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Veröffentlicht am 11.03.2025

Gelungen

Irgendwann die weite Welt
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Bücher über die eigene Jugend sind oft mehr als nur persönliche Erinnerungen – sie sind auch ein Stück Zeitgeschichte. „Irgendwann die weite Welt“ von Lutz van Dijk, erzählt nicht nur von einem Jungen, ...

Bücher über die eigene Jugend sind oft mehr als nur persönliche Erinnerungen – sie sind auch ein Stück Zeitgeschichte. „Irgendwann die weite Welt“ von Lutz van Dijk, erzählt nicht nur von einem Jungen, der nach seinem Platz in der Welt sucht, sondern auch von einer Gesellschaft, die queere Identität in den 60er-Jahren noch nicht kannte oder akzeptierte. Was mich an diesem Buch besonders bewegt hat, ist, wie authentisch und intensiv der Autor seine Erfahrungen in Westberlin schildert – voller Sehnsucht, Ausgrenzung und dem tiefen Wunsch nach Freiheit.

Die Geschichte folgt dem jungen Protagonisten, der in einer Nachkriegswelt aufwächst, in der seine Familie mit eigenen Traumata kämpft. Während seine Eltern sich in Streitereien verlieren und sein älterer Bruder distanziert bleibt, sehnt er sich nach Zugehörigkeit. Erste Freundschaften, erste Liebe, erste Unsicherheiten – und die wachsende Erkenntnis, dass er anders ist als die Norm es vorsieht. Doch Homosexualität ist in seiner Umgebung nicht nur ein Tabu, sondern ein Schimpfwort. Der Wunsch nach einem freieren Leben wächst, bis er mit achtzehn Jahren beschließt, nach New York zu fliehen, um endlich er selbst sein zu können.

Lutz van Dijks Schreibstil ist dabei so unkonventionell wie seine Geschichte. Die Sprache schwankt zwischen poetisch-reflektierten Passagen und einer sehr direkten, fast naiv-kindlichen Erzählweise. Das macht den Roman besonders authentisch, kann aber auch gewöhnungsbedürftig sein – manchmal fühlte es sich sprunghaft an, als würde der Autor zwischen seiner Vergangenheit und der erwachsenen Reflexion wechseln. Doch gerade diese Unmittelbarkeit sorgt dafür, dass man sich emotional schnell mit dem Protagonisten verbunden fühlt.

Fazit: Irgendwann die weite Welt ist eine bewegende, autobiografisch geprägte Geschichte über Selbstfindung, Identität und den Wunsch nach Freiheit. Der Roman fängt nicht nur die Stimmung einer vergangenen Zeit ein, sondern zeigt auch, wie universell die Suche nach dem eigenen Platz in der Welt ist.

9/10 – kraftvolle Geschichte über Selbstfindung, Mut und den Wunsch nach einem besseren Leben. Sehr lesenswert.

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Veröffentlicht am 06.03.2025

Eine Mahnung gegen das Vergessen

Das letzte Aufgebot
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Geschichte ist nicht nur Vergangenheit – sie wirkt bis in unsere Gegenwart hinein. Bücher wie Das letzte Aufgebot sind deshalb so wichtig, weil sie uns daran erinnern, was passiert, wenn Ideologien junge ...

Geschichte ist nicht nur Vergangenheit – sie wirkt bis in unsere Gegenwart hinein. Bücher wie Das letzte Aufgebot sind deshalb so wichtig, weil sie uns daran erinnern, was passiert, wenn Ideologien junge Menschen in den Krieg schicken. Moritz Seiberts Roman ist eine erschütternde, intensive und literarisch beeindruckende Auseinandersetzung mit den letzten Kriegsmonaten des Zweiten Weltkriegs – erzählt aus der Perspektive der Jugendlichen, die als Kanonenfutter für ein längst verlorenes Regime geopfert wurden.

Die Geschichte folgt dem 15-jährigen Jakob, der – geprägt von Propaganda und blindem Glauben – voller Eifer in den Krieg zieht. Doch die grausame Realität an der Front zerstört schnell alle Illusionen. Hunger, Kälte, Angst und Gewalt werden zum Alltag, und Jakob beginnt, an allem zu zweifeln, was er bisher für wahr hielt. Als sein bester Freund ihn verrät und er gleichzeitig um seine Liebe zu Maria kämpfen muss, stellt sich die Frage: Gibt es noch einen Ausweg – oder ist es längst zu spät?

