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Veröffentlicht am 29.06.2025

Spannende Melange aus Spionage-, Polit- und literarischem Thriller

Felsengrund
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"Felsengrund" von Aslak Nore stellt den 2. Teil der geplanten Trilogie dar und ist nicht minder packend wie der Vorgänger (Meeresfriedhof), in der die fiktive Historie der reichen Reederfamilie Falck und ...

"Felsengrund" von Aslak Nore stellt den 2. Teil der geplanten Trilogie dar und ist nicht minder packend wie der Vorgänger (Meeresfriedhof), in der die fiktive Historie der reichen Reederfamilie Falck und des Unternehmens plus Stiftung SAGA weitererzählt wird.

Erschienen ist der literarische Thriller im KiWi-Verlag (brosch., 2025), Köln; übersetzt wurde er von Dagmar Lendt.


Im 2. Teil der "Falck-Saga" geht es spannend, mitunter hochspannend weiter; das Buch ist in 4 Teile untergliedert und es liegt eine gewisse Steigerung der Spannung vor, die bis zum Schluss von "Felsengrund" gehalten wird. Wie zuvor, sind die Charaktere vielschichtig und komplex, ebenso wie die Handlung, die größtenteils in (Nord)norwegen, aber auch in Russland verortet ist. Es geht um die Zukunft von SAGA, um Rederhaugen und die zerstrittene Familie um den Bergenser Zweig (Hans Falck) und den Osloer Zweig (Olav Falck). Sasha, die den Vorsitz von SAGA von ihrem Vater Olav, für den sie sein Augenstern war und ist, übernimmt, kann viel verlieren, wenn Hans seine Ansprüche (die aus dem verschollen geglaubten Testament von Vera Lind hervorgehen), erhebt; zum einen den SAGA Vorsitz und zum anderen Rederhaugen, wo sie zeitlebens wohnte. Während die anderen Figuren der Familie oft schwer zu fassen sind, ist Sasha für mich die Glaubwürdigste, deren Handlungen ich am ehesten nachvollziehen kann.


Die Kluft zwischen den einzelnen Familienmitgliedern ist groß; die Spannung vor der Hauptversammlung von SAGA wächst, denn das 'Zünglein an der Waage' könnte Conny Knarvik, das schwarze Schaf der Familie und früher drogenabhängig, spielen: Hans scheint sie abgrundtief zu hassen, Sasha auch nicht unterstützen zu wollen. Ihre Aktienanteile sind gering, doch wem wird sie letzten Endes ihre Stimme geben und was wird aus dem umworbenen Grundstück Adventgarden, das Conny gehört? Es ist strategisch eigentlich fast unbezahlbar, was sie sehr wohl weiß....


Und welche Rolle spielt hier Johnny Berg, der den Maulwurf bei SAGA, der sich eingeschlichen hat, aufdecken und zu Fall bringen soll? Bei dieser Aktion wird die Gefährlichkeit klar, die Doppelagenten eingehen und das Tor zur Welt der Geheimdienste wird ein kleines Stück aufgestoßen, wenn auch nur sehr klein: So geht es um "Einflussagenten" und Züge hochbrisanter, erschreckender und aktueller Zeitbezüge von Realpolitik. Darum, wie weit Staatsmächte und auch mächtige Familien- und Konzerndynastien gehen, um ihre Macht und ihre Pfründe zu sichern!

In diesem Zusammenhang ist die Suche nach dem Maulwurf hochspannend und geopolitische Spannungen um das Gebiet der Arktis (siehe Besuch Vance vor einiger Zeit in Grönland) spielen hier eine gewichtige Rolle. Denn wenn das Polareis weiter schmilzt, könnten neue Handelswege erstehen, die Verschiffungen nach Ostasien z.B. sehr verkürzen... Hier ist es eine zentrale Frage, wo SAGA steht: Ist es so, wie Olav seiner Tochter Sasha erklärte, dass SAGA immer die Speerspitze im Dienst norwegischer Interessen und Beschützerin der Freiheit war? Ist es wirklich die "letzte Verteidigungslinie der Demokratie"? Oder verhält es sich in Wahrheit ganz anders.... Ich bin auf jeden Fall sehr auf den finalen Teil dieser hochinteressant zu lesenden und spannenden literarischen Thrillerserie gespannt!


