Schwestern nicht miterlebt haben.

Der Roman ist in kurze Abschnitte unterteilt, in denen zwischen Gegenwart und Vergangenheit willkürlich gewechselt wird. Aus Sicht der traumatisierten Ich-Erzählerin, die fast 50 Jahre nach ihren einschneidenden Erlebnissen und 23 Jahre nach dem Bruch mit ihrer Familie, leidet und auf eine Art von Gerechtigkeit, Entschuldigung oder wenigstens Anerkennung hofft, ist die Geschichte sehr intensiv.
Neben dem Erbstreit, der das fragile Familiengefüge belastet, ist Bergljots Trauma und der Vorwurf an Vater und Mutter zentral. Verzweiflung, Angst und Wut stehen im Raum und nehmen Bergljot die Luft zum Atmen.

Auch für den Leser ist die Lektüre anstrengend. Nicht, weil Details aus der Kindheit lautwerden, sondern weil die Seelenqual Bergljots, die Ignoranz ihrer Primärfamilie und der eigentlich lächerliche Streit über den Wert zweier Hütten, so einnehmend sind. Eine aktive Handlung gibt es in dem Roman kaum, die Themen drehen sich im Kreis, in Bergljots Gedanken und in der Auseinandersetzung mit Angehörigen und Freunden.

"Ein falsches Wort" handelt von einem brisanten Thema und der Entzweiung einer Familie. Was kann es Schlimmeres geben, als wenn Kinder nicht einmal in ihrer eigenen Familie sicher sind? Die Schuld kann nur bei den Erwachsenen gesucht werden, das Kind ist immer das Opfer.
Eine Vergebung erscheint aussichtslos, ein Ausweg nur in einem Befreiungsschlag und endgültiger Lossagung möglich.
Durch die zahlreichen - zum Teil wortwörtlichen - Wiederholungen und den willkürlichen Wechsel zwischen Zeiten und Schauplätzen ist das Lesen anstrengend. Als Stilmittel, um Bergljots Trauma nachzuvollziehen, sind die retardierenden und wirren Gedanken nachvollziehbar, als Roman jedoch zäh und ermüdend. Die Geschichte, die sich letztlich auf eine Wut und dem Wunsch nach Anerkennung auf und durch die verbliebenen Familienmitglieder fixiert und retardierend darlegt, wie verfahren und ausweglos die Situation ist, hätte auch auf die Hälfte der Seite heruntergebrochen werden können.

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