Platzhalter für Profilbild

Chrihart

Lesejury-Mitglied
offline

Chrihart ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Chrihart über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.06.2024

Musikalische Weltreise: Wissen experimentell und auditiv aneignen

Ohren auf Weltreise
0

Der Offenburger Stefan Franzen, Musikwissenschaftler und Germanist, legt das unwiderstehliche Buch mit dem Titel „Ohren auf Weltreise“, im Hannibal Verlag erschienen, vor. Für jeden Tag im Jahr präsentiert ...

Der Offenburger Stefan Franzen, Musikwissenschaftler und Germanist, legt das unwiderstehliche Buch mit dem Titel „Ohren auf Weltreise“, im Hannibal Verlag erschienen, vor. Für jeden Tag im Jahr präsentiert er ein Stück sogenannte Weltmusik, das man sich auf mitgelieferten Playlists anhören kann (mit Barcodes). Alte und neue Musik stellt er nebeneinander, bekannte und unbekannte Musiker, es ist eine wilde Entdeckungsreise für Musikliebhaber, die gerne in fremde Kulturen abtauchen. Monat für Monat, Tag für Tag gibt es einen neuen Sound. Ein Musikkalender in Buchform. Schon allein im Monat Januar erleben die Leser viele Meister und talentierte Newcomer der verschiedenen Genres aus allen Herren Länder kennen.

Mau Mau aus Italien, aber auch Nive Nielsen aus Grönland werden in meine Plattensammlung spontan aufgenommen. Ich denke, ich werde an dem Buch noch länger meine Freude haben, denn es eignet sich nicht nur zum Reinhören und Schmökern, sondern auch zum Nochmal-Hören und -Lesen. Die Überschrift beinhaltet jeweils Name und Geburtsdatum sowie Geburtsort der Interpreten, den Titel des Songs natürlich, ebenso wie das Album (inklusive Entstehungsjahr und -ort). Zu jeder Musik gibt es eine Seite geballte Information. Kompakt und unterhaltsam gibt Franzen Einblicke zum Background der Interpreten und zur Entstehung des Stückes. Franzen trifft die Musiker auch und zitiert aus den Interviews. Die Kulturgeschichte liefert er gleich mit. Er recherchiert zum Musikstil/-Mix, zum Herkunftsland und ergänzt durch musikalische Querverweise.

Franzen hat für den 14. Januar, um nur ein Beispiel zu nennen, die Sängerin Emel Mathlouthi aus Tunesien ausgewählt, deren Musik den „Arabischen Frühling“ begleitet hat. Die Leser lernen so unglaublich schnell etwas über die Musik, können sie einordnen und zuordnen. Man merkt, dass Franzen ein Mann vom Fach ist und er überall auf dem Gebiet der Musik bewandert ist. Er hat sich auf Roots music, Jazz und die Grenzbereiche zu Klassik, Pop und Rock spezialisiert und schreibt seit 1996 für Fachzeitschriften und Tageszeitungen. Franzen arbeitet als freier Autor u. a. für die Sender SRF2, WDR3, WDR Funkhaus Europa und NDR Info. Sein Buch ist eine Entdeckung und jedem zu empfehlen, der Interesse hat, sein globales Musikwissen zu vertiefen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.05.2024

Ein Buch gegen das Vergessen

"Ich habe getötet, aber ein Mörder bin ich nicht"
0

Die Hardenbergstraße liegt in Berlin-Charlottenburg. Dort begeht der Student Soghomon Tehlirian im März 1921 ein Attentat auf einen gediegenen älteren Herrn mit Gehstock. Es stellt sich heraus, dass das ...

Die Hardenbergstraße liegt in Berlin-Charlottenburg. Dort begeht der Student Soghomon Tehlirian im März 1921 ein Attentat auf einen gediegenen älteren Herrn mit Gehstock. Es stellt sich heraus, dass das Opfer Talaat Pascha zugleich Täter ist und auf Platz 1 einer Liste mit 100 Schuldigen steht. Der Tote ist der ehemalige Innenminister und Großwesir des Osmanischen Reiches und lebt in Berlin inkognito. Er hat sich dem Gerichtsurteil entzogen, er ist maßgeblich am Genozid des armenischen Volkes beteiligt. Der armenische Attentäter wird vom vorsätzlichen Mord freigesprochen.

