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Veröffentlicht am 19.12.2024

Ein inspirierendes und kraftvolles Buch über den Weg zu Selbstakzeptanz und Heilung

Jana, 39, ungeküsst
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Durch eine begeisterte Rezension bin ich letzte Woche ganz zufällig auf "Jana, 39, ungeküsst" gestoßen, ohne die Autorin oder ihr Buch davor zu kennen. Neugierig gemacht vom Klapptext und den vielen lobenden ...

Durch eine begeisterte Rezension bin ich letzte Woche ganz zufällig auf "Jana, 39, ungeküsst" gestoßen, ohne die Autorin oder ihr Buch davor zu kennen. Neugierig gemacht vom Klapptext und den vielen lobenden Stimmen habe ich mich auf Jana Crämers Gedankenexperiment eingelassen und bin absolut begeistert von dem Konzept und Stil des Buches.

Denn allein die Grundidee ist schon grandios: Auf 230 Seiten beschreibt die Autorin Schlüsselszenen aus ihrem Leben, um im darauffolgenden Kapitel in einem Gespräch zwischen ihrem heutigen und ihrem früheren Ich, herauszuarbeiten, was sie seit dieser Situation gelernt hat. Diese kreative und auch sehr intime Herangehensweise verleiht dem Buch eine Tiefe die Autobiografien selten erreichen und lädt vor allem auch zum Nachdenken über das eigene Leben ein. Was würde man seinem früheren Ich gerne mit auf den Weg gegeben hätte, um sich viel Schmerz zu ersparen? Welche Schlüsselmomente müsste man selbst nochmal erleben und aufarbeiten, um damit abschließen zu können? Ist man selbst in allen Punkten schon so weit, wie man eigentlich sein möchte...?

"Ich bin Jana, 39, ungeküsst und trotzdem glücklich. Wenn ich es geschafft habe, dann schaffst Du das auch."


Obwohl der Titel anderes suggeriert, geht es dabei nur am Rande um romantische Beziehungen, oder eben dem Fehlen von diesen. Stattdessen liegt der Fokus des Buches auf viel umfassenderen und gesellschaftlich relevanten Themen wie Mobbing, Bodyshaming, Lipödem, Essstörung, Multiple Sklerose, Alkoholabhängigkeit, gesellschaftliche Erwartungen, aber eben auch Selbstliebe und Heilung. Dabei beschreibt Jana Crämer so lebensnahe Situationen und Emotionen in knallharten, ehrlichen Worten, sodass mir beim Lesen, beziehungsweise Hören immer wieder fast die Tränen gekommen sind. Auf der anderen Seite sind ihr Optimismus, ihre mitfühlende Haltung gegenüber sich selbst und vor allem ihre herrlich unplakativen Botschaften so ansteckend und wohltuend beim Lesen, dass sich das Buch anfühlt, wie eine Umarmung.

"Du bist nicht auf der Welt, um die Erwartungen anderer zu erfüllen.”

"Jana, 39, ungeküsst" macht Mut, dass Veränderung in jeder Lebenslage möglich ist, dass man Frieden in sich selbst finden kann auch wenn es manchmal etwas Zeit braucht, dass es so etwas wie ein "normales Leben" nicht gibt und jeder Weg ins Glück führen kann. Und diese Botschaft gibt einem beim Lesen so viel, auch wenn man selbst von den persönlichen Schwierigkeiten der Autorin nicht direkt betroffen ist. Kein Wunder, dass ich es innerhalb von eineinhalb Tagen verschlungen habe. Der einzige Punkt, weshalb dieses überraschende Highlight von mir keine vollen 5 Sterne bekommt: für mich fehlt in Janas Weg ein wenig der Mittelteil. Anfang und Ende haben wir durch ihr früheres und jetziges Ich abgedeckt, allerdings lässt sie leider mehr oder weniger aus, wie sie zu ihren Erkenntnissen gekommen ist und was man (außer zur Therapie zu gehen!) tun kann, um mentale Veränderungen anzustreben. In diesem Sinne ist das Buch eben mehr Autobiografie als Ratgeber.

"Die meisten Menschen zerbrechen nicht an sich selbst oder ihren noch unerreichten Hoffnungen, Träumen und Zielen. Sondern daran, die Erwartungen anderer erfüllen zu wollen! Wenn du dich die ganze Zeit selbst verleugnest, nur um so zu sein, wie andere dich gerne hätten, verlierst du irgendwann dich selbst."