Fazit:


Eine spannende Lesereise nach Norwegen, die eine sehr mächtige Reeder-Familiendynastie beleuchtet, deren umstrittene gesellschaftspolitischen dubiosen Machenschaften hier von Aslak Nore aufs Korn genommen werden: Der Bezug zu realpolitischen Zusammenhängen, die Arktis betreffend und evtl. See- und Handelswege, die durch den Klimawandel und das schmelzende Eis zukünftig vermutlich erschlossen werden können, werden hervorragend beschrieben. Gesellschaftskritisch, spannend, unterhaltsam, vielschichtig und komplex: Eine gelungene Mischung zwischen Polit-, Geheimdienst, - Spionage- und literarischem Thriller, den ich absolut weiterempfehlen möchte.


4 ****

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Veröffentlicht am 25.06.2025

Neues vom Bücherschiff des Monsieur Perdu

Die geheime Sehnsucht der Bücher
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"Die geheime Sehnsucht der Bücher" von Nina George ist der 3. Teil der Geschichte um Jean Perdu, der mit 18 Jahren sein 'Bücherschiff' baut, damit eines Tages in den Süden fährt, wieder zurück nach Paris ...

"Die geheime Sehnsucht der Bücher" von Nina George ist der 3. Teil der Geschichte um Jean Perdu, der mit 18 Jahren sein 'Bücherschiff' baut, damit eines Tages in den Süden fährt, wieder zurück nach Paris kommt und hier vor Ort 'den Menschen nicht die Bücher verkauft, die sie wollen, sondern jene, die sie brauchen'. Schließlich handelt es sich um eine "Pharmacie Littéraire", einer Buch-Apotheke, die nun auch eine ebenso buchbegeisterteAuszubildende mit viel Feingefühl und Verve hat (Pauline Lahbibi, die hier neben Perdu eine Hauptrolle spielen soll): Sie brachte frischen Wind auf das Bücherschiff, da Monsieur Perdu nun auch online ist und Videoberatungen gegen jedwede "Infektionen des Gemüts" anbietet und einen online-shop sein eigen nennt.

(Verlegt wurde das Buch im von mir geschätzten Droemer Knaur-Verlag; München 2025, HC, 329 S.).

Wer die Vorgänger der Wortakrobatin und Sprachpoetin Nina George, die zu meinen Lieblingsautorinnen zählt, bereits kennt, wird hier einige Personen (und Katzen) wiedertreffen, die bereits bekannt sind. Ich empfehle die chronologische Reihenfolge (Das Lavendelzimmer, Das Bücherschiff des Monsieur Perdu) einzuhalten, dann hat man als LeserIn noch mehr Vergnügen an diesem neuen Roman!

Hier lernen wir Francoise Bellanger kennen, 12 Jahre alt, bücherhortend und "bücherverfressen", die jedoch auch voller Angst ist, dass man ihr und ihrer Mutter Cleo 'draufkommt', denn das würde bedeuten, dass sie in ein Heim kommt, was sie aus Büchern lernte. Die Mutter wird im Roman nach und nach sichtbarer und Perdu rettet ihr gar das Leben (und das nicht nur einmal), als sie endlich auf Wunsch von Francoise (die hofft, dass Perdu ihre Mutter 'heil machen kann') das Bücherschiff betritt. Cleo ist eine sehr interessante Figur, wenn auch der Hintergrund sehr dramatisch ist und erst nach und nach klar wird, weshalb hier die Rollen (Tochter und Mutter) vertauscht erscheinen. Francoise ist ebenso wie Marie, die sie später kennenlernt, ein wirklich mutiges und tolles Mädchen, jedoch habe ich diesmal einen 'kleinen' Kritikpunkt: Ein Mädchen von 12 Jahren stelle ich mir doch noch als Kind vor, hier scheint sie für ihr Alter, mir fast unrealistisch erscheinend, sehr erwachsen zu sein. Eine 14 oder 16Jährige käme da meine Vorstellung schon näher, die Handlungen und Sichtweisen von Francoise nachzuvollziehen.

Eine weitere Hauptrolle spielt Pauline, die Azubine mit algerischen Wurzeln: Sie liebt Emile (den Bretonen) und fühlt sich auch zu Kofi, dem Pflegesohn von Mdme. Bomme, hingezogen: Wird sie ihr Herz sprechen lassen und sich für den Richtigen entscheiden?