Das Sachbuch mit dem Titel „Ich habe getötet, aber ein Mörder bin ich nicht“ der Autorin Dr. Birgit Kofler-Bettschart ist harte Kost, aber nichtsdestotrotz ein wichtiges Buch. Der Titel des Buches bezieht sich auf das Zitat des Attentäters Tehlirian. Es ist für ihn kein Verbrechen, einen verurteilten Massenmörder zu töten. Das damalige Gericht sieht es genauso und lässt ihn wieder frei. Tehlirian gehört zur Geheimoperation Nemesis. Vergeltung, so nennt sich die Gruppe, die den ungesühnten Genozid an 1,5 Millionen Armeniern rächen wollen.

Die Geheimoperation Nemesis hat zum Ziel, die Drahtzieher des Völkermordes auszuschalten und zugleich die Weltöffentlichkeit auf den Völkermord an den Armeniern aufmerksam zu machen. Interessant ist, dass Deutsche den Schuldigen geholfen haben, zu entkommen. Die Alliierten haben auf den Prozess gedrungen und die Liste mit den 100 Schuldigen gesammelt. Die Schuldigen der Massaker werden zwar aufgrund der Beweislage verurteilt, aber in Abwesenheit, weil sie nicht gefasst werden können. Das Urteil kann also nicht vollstreckt werden.

Das Buch führt den Leser quer durch Europa und in den Kaukasus, von Paris über Genf nach Berlin, von Istanbul über Wien nach Rom und Tiflis. Dorthin verfolgen die Attentäter die Schuldigen. Es liest sich zuweilen wie ein Agententhriller. Die Männer der Vereinigung verüben zwischen 1919 und 1922 Attentate auf acht der 100 osmanischen und aserbaidschanischen Hauptverantwortlichen des Völkermords. Kofler-Bettschart erzählt die Geschichte der Geheimoperation. Sie hat sie bis ins kleinste Detail recherchiert und so lernt man die einzelnen Akteure kennen, deren Schicksal am Ende auch noch einmal aufgeführt wird.

Den Lesern kann das Buch dabei helfen, zu erkennen, dass der Genozid an den Armeniern durch die Osmanen während des Ersten Weltkrieges systematisch organisiert worden ist. Deutsche und österreichische Regierungen haben, weil sie Verbündete der Osmanen gewesen sind, weggeschaut und sich nicht eingemischt. Obwohl sie von den Gräueltaten gewusst haben. Todesmärsche, Massaker und Deportationen - das alles wirkt wie eine osmanische Vorlage für die Nationalsozialisten.

Fazit: Insgesamt bietet das Buch, im Ueberreuter Verlag erschienen und erst ab 16 Jahren empfohlen, gut recherchierte Hintergründe zum Völkermord an den Armeniern. Hier macht die Autorin Zusammenhänge sichtbar. Am Ende des Buches führt sie ein Interview mit der Armenien- und Genozid-Spezialistin Tessa Hofmann. Die Journalistin und Buchautorin Kofler-Bettschart hat mit diesem Buch einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Armenier geleistet. Es ist ein Buch gegen das Vergessen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.05.2024

Ein poetisches Abenteuer über die Macht der Schöpfung

Tyger
0

Das Jugendbuch mit dem Titel Tyger von dem Autoren S. F. Said, erschienen im Karibuverlag, spielt in London. Man kann die ganze Zeit rätseln, in welcher Zeit der Roman wohl angesiedelt sein mag, denn technische ...

Das Jugendbuch mit dem Titel Tyger von dem Autoren S. F. Said, erschienen im Karibuverlag, spielt in London. Man kann die ganze Zeit rätseln, in welcher Zeit der Roman wohl angesiedelt sein mag, denn technische Geräte kommen nicht vor und auch sonst ist die beschriebene Welt rückständig, nicht aufgeklärt. Es ist die Rede von Sklaven. In dieser düsteren Welt begegnen wir als Leser dem Jungen Adam, der mit seiner Familie in einem Ghetto lebt. Er geht nicht zur Schule, sondern hilft den Eltern, die einen Laden besitzen. Er macht Botengänge und auf einem dieser Botengänge trifft er auf das mythische Wesen Tyger, einer sprechenden märchenhaften Raubkatze, die ihn vor einem Dieb beschützt.

Es stellt sich heraus, dass Tyger nur die Form eines Tieres angenommen hat und ein unsterbliches Wesen ist, von dem Adam und seine Freundin Zadie, die wie er besondere Fähigkeiten besitzt, im Laufe der Handlung noch viel lernen. Sie öffnen Tore unter anderem zu ihrer Wahrnehmung und Vorstellungskraft. Doch einem Bösewicht, der ebenfalls unsterblich ist, begegnen sie natürlich auch und das wird für alle gefährlich. Bis zum Showdown dieses poetischen Buchs hat man als Leser sehr viel Freude an der bildhaften Sprache und spannend ist die Geschichte auch.