Was ich Euch abschließend noch sehr empfehlen möchte, ist das Hörbuch, das von der Autorin selbst eingesprochen wurde. Obwohl sie natürlich keine professionelle Sprecherin ist, macht sie dabei einen ganz wunderbaren Job und der große Vorteil: Ihre Stimme transportiert die Intimität und Emotionen ihrer Geschichte noch direkter und gibt dem Hörerlebnis eine noch persönlichere Note!



Fazit


"Jana, 39, ungeküsst" ist ein inspirierendes und kraftvolles Buch über den Weg zu Selbstakzeptanz und Heilung. Jana Crämer macht mit ihrer Geschichte Mut, an die Möglichkeit von Veränderung zu glauben, und ist sowohl für Menschen mit ähnlichen Erfahrungen als auch für ein breiteres Publikum in jeder Lebenslage lesenswert.

Veröffentlicht am 15.12.2024

Ein komplexer, hochspannender und atmosphärischer Krimithriller!

The Reappearance of Rachel Price (deutsche Ausgabe)
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Nachdem mir die "A Good Girl´s Guide to Murder"-Reihe von Holly Jackson so gut gefallen hat und ich auch mit der Serienadaption großen Spaß hatte, hatte ich große Lust, direkt das neue Buch des Autorin ...

Nachdem mir die "A Good Girl´s Guide to Murder"-Reihe von Holly Jackson so gut gefallen hat und ich auch mit der Serienadaption großen Spaß hatte, hatte ich große Lust, direkt das neue Buch des Autorin hinterherzuschieben. Große Erwartungen hatte ich an "The Reappearance of Rachel Price" nicht, sie wurden allerdings haushoch übertroffen. Auf 577 Seiten erzählt Holly Jackson abermals eine komplexe, hochspannende und atmosphärische Krimigeschichte, die man kaum aus der Hand legen kann und die zum Miträtseln einlädt. Auch wenn ich trotz vieler Finten der Autorin bei der groben Richtung der Handlung eine Idee hatte, die sich auch bestätigte, gab es etliche Gänsehaut-Wendungen, die mich eiskalt überrascht haben. So bleibt bis kurz vor Ende nicht klar, wem Bel vertrauen kann, wer sie manipuliert und ob sie in ihrem eigenen Haus sicher ist...

Toll unterstrichen wird die spannende Atmosphäre der Geschichte wieder durch die abwechslungsreiche, temporeiche Erzählweise von Holly Jackson. Die Autorin erzählt hier aus der Ich-Perspektive von Protagonistin Bel, bindet aber durch die Anwesenheit des Filmteams wieder verschiedene Medienformate mit ein. Besonders hervorzuheben ist außerdem, dass die Geschichte schon früh immer wieder Psychothriller-Elemente einbindet, die man in einem YA-Krimi nicht unbedingt erwarten würde und "The Reappearance of Rachel Price" somit von Beginn an erwachsener, düsterer und blutiger ist, als ihre erste Reihe. Die Altersbeschränkung sollte hier also unbedingt beachtet werden!

Begleitet wird der hochspannende Krimithriller wieder von einem großartigen Figurenporträt. Zwar macht es einem Bel zu Beginn deutlich schwerer, einen Zugang zu ihr zu finden als die fröhliche Pippa aus "A Good Girl´s Guide To Murder", sie ist aber mindestens genauso nuanciert gestaltet und macht innerhalb des Einzelbandes eine enorme Entwicklung durch. Es gelingt uns nach einigen Kapiteln schnell hinter ihre sarkastische, verletzende Schutzhaltung zu blicken, mit der sie Personen aus ihrem Umfeld wegstößt, aus Angst von ihnen verlassen zu werden. Die Wunden, die Rachels Verschwinden bei ihr und in ihrer Familie hinterlassen hat, sind auf jeder Seite spürbar und Bels Beziehung zu ihrer Familie demnach - besonders zur neu auftauchenden Rachel - großartig herausgearbeitet! Mit dem Kameraassistenten Ash bekommt sie einen romantischen Sidekick für ihre Ermittlungen zur Seite gestellt, das Zusammenspiel der beiden bleibt aber stark im Hintergrund und lässt die Bühne offen für die Familiendynamik der Familie Price, die von Geheimnissen, Gaslighting, Verrat und Lügen nur so strotzen. Wer am Ende unversehrt daraus hervorgeht? Lest unbedingt selbst!


Die Zitate


“Shit, yes, now you mention it, I’ve just suddenly remembered everything and solved the entire case, can you believe it? What a plot twist.”

“The name Rachel Price is almost synonymous with mystery. Because her disappearance was like a puzzle, and it’s human nature to want to solve a puzzle, don’t you think?”

“Making people leave her before they chose to go anyway. Same result in the end, because everybody left eventually, but it hurt less. That was what life was, choosing the way that hurt less.”



Das Urteil


Ein komplexer, hochspannender und atmosphärischer Krimithriller, den man kaum aus der Hand legen kann und der zum Miträtseln einlädt. Holly Jackson gelingt es abermals, mitzureißen, auf falsche Fährten zu führen und dabei sogar eine empowernde Mutter-Tochter-Geschichte zu erzählen. Absolut lesenswert!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.12.2024

Ein komplexer, hochspannender und atmosphärischer Krimithriller

The Reappearance of Rachel Price (deutsche Ausgabe)
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Nachdem mir die "A Good Girl´s Guide to Murder"-Reihe von Holly Jackson so gut gefallen hat und ich auch mit der Serienadaption großen Spaß hatte, hatte ich große Lust, direkt das neue Buch des Autorin ...

Nachdem mir die "A Good Girl´s Guide to Murder"-Reihe von Holly Jackson so gut gefallen hat und ich auch mit der Serienadaption großen Spaß hatte, hatte ich große Lust, direkt das neue Buch des Autorin hinterherzuschieben. Große Erwartungen hatte ich an "The Reappearance of Rachel Price" nicht, sie wurden allerdings haushoch übertroffen. Auf 577 Seiten erzählt Holly Jackson abermals eine komplexe, hochspannende und atmosphärische Krimigeschichte, die man kaum aus der Hand legen kann und die zum Miträtseln einlädt. Auch wenn ich trotz vieler Finten der Autorin bei der groben Richtung der Handlung eine Idee hatte, die sich auch bestätigte, gab es etliche Gänsehaut-Wendungen, die mich eiskalt überrascht haben. So bleibt bis kurz vor Ende nicht klar, wem Bel vertrauen kann, wer sie manipuliert und ob sie in ihrem eigenen Haus sicher ist...

Toll unterstrichen wird die spannende Atmosphäre der Geschichte wieder durch die abwechslungsreiche, temporeiche Erzählweise von Holly Jackson. Die Autorin erzählt hier aus der Ich-Perspektive von Protagonistin Bel, bindet aber durch die Anwesenheit des Filmteams wieder verschiedene Medienformate mit ein. Besonders hervorzuheben ist außerdem, dass die Geschichte schon früh immer wieder Psychothriller-Elemente einbindet, die man in einem YA-Krimi nicht unbedingt erwarten würde und "The Reappearance of Rachel Price" somit von Beginn an erwachsener, düsterer und blutiger ist, als ihre erste Reihe. Die Altersbeschränkung sollte hier also unbedingt beachtet werden!

Begleitet wird der hochspannende Krimithriller wieder von einem großartigen Figurenporträt. Zwar macht es einem Bel zu Beginn deutlich schwerer, einen Zugang zu ihr zu finden als die fröhliche Pippa aus "A Good Girl´s Guide To Murder", sie ist aber mindestens genauso nuanciert gestaltet und macht innerhalb des Einzelbandes eine enorme Entwicklung durch. Es gelingt uns nach einigen Kapiteln schnell hinter ihre sarkastische, verletzende Schutzhaltung zu blicken, mit der sie Personen aus ihrem Umfeld wegstößt, aus Angst von ihnen verlassen zu werden. Die Wunden, die Rachels Verschwinden bei ihr und in ihrer Familie hinterlassen hat, sind auf jeder Seite spürbar und Bels Beziehung zu ihrer Familie demnach - besonders zur neu auftauchenden Rachel - großartig herausgearbeitet! Mit dem Kameraassistenten Ash bekommt sie einen romantischen Sidekick für ihre Ermittlungen zur Seite gestellt, das Zusammenspiel der beiden bleibt aber stark im Hintergrund und lässt die Bühne offen für die Familiendynamik der Familie Price, die von Geheimnissen, Gaslighting, Verrat und Lügen nur so strotzen. Wer am Ende unversehrt daraus hervorgeht? Lest unbedingt selbst!


Die Zitate


“Shit, yes, now you mention it, I’ve just suddenly remembered everything and solved the entire case, can you believe it? What a plot twist.”

“The name Rachel Price is almost synonymous with mystery. Because her disappearance was like a puzzle, and it’s human nature to want to solve a puzzle, don’t you think?”

“Making people leave her before they chose to go anyway. Same result in the end, because everybody left eventually, but it hurt less. That was what life was, choosing the way that hurt less.”



Das Urteil


Ein komplexer, hochspannender und atmosphärischer Krimithriller, den man kaum aus der Hand legen kann und der zum Miträtseln einlädt. Holly Jackson gelingt es abermals, mitzureißen, auf falsche Fährten zu führen und dabei sogar eine empowernde Mutter-Tochter-Geschichte zu erzählen. Absolut lesenswert!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.11.2024

Eine inspirierende und notwendige Lektüre, die längst überfällige Fragen stellt!

Beklaute Frauen
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Denkt man an große Helden, Künstler, Pioniere, Denker und Forscher der Geschichte, kommen einem automatisch Namen wie Shakespeare, Galileo, Newton, Nietzsche, Picasso, Mozart oder Columbus in den Sinn. ...

Denkt man an große Helden, Künstler, Pioniere, Denker und Forscher der Geschichte, kommen einem automatisch Namen wie Shakespeare, Galileo, Newton, Nietzsche, Picasso, Mozart oder Columbus in den Sinn. Nach diesen sind Schulen, Straßen und Sendungen benannt, wir sehen ihr Konterfei in Schulbüchern, Sendungen und im Internet. Was haben diese Namen alle gemeinsam: es sind alles weiße europäische Männer. Fragt man Passanten hingegen nach den Namen großer Frauen, die Kunst, Wissenschaft und Politik in den letzten Jahrhunderten geprägt haben, werden die Antworten deutlich dünner. Umso wichtiger ist der aktuelle Trend, sich die Geschichte Deutschlands und Europas aus anderer Perspektive nochmal vorzunehmen und übersehene, untergegangene oder ausgelöschte Narrative und Biografien ins Rampenlicht zu stellen.

Dieses Ziel geht auch die Historikerin Leonie Schöler in "Beklaute Frauen" mit scharfem Blick, umfassender Recherche und einer klaren Haltung an. In ihrem ersten Sachbuch macht es sich die Autorin zur Aufgabe die Diskrepanz zwischen Schaffen und öffentlicher Anerkennung von Frauen nicht nur zu benennen, sondern zu erklären. Aus meiner Sicht ein Muss für alle, die den Blick auf historische Lücken werfen möchten, die dringend geschlossen werden müssen!

Das Buch gliedert sich in sechs thematische Überkapitel, die systematisch aufzeigen, wie Frauen als Bürgerinnen, Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen von gesellschaftlichen und kulturellen Mechanismen ausgeschlossen, um Anerkennung und Preise gebracht und unsichtbar gemacht wurden. In Kapiteln wie "Künstler wird mit Er geschrieben" oder "Vergessen und ausgelöscht" greift die Autorin dafür sorgfältig ausgewählte Lebensgeschichten auf. Trotz des Umfangs des Buches kann die Autorin leider nur eine begrenzte Auswahl prominenter Beispiele aus Wissenschaft, Kunst, Literatur und Politik ausführlich vorstellen, was sie allerdings bereits in der Einleitung begründet. Zunächst sind die präsentierten Schicksale aufgrund ihrer eigenen thematischen Expertise begrenzt auf Europa der letzten 200 Jahre. Zusätzlich wird betont, dass "Beklaute Frauen" trotz des engen Fokus´ nur die Spitze des Eisbergs zeigen kann. Denn trotz ausführlicher Recherche und der gesellschaftlichen Bestrebung, Geschichte neu zu denken, bleiben unzählige Lebenswerke für immer unauffindbar und es lässt sich nur erahnen, wie viele ähnliche Fälle sich hinter den genannten verbergen, deren Spuren aber für immer verwischt sind...

Was "Beklaute Frauen" von anderen Sachbüchern dieser inhaltlichen Schlagrichtung abhebt, ist dass sie weit über die reine Auflistung von Biografien hinausgeht und vielmehr nur unter Zuhilfenahme exemplarischer Fälle erklärt, welche Hintergründe des Systems dazu geführt haben, dass die Frauen in diesem Feld übergangen wurden und vor allem auch wie diese Strukturen bis heute andauern und Einfluss nehmen. Wie kommt es, dass noch immer Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind, weniger wissenschaftliche Preise gewinnen, weniger Geld verdienen, weniger Grundbesitz haben und seltener in Museen, Galerien, Schulbüchern oder Reportagen erwähnt werden? Die klare Antwort:

"Hinter jedem erfolgreichen Mann steht ein System, das ihn bestärkt; vor allen anderen steht ein System, das sie aufhält."


So machen die Schicksale von Betrug, Diebstahl und Machtmissbrauch einerseits wütend, sensibilisieren aber auch dafür, welche Strukturen es heute noch gibt. Dadurch hatte ich beim Lesen den ein oder anderen "Aha-Effekt" und bin über viele Misskonzeptionen gestolpert, die mein bisheriges Wissen geprägt haben und die ich zunächst kaum glauben konnte. Dass die fachliche Expertise der Autorin aber nicht anzuzweifeln ist, zeigt unter anderem das sehr ausführliche Literaturverzeichnis, das sich mit über 700 Fußnoten über 70 Seiten erstreckt und für alle Zweifler die solide Recherche der Autorin untermauert. Für LeserInnen, die sich tiefer mit dem Thema befassen möchten, bietet sie zudem zahlreiche weiterführende Literaturempfehlungen an.

Besonders stark finde ich auch, dass die Autorin außerdem immer im Sinne der Intersektionalität auf die Verschränkung von sexistischer Diskriminierung mit anderen Faktoren wie Ethnie oder sexueller Orientierung eingeht und den "weißen Feminismus" explizit kritisiert. Für diese und andere Stellungnahmen, durchbricht sie allerdings immer wieder ihre klare Kapitelstruktur und ergänzt sie durch essayistische Elemente, in denen sie ihre persönliche Meinung äußert, autobiografische Elemente hinzufügt oder subjektiv kommentiert. Diese Passagen verleihen dem Buch eine zusätzliche Tiefe, könnten aber für LeserInnen, die ein reines Sachbuch erwarten, als zu subjektiv empfunden werden. Mich hat dies nicht gestört, da stärkere Aussagen an vielen Stellen aus meiner Sicht angebracht sind und die Autorin dafür ein angemessenes Maß findet. Für was ich allerdings einen halben Stern abziehe, ist dass der rote Faden durch diese Abschweifungen leider etwas schwächelt.

Zuletzt noch ein paar kurze Worte zur Gestaltung des Buches, die mit ihren bunten Farben und dem Pop-Art-Stil ins Auge sticht. Das Cover zeigt eine stilisierte Frauenfigur in kräftigen Rot- und Orangetönen, die entschlossen ihr Profil zeigt. Der Titel "Beklaute Frauen" ist dabei in großen weißen Buchstaben extra polemisch gewählt, um die inhaltliche Dringlichkeit hervorzuheben. Auch die Innenaufmachung ist minimalistisch und einfach zugänglich mit Infokästen und Fotografien gestaltet, die den Lesefluss auflockern und zusätzliche Einblicke bieten. Insgesamt gelingt es der Gestaltung also, den Anspruch und die Relevanz des Buches optisch zu transportieren: eine Hommage an die Stärke, Intelligenz und Entschlossenheit von Frauen, die eigentlich ihren Platz in der Geschichte mehr als verdient haben und zugleich ein Aufruf für mehr Gerechtigkeit in der Erinnerungskultur und für ein Umdenken, das die unsichtbaren Heldinnen der Vergangenheit endlich sichtbar macht.

"Wir alle sind Teil einer Gesellschaft, die wir gemeinsam gestalten. Manche Menschen verfügen jedoch historisch gewachsen über deutlich mehr Ressourcen als andere, um sich Gehör zu verschaffen, eigene Interessen durchzusetzen und die gesellschaftlichen Regeln dadurch zum eigenen Vorteil mitzubestimmen."




Fazit


"Beklaute Frauen" ist ein wertvolles Sachbuch, das historische Ungerechtigkeiten nicht nur aufzeigt, sondern auch erklärt und kontextualisiert. Trotz kleiner Schwächen – etwa beim roten Faden und gelegentlicher Subjektivität – ist es eine inspirierende und notwendige Lektüre, die längst überfällige Fragen stellt!

Veröffentlicht am 29.11.2024

Eine inspirierende und notwendige Lektüre, die längst überfällige Fragen stellt!

Beklaute Frauen
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Denkt man an große Helden, Künstler, Pioniere, Denker und Forscher der Geschichte, kommen einem automatisch Namen wie Shakespeare, Galileo, Newton, Nietzsche, Picasso, Mozart oder Columbus in den Sinn. ...

Denkt man an große Helden, Künstler, Pioniere, Denker und Forscher der Geschichte, kommen einem automatisch Namen wie Shakespeare, Galileo, Newton, Nietzsche, Picasso, Mozart oder Columbus in den Sinn. Nach diesen sind Schulen, Straßen und Sendungen benannt, wir sehen ihr Konterfei in Schulbüchern, Sendungen und im Internet. Was haben diese Namen alle gemeinsam: es sind alles weiße europäische Männer. Fragt man Passanten hingegen nach den Namen großer Frauen, die Kunst, Wissenschaft und Politik in den letzten Jahrhunderten geprägt haben, werden die Antworten deutlich dünner. Umso wichtiger ist der aktuelle Trend, sich die Geschichte Deutschlands und Europas aus anderer Perspektive nochmal vorzunehmen und übersehene, untergegangene oder ausgelöschte Narrative und Biografien ins Rampenlicht zu stellen.

Dieses Ziel geht auch die Historikerin Leonie Schöler in "Beklaute Frauen" mit scharfem Blick, umfassender Recherche und einer klaren Haltung an. In ihrem ersten Sachbuch macht es sich die Autorin zur Aufgabe die Diskrepanz zwischen Schaffen und öffentlicher Anerkennung von Frauen nicht nur zu benennen, sondern zu erklären. Aus meiner Sicht ein Muss für alle, die den Blick auf historische Lücken werfen möchten, die dringend geschlossen werden müssen!

Das Buch gliedert sich in sechs thematische Überkapitel, die systematisch aufzeigen, wie Frauen als Bürgerinnen, Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen von gesellschaftlichen und kulturellen Mechanismen ausgeschlossen, um Anerkennung und Preise gebracht und unsichtbar gemacht wurden. In Kapiteln wie "Künstler wird mit Er geschrieben" oder "Vergessen und ausgelöscht" greift die Autorin dafür sorgfältig ausgewählte Lebensgeschichten auf. Trotz des Umfangs des Buches kann die Autorin leider nur eine begrenzte Auswahl prominenter Beispiele aus Wissenschaft, Kunst, Literatur und Politik ausführlich vorstellen, was sie allerdings bereits in der Einleitung begründet. Zunächst sind die präsentierten Schicksale aufgrund ihrer eigenen thematischen Expertise begrenzt auf Europa der letzten 200 Jahre. Zusätzlich wird betont, dass "Beklaute Frauen" trotz des engen Fokus´ nur die Spitze des Eisbergs zeigen kann. Denn trotz ausführlicher Recherche und der gesellschaftlichen Bestrebung, Geschichte neu zu denken, bleiben unzählige Lebenswerke für immer unauffindbar und es lässt sich nur erahnen, wie viele ähnliche Fälle sich hinter den genannten verbergen, deren Spuren aber für immer verwischt sind...