Berührend beschreibt George in dieser wiederum sehr warmherzigen Geschichte, wie sich Menschen helfen können - auch mittels Büchern, die Pauline auf ihrer Vespa (Aufschrift: "Eilige Arzneimittel!") z.B. Mister Kenny bringt, der kürzlich "Unsere Seelen bei Nacht" von Kent Haruf las und sich selbiges mit der netten Witwe nebenan vorstellen könnte. Wir erfahren von einem illustren Witwenclub in er Rue Montagnard, die gerne erotische Literatur bei Perdu bestellt und lernen Perdu noch besser kennen, der den Menschen tief in die Seele zu blicken vermag und Neuerscheinungen stets auf das Maß ihrer Tauglichkeit für die Maladien der Seele prüft. (Er hat über 9800 Bücher für ca. 1600 Maladien an Bord). Einige davon erscheinen hier im Roman, die wir alle gelesen haben (sollten), was mir ebenso große Freude machte.

Letztlich wird Jean Perdu zum Samweis Gambschie, der nicht will, dass Pauline dasselbe passiert wie einst ihm... Es ist ein Vergnügen, diesen Roman zu lesen, da Nina George nicht mit skurilen Wortschöpfungen, poetischen Beschreibungen, literarischen Weisheiten (man muss Bücher nach sich rufen spüren!) und Tiefgang sowie warmherzigen und liebenswerten Charakteren gespart hat.

Die Themen sind vielfältig; u.a. geht es natürlich um Liebe, um Freundschaft, um Bücher(liebe), Verzeihen, um anders sein, zueinander finden, zusammenhalten - und um Bibliotherapie.

Das wunderschöne Gedicht am Ende des Romans ("Die Wälder der Zeit") sind für mich ein Highlight, da die Autorin darin ausdrückt, was auch ich empfinde, wenn ich an Bäume denke.

Ich empfehle diesen und die beiden Vorgängerromane (siehe oben) sehr gerne weiter; besondere Freude dürften diejenigen haben, die "Bücher über Bücher" lieben!

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Veröffentlicht am 27.04.2025

Vergnüglich zu lesender historischer Cosy-Crime!

Der Tote in der Crown Row
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"Der Tote in der Crown Row" von Sally Smith ist das Début der Autorin - und sie tat gut daran, das Manuskript endlich aus der Schublade zu holen und das Licht der Welt erblicken zu lassen: Mir hat dieser ...

"Der Tote in der Crown Row" von Sally Smith ist das Début der Autorin - und sie tat gut daran, das Manuskript endlich aus der Schublade zu holen und das Licht der Welt erblicken zu lassen: Mir hat dieser Cosy "A Case of Mice and Murder" im englischen Original betitelt, nämlich sehr gut gefallen! Erschienen ist der Kriminalroman bei Goldmann (HC, gebunden, 397 S.) 2025. Die Autorin hat selbst viele Jahre als Kronanwältin im Temple-Bezirk in London gearbeitet - und dies merkt man diesem authentisch geschriebenen Krimi auch an! (Ich wusste zuvor nichts von den 4 Bezirken der Gerichtsbarkeit mit jahrhundertealter Tradition im Herzen Londons und finde das Setting außergewöhnlich und interessant; ebenso wie die Zeit, in der der Krimi spielt: Wir schreiben das Jahr 1901....


Sir Gabriel Ward, scharfsinniger und dennoch Barrister und Lordrichter "mit Feingefühl", verschroben, mit neurotischen Macken, der sein ganzes Leben (und das sehr gerne) im Inner Temple lebt, stolpert eines Morgens über eine Leiche: Der Tote trägt einen schwarzen Mantel, die Melone ist ihm vom Kopf gefallen - und er hat weder Strümpfe noch Schuhe an! Wie sich herausstellt, handelt es sich um den Lordoberrichter Norman Dunning.... Da es sich um ein Verbrechen handelt (der Schaft des Messers ragt aus der Brust des Toten), wird schnell klar, dass dies ein Fall für die örtliche Londoner Polizei ist. Da diese im Temple Bezirk (einer mit dem Vatikan vergleichbaren Enklave, in der seit Jahrhunderten eigene Gesetze gelten) keine Befugnisse hat, kommt man überein, Gabriel zu beauftragen, interne Ermittlungen einzuleiten. Er kannte den Lordoberrichter von Kindesbeinen an; sie studierten zusammen im Eton College und die Laufbahnen waren sehr unterschiedlich: während der eine (Dunning) zum Lordoberrichter avancierte und zeitlebens darum fürchtete, für seinen minderen Intellekt 'enttarnt' zu werden, war der andere (Gabriel Ward) dafür bekannt, selbst die vertracktesten Fälle zu lösen, an denen seine Kollegen verzweifelten.


Seitens der Ermittlungen kommt es zu einer Teambildung zwischen Gabriel und dem jungen Constable Wright, der hier eine gute Figur macht und von neuen Ermittlungstechniken (im Gegensatz zu seinem Vorgesetzten, der dies für 'Kokolores' hält) ebenso wie von den Fähigkeiten Gabriels sehr viel hält: So hat er eine blutige Hand an der Mauer fotografiert, die später noch Bedeutung haben sollte. Auch die neue Art, zu ermitteln, die auf Fingerabdrücken basiert, machen sich die beiden ungleichen Männer, die sich wundervoll ergänzen, später zunutze. Denn Temple-intern benötigt es wirklich 'Feingefühl', da einige, die verdächtig erscheinen könnten, sehr an ihrem Ruf, an ihrer Ehre, an ihrem Renomee - und an ihrer Karriere hängen....


Was z.B. liegt im Dunkeln, was bei dem "Kleinen Diner", das der Schatzmeister am Abend des Mordes gab, so dringend besprochen werden sollte? Welche Rolle spielen Lordrichter Brown und Wilson, der Kontrahent bei Gericht (und dennoch fairem Freund) Sir Barton - und der Schatzmeister? Ganz zu schweigen vom Reverend der Temple Church? All' diese Fragen gilt es für Gabriel und Wright, herauszufinden. Und es ist sowohl spannend als auch sehr vergnüglich zu lesen, wie die beiden dies anstellen: Da werden die Herren Lordrichter befragt; frühere Gouvernanten im Hause Dunning, die - zum Leidwesen Gabriels nicht in der näheren Umgebung leben - weshalb kurzerhand Wright in seinen freien Tagen nach Greenwich und nach Bournemuth reisen muss (Gabriel schätzt es überhaupt nicht, sich vom Temple zu entfernen, der ihm existenzielle Sicherheit und Wohlgefühl verschafft: In der Bench Street umgeben von Stapeln von Büchern fühlt er sich zu Hause; zu Frauen hat er ein eher schwieriges Verhältnis. Allerdings gibt es da Ausnahmen: Die Köchin sowie auch Meg, das Küchenmädchen sowie das gesamte Küchenpersonal hat den Anwalt ins Herz geschlossen (was sich in prächtigen Körben als Gruß aus der Küche vor seiner Türschwelle manifestiert). Doch parallel zu dem Mordfall gibt es noch eine weitere 'Ungereimtheit' - Mr. Moore, seines Zeichens Buchhändler und Verleger bzw. dessen kleine Tochter finden ein Manuskript, das ihm jemand vor seine Tür im Verlag legte: "Millie, die Kirchenmaus". Die Tochter ist so entzückt, dass ihr Vater auf die Botschaft im Kinderbuch aufmerksam wird - und es verlegt: Mit solch' einem Erfolg, dass der auf der Kippe stehende Verlag gerettet werden kann! Doch wer ist die Urheberin des Textes? Handelt es sich hierbei um ein Pseudonym? Moore versucht vergeblich, die Autorin bzw. den Autor zu ermitteln, bis es eines Tages zu einem Prozess kommen sollte: Miss Susan Hatching beansprucht das Urheberrecht an "Millie" und möchte sich nicht an den Einnahmen bereichern, sondern es 'ihrer' Kirche zukommen lassen. Doch ist sie wirklich die Autorin?


Diese beiden "Fälle" werden parallel verfolgt und Sally Smith versteht es hervorragend, die subtile Spannung zu halten: Die Figuren werden sehr gut ausgeleuchtet und besonders Wright und Sir Gabriel Ward sind sehr sympathische Ermittler! Mir gefiel z.B. die Neurose Gabriels, das Tintenfass und den goldenen Bleistift immer in derselben Position auf dem Schreibtisch zu wissen, da ich vor ca. 30 Jahren dieselbe Neurose hatte :D. Der Cosy-Krimi hat kurze Kapitel, ist sehr eingängig und mit ironischem Unterton geschrieben, der auch die Atmosphäre dieses geschichtsträchtigen Bezirks zum Ausdruck bringt.


Fazit:


Ein vergnüglich zu lesender historischer Cosy-Krimi, der durch Authentizität sowohl der Lösung der Fälle als auch der Figuren überzeugt. Ich kann "Der Tote in der Crown Row" bedenkenlos und gerne weiterempfehlen und würde mich sehr freuen, wenn die Autorin weitere Fälle für Sir Gabriel Ward (und den jungen Constable Wright) folgen lässt!

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Veröffentlicht am 07.02.2025

Der Meister der Tragikomik

Man kann auch in die Höhe fallen
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"Man kann auch in die Höhe fallen" von Joachim Meyerhoff erschien (2024, HC geb., 368 S.) im KiWi-Verlag (Kiepenheuer & Witsch). Ohne bereits alle Teile zu kennen, hat mir dieser Roman wie der vorige, ...

"Man kann auch in die Höhe fallen" von Joachim Meyerhoff erschien (2024, HC geb., 368 S.) im KiWi-Verlag (Kiepenheuer & Witsch). Ohne bereits alle Teile zu kennen, hat mir dieser Roman wie der vorige, von mir gelesene (Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke) der autofiktionalen Romanreihe des Autors "Alle Toten fliegen hoch", die allesamt bestimmte Teilabschnitte seines Lebens in höchst vergnüglich zu lesender Weise beschreiben, sehr gut gefallen.


Inhalt:


Nach einem unangenehmen Vorfall beim Kindergeburtstag seines 9jährigen Sohnes beschließt der Autor, dass er eine Weile bei seiner Mutter in Schleswig-Holstein, nahe der Ostsee, verbringen wird. Nach vielen Jahren in Wien, wo er als Schauspieler lebte, zog es ihn und seine kleine Familie nach Berlin, um einen Neuanfang zu starten, nachdem ihn ein Schlaganfall sehr gebeutelt hatte. Immer mürrischer werdend, möchte er zum Schreiben zurückfinden (die Geschichten hatten ihn früher immer angeflogen, tummelten sich in seinem Kopf und wollten erzählt werden); Berlin jedoch machte es ihm schwer, heimisch zu werden.

So kommt der blasse und angeschlagene Sohn (Mitte 50) bei seiner agilen, 86jährigen Mutter an, mit dem Vorsatz, morgens zu schreiben und nach dem Mittag der Mutter im großen Garten zur Hand zu gehen. Nicht ahnend, dass er weniger seiner Mutter, als diese ihm helfen wird, wieder in die eigene Mitte zurückzufinden...


Meine Meinung:


Joachim Meyerhoff hat eine ungewöhnlich authentische, genial amüsante und tiefgründige Art, seine Lebensgeschichte in Form vieler Anekdoten (die auch als solche im Roman genannt wird und es lt. Autor schwerer hat als andere Literaturgattungen) und Rückblicken so zu erzählen, dass es schon ein literarischer Genuss ist, dieser Form von intelligenter Unterhaltung, in die so manche Lebensweisheit eingestreut ist, zu frönen.


Die Mutter entpuppt sich als äußerst agil, sie ist in einem Literaturkreis, kümmert sich mit Liebe und Hingabe allen im parkähnlichen Garten befindlichen Pflanzen, wobei sie niemanden auf die verschiedenen Ausführungen von Rasenmähern lässt, da niemand so gut mähen kann wie sie; kann sich blitzschnell verwandeln (vom sportlichen Garten-outfit zu einer glamourösen Gastgeberin, wenn die alten Damen von der Domkantorei kommen), mag Whisky und im Meer schwimmen, liebt es, in der Sauna noch andere wichtige Dinge zu tun, wie währenddessen eine Sense zu schleifen (da ihr sonst furchtbar langweilig ist); klettert von allen am besten, wenn es um die Apfelernte geht - und beeindruckt am Ende noch durch eine Reise nach Marrakesch, wobei sie ihren Sohn verwaist zurücklässt (bloss keinen Rasen mähen!), der auch glatt in eine traurige Dauerphase zurückfällt: Doch was anfangs nicht klar ist, kristallisiert sich immer mehr, durch jede Aufgabe, die kein Ende nimmt, da schon die nächste wartet (und J.M. erkennt, dass es eine Art Überlebensstrategie seiner Mutter ist): Die Aktivitäten an der frischen Luft, im Garten und am Haus tun ihm ungeheuer gut. Aufgepäppelt von der Mutter, fühlt er sich nach einigen Wochen sehr viel besser und liest, ein Glas Whisky in der Hand von beiden, abends seiner Mutter die Geschichten vor, die er tagsüber schrieb. (Seine Mutter liebt Geschichten).


"Nicht erzählte Geschichten, wurde mir klar, können sich entzünden und zu einer lebensbedrohlichen, poetischen Sepsis führen" (Zitat S. 13)


Die Art seiner Mutter, die immer 'in action' ist und 'deren Bewegungen immer eine Richtung hatten, die nie irgendwoher kam, sondern immer irgendwo hin wollte' (S. 44) scheinen auf den Sohn überzugehen; witzige, fantasievolle Gedanken zum Alter vs. Jungsein finden sich wie viele andere humorvolle Anekdoten, die die beiden während ihres Zusammenlebens miteinander erleben. Meyerhoff gibt auch hier Rückblicke in seine Schauspielkarriere, die sehr aufschlussreich und interessant sind wie in seine Kindheit, in der wir ihn mit seiner Familie auf dem Weg nach Dänemark begleiten dürfen. Es geht also auch um Kindheitserinnerungen und "Mutterbegebenheiten", während die noch immer nicht bezugsfertige Wohnung in Berlin und das "Zwischenwohnen" in einem Hotel für ihn, Sophie und den kleinen Sohn eine wahre Herausforderung und Zerren an den Nerven darstellt. Wir lesen von horrend teuren Kellerentrümpelungen in Wien und folgen gebannt einer "Koffer-Story", die es in sich hat.


Eine meiner "Lieblingsanekdoten" ist die Offenbarung, dass Joachim Meyerhoff, bedingt durch viele Gartenarbeiten, die eben auch die nötigen Gerätschaften und Ersatzteile brauchen, einem Baumarkt inzwischen ebensoviel Zuneigung entgegenzubringen scheint wie seine Mutter: Er philosophiert über die 'Langmut der Dübel und die Gelassenheit der Nägel':


"Tagein, tagaus nichts zu tun und mit zig Gleichgesinnten in einem Kistchen dösen. Dann einmal kurz leiden und ein paar Schläge auf den Kopf bekommen. Und schon hatte man seine Daseinsberechtigung erlangt" .(Zitat S. 169)


Konnte es ein sinnvolleres Dasein geben als das eines Nagels? Darauf kann nur ein Joachim Meyerhoff kommen, scheint mir und lese schmunzelnd auch seine tiefgründigen Gedanken, das eigene Leben betreffend bei den Versuchen, ein Regenfass wieder dicht zu machen; herrlich! Als dann in Lübeck die Mutter auch ganz selbstverständlich bei einer Lesung des Autors "einspringt" (und großen Erfolg hat), freut man sich auch über die große Nähe und das Verständnis zwischen Mutter und Sohn, der hier 'unpässlich' war und fasziniert seiner Mutter zuhört....


Fazit:


Auch dieser Teil der in der Ich-Form geschriebenen Romanreihe überzeugt durch den authentischen, humorvoll-grotesken, unvergleichlichen Schreibstil des Autors, der geistreich, witzig, tiefgründig, zuweilen poetisch und amüsant zu lesen ist: Vor der Agilität seiner Mutter kann ich mich nur verneigen (denke jedoch, dass sie mit 86 da eher eine der bundesdeutschen Ausnahmen darstellt). Ich kenne J.M. nicht als Schauspieler, bin jedoch sicher, dass er mit ebenso viel Leidenschaft auf der Bühne steht oder stand wie er in dieser Reihe schriftstellerisch tätig ist und seine Texte von Anekdoten gespickt sind, in der sich womöglich so manche/r schmunzelnd wiederfindet! Unterhaltung auf höchstem Niveau und eine absolute Leseempfehlung von mir!