Said hat viel recherchiert, das merkt man dem Buch an. Es werden Londoner Straßennamen und historische Orte genannt. Zum Beispiel die königliche Tower-Menagerie, die es wirklich im 17. Jahrhundert und 18. Jahrhundert im Tower gegeben hat. Dort wurden exotische Tiere, die Geschenke an die Monarchen waren, eingesperrt. Und zu der Zeit gab es auch einen Bürgerkrieg in England, der die Gründung des Commonwealth of Nations zur Folge hat. Denn nicht nur die Lammhirten im Buch begehren später gegenüber ihren Peinigern und der Obrigkeit bzw. dem Bösewicht auf.

Ich vermute, dass Said darüber hinaus das Gedicht The Tyger des englischen Dichters William Blake inspiriert hat. Es wurde 1794 als Teil seiner Sammlung Songs of Experience veröffentlicht und im Zeitalter der Romantik gelangte es zu großer Bekanntheit. Das Gedicht, das dem englischen Literaturkanon angehört, hinterfragt christliche religiöse Paradigmen, die im England des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts vorherrschten, und erörtert Gottes Motivation für die Erschaffung der Welt und ihrer Kreaturen, also insbesondere des Tigers als auch des Lamms, des Mächtigen und des Opfers.

Said lässt seine jungen Hauptfiguren erkennen, dass sie mächtiger sind, als sie glauben und, dass sie einiges in ihrer Welt durch ihr Tun zum Positiven verändern können. Es ist eine Ode an die Schöpfung, ans Erschaffen und auch an den Künstler als Schöpfer. Adam ist nämlich begabt und kann sehr gut zeichnen. Diese Fähigkeit wird für den Fortgang der Geschichte noch wichtig werden.

Fazit: Das Buch ist ein wunderschön illustriertes Buch, das seine Geschichte langsam entfaltet und den Lesern den Glauben an die Menschheit wiedergeben kann, denn Tyger glaubt als göttliches Wesen an die Menschen und an deren schöpferische Fähigkeiten. Nur sie können Tyger und die Welten vor dem Bösen retten.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.04.2024

Ein atemlos erzähltes und sehr gelungenes Buch über die Abgehängten dieser Welt

Mein Name ist Estela
0

In dem Roman mit dem Titel „Mein Name ist Estela“ von der chilenischen Autorin Alia Trabucco Zerán, erschienen im Hanser Berlin Verlag, sitzt die Hausangestellte Estela García, auch Lita genannt, vermutlich ...

In dem Roman mit dem Titel „Mein Name ist Estela“ von der chilenischen Autorin Alia Trabucco Zerán, erschienen im Hanser Berlin Verlag, sitzt die Hausangestellte Estela García, auch Lita genannt, vermutlich in Untersuchungshaft. Sie spricht über die Umstände, die zu allem geführt haben. Das Mädchen ist tot, das sie sieben Jahre betreut hat. Die Erzählstimme ist ungewöhnlich. Dabei wird klar, dass Estela ihre Arbeit durch Sachzwänge nicht einfach so hätte kündigen können. Sie ist von der Insel Chiloé nach Santiago gekommen, um die arme und kranke Mutter finanziell zu unterstützen. Dafür muss sie sechs Tage in der Woche in der Villa schuften, die sie ebenfalls bewohnt. Vielmehr ein Zimmerchen neben der Küche mit Schiebetür. An ihrem freien Tag ist sie so ausgelaugt, dass sie den ganzen Tag im Bett bleiben muss.

Das bedeutet Null Privatsphäre, kein eigenes Leben. Die beiden Arbeitgeber sind nur mit sich selbst beschäftigt und laufen der Zeit hinterher, ohne ebenfalls selbst zu leben. Ein leeres Leben, in das Lita hineingezogen wird. Der Schreibstil ist sensationell. Die Spannung ist sofort da und man möchte wissen, wie die Tochter des Hauses, Julia, gestorben ist. Das erfolgreiche und wohlhabende Paar, bestehend aus der tablettenabhängigen Anwältin Mara und dem zynischen Arzt Cristobal, ist extrem gefühlskalt und sieht Julia eher als ein Projekt, das nach Fortschritt beurteilt wird und das anderen als eigene Leistung vorgeführt wird. Diese bricht sich selbst einen Finger, damit sie nicht Klavier spielen muss. Drei Wochen Gips bedeuten, drei Wochen nicht üben zu müssen. Was für eine überzogene Reaktion. Das Kind wird immer aufsässiger, tyrannischer und selbstzerstörerischer. Die Eltern üben zu starken Druck aus, das wird überdeutlich.