Seibert erzählt diese Geschichte mit einer beeindruckenden sprachlichen Klarheit. Er verzichtet auf Effekthascherei und zeigt die Gräuel des Krieges in all ihrer ungeschönten Brutalität, ohne je reißerisch zu werden. Die Figuren sind tiefgründig und authentisch gezeichnet: Jugendliche, die zwischen Indoktrination, Angst und verzweifelter Hoffnung schwanken. Ihre Schicksale stehen stellvertretend für eine Generation, die in den letzten Kriegsmonaten geopfert wurde. Besonders eindrucksvoll ist, wie Seibert die Manipulation durch das NS-Regime darstellt – und welche zerstörerischen Folgen sie hatte.

Fazit: Das letzte Aufgebot ist ein aufwühlender, beklemmender Roman, der noch lange nachhallt. Es ist nicht nur ein literarisch starkes Werk, sondern auch eine Mahnung gegen das Vergessen – und gegen das Wiederholen der Geschichte.

10/10 – intensiv, erschütternd und unheimlich wichtig.

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Veröffentlicht am 02.03.2025

Sehr relevant

Ein Regenbogen für den Schah
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Geschichte wiederholt sich – wenn wir nicht aus ihr lernen. Ein Regenbogen für den Schah führt uns zurück in eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, die erschreckend viele Parallelen zur heutigen Welt ...

Geschichte wiederholt sich – wenn wir nicht aus ihr lernen. Ein Regenbogen für den Schah führt uns zurück in eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, die erschreckend viele Parallelen zur heutigen Welt aufweist. Mit viel Feingefühl erzählt Elyseo da Silva eine Geschichte über Freundschaft, Identität und queere Liebe in einer Zeit, in der sie nicht nur verpönt, sondern auch strafbar war.

Im Mittelpunkt stehen Lukas und Max, zwei junge Männer, die in den 60er-Jahren aufeinandertreffen. Lukas, aus gutem Hause, fühlt sich von den Erwartungen seines Vaters erdrückt, während Max als rebellischer Freigeist seinen eigenen Weg sucht. Was als Freundschaft beginnt, entwickelt sich für Max zu tieferen Gefühlen – doch in einer Gesellschaft, in der Homosexualität noch unter das berüchtigte Nazi-Gesetz §175 fällt, ist diese Liebe mit Angst und Gefahr verbunden. Gleichzeitig spiegelt sich der politische Wandel dieser Zeit in Lukas' Leben wider, als er durch eine Mitschülerin in die aufkeimende 68er-Bewegung gezogen wird.

Besonders beeindruckend ist, wie intensiv und nuanciert die Beziehung der beiden gezeichnet wird. Da Silva vermeidet Klischees und schafft zwei tiefgründige Figuren, die auf sehr unterschiedliche Weise mit ihrer Zeit und ihrer Identität ringen. Die Verknüpfung von persönlichem Drama und historischer Realität funktioniert hervorragend – man merkt, wie akribisch der Autor recherchiert hat. Die Proteste, die Nachwirkungen des Nationalsozialismus und die gesellschaftlichen Spannungen sind nicht nur Kulisse, sondern fest in die Handlung integriert.

Was dieses Buch besonders macht, ist seine Zeitlosigkeit. Auch wenn es in den 60ern spielt, stellt es Fragen, die heute noch drängend sind: Wie gehen wir als Gesellschaft mit Minderheiten um? Welche Rechte sind nicht selbstverständlich? Und wie leicht können Fortschritte wieder rückgängig gemacht werden?

Fazit: Ein Regenbogen für den Schah ist ein emotionaler, historisch präziser und unglaublich relevanter Roman über queere Identität in einer Zeit des Wandels. Wer sich auf diese tiefgehende Geschichte einlässt, wird mit einer intensiven, berührenden Lektüre belohnt.

10/10 – ein bewegender, vielschichtiger Roman, der lange nachhallt.

Auf meinem Blog findet ihr eine ausführlichere Rezension, schaut dort gern mal vorbei: https://buchkomet.wordpress.com/2025/03/02/rezension-ein-regenbogen-fur-den-schah-und-seine-gesellschaftliche-relevanz/

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Veröffentlicht am 19.02.2025

Einer geht noch

Einer geht noch
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Leben und Tod gehören untrennbar zusammen – und doch fällt es uns oft schwer, über das Sterben zu sprechen. Einer geht noch von Hannes Finkbeiner schafft genau das auf eine besondere Art: Mit einer Mischung ...

Leben und Tod gehören untrennbar zusammen – und doch fällt es uns oft schwer, über das Sterben zu sprechen. Einer geht noch von Hannes Finkbeiner schafft genau das auf eine besondere Art: Mit einer Mischung aus Humor, Tragik und philosophischer Leichtigkeit erzählt der Roman von Vergänglichkeit, Familie und Erinnerungen, die uns beinahe unsterblich machen.