Was "Beklaute Frauen" von anderen Sachbüchern dieser inhaltlichen Schlagrichtung abhebt, ist dass sie weit über die reine Auflistung von Biografien hinausgeht und vielmehr nur unter Zuhilfenahme exemplarischer Fälle erklärt, welche Hintergründe des Systems dazu geführt haben, dass die Frauen in diesem Feld übergangen wurden und vor allem auch wie diese Strukturen bis heute andauern und Einfluss nehmen. Wie kommt es, dass noch immer Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind, weniger wissenschaftliche Preise gewinnen, weniger Geld verdienen, weniger Grundbesitz haben und seltener in Museen, Galerien, Schulbüchern oder Reportagen erwähnt werden? Die klare Antwort:

"Hinter jedem erfolgreichen Mann steht ein System, das ihn bestärkt; vor allen anderen steht ein System, das sie aufhält."


So machen die Schicksale von Betrug, Diebstahl und Machtmissbrauch einerseits wütend, sensibilisieren aber auch dafür, welche Strukturen es heute noch gibt. Dadurch hatte ich beim Lesen den ein oder anderen "Aha-Effekt" und bin über viele Misskonzeptionen gestolpert, die mein bisheriges Wissen geprägt haben und die ich zunächst kaum glauben konnte. Dass die fachliche Expertise der Autorin aber nicht anzuzweifeln ist, zeigt unter anderem das sehr ausführliche Literaturverzeichnis, das sich mit über 700 Fußnoten über 70 Seiten erstreckt und für alle Zweifler die solide Recherche der Autorin untermauert. Für LeserInnen, die sich tiefer mit dem Thema befassen möchten, bietet sie zudem zahlreiche weiterführende Literaturempfehlungen an.

Besonders stark finde ich auch, dass die Autorin außerdem immer im Sinne der Intersektionalität auf die Verschränkung von sexistischer Diskriminierung mit anderen Faktoren wie Ethnie oder sexueller Orientierung eingeht und den "weißen Feminismus" explizit kritisiert. Für diese und andere Stellungnahmen, durchbricht sie allerdings immer wieder ihre klare Kapitelstruktur und ergänzt sie durch essayistische Elemente, in denen sie ihre persönliche Meinung äußert, autobiografische Elemente hinzufügt oder subjektiv kommentiert. Diese Passagen verleihen dem Buch eine zusätzliche Tiefe, könnten aber für LeserInnen, die ein reines Sachbuch erwarten, als zu subjektiv empfunden werden. Mich hat dies nicht gestört, da stärkere Aussagen an vielen Stellen aus meiner Sicht angebracht sind und die Autorin dafür ein angemessenes Maß findet. Für was ich allerdings einen halben Stern abziehe, ist dass der rote Faden durch diese Abschweifungen leider etwas schwächelt.

Zuletzt noch ein paar kurze Worte zur Gestaltung des Buches, die mit ihren bunten Farben und dem Pop-Art-Stil ins Auge sticht. Das Cover zeigt eine stilisierte Frauenfigur in kräftigen Rot- und Orangetönen, die entschlossen ihr Profil zeigt. Der Titel "Beklaute Frauen" ist dabei in großen weißen Buchstaben extra polemisch gewählt, um die inhaltliche Dringlichkeit hervorzuheben. Auch die Innenaufmachung ist minimalistisch und einfach zugänglich mit Infokästen und Fotografien gestaltet, die den Lesefluss auflockern und zusätzliche Einblicke bieten. Insgesamt gelingt es der Gestaltung also, den Anspruch und die Relevanz des Buches optisch zu transportieren: eine Hommage an die Stärke, Intelligenz und Entschlossenheit von Frauen, die eigentlich ihren Platz in der Geschichte mehr als verdient haben und zugleich ein Aufruf für mehr Gerechtigkeit in der Erinnerungskultur und für ein Umdenken, das die unsichtbaren Heldinnen der Vergangenheit endlich sichtbar macht.

"Wir alle sind Teil einer Gesellschaft, die wir gemeinsam gestalten. Manche Menschen verfügen jedoch historisch gewachsen über deutlich mehr Ressourcen als andere, um sich Gehör zu verschaffen, eigene Interessen durchzusetzen und die gesellschaftlichen Regeln dadurch zum eigenen Vorteil mitzubestimmen."




Fazit


"Beklaute Frauen" ist ein wertvolles Sachbuch, das historische Ungerechtigkeiten nicht nur aufzeigt, sondern auch erklärt und kontextualisiert. Trotz kleiner Schwächen – etwa beim roten Faden und gelegentlicher Subjektivität – ist es eine inspirierende und notwendige Lektüre, die längst überfällige Fragen stellt!

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