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Veröffentlicht am 05.01.2025

Ein gelungener Genremix

Das Haus der Bücher und Schatten
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"Das Haus der Bücher und Schatten" von Kai Meyer (erschienen 2024 im Knaur Verlag; HC, geb. 526 S.) entführt die Leser wiederum ins Graphische Viertel der Bücherstadt Leipzig (1933) und lässt sie an der ...


"Das Haus der Bücher und Schatten" von Kai Meyer (erschienen 2024 im Knaur Verlag; HC, geb. 526 S.) entführt die Leser wiederum ins Graphische Viertel der Bücherstadt Leipzig (1933) und lässt sie an der Reise zweier Lektoren, die miteinander verlobt sind, ins Baltikum (genauer gesagt ins frühere Livland) teilhaben, die teils schaurig und unheimlich ist.


Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen, zum Einen im Jahr 1933 (Leipzig) und zum Anderen 20 Jahre früher, 1913 im Baltikum: In Leipzig wird der Nachtwächter und frühere Kriminalkommissar Cornelius Frey Zeuge eines beabsichtigten Selbstmords: Bei seinem Streifzug durch die Nacht rettet er ein Mädchen, das sich von einer Brücke auf die Gleise eines herannahenden Zugs werfen will. Sie stellt sich mit dem Namen Undine vor, wie sich jedoch später herausstellen sollte, handelte es sich um Emilie Abel. Später lernt man ihre Freundin Leontine kennen und begreift, dass beide ein nicht ungefährliches Leben haben: Emilie wird zusammen mit einem Polizisten namens Josef Zirner in der Nähe der Bibliothek erschossen; wollte sie bei Cornelius um Hilfe bitten? Da dieser wieder in die Reihen des Kriminalkommissariats zurückkehren durfte (und sich beweisen muss unter der neuen NS-Führung), nimmt er sich dieses Falles persönlich an und entdeckt, dass der frühere Kollege Zirner sich eher mit Cold Cases beschäftigen konnte, in dem er sich in den Deckmantel eines überzeugten Nazis hüllte: Zirner versuchte, das spurlose Verschwinden seines Bruders 20 Jahre zuvor aufzuklären: Jonathan Zirner war mit Paula, seiner Verlobten, ins Baltikum aufgebrochen, um das Manuskript eines erfolgreichen Schriftstellers (Aschenbrandt) von dort mitzunehmen; beide kehrten jedoch nie nach Deutschland zurück.


Die Handlung 1913 erweist sich als etwas undurchschaubar und auch unheimlich, da das Anwesen "Hundsheide", das der Familie Choriander gehört, Paulas Albträume noch verschlimmern. So sieht sie ein junges Mädchen vor ihrer Kammer, das "sie weinen alle im Keller ohne Treppe" flüstert. Da sie Zugang zu allen Räumen hat und ihr Verlobter sein eigenes Manuskript redigiert, versucht sie, herauszufinden, was es mit diesen Träumen auf sich hat: Dies sollte sich als alles andere als ungefährlich erweisen, für alle Beteiligten im verschneiten 'Haus Hundsheide'.


Cornelius Frey versucht nun, die Zusammenhänge zwischen Zirners Ermittlungen im Verborgenen und der Tatsache, dass auf Emilies Arm "Hundsheide" stand, weiterzuverfolgen. Unterstützung hat er dabei von seiner Freundin Felicie und später von Leontine. Jedoch weiß auch diese nicht, wer das 'blaue Buch' von Emilie haben könnte und ob es existiert: Hier könnte der Mörder von Emilie und Josef Zirner genannt sein...


Der Roman ist eine sehr gelungene Melange aus historischem Roman (das Erstarken der NS-Diktatur ist spürbar, die Verbrennung unerwünschter Bücher etc.), Kriminalroman und Fantasy, die vor allem im Baltikum als unheimliche Schatten den Handlungsverlauf begleiten. Im letzten Romandrittel zieht die Spannung sehr an und es gibt sowohl 1913 als auch 1933 einen Showdown, der mir persönlich jedoch (Leipziger Erzählstrang) teils zu konstruiert, zu brutal und ein wenig unrealistisch dargestellt war. Dennoch ist dieser weitere Roman, der sich auch um Literatur dreht und um die historische Bücherstadt Leipzig, lesenswert und erhält von mir eine Empfehlung und 4*.

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