Die Geschichte beginnt mit einem Schockmoment: Alo Bergmann erlebt, wie sein Vater beim Abendessen einen Herzstillstand erleidet. Doch während man eine traurige Geschichte erwarten könnte, nimmt der Roman eine überraschende Wendung. Denn Alo wird von seinem Großvater Fidus auf eine Reise voller unglaublicher Erlebnisse mitgenommen – schließlich ist Fidus, nach eigener Aussage, bereits dreimal gestorben.

Seine Erzählungen führen von der NS-Zeit, in der er sich mit einer jüdischen Familie verstecken musste, über die surrealen Kunstszene Barcelonas bis in die jüngere Vergangenheit. Besonders die erste Episode, die auf realen historischen Ereignissen basiert, hinterlässt einen starken Eindruck. Später wird die Geschichte verspielter und märchenhafter, doch stets bleibt der Erzählton charmant und voller Lebensweisheit. Obwohl die Geschichten gut gelungen sind, verlieren sie etwas an Schwung, im Gegensatz zur ersten Geschichte, die wirklich sehr bedrückend, aber auch stark erzählt ist.

Finkbeiner meistert den schwierigen Spagat zwischen tiefgründigen Themen und humorvoller Leichtigkeit. Der Roman liest sich flüssig, die Dialoge sind pointiert, und Fidus’ unkonventioneller Blick auf das Leben regt zum Nachdenken an. Zwar verliert die Geschichte nach dem starken Einstieg etwas an Intensität, doch insgesamt ist Einer geht noch ein wunderbar vielschichtiger Roman, der gleichermaßen berührt und unterhält.

Ein Buch über das Leben, den Tod und die Kraft der Erinnerung – mit Humor, Herz und Tiefgang erzählt. Wer gerne Romane liest, die sowohl nachdenklich als auch heiter sind, wird hier bestens unterhalten.

9/10 – Ein bewegendes, humorvolles Buch, das das Leben feiert.

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Veröffentlicht am 16.02.2025

Weckruf

Flatrate Arzt
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Als ehemalige Pflegekraft in Leitungsposition kenne ich die Herausforderungen im Gesundheitswesen nur zu gut. Bürokratie, Arbeitsüberlastung und mangelnde Wertschätzung für medizinisches Personal sind ...

Als ehemalige Pflegekraft in Leitungsposition kenne ich die Herausforderungen im Gesundheitswesen nur zu gut. Bürokratie, Arbeitsüberlastung und mangelnde Wertschätzung für medizinisches Personal sind längst Alltag – und genau hier setzt Flatrate Arzt an. Dr. med. Stefan S. Kassner liefert einen schonungslosen Einblick in das marode deutsche Gesundheitssystem und zeigt, warum wir längst nicht mehr bei „fünf vor zwölf“ stehen, sondern weit darüber hinaus.

Das Buch begleitet Kassners Weg vom idealistischen Medizinstudenten bis hin zum frustrierten niedergelassenen Arzt, der sich mit den harten Realitäten eines Systems auseinandersetzen muss, das immer mehr auf Effizienz statt auf Patientenwohl setzt. Er zeigt auf, wie Ärzte an wirtschaftliche Grenzen stoßen, Patienten unrealistische Erwartungen haben und eine überbordende Bürokratie die Versorgung lähmt. Besonders eindrücklich beschreibt er, wie sich das Arzt-Patienten-Verhältnis verändert hat – und warum das Prinzip der „medizinischen Flatrate“ eine gefährliche Illusion ist.

Neben der fundierten Analyse bietet das Buch auch Lösungsansätze: Patienten sollten bewusster mit Arztbesuchen umgehen, die Politik muss endlich Reformen auf den Weg bringen, und das gesamte System braucht eine grundlegende Neuausrichtung. Kassner schreibt klar, verständlich und faktenbasiert – sein Buch ist kein trockener Fachtext, sondern ein Weckruf für alle, die verstehen wollen, warum unser Gesundheitssystem kurz vor dem Kollaps steht.

Fazit: Flatrate Arzt ist ein wichtiges, aufrüttelndes Buch, das zum Nachdenken anregt. Wer wissen will, warum unser Gesundheitssystem so nicht mehr funktionieren kann, sollte es unbedingt lesen.

10/10 – Ein unverzichtbarer Weckruf für alle, die sich mit dem deutschen Gesundheitssystem auseinandersetzen wollen.

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