Die streunende Hündin Yany, die Lita ins Herz schließt, betritt die Bühne und wird von einer Ratte gebissen und beißt wiederum die Tochter des Hauses. Eine tragische Kettenreaktion. Wie so vieles. Es folgt eins auf das andere, wie beim Dominoeffekt. Nach einem Überfall im Haus werden Alarmanlage und Elektrozaun installiert. Nicht nur im Haus selbst spitzen sich die Ereignisse zu, sondern auch im Viertel. Die Armen gehen auf die Straße und protestieren gegen die Ungerechtigkeiten, die Ungleichheit, gegen die Obrigkeit. Es läuft darüber etwas im Fernsehen, der immer läuft. Die reiche Familie hat Angst. Angst führt zu Kurzschlussreaktionen. In fast allem zeigt sich die unfassbare Ungerechtigkeit, mit der die Familie entscheidet, dabei die Verluste anderer in Kauf nimmt. Die Erzählung Estelas hebt sich aber die ganze Auflösung bis zum Schluss auf.

Fazit: Ich habe mitgefiebert und auch gelitten. Das Buch ist keine einfache Kost. Man kann so viel Unrecht und Tragik kaum aushalten. Und die Duldsamkeit kaum ertragen. Aber der Roman fesselt trotz alledem oder gerade deswegen. Ein atemlos erzähltes und sehr gelungenes Buch über die Abgehängten dieser Welt. 5 Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.03.2024

Gelungener Auftakt zur Kinderkrimi-Reihe

Neue Heimat 1404
0

Das Cover des Buchs "Neue Heimat 1404" von Frauke Angel, erschienen im Tulipan Verlag, ist mir positiv aufgefallen und vor allem die Hauptfigur mit dem Wuschelkopf und dem roten Pulli. Eine rote Zora, ...

Das Cover des Buchs "Neue Heimat 1404" von Frauke Angel, erschienen im Tulipan Verlag, ist mir positiv aufgefallen und vor allem die Hauptfigur mit dem Wuschelkopf und dem roten Pulli. Eine rote Zora, die sofort eine Bande um sich scharrt. Das Buch ist ein wunderbarer Krimi im sozialen Brennpunkt. Die Hauptfigur zieht erst dorthin und muss sich einleben und neue Freunde finden: den Panda, die Zwillinge und das Pufferjackenmädchen. Sie sind alles liebenswerte Figuren und man begleitet die Kinder gerne beim Ermitteln. Sie finden heraus, wer im Wohnturm die ganzen Sachen entwendet.

Die Figuren sind eigenwillig und spannend kreiert. Das Buch ist flüssig zu lesen und humorvoll geschrieben. Das Buch liest sich gut und die Geschichte kommt in Schwung. Ich mag die Figuren und, wie sie miteinander agieren. Ich persönlich finde die Genderei ja sehr löblich, aber der Lesefluss im Roman wird während der Stelle, in der Enna und das Pufferjackenmädchen Nachrichten austauschen, gestört. Und mal ehrlich, wie authentisch sind die pädagogisch richtigen Formulierungen wirklich?

Das Buch ist dennoch sehr gelungen! Ganz nebenbei wird Verständnis für das Tourette-Syndrom geweckt. Die Kinder finden sich zu einer Gruppe zusammen und wollen Ennas verschwundenes Rad wiederfinden. Die Kinder sind nicht auf den Kopf gefallen und wissen sich zu helfen. Heimat ist nicht unbedingt ein Ort, sondern viel mehr ein Gefühl, das man hat, wenn man sich sicher und geborgen fühlt. Dieses Gefühl stellt sich ein, wenn man Menschen vertrauen kann und ein Ort einem vertraut vorkommt. Durch die Menschen, die sich an diesem Ort aufhalten. Das erlebt Enna, die mit Mutter Stella nach deren Trennung umziehen muss.

Fazit: Echte Freunde sind Gold wert! Enna, die zuvor keine Freunde gefunden hat, findet sie dort, wo sie diese niemals vermutet hätte. Eine hoffnungsvolle Geschichte, die Spaß macht und einem das ein oder andere Lächeln entlockt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere